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12.
Schönes Wetter.

Wieder mehrere Jahre darauf saßen die Großeltern noch an einem Spätherbsttage draußen im Garten. Des Morgens war starker Nebel, der sich im Laufe des Vormittags verzog. Dann wurde es klar und heiter, klarer wie im Sommer und fast ebenso warm, aber milder, und es war so still und friedlich, wie lange nicht – ein köstlicher Tag! Das Blau des Himmels erschien besonders kräftig und leuchtend, wenn eine der wenigen Wolken heraufzog, in die sich die letzten Nebel gesammelt an den Waldrändern und fernen Höhen, und die Wolke stand nun über den Baumwipfeln, deren spärliches Laub dann noch gelber oder bronzefarbiger wie das Blau des Himmels noch tiefblauer aussah gegen das lichte Weiß der Wolke.

Auch eine Wolke, aber anderer Art, in der die Großmutter saß: sie hatte ihre Arbeit mitgenommen – so ausnahmsweise schön war das Wetter. Ein breiter und langer Streifen von lichtem durchsichtigem Stoffe fiel bauschend über ihre Schultern und wieder vom Schooß rings um sie her auf den gedielten Boden der Laube. Da erlosch nicht ganz plötzlich aber doch in ziemlich schnellem Uebergange der Glanz der goldgelben oder theilweise noch goldgrünen Pappel- und Lindenblätter, von denen sich fort und fort eins nach dem andern ablöste, langsam und geräuschlos niederkreiselte, während die schon völlig dürren braunen Blätter knisternd und raschelnd fielen. Der Anstrich des niedrigen, kaum ein paar Fuß hohen Spaliers in der Mitte des Gartens, an dem die Rosen längst verblüht, eben noch blendend hell, erhielt wieder einen matteren, grauen Ton. Die schwarzblauen Trauben mit dicht aneinandergeschlossenen Beeren in dem dünner und dünner werdenden Weinlaub, das den Bretterzaun des Nachbargartens verkleidete, schimmerte nicht mehr in lichtdurchschienenem Purpur. Die Stockrosen an den Staketen, die Garten und Hof trennten, die bunten Astern und einige andere, lange aushaltenden Blumen schauten doch nicht mehr so ungetrübt, gleichsam dreist in die nur zu kurze Freude auch des allerschönsten Altweibersommertages. Selbst der, wie eine Getreidestiege, auf dem Hofe aufgestapelte Haufen von knochentrockenem, bereits in Scheiten klein gemachtem Brennholze – dieser solide Tröster und beste Schutz gegen die rauhen Launen des Winters, machte ein etwas bedenkliches Gesicht. Nicht mehr vernahm man das rhythmische Schwirren der Säge, die taktmäßigen Schläge der Axt von einem der Nachbarhöfe herüber, – kein besonders melodisches, doch auch kein unbehagliches Geräusch, abgeschwächt durch angemessene Entfernung. Es klang ungefähr, wie der Holzhaufen im Sonnenschein aussah, und immerhin angenehmer, als jetzt der kreischend schrille Ton. Die Säge wurde geschärft. Ein leichter Wind hatte sich erhoben, ein Wolkenschatten zog über den Garten.

Da kam die Magd angelaufen, vergaß in der Geschwindigkeit die Gartenthür hinter sich zuzumachen, bemerkte aber noch zur Zeit, daß der Hahn ehrbar und würdevoll an der Spitze seiner Hennen gluckend und tuckend ihr auf dem Fuße folgte, sie drehte sich um – »huschu! wollt ihr wol heraus,« machte die Thür fest zu und beeilte sich dann umsomehr. Es war ein zusammengelegter Bogen in einem nicht sehr sauberen Umschlage, den sie abzugeben hatte; man sah gleich, der Umschlag war schon durch viele Hände gegangen. Sie überreichte ihn dem Herrn. Der nahm den Bogen heraus, schlug ihn auf, blickte hinein und reichte ihn der Frau: »Geht mich nichts an.«

»Es ist die Hauskollekte, von der ich dir sagte.«

»Geht mich nichts an – ist deine Sache. Meine Opferpfennige lege ich auf einen andern Altar.«

