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14.
Kneipabend.

Die Kellner liefen hin und her im Weingarten, auch Linchen, die Kellnerin.

»Was giebt es, Linchen?«

»Kalbsbraten, Herr Willenberg ... Cottelet ... geschmorte Rinderbrust ... Salat ...«

»Ist der Kalbsbraten gut?«

»Sehr gut.«

»Dann bringen Sie mir Kalbsbraten – aber rasch!«

Etwas Anderes, als solche rein gegenständliche Fragen und Antworten wurde kaum mit dem hübschen Schenkmädchen gesprochen. Unterhaltungen mehr persönlicher Art verbot ein Paragraph des Komments und verrieth durch diese wahrhaft väterliche Fürsorge einen tiefen Blick in das Herz der Jugend.

»Silentium! Die Kneipe ist eröffnet,« rief der Consenior und bald darauf noch einmal »Silentium – allgemeines Lied!« – Der Gesang begann. »Wieder viel zu hoch!« wurde von mehreren Seiten protestirt. Allein das störte den Vorsitzenden, der als solcher zugleich Vorsänger war, durchaus nicht – er beharrte in der einmal angegebenen Tonhöhe. Er war ein Mann von Charakter und hat das auch später im Leben gezeigt bei manchem Anlaß, wo dies noch schwerer, als – eine zu hoch angestimmte Melodie mit krampfhaftem Fistuliren bis zu Ende durchzuquälen. Der Senior, welcher heute auf den Vorsitz verzichtet, saß mit edler Verleugnung alles äußerlichen Glanzes, wie jeder Andere in der Reihe. Seinen höheren Rang verkündete ja doch die stolze Miene, der gebietende Blick, das ganze souveräne Wesen, welches selbst ehemaligen Chargirten oft noch bleibt, wenn sie schon lange nicht mehr eine so erhabene Lebensstellung einnehmen und noch immer nicht begreifen, wie ein und das andere »Kameel« sich später noch im Staat oder in der Wissenschaft zu solchem Ansehen aufspielte, während mancher Heros des »eigentlichen Studentenlebens« nicht mehr viel von sich reden machte, nachdem er im ersten Examen durchgefallen.

Viele hatten die Röcke abgeworfen, so daß man die farbigen Bänder um Brust und Rücken sah. Dieser stützte die Arme, über Kreuz gelegt, bequem auf den Tisch, jener wiegte sich, mit dem Rücken behaglich an der Lehne, auf seinem Stuhl. Und wol die Mehrzahl saß im bloßen Kopf, während beim Kneipen im Zimmer gewöhnlich die Mützen aufbehalten wurden, als müßten die Herren Studiosen immer das Gegentheil von dem thun, was anderen Menschenkindern zweckmäßig und verständig dünkt.

Ein lustiger Augenblick! Die lange Tafel auf und ab lauter frische Gesichter, lauter jugendliche, meistens kräftige Gestalten! Hie und da ein Paar schmalere Schultern, ein Paar weniger volle Wangen, ein Paar – wo nicht schöne, doch kluge Augen, die hinter der Brille hervor nur desto gelehrter aussahen. –

Das durfte aber Niemand sagen, den nicht gelüstete, den »Gelehrten« oder in weiterem Ueberstürzen den »Doktor« auch auszumachen. »Um alles eitle Geschwätz und todte Bücherweisheit von der Kneipe zu verbannen,« galt beides für »Weintusch«, der eine Ehrenwiederherstellung erheischte. Herausforderer oder Herausgeforderte, die mit der Genugthuung zögerten, wurden von den Sekundanten gemahnt, »getreten und getrampelt«, sich auf Mensur zu spielen. Diese sahen denn auch auf strenge Beobachtung der Kampfregeln und kommandirten: auf Mensur, ergreift die Waffen, setzt an – los!« Wer zuerst ausgetrunken, ist Sieger in dem ruhmreichen Wettstreite. Zu einem »Pabst« oder »Ocean« kam es bei den maßvolleren Verbindungen nicht so leicht. Doch mache man sich keine zu ungeheuerlichen Vorstellungen: selbst der »Atlantische« belief sich nur auf die Kleinigkeit von acht Gläsern, und die höchste Würde der Christenheit, um die sich die Kardinäle im Konklave oft Tage und Nächte lang kasteien, war hier in der weiland erzbischöflichen Residenz sogar für die Hälfte zu haben, freilich mußten die vier »Specialgläser« schleunigst hintereinander, jedes auf einen Zug, in den Schlund hinabgegossen werden.

