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26.
Seine Alte.

»Ja, liebe Agathe, es waren große unvergeßliche Tage – fast zu große! In all dem Sieges-Jubel und Trubel des großen Familientages kam unser kleines »einiges Deutschland« gar zu kurz. Und die neue Reichshauptstadt sollte doch auch genossen werden! Ich habe mich so gefreut über euch Alle, aber Zweierlei ist mir noch in der Erinnerung hassenswerth. Einmal dein ungewohnter, unerhörter Zeitungseifer – du warst stets die Erste, die nach der Zeitung griff – ohne darin zu lesen, du schlugst nur das Blatt um, mit einem raschen Blick auf die Anzeigen: »was wird denn gegeben?« ... Und dann Justus' eben so stehendes: »Wo treffen wir uns heute?« ... Als ob sich gar kein ungeeigneteres Rendezvous denken ließ wie unser armes Haus. Und doch schien es euch nicht so übel zu behagen. Nun ihr wieder fort seid, fühle ich erst, wie wenig wir eigentlich von einander selbst gehabt, und wie viel nicht zur Sprache kam, was ich dir so gerne noch gesagt hätte.«

»Du hast Recht, liebe, liebe Schwester – und daß du den Eindruck mitgenommen, thut mir in der Seele wohl: – was sich von meinen Jugendwünschen erfüllt, und was mir versagt, beides schlug zu meinem wahren Heil aus. Ich zittere nur vor dem schrecklichen: »Wem das Glück wohl will, den macht es zum Narren.« Nun auch wir haben den dunkeln Mächten schon unsern Tribut gezollt, aber auch uns quollen aus der schwarzen Wolke der Trübsal Tropfen himmlischen Segens. Als unsere gemeinsamen Thränen auf das frische Grab eines unbeschreiblich geliebten Kindes fielen, erst da habe ich so ganz erkannt, welch' ein Schatz tiefster, innigster Empfindung auch diese rauhe Mannesbrust in sich birgt. Mein Mann ist kein großer Dichter und Denker, kein Stern erster Größe, kein bahnbrechendes Genie – ich will es ihm schon zu gut halten. Und was kann er dafür, daß James Watt ihm zuvorgekommen, oder daß sein Vater uns die Fabrik bereits wohl eingerichtet? Beide Herren, kämen sie wieder, würden sich doch wundern über manches Neue und manche Verbesserung in unseren Werkstätten. So Gott will, soll noch in diesem Jahr unser jüngstes Dampffüllen lustig hinausspringen in's Leben, blumenbekränzt und feierlich getauft, freilich auf keinen Namen aus der Zahl der Kalenderheiligen. Wie sollte und könnte es aber auch wohl anders heißen als »Tausend« – unser jüngstes tausendstes Lokomotivchen? Das Meisterstück meines lieben Maschinenbauers ist doch – wie Alle finden, die ich nach langer Trennung wiedersehe, wenn es auch nicht Alle so offen heraussagen wie die Nächstbetheiligte – sein Meisterstück ist und bleibt, daß er aus der »unnützen Margell« noch eine so leidlich vernünftige Frau gemacht. Nun möchten die guten Leute aber auch gerne wissen, wie er das gemacht? Sie sollen es erfahren, wir werden es aufschreiben nach bestem Wissen und Erinnern, nur jetzt haben wir noch nicht Zeit. Alt sind wir beide, sehr alt, aber wir müssen doch noch älter, erst ganz alte Schüttelköpfe werden – und nichts Notwendigeres zu thun haben. Dann wird es mir das größte Vergnügen machen, in würdiger Muße mein Backfischtagebuch zu Ende zu führen. Bis dahin muß es schon patentirtes Fabrikgeheimniß bleiben.«

