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9.
Gleicher Stärke.

»Nein, das ist nichts. Faßt euch ordentlich!« Und sie faßten sich ordentlich – die beiden jungen Herren. Vorher sah man sie wie zwei Hähnchen gegeneinander aufspringen, ein paar boxende Schubstöße von der Seite wechseln und sich vierhändig an den Jackenklappen schütteln. Die Anderen schlossen einen Kreis, und nun begann der regelrechte Ringkampf.

Scholten, der etwas voraus war und mit gespreizten Beinen über die Prellfähle setzte, gab das sofort auf, als er bemerkte, was vorging, und Hoppe, der Schmetterlingsjäger, machte es auch so, obgleich er eben auf dem Grasstücke am Wege hinter einem schönen Citronenvogel her schlich; vorsichtig hielt er schon den Strohhut bereit zum Ueberdecken, doch nun ließ er Schmetterling Schmetterling sein und kam mit Scholten zugleich zurück. Nichts geht über das Vergnügen, Kampfzeuge zu sein – es wäre denn, selbst als Held auf dem Plan zu stehen. Der kleine Pohl pfiff durch die Zähne und wippte mit dem einen Fuß dazu, als ob er die Sache obenhin nehme, ohne jedoch den Blick auch nur einen Moment abzuwenden. Breitspurig, die Hände, die er unter dem aufgenommenen Wämschen durchgestreift, in den Seitentaschen, stand Hübner da – ich führe die patzigen kleinen Kerle absichtlich mit ihren Vatersnamen vor. »Traut Hänschen« und »lieb Fritzchen« gehört in die Kinderstube, aber nicht in die Elementarklasse, welche die selbstständigen jungen Männer bereits besuchten – Horn fuhr fort seine Stachelbeeren zu essen, allein eine gewisse zerstreute, mehr mechanische Art, wie er die Beeren in den Mund schob und Kerne und Hülsen wieder ausspuckte, bewies, daß dieser nebenhergehende Genuß sein Interesse an dem fesselnden Schauspiel selbst nicht im mindesten schmälerte. Radmacher's Antheil war ungleich lebendiger. Mißbilligend stampfte er mit den Füßen, wenn sein Freund zu unterliegen schien, voll Ungeduld klappte er die Hacken aneinander, wenn dieser seinen Vortheil nicht wahrnahm, und um seinen Muth neu anzufachen, rief er: »nur zu – nimm ihn – wickle ihn – gieb ihm tüchtig!« ohne zu bedenken, daß es unter Umständen leichter ist, einen solchen energischen Rath zu ertheilen, als zu befolgen. Der junge Wiedemann aber, im fliederfarbenen Sommeranzuge, die Daumen in die Aermellöcher der Weste gesteckt, den Kopf prüfend zur Seite geneigt, und mit klein gemachten Augen, wie zur Verschärfung des Gesichts, obwol er durchaus nicht kurzsichtig, behandelte die Sache mit jener Mischung von geschäftsmäßigem Ernst und leichtem Wesen, die sich am besten schickt für eine noble Passion.

Unterdessen schwankten die beiden Gestalten der kleinen Ringkämpfer noch immer fest verschränkt hin und her. Als Meier dem von ihm begünstigten Theile eine kleine Hilfe geben wollte – nur mit antippendem Finger, schrien Alle wie aus einem Munde: »laß sie, laß sie – du läßt sie!« Der unberufene Helfer wurde mit einigen entsprechenden Rucken und Püffen auf den Standpunkt der Nichteinmischung zurückgeführt, und die Sache hatte weiter ihren ehrlichen Fortgang.

Bald suchten die kleinen Ringer, wippend und kippend, sich aus dem Gleichgewicht zu bringen, bald durch einen Druck der Hände und umschlingenden Arme den Rücken des Gegners einzubiegen und so einer den andern »unterzubekommen«. Bald war es ein Wurf rechts herum, bald ein Schwung links um. Bald stemmten sich die Beine, auseinander gesperrt, gegen den Boden, bald schleiften die Sohlen mit vergeblichem Strammen an der Erde hin, wühlten den Sand auf und zogen, nicht zur Verbesserung des Schuhwerks, auch das Oberleder mit in den Conflict. Und wie gut, daß die Figuren rauflustiger kleiner Jungen nicht von Glas! So gaben die geschmeidigen Glieder nach und schnellten immer wieder zurück, elastisch wie Stahl – ja besser. Schon manche gute Klinge sprang in heißem Kampfe. Daß aber die tapfern kleinen Kämpfer im Packen, Ringen und Balgen sich etwas verstaucht, verrenkt oder gar zerbrochen – es wäre denn bei einem ganz unglücklichen Falle – davon wußten unsere Aerzte nicht.

Eben sollte ein neuer Gang beginnen, als Wiedemann mit einem Achselzucken der Selbstverständlichkeit ausrief: »sie thun sich ja nichts!« und sein unparteiisches Urtheil fand allgemeine Zustimmung: »ja wol, sie sind gleicher Stärke!«

Die beiden selbst waren es auch zufrieden, ließen sich los, strichen die Haare aus den erhitzten Gesichtern, zogen die weit über den Gürtel heraufgerutschten Röckchen zurecht und hoben von der Erde ihre Bücher wieder auf, in denen der Wind so lange ungestört geblättert hatte – damit der Schulstaub verflog. Dann stob der ganze Schwarm lachend und schreiend auseinander. Tüchtig Spektakelmachen gehörte auch mit dazu.

Es ist nicht anders. Wie die Mädchen nicht müde werden, Hausfrau und Mutter zu spielen, und beim Kommen und Gehen nicht leicht unterlassen sich zärtlich zu küssen, so gipfelt die Knabenlust am liebsten in lärmenden, kraftprobenden Kampfspielen. –

»Was macht ihr denn immer, Ferdinand, wenn du Sonntags zu Richters gehst?«

»Ei, Papa – wir prügeln uns.«

*