Und wieder ein Lied: »vom hohen Olymp herab ward uns die Freude ...« O die alten herrlichen Lieder! Wem, der sie einst selbst mitgesungen, geht nicht das Herz auf, wenn er noch in spätesten Lebensjahren die Weise einmal wieder hört von jugendfrischen Stimmen? Zwischenein zur Abwechslung aber auch ein und der andere Rundgesang, dessen Wirkung und Beliebtheit nicht zunächst auf Tiefe des Gefühls, Schwung der Begeisterung und Gedankenreichthum zurückzuführen sein dürfte. Man sang:

»Ein Elster auf dem Baume saß,
Ein Elster auf dem Baume saß,
Ein Elster auf dem Baume saß –
Fifalleralla!
Ei seht, wie munter hüpft sie,
Ei seht, wie munter hüpft sie,
Ei seht, wie munter hüpft sie –
Fifalleralla!«

Dann:

»Steigen ist die höchste Lust,
Wenn die vollen Gläser klingen.
Und die flotten Burschen singen –
Triumphgesang beim Steigen:
Hopp, hopp!«

Und dann:

»Zum Zippel zum Zappel
Zum Kellerloch 'rein –
Heut' muß Alles verjubelt sein!
Strümpf' und Schuh'
Strümpf' und Schuh' –
Lauf' dem Teufel barfuß zu!«

Bei der letzten Strophe thaten sich einige Stimmen besonders hervor – die Anhänger der alten derben Burschensitte. Ja sie duldeten keine Abschwächung und Verwässerung. Wie ihre Väter und Vorväter gekneipt, schlecht und recht, so wollten sie auch kneipen, und so sangen sie denn auch nicht: »heute muß Alles verjubelt sein« – pietätvoll und begeistert, als wäre es die Nationalhymne, sangen, oder wie die Gegner sagten – brüllten sie das stärkste Synonym des, wie es in der Natur der Sache liegt, auf der Kneipe und in der Kneippoesie am häufigsten gebrauchten Zeitwortes.

Schon hieraus ersieht man wol, daß es kein gewöhnlicher Kneipabend, es waren Mitglieder von allen Verbindungen eingeladen.

Immer lustiger, lauter und bunter ging es zu: immer eifriger, ja in wahrhaft leidenschaftlichem Ton hörte man schreien: »Weinconvent«, bestehend aus ... und dann wurden drei Namen aufgerufen, zur Bildung des hohen Gerichtshofes, der über die Vergehungen gegen die Kneipgesetze entschied, ohne weiteres Rechtsmittel, als erste und letzte Instanz – in seiner Weisheit und Gerechtigkeit im Ganzen aber doch mehr geneigt, »zu verdonnern«, als freizusprechen. Niemand fiel indessen ein, die Integrität der Richter anzuzweifeln, obschon jede Flasche Satz, zu der die »Verdonnerten beifuhren«, den Mitgliedern des erleuchteten Tribunals nicht minder zu gut kam wie allen Anderen.

Die Windlichter und Gartenlaternen waren angezündet und warfen einen magischen Schein auf das Laub der Bäume und Büsche. Wenn die Abendluft reger ging, blickte hie und da ein Stern durch die schwankenden Zweige. Mehr und mehr leere Flaschen wurden zusammengestellt, immer heißer die Köpfe, immer offener die Hemdefalten wie die Herzen, die feuriger und feuriger darunter schlugen. Schon demonstrirte das Ehrenmitglied »der Schlanke«, ein Mediciner von hohen Semestern, die wunderbare Anatomie seines riesigen Brustkastens, dessen untere Partie Unkundige gar zu leicht für einen dicken Bauch hielten. Schon erklärte »Wolf« nach reiflicher Ueberlegung: »ich sattele um und gehe zur großen Oper« – und dann heulte er weiter mit einer Stimme, der die Natur versagt, auch nur die allereinfachste Melodie zu treffen:

»Der Bürgermeister Freudenreich,
Der hat uns anbefohlen,
Wir sollen euch armen Schneiderlein
Das ... Kollet versohlen.«