»Aus den großen Cirkeln haben wir uns fast ganz zurückgezogen. Daß man au centre ist und nicht gar zu weit ab von den Hauptadern des Weltverkehrs, merkt man doch. Selbst jetzt in erquicklicher Morgenstille – die Balkonthür ist offen – vernehme ich fernher »der Großstadt Gebrause«, ich höre – glücklicher Weise auch nicht allzu nahe – das Pochen und Hämmern in den Werkstätten – dann und wann das schneidende schrille Pfeifen und dröhnende Rasseln eines Eisenbahnzuges, der in rasender Hast in alle Welt hinaus jagt, oder ganz aus fernster Ferne das dumpfe Krachen von den Artillerieschießplätzen – die Stimmen der Zeit. Manchmal empfängt und mach: mein Mann keinen andern Besuch als in Geschäften, wir leben wie die Klausner – und dann kommen wieder Tage, wo sich die ganze Welt gegen unsere häusliche Ruhe verschworen zu haben scheint. Die Visitenliste von gestern würde dich amüsiren. Einer gab immer dem Andern die Thür in die Hand, es war wie in den Spielzeug- und Putzläden vor Weihnachten. Zwischenein telegraphirte mein Mann von der Börse: »Drei Couverts mehr – keine Umstände.« Sehr schön – nur daß drei Herren von der Börse ohne Umstände mehr zu erwarten pflegen als ein Prinz, der vorlieb nimmt – mit Umständen. Dabei ist Jean nicht halb das, was der vorige war. Das Bohnern greift ihn zu sehr an. Es fehlt blos, daß wir ihm außer dem Extrabohner noch untergeordnete Organe halten, die für ihn decken, herumreichen – kurz Alles thun, was seine Sache ist, während er nur als dirigirender Geist in Livreefrack, Gamaschen und weißen Handschuhen, wohlfrisirt über dem Ganzen schriebt ... Nun, die Krone von Allem – denk' dir, wer uns heimgesucht? ... Herr von Hillerström! Was dem einfällt! Wie oft ist er in all den Jahren hier gewesen, bald kürzer, bald länger, und hat nicht daran gedacht. Hätte er wenigstens seine Frau und Kinder uns präsentirt, die würde ich gerne kennen gelernt haben. Enfin es war auch so ganz nett – wir sind als gute alte Freunde geschieden. Mein Mann bat ihn, zu Tische zu bleiben. Das lehnte er ab. »Aber wenn es mir irgend möglich und Sie gestatten, daß ich erst spät komme ... Abends hätte ich noch ein Stündchen frei.« Wie liebenswürdig – auch nur als Redensart – nicht wahr? So denkst du, so dachten wir auch ... sieh da! er kam wirklich.«

»Der Tag war drückend heiß, der Abend um so angenehmer, mild und still. Die Landleute klagen über Dürre, auch unser Gärtner wünscht dringend Regen: dem Garten sieht man es nicht an. Dank der guten Schlauchspritze, deren kräftiger Strahl eben wieder zischend sich zu sprühendem Tropfenschauer ausbreitet, Blumenbeete, Rasen, Büsche und Baumwipfel gleichmäßig erfrischt. Ohne aufzustehen, sehe ich auf grünem Laubgrunde den steigenden weißen Bogen – hier von meinem Schreibtische ... Der Springbrunnen plätscherte, Palmen und Orangen, unser Apollino und die Nymphe mit dem Kinde halfen ein wenig mit zur italienischen Nacht. Wir saßen aus der Veranda, wo es dir so gefiel – auch der Blick in unser Interieur durch die zurückgeschlagenen Portieren und durch das Mittelzimmer mit dem Flügel bis zur Melos auf meines Mannes Bureau und dem Merkur auf dem Bücherschrank. Es ist aber auch wunderhübsch, und so habt ihr's noch gar nicht mal gesehen. Der Mond stand über dem Platanen zwischen leichten Streifen Dunstgewölk, die seine glänzende volle Scheibe wie ein Schleier von Silberflor umwallten. Draußen ringsum Alles fast taghell und doch in bläulich kühlem zauberhaftem Dämmerschein: dazu machten sich dann um so behaglicher und wärmer im grelleren Licht der Gaskronen die dunkelblaue Tapete unserer Gartenstube, die hohen weißen Thürgesimse, der Marmorkamin mit den blanken stählernen Feuergeräthen, die Landschaft vom Comer See – vor Allem die Bilder der Eltern. Daß die Lieben uns diese Freude nicht versagt, ist mir das theuerste Vermächtniß, und wir bereuen nicht, einen der ersten Künstler gewählt zu haben. Schauten sie selbst noch im Leben, nicht nur lebensvoll und lebensgroß im Bilde, aus den mir eigentlich etwas zu prunkenden Goldrahmen, der Vater würde gerade so die Brauen zusammenziehen und die Unterlippe gerade so aufsetzen, als wollte er sagen: »Kinder, wir haben euch ja gerne den Gefallen gethan und uns hier hinhängen lassen ... Das ist ja Alles wunderschön, aber wir sind 'mal aus einer andern Zeit, wir passen doch nicht mehr so recht hinein in all diesen modernen Luxus oder Comfort, wie man's jetzt nennt ... Und die Mutter würde das weiße Atlasband ihrer glattanliegenden klaren Haube in ein eben so bescheidenes Schleifchen unter dem Kinn zusammengeknüpft haben und ebenso heiter begütigend die Mundwinkel hinauf ziehen, wie sie der Vater herabzieht, als wollte sie sagen: »Aber Vaterchen, sei doch nicht so ... Wie wir jung waren, haben da die Alten nicht auch gebrummt und gescholten und unsern sichern Untergang vorausgesagt, wenn ich zum Sonntag die ganze Portion Pudding einrühren ließ, obwol die halbe auch gelangt hätte? Gestickte Gardinen, Sammet- und Seidentapeten, Krystallkronen, feuer- und diebessichere Geldschränke machen allein noch nicht das Glück – aber sind unsere Eltern nicht wieder noch mit viel Wenigerem zufrieden gewesen? Und damals war es doch auch schon keine unfehlbare Bürgschaft für dauernden Glücksbestand, wenn man geweißte Wände hatte, Fenstervorhänge von rothstreifiger Leinwand und ungestrichene, fein mit Sand ausgestreute Dielen. Ein einfältig treues, in seinem Gott vergnügtes Herz und ein gut Gewissen sind noch heute wie von je und überall das beste Ruhekissen: strecke man sich lang auf der elegantesten Chaiselongue, oder sitze auf dem Engelrecht'schen alten »Hasenbrecher«, dessen erinnerst du dich gewiß noch? ... Oder nicht? ... Der Vater Engelrecht schnitt doch selbst vor, und gab es Hasenbraten, und er bekam den Rückgrat nicht so leicht klein, so sagte er nur: »wir wollen die Köchin nicht weiter bemühen, da sie doch wieder vergessen, die Gelenke schon vorher in der Küche einzuschlagen – setzt den Hasen eine fünf Minuten auf der Großtante bequemen »Sorgstuhl«, und der Rücken wird ihm eingebrochen sein, präcise Glied für Glied, wie dem Delinquenten auf dem Rade des Hochgerichts.«

