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19.
Die Frau Gevatterin.

Ein Herr und eine junge Dame gingen durch das neue Thor, nahe an der Universität, und wie sie hinaustraten, sah der Herr rechts hin, als erwarte er dort mit Bestimmtheit jemand zu erblicken, den er suchte. Und so viel auch sonst anders geworden im Orte – besonders in jener Gegend – der kleine Obstkram und die gute Frau, die ihm vorstand, waren noch unverändert an der alten Stelle wie einst, als der fremde Herr Student gewesen und einer der treuesten Stammgäste der »Frau Gevatterin«.

»Guten Tag, Frau Gevatterin!«

»Guten Tag, Herr Gevatter.«

Mit jedem ihrer Gäste stand die allgemein beliebte Frau auf dem traulichen Fuß der Gevatterschaft. Der Fremde lächelte. Die Frau Gevatterin schaute ihn schärfer an. »Sie sehen mir doch so bekannt aus, Herr Gevatter.«

»Das glaube ich.«

»Ich kenne Sie gewiß – lassen Sie mir nur Zeit!« Dabei legte sie den Finger nachsinnend an das runde Kinn, was ihrem netten alten Gesicht gut ließ; es war wohlerhalten und wie die Figur noch von angenehmer, obgleich etwas welker Fülle.

»Sind Sie nicht – George Brown?« Die Spitznamen behielt die Frau Gevatterin immer am besten.

»Allerdings, und dies ist hier meine weiße Dame, die ich mir aus Schloß Avenel geholt habe.«

Der Frau Gevatterin Blick ruhte freundlich auf der anmuthigen Gestalt, als dächte sie: »ich hab' es ja immer gesagt, George Brown wird sich mal was Feines aussuchen.«

»Aber warten Sie, warten Sie!« ... und geschäftig rückte die gute Frau ihre Körbe zur Seite auf dem niedrigen Krambrett. »Hier war ja immer Ihr Platz.« Der neuen jungen Frau Gevatterin aber brachte sie ihren eigenen Stuhl aus dem Zelte. Während die Gäste etwas von ihren Früchten nahmen, ging das Geplauder munter hin und her zwischen alter und gegenwärtiger Zeit. »Wohnten Sie nicht bei Kirsten in der Traube?«

»Ja wol.«

»Wissen Sie denn auch, Herr Gevatter, daß Kirsten das Haus gekauft und von seinen Renten lebt?«

»Nein, aber warum sollte er nicht? Der Mann war damals schon in guter Lage, und ließ es sich gerne gefallen, wenn er uns zur Taufe lud, daß das Pathengeld nicht baar gezahlt wurde, es kam mit auf den Hauspump.«

Hiezu lächelte die Frau Gevatterin, und fing bald darauf an, in einem alten Buch mit abgegriffenem Einband zu blättern. Es schien, als nähme sie während dessen mit einiger Zerstreuung am Gespräche Theil, endlich sagte sie – und überwand eben so heiter als tapfer eine gewisse Befangenheit: »Sie müssen mir es nicht übel nehmen, Herr Gevatter, aber – Sie sind mir auch noch was schuldig.«

»Ei warum nicht gar?«

»Ja, ja ... Sie können mir es glauben, Herr Gevatter!«

»Hier steht's – hier im Buch ... da und da ... und hier hab' ich's zusammengezogen. Sehen Sie selbst!«

Die junge Frau wurde roth, aber ihr Mann, dessen Sache es doch vielmehr gewesen wäre, verlegen zu sein, lachte, als hätte er noch nie einen so köstlichen Scherz erlebt, und am Ende mußte seine junge Frau noch aus ihrer Börse die verjährte Schuld bezahlen. Er selbst hätte kein kleines Geld, versicherte er, als ächter George Brown mit eben so gutem Humor wie sein Namensvetter in der Oper, wenn er bei der Versteigerung die Kaufgelder belegen soll, zu dem Zweck die leeren Taschen umkehrt und ein Abzugsverfahren von seiner Gage als Unterlieutenant vorschlägt.

Als dann andere Gäste erschienen, die auch bedient sein wollten, trennten sich der Herr Gevatter und die Frau Gevatterin in alter Freundschaft, die sie auf das herzlichste erneuert. Und solche Wiedererkennungsscenen kamen nicht selten vor. Denn die Frau Gevatterin am Pförtchen des neuen Thores, oder wie sie selbst in gut »Bönner« Mundart sprach »am Pörzche'«, kannte fast alle Studenten und vergaß keinen, auch wenn sein Name nicht mit einem Kreuze wehmüthiger Erinnerung in ihrem Kontobuch stehen geblieben. Jeder gute Kunde aber erhielt beim Abgange von Bonn ein kleines Bild von ihr zum Andenken, auf dem die bekannte und allgemein beliebte Figur, naturgetreu dargestellt, mit der Wage in der Hand, eben eine Portion Kirschen abwog. Auch unser Karl ging nicht leer aus, und das Verschen, welches unter dem ihm »dedicirten« Porträt der Frau Gevatterin stand, schloß also:

»Schick'st du dann einst nach langen Jahren
Das munt're Söhnlein auf die Universität,
So wird's des Vaters lust'ge Streich' erfahren
An der Gevatterin Kram, der immerdar besteht.«

*

 


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