»Ich ja auch, aber das Eine thun, das Andere nicht lassen.«

»Wenn du was geben willst, ich habe nichts dagegen – meinetwegen, unterzeichne doch, Herzchen!«

»Gut, wenn du nichts dagegen hast, so werde ich schreiben, und – du zahlst ... Da thut jeder was dazu. Ginge es nicht so gegen das Ende des Monats, ich würde trotz der theuren Zeit selbst gerne geben, nicht blos schreiben.«

Die Magd hielt die Küchenschürze, die sie in der Eile nicht abgebunden, zurückgeschlagen unter dem Arm, was sie nicht hinderte, das Schürzenband langsam um den Finger zu wickeln. Handelt es sich darum, wer von zwei Personen etwas bezahlen soll, und einer schiebt es dem andern zu, ist das immer sehr heiter, wenn man selbst keiner von den beiden ist. Sind die beiden aber die Herrschaft, darf man doch nicht zeigen, wie ergötzlich man es findet, und so wickelte die Magd das Schürzenband nun ebenso langsam und fröhlich verlegen vom Finger wieder ab. Der Großvater rückte das Hauskäppchen tief in die Stirn, zog die Brauen zusammen, wie einst der Vater der Götter und Menschen, wenn er blitzen, donnern, platzregnen und hageln lassen wollte, schüttelte den Kopf, verdrießlich zuckte die Wange – die Fliege fliegt fort – die Herbstfliegen sind die lästigsten – und die Hand greift in die Tasche: »mach' es aber gnädig!«

Die Großmutter schrieb, der Großvater gab, und die »Lowise« lief mit dem wieder zusammengelegten Bogen in dem schmutzigen Umschlag über den Hof in das Haus zurück. Nicht nur in ihren Mienen und Bewegungen, man durfte sagen, selbst in den allerdings mehr freudig kraftvollen als anmuthigen Schwingungen der hinten etwas zu lang herunterhängenden Kleidfalten sprach sich ihre hohe Zufriedenheit aus über die so glückliche Lösung.

Und wieder tiefblau, blauer als je, erschien der Himmel, noch goldiger die Linden- und Pappelblätter. Die Astern und Stockrosen lachten förmlich. Das Rosengeländer vermochte gar keinen Schein mehr heller zu werden, ohne in vollständiges Weiß überzugehn. Die Trauben glühten, als sollten die Zeiten wiederkehren, wo man auch in Preußen »eigenes Gewächs« kelterte und – genießbar fand. Der Holzhaufen des Nachbarhofes hatte ein feuriges Kolorit, als könnten seine Scheite kaum erwarten, prasselnd, knatternd und lustig knallend die wohlthätigen Flammen des Herdes und der Oefen reichlich zu nähren. Die frisch geschärfte Säge schwirrte von Neuem, die Axt begleitete sie wieder in kräftigen Schlägen, kurz aus dem Handgelenk, immer drei hintereinander, wie in Triolen zu der Oberstimme: – ein Programmmusiker hätte Studien machen können zu einer Sinfonie des häuslichen Glückes ... Freilich, würde die Säge nie ausgefeilt, könnte sie auch nicht so scharf schneiden. Und gäbe es keine kleineren oder größeren Dissonanzen im Leben, in der Musik und beim Holzhauen, würde auch die Wohlthat der Auflösung nicht möglich sein. Der Wolkenschatten war vorüber.

»Aber Herz, du stichelst ja wie verdungen.«

»Sie sollen noch mit in die Wäsche.«

»Warum giebst du sie nicht der Nähterin?

»Ich schäme mich, sie sind zu schlecht, solche schlechte Gardinen kann nur die Frau selbst stopfen – es ist auch wirklich eine Kunst.«

»Mein altes Aschenbrödel.«

Aschenbrödel ist keine große Schmeichelei, aber es war etwas darin, es klang etwas darin an, fürwahr nicht viel weniger herzlich als das »Herz« oder »Herzchen« selbst, wenn auch nicht so lustig wie »mein lustiger Rath«, was der Großvater auch gelegentlich sagte, ja wenn der lustige Rath ganz besonders gut gerathen, wurde er zum »lustigen Rath erster Klasse« erhöht oder wol gar vertraulich mit dem Ehrentitel jenes beliebten heitern Singspiels »mein lustiger Schuster«, bedacht. Und selbst der »lustige Schuster« klang mitunter noch herzlicher, als manchmal bei nicht schönem Wetter: »Aber Herz ...« Heute klang es indessen auch nicht unfreundlich, wie der Großvater sagte: »Aber Herz, kauf' dir doch neue.«

