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8.
Die Handschrift des Großonkels.

Aus einer Geschäftsreise nach Marienburg traf ich daselbst meinen Freund Telesius im Gasthofe zum Hochmeister. Da wir beide unsere Geschäfte erledigt, doch erst den andern Morgen mit der Post weiter konnten, beschauten wir die Merkwürdigkeiten des Ortes, vor Allem das herrliche Schloß. Dann spazierten wir unter den Lauben, den »hohen« wie den »leegen«, vom Schloß bis zum Marienthore und zurück. Es sind anmuthige, lichte und freie Arkaden, an beiden Seiten und in der ganzen Länge der Hauptstraße, von denen die unserigen am Markt nur einen schwachen Begriff geben. Erinnerungen unserer gemeinsamen Lehrjahre bei Herrn Kaufmann Uppendal in Elbing boten eine reiche Quelle der Unterhaltung. Insonderheit erfreute uns der Gedanke an so manche angenehme Mußestunde, die wir bei der Lectüre guter Bücher zur Belustigung unseres Verstandes oder Herzens verbracht, während Andere die Zeit bei den Karten oder in noch schlimmeren Ergötzlichkeiten tödteten. Zum Abend hatte Telesius eine Einladung von einer bekannten Familie und machte mir den Vorschlag, mitzugehen, wozu ich mich auch entschloß nach einigem Zaudern, da ich von jeher nicht gar leicht beweglich zu neuen Bekanntschaften. Ich lernte ein Haus kennen von schlichter, gediegener, wohlanständiger bürgerlicher Sitte, und in einem andern Gaste – ein Original. »Sie reisen zum Vergnügen oder in Geschäften?« Das Original sah mich forschend, mehr grimmig als freundlich an. Da erwiderte ich scherzend: »ei, wenn mir das Geschäft ein Vergnügen oder das Vergnügen mein Geschäft wäre?« »Kennen Sie die Geschichte vom alten Klaas und seinem Sohn?« »Nein.« »Sie brauchen Sie auch nicht zu kennen, sie paßt auch gewiß nicht auf Sie, aber es ist eine schöne Geschichte.« So erzählte mir das Original die sehr schöne Geschichte vom alten Klaas und seinem Sohn, die ich nicht zu wissen brauchte, und die auch nicht auf mich paßte. Anderes dünkte mich beachtenswerther. »Einen Thaler kannst du nicht auf die hohe Kante setzen, der fällt um, zehn machen von selbst eine Rolle. Mit den Vorderrädern kommt jeder Narr durch, ein guter Kutscher sieht auch immer, wo der Hinterwagen bleibt. Die Alten sind viel zu ängstlich, Kredit ist die Seele des Geschäfts, der Mensch muß auch 'n bischen Glück haben. Glück ist mehr als Erbgut, sagte der unternehmende junge Mann, spekulirte und schmiß ganz gehörig um – zum ersten Mal.« Und dann wieder: »Wer ein Haus bauen will, fängt nicht mit der Schornsteinkappe an. Erst das Fundament, dann die Mauern, zuletzt das Dach, und wenn das Hauschen erst ein Dachchen hat, so kann es auch was tragen. Ein sicheres Hypothek'chen und ein Gulden baar in der Hand sind mir lieber als ein Lotterieloos mit der höchsten Nummer. Es giebt nur ein großes Loos, aber gar viele Nieten. Was für ein treues Glück gehört nicht schon dazu, um stets nur den Einsatz wieder zu gewinnen! Ei du mein guter Christ, da spiele lieber gar nicht, ist ebenso gescheidt – und bescheuert dir den Beutel nicht vom ewigen Auf- und Zuknöpfen. Von nichts ist nichts, spar' dir was, so hast du was. Vom Erbschen zum Huhnchen, vom Huhnchen zum Kalbchen, vom Kalbchen zur Kuh. Eine Kuh magst du kaufen, um die Braut mußt du werben. Jung gefreit, hat Niemand gereut. Eine Prise guter Toback ist auch eine Gabe Gottes, aber erst Näs' denn Schniefke – erst 'n Bliew denn 'n Wiew.«

