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19.
Erste Liebe.

Wie beseligend war es doch. Jemand so recht von ganzem Herzen lieb zu haben – selbst ein anmuthiges Mädchen! Aber kein Mensch durfte etwas davon ahnen, was die Brust des Knaben so tief bewegte! Im eigenen Tagebuche, gleichsam geheimnißvoll vor sich selbst, bezeichnete Karl das holde Wesen immer nur mit dem wenig bestimmten Worte »der Gegenstand.«

Karl war etwas jünger als der Gegenstand, wie das so häufig der Fall ist bei einer ersten verfrühten Neigung. Später wendet sich dann das Blatt allmälig, ja es kommt eine Zeit, wo den jungen Männern das höhere Alter der Damen an und für sich kein unbedingter Vorzug erscheint.

»Ein komischer Junge! Neulich als wir ihn zu Engelrechts schicken wollten – die kleine Strecke, that er doch, als geschähe ihm das größte Unglück, und nun reißt er sich förmlich darum, einen viel weiteren Weg zu machen!« –

Es wäre gar nicht komisch gewesen für den, der gewußt, daß dieser Auftrag Karl in das Haus des »Gegenstandes« führte. Da das die Eltern aber nicht wissen konnten, fiel es ihnen auch auf, daß er sich so sorgfältig abbürstete, wie er jetzt überhaupt auf sein Aeußeres mehr hielt.

Das war Vormittags, und gleich Nachmittags bat Karl schon wieder um Erlaubniß, Alfred, den Bruder des Gegenstandes, besuchen zu dürfen, den er plötzlich zu seinem Busenfreunde erkoren, obwol wir bisher noch nicht viel anderes aus seinem Munde über den neuen Freund vernommen als: »Alfred ist das erste Schaf auf Gottes Erdboden.« – Mit dieser pastoralen Titulatur ging sein Freimuth im Allgemeinen etwas verschwenderisch um, so daß die häufigen Wiederholungen registrirt wurden: »schon wieder ein Lämmchen; wenn das so fortgeht, werden wir nächstens eine ganze Schäferei haben für Ferdinand's künftige Landwirthschaft!« Denn während die Anderen noch alle schwankten, blieb Ferdinand fest dabei: »ich werde Landwirth.« –

Ach, wie oft lief nun Karl durch die bewußte Straße und grüßte in's Fenster, mochte sich zeigen, wer da wollte – der Gegenstand, die Katze, oder ein Haubenstock! Und mit so vieler Hingebung grüßte der gute Junge, daß sein Blick nicht Acht hatte, wohin die Füße traten – auf die Pflastersteine oder nebenbei in das zusammengeflossene Regenwasser. Ach – und wie oft, wenn er gefühlvoll angeklingelt hatte und mit süßer Unruhe harrte, wer die Thüre aufmachen würde, vernahm er elastische Schritte, das Rauschen des Kleides – und am Ende war es die Tante, wo nicht gar ein zierliches Dienstmädchen! Mit dieser Art Ueberraschungen konnte sich Karl gar nicht befreunden. Doch manchmal erschien sie wirklich, sie selbst – der Gegenstand! Und unser Karlchen durfte die kühne Frage an ihr Herz richten: »ist der Alfred wol zu Hause?« In der That, es stände schlimm um die theuersten Interessen einer zärtlichen Jugend, wenn nicht die Natur die weise Einrichtung getroffen, daß Schwestern Brüder und Brüder Schwestern haben!

So geschah es denn, daß der Gegenstand zuweilen auch Agathe besuchte. Dann war Karl stets arbeitsfrei, – selbst wenn er zum folgenden Tage den lateinischen Aufsatz abzugeben hatte. Nur gelang es ihm noch zu wenig, sich mit Glück am Gespräche zu betheiligen, er brachte es in der Regel nicht weiter als bis zu bedeutungsvollem Räuspern und Husten, während er sich verlegen die Hände rieb. Es setzt aber schon eine große Virtuosität in diesen unvollkommenen Ausdrucksmitteln voraus, um einer jungen Dame damit zu verstehen zu geben, welchen hohen Grad der Verehrung man für sie empfindet.