»Hillerström faßte die Bilder besonders in's Auge, äußerte sich sehr beifällig und sprach mit großer Herzlichkeit von den alten Zeiten. Er hatte es aber auch nöthig ... »Das Jahr Siebzig wird nach siebzehn Jahren gerade so aussehen, wie Anno Dreizehn uns Achtzehnhundertunddreißig aussah,« und Aehnliches, was er vorhergesagt, und was nach Adam Riese und anderen todten wie lebendigen Rechenmaschinen ja auch ganz richtig sein mag, war doch nicht sehr dazu angethan, für seine exdiplomatischen Perspectiven einzunehmen. Bei meinem Manne hatte er schon einen Stein im Brett. Er plauderte über Maschinen und Turbinen, über so und so viel »Pferdekraft« und so und so viel »Atmosphären«, über Curven und Steigungen von so und so viel Procent, über Thal- und Bergbahnen, Zahnradsystem, comprimirte Luft und hundert andere Dinge, von denen ich nichts verstehe, geläufiger wie unser erster Werkmeister. H. hat viel gesehen und viel erlebt und weiß, daß Andere doch am meisten das interessirt, worüber sie selbst mitreden können. Nun, auch wir haben ja ein gut Stück von der Welt und dem Leben kennen gelernt. Da ging der Stoff nicht so bald aus. Nach einer Menge charmanter gemeinsamer Erinnerungen aus dem Reiseleben und der Lebensreise kamen wir doch stets wieder auf Anfang und Ende, auf Natur und Cultur, Land- und Stadtleben, auf das »Erste und Letzte vom Menschen« zurück.

»Jeder sollte auf dem Lande geboren werden,« sagte Herr von Hillerström.