Schon näherte sich der »Sauser« dem Stadium, worin seine heitere Weltanschauung unaufhaltsam von der Theorie zur Praxis drängte: » pereat mundus, fiat ulkus!« Schon klagte »Albano«, eine hohe, kernige Gestalt, das Bild der Gesundheit und sehniger Kraft, über Rückenschmerzen, wozu der gefühllose »Hamster« im grün karrirten Sommerröckchen nur lachte: »die Kreuzschmerzen kennt man, dafür ist kein Kraut gewachsen als zerbrochene Tische, Stühle, Bänke und anderes Holz – oder allenfalls ein klirrendes Laternchen. Und schon hatte Troubadour »seinen zärtlichen«. Eine Thräne der Rührung im Auge, fühlte er sich gedrungen, aller Welt die Hand inniger Freundschaft zu reichen – treu, warm und etwas schweißig ... Auch dem, der für die Erstlinge seiner Muse – es blieb nicht unbekannt – den Titel in Vorschlag gebracht: »weiße Salbe für Wunden des Herzens?« ... Ja selbst ihm! »Es fehlt blos, daß er den Metzgern – Spitzname der Violet-schwarz-gelben – Mann für Mann einen Kreuzkuß säuselt!« brummte Murr, der leider wieder hoffnungslos in seinen »melancholischen« versank. »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Alles Verstellung, Alles Heuchelei! Trauen wir den Danaern nicht, auch wenn sie sich in unserm guten Maiwein vollsaugen wie die Schwämme und uns schon zu morgen wieder einladen auf ihr saures Bier.« »Das Reiterlein«, ein baumlanger Jüngling mit Sporen, in lederbesetzten Hosen und der Uniformjacke eines Freiwilligen, sprang auf den Stuhl: »als Verlobte empfehlen sich Murr und Kassandra – Troja und Bonn, Vinca Domini; um stille Theilnahme wird gebeten.« Allein es gab auch ernste gesetzte Herren, die ruhig ihren Stiefel weiter tranken, unangefochten von beiden extremen Stimmungen: »in die Seele sehen kann man Keinem, übrigens ist es höchst Wurst, sie sollen uns jeder Zeit höllisch auf dem Damme finden! Vor Allem behalten wir fest und unverrückt die Tendenz im Auge!«

Die große, die »akute« Tendenz dieses Abends, wie der Schlanke sagte, war: auf die Veranstaltung eines allgemeinen Kommers mit allen erlaubten Mitteln hinzuarbeiten.

Die Idee wurde lebhaft und mit einer feierlichen Wichtigkeit erörtert, die unsere heutige Jugend kaum begreifen dürfte. Damals aber war es schon ein bedeutsames Zeichen der Zeit, daß man die höhere Genehmigung für wahrscheinlich hielt. Nur ein paar Semester früher würde es nicht ungefährlich erschienen sein für den innern Frieden des Vaterlandes, der ganzen Studentenschaft die Erlaubniß zu ertheilen, in begeisternder Verbrüderung Löcher in ihre Mützen zu bohren und gemeinsam sich zu betrinken. So kleinliche Besorgnisse lagen der gegenwärtigen Versammlung fern, ein Comité zu weiterer Berathung des Unternehmens wurde gewählt, trat sogleich zusammen und versprach am nächsten Sonntag Vormittags seine erste Sitzung zu halten. Als Diäten wurden pro Mann ein Frühschoppen nebst Käsebrödchen bewilligt. –

Nie waren die Wirthe liebenswürdiger und ließen sich nie mehr angelegen sein, mit dem Besten, was Küche und Keller vermochte, aufzuwarten, als wenn die einflußreichen Herren vorfuhren, welche die hohe Mission hatten, eine geeignete Oertlichkeit zur Kommersfeier in der Umgegend zu ermitteln, so wie überall die Speise- und Weinkarte gewissenhaft auf Regimentsunkosten zu prüfen. Und schon ergingen sich die Comitémitglieder in der angenehmen Aussicht auf eine neue »Entdeckungsfahrt«.