Das Original – Niemand anders als mein nachmaliger und noch jetziger werther Mitbürger, Nachbar und Freund, Herr Engelrecht der ältere – gestand mir später, das sei Alles gar fein, sonderheitlich auf mich gemünzt gewesen. Er irrte und irrte nicht. Was mir der Zeit im Sinne und am Herzen lag, war ein Etablissement in Danzig. Auch gaben gewisse Vermuthungen meinem Gemüthe eine gewisse Richtung, welche mich unempfänglich machte für andere Reize. Demoiselle Albertine, die einzige Tochter des Hauses, schien mir Empfindsamkeit, schwärmerische Lectüre, ein gutes Herz und ein klein wenig Affectation zu besitzen. Nach ein paar so unterhaltsam verplauderten Stunden, wie es sein konnte in einer Gesellschaft, der ich außer dem Freunde, der mich eingeführt, durchaus fremd, verabschiedete ich mich mit einem kalten Handkuß und verlor ihr Bild im Augenblick. – Nun ergab sich nur zu bald, meine Danziger Aspecten waren chimärischer Natur, und da einige Zeit darauf – die erste Verstimmung getäuschter Erwartungen war glücklich überwunden – Telesius bei mir anfragte, ob ich etwan gesonnen, auf ein Kolonialwaarengeschäft in seiner Vaterstadt zu reflectiren – nur Detailgeschäft, aber eine gute Nahrungsstelle – so griff ich zu, nachdem ich mich noch selbst etwas näher informiret, und habe es nimmer bereut. Das Einzige, was ich Anfangs vermißte in dem kleinen Orte, war das ganze regere Leben und Treiben, wie ich es bis dato an einem so viel bedeutenderen Platze gewohnt. Vom Kaufmann, allerdings nicht Disponent, zum Krämer, vom Roß auf den Esel hinabgestiegen, fühlte ich mich um so mehr vereinsamt und gelangte zu dem Einsehen, nur eine Gattin und häusliche Freuden würden im Stande sein, mir Ersatz zu gewähren. Aber wo fand ich diejenige, welche ich, so wie sie mich glücklich zu machen Aussicht hatte. Das Wappenschild eines erloschenen – und wäre es eines noch so alten auswärtigen Adels galt für nichts in den Augen der patricischen Familien allhier, mit denen ich wol einigen Verkehr unterhielt, deren Haus in diesem Verstande jedoch so gut wie mittelst Schloß und Riegel für mich abgesperrt. In der Umgegend unbekannt, im höchsten Grade abgeneigt, auf Abenteuer auszugehen, nicht minder bange vor den Gefahren, die übereilt geschlossene Verbindungen nach sich ziehen, mehr und mehr in die Jahre hinaufrückend, wo ein längerer Aufschub immer bedenklicher, hob ich schon an, mein Herz zu ewigem Stillschweigen zuzubereiten.

Freund Telesius war mir inzwischen mit gutem Beispiel vorangeschritten. Die eine vollbracht, die andere bedacht – heißt es ja wol? Auf der Hochzeit waren auch verschiedentliche, wohlgebildete junge Frauenzimmer nicht aus dem Orte. Mein Auge sah sie nicht mit Widerwillen – mein Herz rührte Keine. Noch im Laufe des nämlichen Jahres erhielten die Neuvermählten Besuch von einer Freundin der jungen Ehefrau, die nur durch unabwendbare Zufälligkeiten verhindert, der Hochzeitfeier beizuwohnen. Es war Demoiselle Albertine. Als ich sie nun wieder erblickte, gefiel mir die Gestalt des Mädchens. Ihr Wuchs war richtig, nicht groß, doch eher mittelmäßig als klein, schlank aber keineswegs hager, ja mich wollte bedünken, dafern es möglich, feingebaute Glieder mit einer anmuthigen kleinen Neigung gleichsam für zukünftige Korpulenz zu verbinden, hier sei es gelungen. Ihre Mienen verkündeten ein sanftes, leicht gerührtes, aber edler Heiterkeit nicht abwendiges Herz, ihre Bewegungen ein lebhaftes Temperament, ihre dunkelbraunen Augen, die sehr was Eigenes hatten gegen das blonde Haar und die zarten Farben, einen klaren und behenden Geist. Und diese äußeren Reize versprachen nichts, was sie nicht hielten. Im lieblichen Körper wohnte eine Seele, die wie sich baldigst zeigen sollte, vor allem Anderen die Aufmerksamkeit zu fesseln werth war. Da es an einem Sonntage, und das Gespräch auf Predigten sich lenkte, wie überhaupt auf Kirchengehen und Gottesdienst im wahrhaftigen Verstande, bemerkte ich eine Belesenheit in diesem Fache, eine Beurtheilung und ein Herz so voll von Eindrücken der Religion, als mir, zumal mit ihren übrigen Eigenschaften, bei einem Mädchen von achtzehn Jahren noch nicht vorgekommen. Nachmittags unternahm man einen Spaziergang, und im Ergötzen an den Reizen der Natur boten sich ungesucht mehrfache Anlässe, schöne Stellen aus den Dichtern anzuziehen, wobei sie einige Ueberlegenheit zeigte, sich jedoch des Reichthums ihres Geistes ebenso bescheiden als passend zu bedienen wußte. In der Pflanzenkenntniß, Erdbeschreibung und Geschichte nicht unerfahren, schien sie sogar einige Begriffe von der Sternkunde und Weltweisheit zu haben – »von Allem was, vom Besten gar nichts,« sagte sie mit Schalkhaftigkeit, ein leichtes Roth auf der Wange, »doch ist das viel weniger meine Schuld oder mein Verdienst, als des Herrn Rektor Gebauer, dessen vorzüglichen Unterricht ich eine Zeit lang genoß.« Alles in Allem waren das nicht unendlich mehr schätzenswerthe Eigenschaften, als ich mir in den kühnsten Vorstellungen meiner Einbildungskraft von einem Mädchen geträumt? Gott, dachte ich, wäre es etwan diese, die du für mich bestimmt? Welch eine fürtreffliche Person!

