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10.
Vor dem Feste.

»Besinne dich doch, Agathe, ob dir nicht was für Ferdinand einfällt? Für den haben wir noch gar nichts.«

»Das Beste in sein einsames Haus kann man ihm leider nicht schenken. Ich bin nur froh, daß wir die Glasschalen für die Eltern haben, ich finde sie wunderhübsch; sie können sie auch zum Aufsetzen von Obst brauchen. Ihre alten Fruchtkörbe von Fayence sind noch immer sehr hübsch; so geschmackvoll einfache Formen kommen eigentlich nie aus der Mode, aber sie sind doch schon hie und da abgestoßen. Deine Mutter sah, als wir das letzte Mal mit ihr bei den Eltern waren, immer auf den einen, am meisten mit Rissen und braunen Flecken gezierten Korb, wie man Jemand auf den Anzug sieht, wo ein Knopf fehlt oder die Nath aufgeplatzt ist.«

»Es fiel der Mutter nicht ein.«

»Kannst es mir glauben, lieber Mann, du bemerkst so etwas nur nie.«

»Dann möchte ich auch für Klärchen noch gerne was.«

»O da finden wir die Menge, für Kinder und Backfische kann man nie in Verlegenheit sein.«

»Wie wäre es, wenn wir jetzt gleich noch einmal gingen? Ich habe gerade Zeit. Nun, was lachst du?«

»Das ist nämlich alle Jahre so: erst magst du von nichts wissen, dir ist gar nicht danach zu Muth, ich soll nur bestimmen, dir wird Alles recht und Alles lieb sein, wie ich es einrichte. Ja ich muß dich schelten: »du bist gar kein richtiger Hausvater, wenn dir das Alles ganz gleich ist – und kommen dann die letzten Tage vor dem Fest, bist du es gerade, der noch immer mehr will, dem nichts gut und reichlich genug ist. Nun mir macht es gewiß das größte Vergnügen, wir müssen ja Gott danken, daß wir's können, und ich will dir nur sagen, so wie diesmal habe ich mich noch nie auf Weihnachten gefreut. Nein wirklich!«

»Das sagst du nämlich auch jedes Mal, liebe Frau, daß du dich noch nie so gefreut hast. Wenn das so fortgeht, dürfen wir hoffen, im Jahre unserer goldenen Hochzeit ein recht vergnügtes Christfest zu feiern. – Mach' dich jetzt nur fertig!«

Im Mantel und Hut rief Agathe noch der Köchin zu: »Hast du den Reis beigesetzt? ... Nicht? Dann thu's, es ist auf den Schlag halb Eins.« Und es war wirklich schon Ein Viertel über Zwölf. Wenn die Küchenuhr etwas vorgeht, das kann nie schaden.

Und so wanderten unsere Alborns wieder auf den Weihnachtsmarkt, von Laden zu Laden, von Ausstellung zu Ausstellung. Sie kauften nur lauter kleine Sachen, aber Alles wollte doch getragen sein. »Was dir zuviel, gieb mir nur!« »Es ist wirklich eine mangelhafte Einrichtung, daß der Mensch in dieser lieben Zeit nicht mehr Hände und Arme hat. Lustig sieht's bei alledem aus. Und es thut wohl, zu denken, daß Keiner ganz unglücklich ist, der auch nur das kleinste Schächtelchen oder Päckchen trägt. Denn für sich hat er das doch nicht gekauft, er will und wird Jemand, den er lieb hat, damit erfreuen und so selbst die schönste Festfreude haben ... Ei, da kommt ja auch ein noch nicht ganz Unglücklicher.« »Guten Tag, Max! Woher des Weges? und was hast du denn da Schönes? Wir sprachen eben davon, irgend ein in Papier gewickeltes Geheimniß gehört jetzt gewissermaßen mit zum menschlichen Organismus.«

»Endlich ist mir gelungen, für Ottilie aufzutreiben, was meiner Phantasie vorschwebte. Ich habe keine Mühe gescheut und will nur wünschen, daß meine Frau mich nicht durch Spione hat überwachen lassen. Um gründliche Vorstudien zu machen, bin ich allen Damen nachgelaufen, hübschen und häßlichen, jungen und alten, jeder, die ein Thierfell um den Hals trug. Ich hoffe die Pellerine wird ihr gefallen. Und wohin geht ihr?«

»Zum Buchbinder ... zu Natanger.«

»So gehen wir zusammen, da will ich auch eben hin. Ja, soviel Zeit habe ich noch. Ich verabredete mit Ottilie zusammenzutreffen, und da muß ich doch vorher den Kragen in Sicherheit bringen. Gehen wir nicht durch das Gäßchen? Dann sind wir ja gleich da.«

