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24.
Sylvester.

Während der Weihnachtswoche steht der Christbaum noch unangetastet in heiligem Festfrieden, erst am letzten Abend des Jahres wird er zur Plünderung Preis gegeben und holterpolter hinausgethan. »Der Herr Doctor kann gehen, wir brauchen ihn nicht mehr«, sagt man in der Familie eines Arztes. Beamte und Militärs nennen dasselbe summarische Verfahren »zur Disposition gestellt«, Künstler »Dichters Erdenwallen«, und so mag wol jeder Stand seine besondere Bezeichnung dafür haben.

Die Sylvestervergnügungen begannen nun bei uns, wie in der Regel, auch diesmal damit, daß die dem Baume abgenommenen Schätze verspielt wurden in der Kartenlotterie. Hierauf folgte Glückgreifen. Es sprach sich jedoch der lebhafte Wunsch aus, ein Orakel noch höherer Instanz zu vernehmen. Max unterhandelte leise mit der Mutter.

»Nein, nein – das schlagt euch nur aus dem Sinn!«

»Ach Mutterchen ... ach, Gott, ich sage ... Erlaube es uns doch schon!«

»Uebrigens ist auch gar nichts Passendes dazu da.«

»O, es wird schon was da sein.« Und Max lief geschäftig hinaus. – Schnell war er wieder zurück.

»Siehst du wol. Mutterchen ... die Flore will den Leuchter geben!«

»Ach, Mutterchen! Herrje, was schadet denn das?«

Die sorgsame Hausfrau begriff aber schwer, wie das dem alten Leuchter nicht schaden sollte, mit dem Hackmesser klein geschlagen und eingeschmolzen zu werden. Auch ein noch kleinerer Knabe interessirte sich mit flehentlicher Dringlichkeit für das in Vorschlag gebrachte Unternehmen, indem er in bezeichnender Weise ungeduldig mit den Füßen trampelte. Die Mutter aber beschämte ihn durch moralisirende Verwunderung: »wenn Du noch gar »päsern« willst!«

Da nahm die Sache eine unvermuthete Wendung: der Vater stellte sich an die Spitze der Bewegung. »So laß sie doch, es ist ja nur einmal im Jahr Sylvester!«

In Prozession ging es zur Küche, und wie die Kinder begehrt, wurde Zinn gegossen. Die große flachrunde Kelle des blechernen Schöpflöffels hielt das Schmelzstück über der züngelnden Flamme, und es dauerte nicht lange, so fing das graue Metall an zu wanken, zu dampfen, zu schwitzen, fiel in sich zusammen und rutschte im Löffel flüssig hin und her, ähnlich wie Quecksilber – »blos nicht kälter!« sagte Ferdinand und forderte Max auf, er möchte mal anfassen, wenn er die Engel im Himmel pfeifen hören wollte! Aber Max bedankte sich.

»Na nu!« Platsch! glitt aus dem rasch umgewandten Löffel das Zinn, in glühendem Schmelzfluß, zischend in das eiskalte hochaufspritzende Wasser. Dann wurde der fertige Guß herausgefischt. Und was kam da nicht Alles zum Vorschein! Stachelgewächse, Lilienstengel, Schiffe mit hoffnungsvoll geschwellten Segeln, Schweinchen, die sich durch drollig krause Schwänze auszeichneten, Baumstämme, von schönem Blätterwerk umrankt, Grotten, Lauben und vieles Andere; am meisten wurde darauf gesehen, ob auch recht viel von jenem grünlichen oder silbergrauen feinen Moose angesetzt, und dann hieß es: »ach, du hast viel Moos, das bedeutet Geld.«

»Was ist denn das Gutes?«

»Das sieht ja närrisch aus!«

»Ach, laß mich auch sehen – mich auch, mich auch!« riefen die Kleinen und standen auf den Zehen. Alle schauten prüfend die wunderbare Bildung. Flore, die alte Köchin, gab ihre Meinung dahin ab: »Das ist ja fast auf 'ne Art wie 'n Vogel ... nein, nicht so, so müssen Sie's drehen! Hier ist der Schnabel – da die langen Füße.«

»O zeig' doch, zeig' doch!« schrieen die Kleinen, wieder mit zappelnder Ungeduld.

»Es ist ja ein Storch,« sagte Ferdinand; die Mutter theilte indessen seine Auffassung nicht und erklärte ruhig, doch in dem gemessenen Tone gleichsam einer amtlichen Berichtigung: »es ist ein Kranich ... Uebrigens denke ich, jetzt lassen wir es genug sein! Das Essen steht auf dem Tisch.«

Und nach den vielen Süßigkeiten, die man den Abend über genossen hatte, waren Alle gern bereit, nun auch ein verständiges Wort mit einem soliden warmen Braten zu reden.

»Aber nachher müssen wir noch Mehl schneiden!«

»Versteht sich ... natürlich! Ohne Mehlschneiden – das wäre kein richtiger Sylvester. Und der Abend ist ja noch lang.«

»Mama, wir möchten auch gerne aufbleiben!« bettelten die Kleinen, sie wurden indeß abschläglich beschieden.

»O daran ist gar nicht zu denken.«

»Nein, nein – mit euch ist's die höchste Zeit, meine Kinderchen!« setzte Max hinzu, mit übermüthiger Lebendigkeit, als wenn der Eltern Wort gewissermaßen erst durch seine allerhöchste Sanktion volle Geltung erhielt.

»So, du bist auch noch ein Kind!« rebellirten die Kleinen.