Wir sahen und sprachen uns dann noch ein paar Mal, doch nur flüchtiger. Der Tag ihrer Abreise rückte heran. Die Freunde baten sie noch zu bleiben. Es war unthunlich, doch glaubte ich zu merken, daß sie gerne geblieben wäre, schrieb es auf mein Conto und, wie sich weiterhin herausgestellt – nicht mit Unrecht. Früh Morgens fuhr sie fort, ich war schon auf, eilte vor die Thür, doch zu spät, – der Wagen war eben vorüber. Da stand ich, schaute ihr nach. Noch lange hörte man in den stillen Straßen das verhallende Geräusch der rollenden Räder – ich lauschte und lauschte – endlich war es wieder ganz still. Da wurde mir sehr bange. Hätte sie so gerne wiedergesehen! Hätte ihr so gerne geschrieben! Sollte ich? Durfte ich? Warum nicht? Nur wie das einfädeln? Da fiel mir bei, wie sie einigen Antheil an meinem Geschäfte gezeigt, packte sorgsam einige Proben, sandte sie ab zu geneigtem Versuche – und wurde nicht mißverstanden, erhielt umgehend Antwort, schrieb wieder, und so bildete sich in fortfahrendem Briefwechsel die wärmste Freundschaft mit immer zärtlicheren Gefühlen vergesellschaftet. Das Werk der Liebe war fertig in meinem Herzen, und meine Entschließung, die Geliebte ohne Zögern zu heirathen, im Falle sie mich mit Gegenliebe beglückte, wurde durch den Umstand noch bestärkt, daß ich in dem Jahre einen besonders günstigen Abschluß erzielte. Nun reiste ich nach Marienburg und verweilte dort nur, um der Theuren in persönlichem Umgange noch näher zu treten und, dafern das Resultat meiner zeitherigen Empfindungen und Beobachtungen sich bestätigte, sie mit meinen Absichten auf ihre Person bekannt zu machen. Mit Herzlichkeit wurde ich empfangen, und bei meinem nächsten Besuche wußte sie mir ein Papier in Gestalt eines Billets beizubringen, welches ich erst zu Hause öffnen sollte, jedoch sofort öffnete, wie ich aus der Thür trat, und worin zu meinem größten Vergnügen ihr Schattenriß. So war die Schlußfolgerung wol keine allzuvermessene, daß ich ihr nicht mißfiel, und der nächste Tag brachte die Erfüllung der heißesten Wünsche meines Herzens, wobei sich die Geliebte auch als ein kluges Mädchen darstellte, welches einsah, daß die gewöhnlichen Weigerungen hier am unrechten Orte angebracht gewesen sein dürften. Ich höre noch ihr leises bebendes Ja! als sie sich mir übergab mit einem Ausdrucke im Gesicht, der wahrhaftig große Zärtlichkeit und vollstes Vertrauen ankündigte, mit dem einzigen Verlangen, eine recht gute Gattin zu werden.