Da drang die hohe Stimme des Präses abermals durch: wollen mal 'n Salamander reiben!« Und wieder wurde eingeschenkt – voll eingeschenkt. Denn was auch immer der tiefere Sinn dieses ursprünglich bonnenser, und damals noch nicht so allgemein verbreiteten geheimnißvollen Brauches, sein praktischer Effect lief von jeher auf die akademische Uebung hinaus, die sich in so verschiedenen Variationen wiederholt, volle Gläser zu leeren. Und so murmelte die ganze Versammlung in dumpfem Chor: »Salamander, Salamander, Salamander« ... Alle rieben die Gläser auf der unbedeckten, glatten Tischplatte und tranken nach dem Kommando: Eins ... zwei ... drei!« Bei »Drei« mußten sämmtliche leere Gläser wieder abgesetzt werden auf den Tisch, was einen forsch klappernden, rasselnden, rollenden Ton giebt; denn bei der größten Präcision ganz wie ein einziger wuchtiger Klapp kommt es doch nie heraus. Dem wohlgelungenen Exercitium folgte ein augenblickliches Schweigen, aber auch nur ein augenblickliches. Sogleich machte sich von neuem das tiefgefühlte Bedürfniß geltend nach dem, was vor Allem und nach Allem, zuerst und zuletzt noththat, nach – Stoff, Stoff – nochmals Stoff und wieder Stoff! Satt sind wir ja Gott sei Dank! aber Durst haben wir noch immer – so sehr 'n Durst!«

»Aus Feuer ward der Geist erschaffen,
So schenkt mir frisches Feuer ein!
Das Feuer der Lieder und der Waffen,
Das Feuer der Liebe schenkt mir ein!«

Orest sah gedankenvoll in sein Glas, Pylades ließ seinen Blick rund umgehen, wem er noch nicht zugetrunken: »Kommt dir der Rest, Unmittelbarer« ... »Es ist recht – nein, es ist nicht recht – erlaube mal – wie kommst du denn zu einem Rest – hat der Kerl nicht seine Schuldigkeit gethan bis auf die Nagelprobe? ... »Doch – doch« ... »Beim heiligen Salamander! was der für eine Malice auf die Reste hat – man merkt den Juristen – das wird mal einen famosen Arbeiter absetzen! Ich überflügele ihn doch, ich mach' es noch besser – ich lasse mich gar nicht auf Reste ein – sauf'n Ganzen, altes Haus!«

Die Mutter des »Reichsunmittelbaren«, eine etwas ängstliche Dame, machte sich beständige Sorgen um das Befinden ihres Herrn Sohnes. Hätte die Frau Baronin ihren Edgar jetzt sehen können, sie würde gewiß die beruhigende Ueberzeugung gewonnen haben, daß er sich vollkommen wohl befand.

Neben dem »Unmittelbaren« saß ein hagerer, bleicher junger Mann. Doch nun färbte ein zartes Roth auch seine eingefallenen Wangen, die tiefliegenden Augen funkelten in wundersamem Glänze, selbst seine lange spitze Nase schien einen unternehmenderen Umriß zu erhalten, und plötzlich rief er mit ungewohnter Energie nach Tinte, Feder und Papier.

»Um Himmelswillen was ist dem? Was hat das zu bedeuten? Du willst doch nicht Testament machen? Ich trete die Erbschaft nur cum beneficio inventarii an – ich habe genug an meinen eigenen großen und kleinen Bären, meine Uhr steht auch schon Gevatter, und die Lumpe wollen nicht mehr darauf geben, als ich in erster Hypothek ausgequetscht.«

»Nein, nein – sterben müssen wir Alle, aber noch hat mein Stündlein nicht geschlagen, noch falle ich nicht ab. Ich geh' nicht eher vom Platze heim, als bis die Wächter zwölfe schreien.«

»Unglücksseliger, Du wirst doch keinen Liebesbrief in petto haben?«

»Die Liebe muß was Süßes sein,
Was Süßes muß die Liebe sein.«

Aber auch das nicht, bis jetzt trinke ich meinen Schoppen ledig, – ungemischt und ungemanscht in separato. Nein, Freunde, beruhigt euch – und stört mich nicht, wenn ich die Feder ergreife Ich muß an meinen Alten schreiben, und das erfordert Nachdenken – ich bringe es nie zu Stande, ohne mich gelinde angerissen zu haben ... Ich hoffe, jetzt wird es gehen.«

*

 


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