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22.
Lebenslauf des Greifspiels.

Das Greifspiel hatte kaum gehen gelernt, so war es ihm schon eine Wonne, klatschte Jemand hinter ihm her in die Hände und rief, ohne von der Stelle zu kommen, zum Schein nur ein wenig trappelnd: »lauf', lauf', ich greife dich!« Lief man aber wirklich ein paar kleine Schrittchen hinter ihm drein, so war des Jubels kein Maß und Ziel.

Sobald das Greifspiel die Sprache einigermaßen in seiner Gewalt hatte, bediente es sich derselben zu nichts lieber, als mit aller Welt anzubinden, zum Haschen heraus zu fordern: »krieg' mich doch, krieg' mich doch!« oder am Abend sich zu verabschieden: »hast den letzten,« mit einem neckenden Schlage.

Dann lernte es, sein Kittelchen oder Schooßwämschen um die Hüften zusammennehmen, es gewann dadurch an Freiheit der Bewegung und konnte auch nicht so leicht erwischt werden – beides sehr wesentliche Dinge für sein ferneres Fortkommen in der Welt.

Wollte das Greifspiel nicht länger zu den »Kleinen« gezählt werden, die nicht für voll angesehen sind, so mußte es nun daran denken, eine bestimmt geregelte Spielordnung anzunehmen; das that es denn auch, und fortan ging Alles streng gesetzlich bei ihm zu. Es begann und beginnt bis auf den heutigen Tag jedesmal damit, abzuzählen, wer greifen und wer gegriffen werden soll:

»Eins zwei drei vier fünf sechs sieben,
Eine alte Frau kocht Rüben,
Eine alte Frau kocht Speck:
Ich oder du bist – weg!«

oder nach einem andern bewährten alten Spruche.

Es bestimmte das Maal, von dem auszulaufen, und das vor fernerer Verfolgung sichert, sobald es glücklich erreicht ist. Es ordnete endlich an, daß jeder Ausscheidende dem Spiele vorher in aller Form Rechtens aufkündigen muß: »Drei vorbei.«

Dem heranwachsenden Greifspiele begegnen wir in immer mannichfaltigeren Gestalten, in den verschiedensten Einkleidungen. Es jagt den Dritten, es spielt »Katz' und Maus« und »Fuchs in's Loch«. Es ruft: »habt ihr keine Angst vor dem schwarzen Mann? ...« und kein Einziger hat Angst – die ganze breite Kolonne stürmt muthig heran; es läßt sich die Augen verbinden und tappt als »blinde Kuh« umher oder fragt: »Jacob (Jacobinchen), wo bist du?« Oder es bemüht sich mit seiner kleinen Partnerin beim »Böckchen, Böckchen, schiele nicht« glücklich wieder zusammenzutreffen.

Ueberhaupt scheint das Greifspiel seit einiger Zeit keineswegs unempfindlich dafür, ob junge Mädchen dabei sind, namentlich ein gewisses Fräulein. Es ist dasselbe, das schon als kleines Kind sein Liebling, das einst auf dem Arme der Mutter sein Köpfchen, bald nach der einen, bald nach der andern Seite über die Schulter legte zum Kuckukspiel, und sich da eben so sicher geborgen wähnte, als wenn es Abends im Bett tief unter die heraufgezogene Decke kroch, das, wenn es blinzen mußte, mit feinem Stimmchen rief: »ist's schon?« oder »kann ich schon?« das später so herzlich lachte, sprang es aus dem Hinterhalt hervor, und es gelang, den Ueberraschten mit einem lauten »Paff« wie mit einem Pistolenschuß zu erschrecken – kurz, das anmuthige, jetzt zur Jungfrau erblühte Versteckspiel.

Das waren schöne Zeiten, als Greifspiel und Versteckspiel ganz unverabredet überall zusammentrafen, als dieses, wenn es jenes die Straße daher kommen sah, sich immer halb hinter die Gardine zurückzog, und unentschieden blieb, ob das zarte Roth, das durch grüne Blätter schimmerte, wirkliches Mädchenerröthen war, oder eine aufbrechende Blüthenknospe des Rosenstockes, der am Fenster stand. Das waren schöne Zeiten, als die jungen Leute – das Greifspiel hatte inzwischen alle Examina gemacht und eine Anstellung als Hof- und Gartengreifspiel erhalten – Arm in Arm, ein verlobtes Paar, auf der Promenade erschienen. Aber die Zeiten wurden noch schöner, als Braut und Bräutigam die Ringe wechselten, und die allerschönsten Zeiten kamen, als die glücklichen Eheleute, nach jahrelangem Zusammenleben, erst recht erkannten, was sie an einander hatten, und sich der freudigen Hoffnung überlassen durften, mit Gottes Hilfe und vermöge einer sorgsamen Erziehung ihr eigenes Glück auch auf die Kinder zu übertragen, von denen, wie Jedermann weiß, besonders das eine sich durch die überraschende Vereinigung der liebenswürdigsten Eigenschaften von Vater und Mutter auszeichnet – das denn auch mit Recht so allgemein beliebte Anschlagespiel.

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