»Oder in einer kleinen Stadt, aus der man vom Markt mit ein paar Sprüngen vor dem Thore ist,« sagte ich. »An der Mutter Brust, auf der Mutter Schooß bleibt des Kindes bester Platz, und unser Aller Mutter ist die Natur.«

»Oder – sagte mein Mann – wenigstens in einem Hause mit Garten, und ein paar grünen Bäumen, Beeten und Büschen vor dem Fenster – damit ich doch nicht für Gärtner, Gewächs- und Treibhäuser das Geld ganz unnütz wegwerfe.«

»Jeder sollte in gewissen mittleren, nicht zu späten Jahren – wo nicht dauernd, doch von Zeit zu Zeit, in der Hauptstadt leben,« sagte Bruder Ferdinand ... Der größere, freiere Horizont seiner jetzigen neuen Wirksamkeit thut ihm gar wohl, er nimmt an Vielem Antheil und hat für Vieles Verständniß, was ihm sonst gleichgiltig, über oder außer seinem Gesichtskreis lag. Er ist ein ganz anderer Mann, seitdem er Reichstagsmitglied.

»Jeder, der kritisirt und raisonnirt, sollte vor Allem erst mal selbst etwas Rechtes gethan und geschaffen haben, und Jeder, der opponirt, erst mal selbst versuchen, wie leicht oder schwer es ist, so zu regieren, daß sich alle Welt zufrieden erklärt,« sagte »unser Vetter im Ministerium« – der gute Bruder Karl, mit einem Anfluge präsidialer Ueberlegenheit, als führte er bereits den Vorsitz im Staatsrath. Auch er denkt nicht mehr ganz so wie als gold-grün-weißer Student und »furchtbar freisinniger« Referendar. Es ist ihm aber doch recht lieb, einer Regierung zu dienen, der er von Herzen zustimmt. Immer war das wol nicht ganz so. Daß er noch einmal heirathen sollte, wünsche ich jetzt kaum mehr, schon um Clärchen's willen. Es ist das zwischen beiden ein fast ideales Verhältniß, ich muß trotz aller Verschiedenheit zuweilen an unsern alten Hausfreund und seine gute alte Schwester denken. Ein und das andere Beispiel auch dieser Art, sich in gegenseitiger Liebe und Treue zu, tragen und zu unterstützen, kann ja wol der Menschheit nicht zum Nachtheil gereichen?«

»Und wenn der Feierabend kommt, wo aller Herren- und Weltdienst, alle Erdenfreuden und alle irdische Noth aufhört, sollte Jedem das letzte Schlummerlied, die letzte Glocke erklingen da, wo ihm einst das Taufglöckchen bimmelte, und die ersten Wiegenlieder gesungen wurden,« sagte der alte Professor, den ihr ja auch bei uns getroffen? ... Ja wol, er war noch den letzten Abend vor eurer Abreise da. Er sieht alt aus, ist aber noch viel älter, als er aussieht. Er hat auch über Erziehung geschrieben, wie mir bisher unbekannt. Jetzt kam es zur Sprache, und ich erlebte den Triumph, daß er zu Allem, worauf ich einiges Gewicht legte, immer nur den Abschnitt und Paragraphen seines Werkes anführte, wo er genau das Gleiche gesagt und nur noch etwas weiter entwickelt, wissenschaftlich fester bestimmt. Am Ende hätte er denken können, ich pflügte mit seinem Kalbe, wollte mich mit fremden Federn schmücken. Da hielt ich es für angemessen, durchblicken zu lassen, daß ich aus eigener Erfahrung sprach. Er verstand mich nicht sogleich, und nun sprach ich unumwunden das große Wort: »Ja, mein lieber Herr Professor, glauben Sie nur, ich habe meiner Zeit auch Thorheiten gemacht, vollauf genug zu einem nicht weniger reichhaltigen Studienmaterial, als es anderen großen und kleinen Pädagogen vorlag.« Ich war gefaßt, er würde herzlich lachen. Aber nein – er war oder that ganz erstaunt: »es ist wol nicht möglich!« Und das kam so drollig heraus, drolliger als der beißendste Witz. Es verletzte mich durchaus nicht – ich fand es so komisch, wie's war. Ganz ohne Abwehr durfte ich das doch nicht hinnehmen. Wir sind zahm, sehr zahm geworden – einer offenen Herausforderung weiß ich noch immer zu antworten.«

