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12.
Die Tasche.

Karl's Beinkleider waren schon wieder etwas zu kurz, aber reichlich weit, und sie hatten auch noch Falten unter dem Gürtel. Dennoch fand die volle Tasche nicht recht Platz. Bereits bei Mittag fiel es dem Vater auf, nur war nicht mehr Zeit, das näher zu untersuchen. Jetzt des Abends schien die Geschwulst an der Hüfte in den pumpeligen grauen »Blousenhosen« noch stärker geworden. »Dreh' mal die Tasche um, die ist ja schon wieder stopfdick. Ich will doch sehen, was da Alles herauskommen wird.« Karl's Hand fuhr in den Schlitz, mußte sich aber erst tief versenken, ehe sie Grund fand. Zuerst fielen einige bunte Marmorkugeln heraus, die klappernd auf den Boden schlugen und ein Ende fort rollten. »Hebe die Dinger nur gleich auf! damit sie einem nicht noch unter die Füße kommen.«

Der fernere Befund war:

Ein Federmesser, ein »echt englisches« vom Jahrmarkt, das sich aber leider nicht sehr bewährte. Die eine der beiden Klingen war ganz abgebrochen, und der andern fehlte die Spitze. Der fleißige Quartaner hatte in griechischer Grammatik das ungeteilte Interesse seines Geistes auf die stille aber nützliche Arbeit gerichtet, den Klassentisch anzukerben – knicks, da war es so weit!

Ein Notizbüchlein mit dem Stundenplan, Vermerken von Aufgaben und allerlei Zeichnungen; diese kecken Skizzen behandelten jedoch die menschliche Gestalt etwas zu willkürlich, besonders waren die Nasen von einer kolossalen, das schöne Mittelmaß weit überschreitenden Größe; die Füße aber schlossen sich mit unbilliger Umgehung der Beine gleich dem Rumpfe an und standen seitwärts, wenn die übrige Figur auch dem Beschauer die volle Fronte zeigte.

Ein vielkantig geschliffenes Glasstückchen vom Kronleuchterbehang. Wenn es der glückliche Besitzer gegen das Licht hielt und das andere Auge mit der Hand zudrückte, was nie ohne einiges Gesichterschneiden abging, schillerte es in allen Regenbogenfarben.

Ein Ende gelben Federposenbindfadens, spiralförmig zusammengeschnurrt.

Ein Geldbeutelchen, mit einem ganzen und einem halben Silbergroschen, einem Dreier und zwei blitzend blanken Pfennigen.

Sodann ein Brummeisen ... Ach, das artige kleine Instrument ist jetzt lange aus der Mode. Ja, Brummeisen oder Maultrommel hieß es, aber wie sanft schwirrte die feine stählerne Zunge, die der Finger am Munde in Schwung gesetzt, wie ausdrucksvoll ließ der Athem den Ton anschwellen und wieder abnehmen, bis er hinschwand gleich dem Hauch, der ihn erzeugt ... Ich will nur nicht elegisch werden! Das wäre am Ende doch nicht die rechte Stimmung für die letzten Nummern der inhaltreichen Tasche. Karl zerrte und zerrte, und so kam nun noch zum Vorschein nebst Semmelkrümeln, vertrockneten Obststengeln und gewissen großen Staubflocken, wie sie sich gern in nicht oft ausgebürsteten Taschen ansiedeln, ein knäuelartig zusammengeballtes Stück Hausleinen, in der Ecke mit dem roth eingezeichneten Buchstaben K. Es wurde behutsam am äußersten Zipfel gehalten und führte den Titel »Schnupftuch« nicht ohne reellen Anspruch darauf.

»Und was ist das denn?«

»Knallgummi.«

»Was? ... Davon habe ich ja noch nie gehört. Wozu ist das? Was machst du damit?«

»Blasen.«

»Was für Blasen?«

»Man drückt so« – Karl drückte und knetete, bis sich in dem Stückchen schwarzen, wachsweichen »Knallgummi« hie und da kleine Bläschen bildeten.

»Weiter nichts? Was hast du an den Blasen?«

»Ich knall' sie auf.«

»Wie denn?«

Karl machte ein vergnügtes Gesicht, das angenehm abstach gegen die bisherige Inculpatenmiene, und er ließ eins der Bläschen auf der Hand knallen, wie man ein zusammengelegtes Blatt aufschlägt.

»Das ist Gummi? Wie wird der denn so – der ist ja breiweich?«

»Man kaut ihn.«

»Nein, worauf sie auch nicht Alles verfallen! Das ist ganz dumm, das ist ja ungesund – ich verbitte mir das. Item, du bist doch ein rechter schlimmer Schilling.« Dabei faßte dieselbe Hand, die zu Karl's nicht geringem Schmerz das schöne, in so vielen Lectionen mühsam weich gekaute Stückchen Knallgummi confiscirt, sein Ohrläppchen, und diese Art Liebkosung hat auch das Nichtangenehme: je weiter man den Kopf wegzieht, desto weher thut's.

Schon Quintilian, den unser alter Rector gern citirte, hat gesagt: »Die Kinder bringen die Unarten nicht aus der Schule – sie bringen sie in die Schule.« Die feine Kunst, Knallgummi zu präpariren, hatte Karl aber doch aus der Schule gebracht. So fehlte es auch in diesem Sinne nicht an der Wechselwirkung zwischen Schule und Haus.

*

 


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