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6.
Wenn es nur der ist.

»Macht nur, macht nur, Gutzeit.«

»Gebunden ist er schon – ist er auch nicht zu fest? Alles, nur nicht das Zopfband zu fest.«

»Ich spüre nichts.«

»Desto besser! Hab' es ja auch wol noch immer getroffen, Herr von Traun?«

»Gutzeit, könnt Ihr Geschriebenes lesen?«

»Doch, Herr von Traun, doch – Gott sei Dank! lesen kann ich, auch ohne Brille.«

»Nun, auf meinem Schilde steht groß und breit: Gottlieb Traun, ich bin nicht Herr von ...«

»Belieben sich vielmehr nur nicht so zu schreiben, sind es aber doch wol eben so gut, wie dero leiblicher Herr Bruder?«

»Keineswegs. Das ist ganz was Anderes. Durch Gnade seiner Majestät des Königs ist der adelige Name meinem Bruder neu bestätigt, sonst hätte er nicht Kornet geschweige denn Offizier werden können. Bei mir gerade umgekehrt: nur der Bürgerliche darf bürgerlich Gewerbe treiben – noch jetzt. Zur Zeit, als ich mich etablirt, war das Alles ja noch viel strenger.«

»Freilich, freilich – erinnere mich ja auch, obschon ich da noch Lehrbursche gewesen, was gab das für ein Aufsehen, als Herr Amtsrath Friese das adelige Gut Schwenten kaufte, so ein angesehener Mann und Landwirth der war und reichgeworden als Pächter der Domäne.«

»Allerdings, die Kammer hatte einen Immediat-Bericht erstattet, worin das Für und Wider reiflichst und allseitig erwogen. Da kam der Bescheid – ein wenig kürzer. Der König hatte eigenhändig an den Rand geschrieben: »Wenn der Friese Geld hat, kann er meinetwegen ganz Westpreußen kaufen.«

»Das war aber nicht der Hochselige?«

»Nein, so schrieb nur der alte Fritz ... Und nun macht, macht – ich habe keine Zeit.«

»Ich auch nicht, Herr von ... Herr Traun wollte ich sagen. Entschuldigen Herr Traun, werde mir's ganz gewiß abgewöhnen, wenn Herr von ... wenn Herr Traun durchaus darauf bestehen. Versäume mich gleichfalls nicht gern, habe noch so viele andere geehrte Herren und Damen zu bedienen – ach ja! auch Damen. Bei manchen ist's ein Plaisir, bei mancher aber auch nicht. Da giebt es welche – ja was soll man aus solchem Kopf machen? Und wenn man Falsches pfundweise zuthut, das dürftige Gesichtchen schaut heraus wie die Maus aus dem Wickel Werg. Von hier springe ich sofort zu Herrn Kammersekretär hinüber, müssen ja auf's Bureau, nicht mit dem Glockenschlag, aber doch Stunde halten. Haben Herr Traun denn schon die Kleopatra von Herrn Kammersekretär gesehen – nicht? O das ist aber was ... Nach der Originalkopie von Excellenz. Bin kein Kenner, aber kann nur sagen: fürtrefflich! ... ein Meisterstück, zumal für einen Dilettanten ... der Liebreiz, das Kolorit, der Turban, dieser Hals, der Busen, die Natter – wundervoll und doch schaudert's einen ordentlich, man glaubt's nicht, daß das Alles nur gemalt – so leibt's und lebt's. Ja, Herr Kammersekretär ist Kenner, nicht nur in der Kunst. Und wissen Herr Traun, was Herr Kammersekretär gesagt hat – gleich, Herr Traun, gleich! 'N bischen plaudern hindert mich nicht, im Gegentheil, auf's Maul geschlagen – auf die Hand geschlagen, leichte Hand ist die halbe Arbeit. Herr Kammersekretär war doch auch auf der Königsrevue zu Mockerau, kam erst Sonntag spät zurück. Als ich dann Montag früh die Ehre hatte – »Gutzeit,« sagte Herr Kammersekretär, »da gab es was zu schauen! Und nicht nur schöne Männer, schöne Uniformen und blanke Waffen – auch andere Augenweide. Nun von der Königin nicht zu reden, die ist erhaben über Alle – auch an äußerer Schönheit und Anmuth ...« Und da wären nur ein paar Damen gewesen, allenfalls und annähernd ihr vergleichbar: die Frau Gemahlin des Herrn Generals von ... von ... der Name fällt mir schon noch ein – thut auch nichts zur Sache. Dann eine Gräfin, auch Militärdame – Herr Kammersekretär wußte den Namen selbst nicht mehr – und – Demoiselle Lottchen ... Begreif's, begreif's, die hat wirklich was Majestätisches. Das haben Demoiselle Hannchen und Demoiselle Riekchen nicht so. Unbemerkt sind sie auch nicht geblieben, alle drei nicht – »unsere drei Grazien unter den Lauben am Markt,« wie Herr Kammersekretär beliebten zu sagen, ich würde mich nicht unterfangen. Also der König und die Königin zeigten sich auf dem Balkon, nachher noch einmal am offenen Fenster nach dem Garten hinaus, und hier hat Herr Kammersekretär in nächster Nähe gestanden und deutlich gehört, wie der König sagte: »da sind sie schon wieder,« und die Königin hat gar huldvoll gelächelt, ja – denn die Majestäten hatten die drei jungen und schönen Mädchen nämlich vorhin auch schon ganz in der ersten Reihe zu bemerken Gelegenheit gehabt. Ja ja – so sagte Herr Kammersekretär, in dessen Wort ich keinen Zweifel setze. Herr Traun selbst werden es freilich am besten wissen?«