»Luxus wäre es nicht – nun, wer gestattet sich jetzt noch Luxusausgaben?«

»Ich habe das feste Vertrauen, bald kommt es besser, kauf' dir nur immer welche! So etwas verbraucht sich ja mit der Zeit, auch wenn man sein eigner Herr im Hause, und nicht weiß Gott was für fremdes Volk bei sich beherbergen muß.«

»Ja wie meinst du das? Auch so wie bei der Hauskollekte?«

»Versteht sich. Daß deine Kasse nicht noch zu außerordentlichen Ausgaben reicht, kann ich mir wol denken.«

»Dann nehme ich die neuen in die Wohnstube und diese in die Schlafstube.«

»Richte dir das ein, wie du willst.«

»In die Vorderstube müßten wir doch schon was Hübscheres und Feineres nehmen.«

»Ich überlasse es dir ganz.«

»Das kostet aber auch mehr.«

»Wirklich? Das ist ja höchst wunderbar. Nun, da wollen wir mal was drauf gehen lassen, – schenk' mir noch ein Glas Wasser ein, und wollen es auch hierbei schon nicht darauf ansehn. Wie ist das doch? Habe ich dir nicht auch noch Auslagen zu erstatten?«

»Wenn du selbst daran denkst – aber das eilt ja nicht.«

Sonst ging das nun wol nicht immer so mit den Auslagen. Die Regel war es keineswegs, daß der Großvater die Großmutter daran erinnerte, ja der umgekehrte Fall war nicht nur der häufigere, es ging der Großmutter auch eigenthümlich damit. Bat sie sich's noch am selben Tage aus, so sagte der Großvater: »Aber Herz, bin ich dir nicht sicher über Nacht? Soll ich dir eine Hypothek ausstellen?« Ließ es die Großmutter aber wieder anstehen und mußte sich denn doch am Ende melden, damit es nicht völlig in Vergessenheit gerieth, so sagte der Großvater: »Aber Herz, du weißt doch, ich kann das schon gar nicht leiden, wenn du so was so lange hängen läßt und kommst mir hernach mit solchen alten Geschichten.« Da war es nicht leicht, den geeigneten Zeitpunkt zu treffen.

»Aber was ist denn das? Freund Engelrecht? – Richtig.«

»Um diese Zeit? Da rührt er sich ja sonst nicht von Hause: das hat was zu bedeuten.«

Und es hatte auch etwas zu bedeuten.

»Wissen Sie schon?« rief Herr Engelrecht bereits von Weitem und konnte wieder nicht das Wort finden, was doch sonst gar nicht seine Art. Aber wie der Kalk an der Wand sah er nicht aus – er glühte wie Rastenburg, wie wir bei uns sagen, obwol kaum anzunehmen, daß das Rastenburger Schloß, wenn die Abendsonne darauf scheint, dunkler glühen und schöner flammen sollte, als unser Schloß und Dom, oder ein anderer mächtiger alter Backsteinbau mitten in grüner Landschaft.

»Was haben Sie denn?«

»Wir wissen von nichts ... So reden Sie doch.«

»Er liegt darnieder und wird nicht wieder aufstehen. Die Alliirten haben gesiegt ... bei Leipzig – ein großer Sieg.«

Ein ernsteres und zugleich froheres Gesicht hatte Herr Engelrecht in seinem Leben noch nicht gemacht. Der Großvater nahm das Hauskäppchen ab, die Großmutter ließ den Nebelstreif der alten Gardinen fallen, und beide falteten die Hände ... Wie gesagt, oft that das der Großvater nicht.

Ja da war schönes, wunderschönes Wetter. Es geht doch nichts über so einen herrlichen Octobertag! Und da hatte denn die Frau auch nicht an Allem Schuld, selbst daran nicht, daß die Schlacht bei Leipzig verloren – freilich nicht für uns.

*

 


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