»Guten Morgen, Kinder,« rief ihnen der Onkel Major im Vorübergehen zu, prächtiges Wetter – »so frisch und kalt. Niemand ist alt,« sagen sie in Rußland. »Etwas mehr Schnee könnte sein,« meinte Agathe. Der Major schmunzelte: »Schreibe es auf deinen Wunschzettel.« »O der ist schon voll von oben bis unten und auf beiden Seiten, lieber Onkel. Wenn ich nur Eins wüßte, ob mir das mein Mann schenkt?« »Spitz' Dich nicht! das bekommst du gewiß nicht.« »Und da wären wir beim Buchbinder. Es ist nur gut, daß er die Anstoßschelle abgenommen – als wir das letzte Mal hier waren, bekam sie fast Klingelkrämpfe, die Thüre stand keinen Augenblick still.«

»Nun, wie ist's, Herr Natanger, wird es auch bestimmt fertig?« fragte Max, »sonst lasse ich's lieber ungebunden.« »Herr Baumeister kennen mich doch, was ich verspreche, halte ich. Ohne Band sehe es ja nach gar nichts aus. Das Innere ist die Hauptsache, bei Büchern wie bei Menschen, aber in Schürze oder Schurzfell geht Niemand in die Kirche, und im Alltagskleid legt man das schönste Werk nicht auf den Weihnachtstisch.« »Ein Mann ein Wort! Und nun will ich nur laufen, oder ich verfehle Ottilie. Adieu, Adieu, Herr Natanger.« »Empfehle mich, Herr Baumeister.« Kaum war der junge Herr Baumeister fort, so ging eine kleine schmale Thüre in der Seitenwand des Ladens auf, ganz sachte und vorsichtig – und wer schlüpfte heraus? Die junge Frau Baumeisterin. »Ottilie, was sehen meine Augen? ... du bist es? Was in aller Welt hast du hinter der Thüre zu thun?« – »Ich sagte euch ja schon, die Cigarrentasche konnte so nicht bleiben, und ich durfte mich doch nicht von meinem Manne überraschen lassen. Ich möchte nur für mein Leben gerne wissen, was er hier wollte.« Der alte Buchbinder machte ein unschuldiges Gesicht: »Herr Baumeister kam wegen seiner Zeichenmappe, ich mußte aber schon sehr bitten, bis nach den Feiertagen sich zu gedulden.« – »Warten Sie, Herr Natanger, ich werde Ihrer Frau sagen, wozu die Tapetenthüre ist.« »O, das weiß meine Frau, Herr Rath! ... Nettchen, wenn du so gut sein willst, die Leute stehen und warten, ich kann nicht Alles allein beschicken.« Gleich war Nettchen da, die selbst Ottilie hinter der spanischen Wand versteckt. Der ehrsame Herr Natanger, der sich vor vierzig Jahren bei uns etablirt und sein Nettchen heimführte, schien die Sache ernst zu nehmen. – »Wir machen nicht mehr so viel Umstände mit unseren Heimlichkeiten, nicht wahr, Agathe? Ich habe meiner Frau wie oft schon erklärt, sie soll doch nur in Gottesnamen ruhig bei der Arbeit bleiben, ich sehe ja doch nicht hin.« »Ich arbeite diesmal gar nichts für dich.« »Aber ich für dich und dabei fällt mir ein, ich könnte gleich noch ganz in der Nähe etwas abmachen, wenn du dich nicht umsehen willst, wohin ich gehe.«

»Nein, nein, ich werde nicht, Ottilie ist Zeuge.«

Bei diesem Abstecher begegnete Alborn dem Schwager Max noch einmal, und dann trafen sich Alle wieder auf dem Markt an der Bude mit dem Thorner Stadtwappen. Thorner Pfefferkuchen durften nicht fehlen, obwol sie zu Weihnachten hinter dem eigenen feineren Hausgebäck zurückstanden. Auch das junge Paar machte seine Einkäufe. »Wie sind denn aber eure Bäckereien ausgefallen?« »Ihr werdet ja sehen, ich hoffe doch, daß ihr uns die Ehre erweist.« »Wir rechnen stark darauf.« »Ihr werdet Nachsicht haben mit meinem schwachen ersten Versuche.« »Sei nicht zu bescheiden, liebe Frau. Ich kann sagen, es ist so ziemlich Alles gerathen, besonders der Marzipan, wir haben uns bis zu gefülltem verstiegen; ich sage »wir«, ich habe ja den Zuckerguß rühren müssen. Es war wirklich rührend! Entschuldigt den miserabeln Witz, ich fühle noch heute die ungewohnte Arbeit in Arm und Schultern. Das einzige nicht vollendet Gelungene sind die Makronen.« »Die setze ich Keinem vor.« »Nun so schlimm ist es auch nicht.« »Ich habe des Guten zu viel gethan, ich nahm zum Weißen vom Ei noch das Gelbe.« »Dann werden sie ein bischen auseinandergelaufen sein?« »Nicht 'n bischen, aber sehr, die gemeine Makrone pflegt rund und erhaben zu sein, unsere sind platt wie ausgerollt und haben so viel Zacken und Zipfel, – Max sagt, sie sehen aus wie die Karte von Griechenland. Ein paar werde ich Bernhard auf den Teller legen, der kann alte Geographie daran studiren.« – Sie gingen durch das improvisirte Kiefern- und Tannenwäldchen in der Nähe der Kirche. »Das sind die Pfingstmaien des Winters,« sagte Ottilie. »Bei Nicktau werden doch Wachsstöcke sein?« »Unfehlbar, Herr Nicktau hat Alles.«