»Nun – Sie haben gewiß in Ihrem ganzen Leben keinen dummen Streich gemacht?«

»Da stutzte der Greis, gegen dessen repräsentative Standes- und Alterswürde der alte Stadtrath Alborn und der alte Herr Wiedemann flatterhafte Leichtfüße sind – aber nur einen Moment. Dann verbeugte er sich mit aller Grazie, mit der nur je ein gewandter Cavalier von achtundsiebzig oder siebenundachtzig Jahren seiner Dame ein zierliches Blümchen der Galanterie überreicht: »Wer weiß, was geschehen wäre, hätte ich schon früher das Glück gehabt, Sie kennen zu lernen?« ... Denk' dir ... früher! ... Nachbarin, Euer Fläschchen! So ganz ist es vorbei mit mir. Ich möchte nur wissen, wie weit er die angenehme Möglichkeit zurückdatirt? Es saß Jemand in unserm Kreise, der ihm in der Chronologie hätte zu Hilfe kommen können ... Zum Glück löste sich Alles in allgemeinem Gelächter auf. Meine Töchter hatten gewünscht, ich sollte große Toilette machen der Börsenherren wegen. Ich wünschte es aber gar nicht – Börsenherren hin, Börsenherren her! Das sehe ich nicht ein ... wenn das die Frau eines reichen Mannes nicht einmal haben soll, daß sie gehen kann, wie sie will, und allenfalls auch im Hauskleide Gäste empfangen – namentlich in einem ganz hübschen Hauskleide, das ihr besser steht, als wenn sie sich in die kostbarsten Staatsgewänder wirft! Wäre ich den Kindern gefolgt, und nicht meinem eigenen Kopf, würde der Herr Professor Methusalem wol noch gar gedacht haben, ich hätte es auf ihn abgesehen und mich um seinetwillen so herausgeputzt!«

»Dabei fällt mir noch etwas ein. Du weißt, wie sehr ich gegen das Tagebuchführen bin. Ich habe es bei Keiner von meinen Töchtern geduldet, es führt nur zu eitler Selbstbespiegelung. Bei Constanz schien es mir weniger bedenklich. Es ist ein so sehr verständiger lieber Junge, weiß stets und in Allem Maß und Takt zu halten, ich kann sagen, er macht uns große Freude. Einst in der eigenen leichten Jugend war ich nur zu sehr geneigt, regelmäßigen Fleiß und ein sich stets gleich bleibendes, lobenswerthes Betragen für das fast untrügliche Zeichen einer alltäglichen, untergeordneten Begabung zu halten. Hat man selbst Kinder, so macht einem das verhängnißvolle »junges Wunderkind – alter Simpel« keine Kopfschmerzen, wogegen der früher erhebende Trost, daß die Geschichte von so manchem großen Manne erzählt, der als kleiner Taugenichts anfing, gar nicht mehr so recht durchschlagen will. Da ließ ich Constanz denn ruhig gewähren im Vertrauen auf seine gute Natur, als ich nun auch an ihm die Symptome dieser Kinderkrankheit wahrnahm. Den einen Morgen komme ich in sein Stübchen – er ist in der Schule – ich wollte nicht spioniren, aber das Heft liegt offen da ... Zuerst schwankte ich, mir fiel ein, wie es dem Geheimrath v. S. ging: der fand im Tagebuch seines Alphons die nicht neue, aber in der Anwendung doch bemerkenswerthe Notiz: »morgen werde ich nun schon fünfzehn Jahre – und noch immer nicht verheirathet! ...« »Ich dachte, mich sollte der Schlag rühren,« gestand der Geheimerath, als er es mir mittheilte ... Nun, ich bin nicht so schreckhaft, blicke dreist hinein – ganz so arg war es denn auch nicht: eine kleine Ueberraschung stand mir doch bevor ... Ich selbst werde vielfach erwähnt, und beinahe immer unter der schmeichelhaften Bezeichnung, »meine liebe Alte« oder schlechtweg »meine Alte«. Jetzt weiß ich's doch gewiß und brauche nicht erst den Spiegel zu fragen, wenn es die bewährtesten Zeugen der Wahrheit – Kinder und Greise – mir übereinstimmend bescheinigen. Im Uebrigen das harmloseste kindliche Geplauder, und wenn man bedenkt, wie vielen Knaben, auch wol Mädchen dieses Alters schon Allerlei durch Kopf und Herz geht, was noch wenig für sie taugt, mag es auch nicht immer gar so albern sein wie des guten Alphons Selbstschau am Vorabend eines so wichtigen Lebensabschnittes – da hatte ich im Grunde doch nur Veranlassung, mich zu freuen und mein Vertrauen in den guten Jungen wieder glänzend bestätigt zu sehen.«