Telesius übernahm es, die Genehmigung der Eltern einzuholen, die wir auch erhielten, worauf unsere Verlobung erfolgte den 15. Mai 1782. Den dritten October des gleichen Jahres feierten wir unsere Vermählung. – Und nun lebten wir in einem ungeahnt vergnügten und sorglosen Zustande. Ein Tag ging nach dem andern vorbei in Liebe und Freudigkeit, ohne Verlangen nach Gesellschaft und sonstigen Vergnügungen. Nur einen einzigen kurzen Zeitraum nehme ich aus, in welchem mein liebes Weib weniger gesprächig, zu Muthlosigkeit geneigt, mir auch ein ganz kleines Etwas ihres Vertrauens entzog, und mein Verhalten fast dieselbe Richtung nahm, da wir beide von ziemlich egalen Umständen regieret wurden. Weitere Folge: sie ergab sich dem Hauswesen nicht recht und war gerne allein. Erinnerte ich sie dieserhalb, glaubte sie nicht so geliebt zu werden, als sie sich berechtigt meinte, – während ich schon anhob, mir Vorwürfe zu machen, daß ich dieses fürtreffliche, liebe und nur etwas schwärmerische Frauenzimmer dem Schooße ihrer Eltern entzogen, und sie in einen Zustand geführet, worin sie so glücklich nicht lebte, als sie billige Vermuthung dazu gehabt ... Ihr Bezeigen war nicht ganz richtig, das meinige noch weniger, nicht allemal so sanft und nachsichtig, als es ihr Charakter und Temperament erfordert hätte. Vorübergehende Verdrießlichkeiten im Geschäft kamen dazu und hinderten, wie die ungewöhnliche anhaltende Sommerhitze, Zerstreuungen vorzunehmen, welche das leicht bewegliche Gemüth meiner Gattin gewiß schnell wieder erheitert haben würden. Gegen den Herbst stattete sie einen längst versprochenen Besuch bei Verwandten auf dem Lande ab, und auf der Rückkehr auch bei ihren Eltern, dorthin wollte ich ihr nachkommen. Allein so wie wir getrennt, konnten wir die Zeit der Wiedervereinigung kaum erwarten, und beide Theile empfanden gleich stark, wie innerlich untrennbar bereits ihre Herzen und ihr ganzes Leben miteinander verwachsen. So zogen mit der Wiederkehrenden auch wieder die vorige Heiterkeit, Offenheit und vollstes gegenseitiges Zutrauen bei uns ein. Wir beruhigten einander, suchten unsere Fehler zu entdecken und sie abzulegen und umarmten uns im Gefühle eines Glückes, mit dem verglichen jenes erstere, als wir uns eben verlobt, so wie die sogenannten Honigwochen unseres jungen Hausstandes gleichsam nur ein schwaches Vorspiel, wo nicht matt und schaal erschienen. Der Hang meiner Frau zum Lesen, wobei bislang eine kleine Schwärmerei nicht selten mitunter lief, beschränkte sich nunmehr auf einen sehr mäßigen Theil. Sie beschäftigte sich an Stelle dessen mit der Nadel und Besorgung der Hauswirthschaft, verließ selbst im Winter spätestens um sieben Uhr das Bette, half mir treulich bei der Correspondenz, Führung der Bücher und Ausstellung von Rechnungen, und that das Alles nur aus Liebe zu ihrem Manne und ihrer Pflicht. Das heißt mir noch ein Weib von gesundem Kopf und Herzen, die ihren Stand und Beruf so richtig zu beurtheilen wußte, ohnerachtet sie der Werther's und Siegwart's genug gelesen hatte ... Gott, wie war sie nun ganz mein! ... und ist es noch und wird es bleiben, das unbeschreiblich gute, sanfte seelenvolle Weib – in nimmer verblassendem Bilde, nachdem des Himmels unerforschlicher Rathschluß – ach, nur zu bald! sie mir entrückt für dieses zeitliche Dasein. Wie viele Blätter füllten meine Klagen um die Entschlafene – ich gab sie alle den Flammen – Asche zur Asche, zu heiliger Asche, deren erstorbene Gluthen einst heller und schöner wieder entbrennen werden, um nicht mehr zu verlöschen. Tod wo ist dein Stachel? Hölle wo ist dein Sieg? Ich komme bald, halte was du hast, daß Niemand deine Krone nehme! –

Hier nun war mein Streben, in stillen Feierstunden nach des Tages Mühen, Last und Sorgen, mit unbeholfener Hand, doch so viel als irgend möglich der Wahrheit getreu, die Geschichte unserer Liebe und die theuern Züge der Geliebten aufzuzeichnen, nicht wie sie dem hart getroffen um sie Trauernden – nein, wie sie dem froh und hoffnungsreich Mitlebenden in voller Lebensblüthe erschien – ein redendes Denkmal der Verklärten, dem Hinterbliebenen zur Aufmunterung, wenn Zeit und Gewohnheit ihre Macht und ihr Recht auch an ihm üben wollen. Und schlägt einst die Stunde, die uns ein Wiedersehn verheißt in jenem besseren Lande, wo abgewischt sein werden alle Thränen, findet sich vielleicht hienieden unter Freunden oder Verwandten Jemand, dem der Schattenriß der Seligen gefällt, und der seine Tochter darauf aufmerksam macht.

Eine Tochter bedarf des Vorbildes kaum, sie ist schon ihr ganzer Nachlaß, obwohl nicht ihre leibliche Tochter. Manche andere Ehe zu beobachten ward mir Gelegenheit – keine, die mich so an das Glück und die Eintracht unseres Bundes erinnert hätte, als die meines lieben Schwesterkindes und des braven Mannes, in dessen Hand, an dessen Herz das gute Kind sein Schicksal legte. Gott segne sie! –

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