Richtig! »Befehlen Sie weiße, bunte oder von dem ordinären gelben?« »Von dem gewöhnlichen gelben zu Lichtern auf den Baum.« »Wir nahmen zu Hause auch immer von dem. Der ist ja am allerhübschesten dazu – ich liebe den Duft so! den tragen die Bienen aus dem ganzen Sommer zusammen zum Weihrauch für das höchste Fest des Jahres.« »Ottilie immer sinnig!« »Gar nicht immer.« »Wol nur in diesem Gedränge, wo man sich mit den Ellenbogen Platz machen muß.« »Die rechte Weihnachtsstimmung geht hoffentlich nicht dadurch verloren.«

Noch ehe sie in den Laden eingetreten, begannen die Glocken zu läuten. Jetzt hörte das Geläute auf, die größte Glocke schlug noch ein paar Mal allein an, dann schwieg sie auch – wer nahe am Glockenthurm stand, vernahm das schwächer und schwächer werdende Ausklingen ihres mächtigen Tones. Das Leben und Treiben in den Straßen, das Gewühl auf dem Markt, das Feilschen und Handeln ließ noch immer nicht nach, und doch war es, als spürte man schon in köstlicher Vorahnung die ersten stillen Athemzüge der Sabbathruhe, die aus all' dieser heitern Unruhe und Geschäftigkeit hervorgehen sollte.

Am Abend desselben Tages – es war der Sonnabend vor dem letzten Advent – saßen die Geschwister noch spät beim Vergolden der Aepfel und Nüsse und anderen Vorarbeiten zum Ausschmücken des Baums – eben so vergnügt. »Ihr glaubt gar nicht, wie ausgelassen Max ist.« »Was werden sie dir es nur nicht glauben! Aber es ist doch nur deine Schuld oder dein Verdienst. Warum machst du mich so glücklich, Frauchen? – Nun bitte ich mir noch eine recht große, fette Rosine aus zum Herzen dieser schönen Dame.« »Was? soll es denn eine Dame werden?« »Gewiß. Als Junggesell konnte ich das Grausame so noch nicht mitfühlen, daß immer nur ein Rosinenmann am Baume hängt. Jetzt weiß ich besser Bescheid und will dem armen einsam baumelnden Kerl auch noch ein süßes Weibchen an seine grüne Seite stiften.« »Dieser gräßliche Unsinn!« »Aber sachte, sachte – nicht so laut! Ihr weckt mir ja die Kinder auf.« Die hausmütterliche Mahnung war nicht unwirksam – für die nächsten paar Augenblicke. Das leise, weiche Knistern des Schaumgoldes, das Agathe um den rothbäckigen Borsdorfer legte, war zu hören, und als Justus die widerspenstige welsche Nuß, die das Silber nicht annahm, zum zweiten Mal in's Wasser tauchte, und die am Faden schwingende Nuß an den Rand des Glases schlug, klang das auch nur fein und leise, doch so glockenhell und klar, wie – ja wie klang es denn? »Sprich dich aus, Ottilie! Ich sehe dir an, du hast einen großen Gedanken.« »Richtig, lieber Mann! Wenn ich durchaus die Sinnige sein soll, will ich dem Namen auch Ehre machen. Es ist englisches Glas – deshalb klingt es so schön.«

Eigentlich dachte sie etwas Anderes und hätte es auch wol sagen können. Sie dachte: »ein Engel fliegt über die Erde, der trägt auf seinen Schwingen den letzten zitternden Nachhall der schönen Adventglocken, und wo der Engel hinkommt, giebt er Allem einen geweihten höheren Ton, selbst dem Anklingen eines Wasserglases und – dem schwächsten Scherze des liebsten Mannes.

*

 


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