Eines guten Tages war der Gegenstand auch wieder da. Karl hatte auch wieder nichts Eiligeres zu thun, als in der Wohnstube zu erscheinen, er kramte auch wieder im Notenschrank herum, obwol er gar nichts darin zu suchen hatte, rieb auch wieder mit dem Rücken die Kreide vom Ofen ab und zog sich dann auch wieder, still glühend, in sein Lieblingswinkelchen zurück, wo ihn ein vorstehendes Möbel halb verdeckte; der Gegenstand sah nicht viel mehr von ihm, als das unterste Ende seiner übereinander geschlagenen Beine. Die Mädchen hätten den Blöden nun gar leicht ein wenig aufmuntern können. Allein das mochte ihnen wol nicht passen, sie nahmen nicht die geringste Notiz von ihm. Und doch verrieth ihr Kichern, Zischeln und Kopfzusammenstecken, daß seine Anwesenheit keineswegs unbemerkt blieb. Auch war es offenbar nicht ohne Grund, daß die beiden Jüngferchen anfingen, französisch zu parliren, so gut es gehen wollte, und es ging wenigstens immer noch besser, als Karl französisch – verstand. Treu vaterländisch gesinnt, that der deutsche Jüngling grundsätzlich nichts für das gebührend verachtete welsche Idiom, wie er denn überhaupt von neueren Sprachen sich vorzugsweise der Muttersprache und zwar in einer stark provinziell gefärbten Mundart befleißigte. – Aber es sollte noch ganz anders kommen!

»Sage in aller Welt, Karl« – wandte sich Agathe auf einmal an ihn – »wirst du dich heute den ganzen Nachmittag herumstenzeln? Kannst du nicht irgend etwas vornehmen? Wie ist es dir nur möglich, halbe Stunden lang so unbeschäftigt zu sitzen!«

Man denke sich in Karl's Lage! »Herumstenzeln« ist kein gewählter Ausdruck für den poetischen Zustand sentimentaler Muße, allein so hart das Wort war – was wollte es heißen im Vergleich zu dem kränkenden Ansinnen, in festlicher Gegenwart der Geliebten – »etwas vornehmen zu sollen?« Aber so sind Schwestern, auch die guten, selbst die besten können das unleidliche »Bemuttern« der Brüder nun einmal nicht lassen. Voll gerechter Entrüstung sprang Karl auf und verließ augenblicklich, roth wie eine Päonie, das Zimmer. –

Rastlose Thätigkeit, die Zauber der Wissenschaft und Poesie, sowie die holden Tröstungen der Natur und Einsamkeit haben sich noch stets als die besten Heilmittel bewährt für schwer vom Schicksal heimgesuchte Herzen. Dies sollte auch Karl schon in so früher Jugend lernen. Er kehrte zu seinen Büchern zurück und fuhr fort, sich im Cäsar zu präpariren, zunächst mit einem Ingrimm, als wenn der unschuldige Ariovist ihm die ganze Blamage eingebrockt hätte. Doch während der Arbeit schwand seine Aufregung, die schmerzliche Empfindung mehr und mehr, und zuletzt vergab der Gekränkte seiner Schwester, die ja nicht wußte, was sie that, keine Ahnung hatte, wie tief ihr unbedachtes, rücksichtsloses Wesen ihm in die Seele schnitt. Unverstanden, verkannt von der Welt, nicht glücklich in der Liebe – und doch so recht edelmüthig sein, stets Böses mit Wohlwollen zu vergelten – das war groß, das war romantisch, das schmeichelte der stolzen, nicht mehr grollenden jungen Seele – wenn auch die Ausführung des tugendhaften Vorsatzes in der Wirklichkeit einigen Schwierigkeiten unterworfen sein sollte!

Mit dem schönen Gefühl einer sanften Melancholie nach dem schwer errungenen Siege über sich selbst, ging Karl, als er fertig war mit seinen Aufgaben, hinaus in die freie Natur – in den Obstgarten.

*

 


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