»Als er aus der Schule zurück, wirft er vergnügt die Bücher hin und kommt: »liebes einziges goldenes Mutterchen, ich habe eine Bitte ...« Dann weiß ich schon, es ist was Besonderes, wenn er mit »Mutterchen« anfängt und mich nicht »Mama« nennt. Wie sie einem am besten etwas abbetteln und abschmeicheln, das merken sie noch jetzt so gut wie wir zu unserer Zeit. »Was ist es denn? Was willst du?« »Es ist schon so lange ein glühender Wunsch von mir – ich möchte so gerne mal die Jungfrau von Orleans sehen, und heute ist das Stück – die Besetzung soll ausgezeichnet sein ...« Kurz, er läßt mir keine Ruhe – und eine kleine Belohnung hatte er doch auch verdient, wenn ich ihm schon nicht sagte, noch sagen konnte – wofür ... Ach, welcher Mutter kommt nicht einmal der beängstigende Gedanke: »Gott! wenn sich alle deine Fehler und Schwächen auch noch auf deine Kinder übertrügen! Es wäre schrecklich!« Wenn aber die Hoffnung wieder Oberhand gewinnt, all unsere Sorgfalt und Mühe der Erziehung an den Kindern, wie an uns selbst sei nicht ganz vergeblich, ja es könnten vielleicht die von der Natur in uns gelegten, wenn auch nur unvollkommen entwickelten guten Eigenschaften vorzugsweise in ihnen fortleben und sich glücklicher entfalten – o dann jubelt und jauchzet es wieder in mir, beseligender als in allem unklaren Wonnedrang der Jugend, und auf den Knieen möchte ich Gott danken, daß er in seiner Gnade mich des höchsten Glückes nicht unwerth befunden, dessen dies weiche, schwache und doch auch wieder so tiefe und zu jedem Opfer bereite Frauenherz fähig ist« ...

»Und so fahren unsere Mohrenköpfe vor, und »seine Alte« kutschirt mit ihrem lieben Jungen »in die Jungfrau«. Das Haus war ziemlich besetzt – meistens Fremde, wie mir schien. Darunter der berühmte Saharareisende und zwei junge Russen, die ich zufällig kannte: jener wahrscheinlich, um sich einmal wieder die Wohlthat eines annähernd tropischen Klimas zu gestatten – diese, um die nationale Erfrischung eines Dampfbades mit dem Kunstgenuß zu verbinden. Die Temperatur war in der That derartig, daß sie zur Erfüllung eines »glühenden Wunsches« ungemein wohlgeeignet – und daß sich gar kein kräftigeres Mittel der Illusion für mich persönlich denken ließ. So saß ich denn bald nicht mehr im Fauteuil von rothem Plüsch – nicht mehr im ersten Range – nicht mehr im Opernhause – ich saß auf einer harten schmalen Bank ohne Lehne, auf einem unnumerirten Platz – ich saß wieder – und wüßte beim Himmel! kein höheres Lob dem Stücke wie den Darstellern zu spenden – in unserer alten Bretterbude. Das Publikum war animirt, von Akt zu Akt stieg der Beifall, und bei der Stelle:

»Mir war's, als hätt' ich die geliebten Schwestern,
Margot und Louisen, gleich einem Traum
An mir vorüber gleiten sehen. Ach,
Es war nur eine täuschende Erscheinung!
Fern sind sie, fern und unerreichbar weit
Wie meiner Kindheit, meiner Unschuld Glück! ...«

hielt »seine Alte« ihren guten lieben Jungen fester an der Hand – und unaufhaltsam strömten meine Thränen ...

– Aber wir sind uns ja nicht unerreichbar, Gott sei Dank! und das verlorene Paradies der Kindheit kehrt uns wieder – in unseren Kindern.«

»Behüte dich Gott, du liebe, liebe Schwester und dein ganzes Haus! Ich muß ein Ende machen. Einst hieß es wol: »wo steckt Eveline? ...« »O, sie kommt gleich, sie schreibt nur noch einen acht Bogen langen Brief.« Die Zeiten sind vorbei – so schnell geht's mir nicht mehr von der Hand. Und wie oft sagt dennoch mein guter Mann: »ich begreife dich nicht, liebe Frau, du bist noch immer Eveline, vormals Evchen.« Das mag sehr treffend und sehr beschämend sein ... Darüber brauche ich mich aber doch wol nicht zu schämen, daß ich noch immer bin, wie es nur je klein Evchen war und sein konnte,

in alter Liebe
deine alte
Eveline.«

*

 


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