Die Wahrheit ist: wenn »Mitgebrachtes« zur Vertheilung kam, rechnete sich Max zu den Kleinen; hieß es hingegen: »nur die Großen bekommen Wein ohne Wasser,« oder: »nur die Großen sollen in's Diorama mitgenommen werden ...« oder wie jetzt: »nur die Großen dürfen das neue Jahr abwarten, –« dann war Max ein Großer. Er selbst hatte stark gezweifelt, ob ihm diese Ehre schon zu Theil werden würde, und als der Glückliche die Erlaubniß erhielt, kroch er vor lauter Seligkeit ganz in sich selbst hinein, sein Kopf verschwand beinahe unter dem Tisch, und dann mit einem zweiten Ruck des Entzückens dehnte er sich wieder so weit aus, daß seine Füße drüben anstießen.

»Wessen Beine sind denn das? Max, wol nicht gar die deinigen? – Doch? Nun das gestehe ich! Wenn du so fortfährst, kannst du dich nächstens mit den Antipoden in Verbindung setzen.« –

Als das Abendessen vorüber war, erschien das begehrte Mehl, schönes weißes Weizenmehl, aber von Nummer Zwei; vom allerbesten und feinsten zum »Vermantschen« zu geben, fiel der Hausfrau nicht ein.

»Vater, bei Richters nehmen sie keinen Ring, da nehmen sie einen Silbergroschen; der ist viel schwerer herauszukriegen.«

»Dann geh' du zu Richters Mehl schneiden, wenn es dir da besser gefällt.« Ein Weilchen sah der durchgefallene Antragsteller »bedrippt« aus, fand aber sehr bald seine unbefangene Fröhlichkeit wieder.

Der Erste, welchen das verhängnißvolle Loos traf, den verschütteten Ring mit dem Munde wieder herauszuholen, war Max. Er unterzog sich der schweren Aufgabe mit vieler Heiterkeit, wühlte in der ungebackenen Mehlspeise schnaubend herum, bekam die Augen voll Puder, und bemehlte sich das Gesicht dermaßen, daß der Junge wahrhaft zum Vergrauen aussah, als er wieder auftauchte, den Goldreif zwischen den Lippen. Prustend wandte er sich ab. »Schmeckt's gut. Maxchen?« fragte Karl theilnahmvoll. Dann wurde sogleich das Mehl wieder zusammengescharrt, frisch geformt, und der Teller machte von Neuem seinen Umgang. So wiederholte sich das Spiel in derselben Weise noch einigemal ohne bemerkenswerthe Abweichung; nur daß Agathe, da sie den Ring zu Falle gebracht, zimperlich that und ihn mit den Fingern statt mit dem Munde holen wollte. Aber ein Sturm allgemeiner Mißbilligung brach los: »ach, das gilt nicht ... das ist schändlich ... nein, so haben wir nicht gewettet, mein Agathchen! ... ach, Agathe, wie du aber auch bist!« Alles Sträuben und Zieren half nichts, und am Ende kostete es ja auch nicht den Kopf. Hübscher hatten wir freilich das gute Kind schon gesehen, als nach Vollendung dieser dreizehnten Herkulesarbeit – mit weißer Nasenspitze, weißer Stirn und weißen Brauen, etwa wie Kolombine, die vom Tölpel Pierrot wirklich einen Kuß hatte hinnehmen müssen. Doch selbst die unschöne Schminke verbarg nicht, wie nett das Jungfräulein sich herausgewachsen.

»Und nun hinweg mit den Possen! Es geht stark auf Zwölf.« Der Zeiger stand zwar erst bei Ein Viertel, das Stundenglas der Bowle war aber bereits weit über Halb leer; diese Art von Zeitmesser geht zuweilen vor, und nachdem ein forschender Blick über den Rand, so gewichtig, als wäre er mit einem Senkblei beschwert gewesen, diese beunruhigende Thatsache festgestellt, tauchte der gemüthliche Vorschlag auf »noch 'n bischen nachzufüllen.« An entscheidender Stelle hieß es jedoch »es wird wol auch so langen, wir wollen das erst austrinken.« Beiläufig die Mischung ist zu empfehlen; wie das Recept selbst besagte, war der Punsch wohlschmeckend, billig und machte keine Kopfschmerzen.

Bei den letzten Athemzügen des scheidenden Jahres ziemte mehr eine stille, ernste Unterhaltung. Ein paarmal kam der Sandmann und streute Schlummerkörner aus, daß Max unfehlbar eingeschlafen sein würde, wäre es nicht ein Ehrenpunkt für ihn gewesen, die schweren Augen mit aller Gewalt eines starken Willens aufzusperren.

»Ja, ja – über's Jahr um diese Zeit wird wieder Manches anders sein!«

»Hoffentlich bin ich dann schon längst über alle Berge,« sagte Karl, dessen Abgang von der Schule nahe bevorstand.

»Wenn Alles gut geht. Unberufen!«

»Doch still! Jetzt muß es den Augenblick schlagen.«

»Da ... hört ihr?«

»Ja wol, ganz deutlich.« Max lief ein köstliches Schaudern über Leib und Leben. Nun rappelte sich auch die alte Hausuhr auf dem Korridor und holte aus zu ihren langgezogenen zwölf Schlägen; die Zimmeruhren stimmten mit ein. Die Nachtwächter schnarrten, auf dem Rathhausthurm bliesen sie einen Choral, und droben am winterlich frostklaren Nachthimmel funkelten die ewigen Sterne.

Der Hausherr erhob sich: »Nun stoßen wir an zum Gruß des neuen Jahres! Sei es uns allen ein glückliches, von Gott gesegnetes! Aber ihr braucht nicht Hoch zu schreien, Jungens, wir werden schon gehört, auch wenn die Gläser nur leise klingen.«

*

 


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