»Es ist so gewesen, Ihr braucht es aber nicht Haus bei Haus weiter zu erzählen. Das giebt nur Eitelkeiten. Jugend hat keine Tugend. Da heißt es denn: wir sind ja unter gutem Schutze – nun einmal und nicht wieder! Und jetzt macht auch, daß Ihr endlich fertig werdet! Das dauert ja und dauert ...«

»Sogleich, Herr Traun – er zieht nur noch 'n bischen links. Es brennt mir ja selbst gleichsam unter den Fingern. Habe ich die Morgentour belaufen, was ist nicht noch Alles zu beschicken für heute Abend zum Theater. Es sind »die Jäger«. Haben Herr Traun es schon gesehen? Ein ganz fürtreffliches Stück.«

»Ich gehe nicht zu den Komödianten.«

»Von Iffland, Herr Traun ... würde Sie nicht reuen. Der alte Bachmann als Oberförster ... der verdirbt keine Rolle, ist immer brav, aber da ist er unübertrefflich. Und ob es Herrn Traun nicht just so gehen sollte, wie mir? Demoiselle Bachmann, die jüngste, als Friederike auch charmant, ganz charmant, und doch jedesmal, wenn der Alte sagte: »Riekchen, Goldkind«, habe ich immer an eine andere Demoiselle Riekchen denken müssen. Wer kann wider sein Denken? Nur meiner Minka darf ich's nicht verrathen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Bin ich ein alter Krümper – ist sie die Jüngste auch nicht mehr – eine gute liebe Frau, so eine rechte Hausfrau, aber darin ist sie mal kurios ... den Augenblick, Herr Traun! Er zieht nur noch ein bischen rechts über.«

»Gutzeit, seid Ihr des Henkers? Erst zog er links, jetzt zieht er wieder rechts? Was ist das denn heute mit Euch?«

»Um Vergebung, Herr Traun! Aber Herr Traun werden doch nicht schief gehen wollen? Und wenn Sie's wollten, wenn Herr Traun sich selbst nichts daraus machten – ich mache mir was daraus. Es giebt blos einen einzigen Herrn in der ganzen Stadt, der schief gewickelt gehen darf, ohne eines Friseurs Reputation zu schaden – Ihr Herr Nachbar, der Herr Doctor. Der bindet, flicht und wickelt sich ja sein Rattenschwänzchen allein, will sich von Niemand abhängig machen. Soldat und Doctor müssen jeder Zeit marschfertig sein. Und das ist er bei Gott! habe es an mir und den Meinen erfahren. Wo wäre ich ohne ihn? Was nur menschenmöglich, das hat er gethan, bei Tag und bei Nacht kam er, und als er uns Alle glücklich durchgeschleppt, legt er sich selbst. Wer weiß, ob er sich's nicht von uns aufgelesen? In der einen Nacht ist er ja so schlecht gewesen, zwei Wärterinnen haben bei ihm gewacht, und die guten Frauchen theilten sich bereits redlich in seine Kleider und Wäsche: sie wußten wol, so wie er auf dem Brett liegt, kommt das Gericht. Da greift er nach der Medizinflasche, schüttelt, daß nichts als weißer Schaum drin steht. Und wie die Eine das sieht, will sie ihm eingeben, tritt näher, und ihr Glück, daß sie sich bückte – klirr! die Flasche in tausend Stücken an der Wand, sie war ihr dicht über dem Kopf weggeflogen. Wie das die Andere sieht, will sie ihm einen neuen Eisumschlag machen und bückt sich auch, aber nicht zu ihrem Glück – klatsch! sitzt ihr die Schweinsblase, die er sich wüthend abgerissen mit dem längst wieder lauwarmem Wasser präcise im Gesicht. Diesmal hatte der Kranke besser gezielt, auch schon d'rauf gerechnet, daß sie sich bücken würde: »Arzt, hilf dir selber! Euch infamen Hexen zum Possen, nun fahre ich gerade nicht ab« – und dreht sich auf die andere Seite, schläft runde zwölf Stunden in einem Strich – und wird besser. Dabei gewesen bin ich nicht, aber man erfährt ja Allerlei, und die lieben guten Weiberchen haben überall selbst erzählt, wie schrecklich er phantasirt. Jetzt sieht es ihm Keiner mehr an, wunderbar hat der Mann sich erholt. Macht ja auch wieder Alles mit. Nun sollte er aber heirathen, das Nervenfieberchen sich eine Warnung sein lassen, daß eine Frau manchmal mehr werth, wenn's auch nur eine junge, wie zwei, wenn es auch zwei alte schrumpfelige Wartfrauen sind. Bei der schönen Praxis – für wen legt er zurück? Früher schickte er fort, wir wissen's vom Herrn Postsekretär selber – in's Ausland – seit einiger Zeit nicht mehr. Dürften auch wol kaum mehr viel brauchen in dieser Welt, denen er nicht mehr abgiebt. Vater und Mutter können viele Kinder ernähren, aber viele Kinder können nicht Vater und Mutter ernähren – von der Art ist der nicht. Nun das geht ja wunderschön in den jungen Jahren, aber die Länge trägt die Last: von früh bis spät sich abjagen – Abends in Gesellschaft, was ist das für ein Leben? Er ist ja überall, wenngleich er nicht tanzt und noch immer solch'n Kompliment macht, als hätte er nie dem Tanzmeister viel zu verdienen gegeben. »Benjamin,« hat schon mein Vater selig immer gesagt: »der Mensch wird alt wie 'ne Kuh und lernt immer was dazu, aber eine Menuet tanzen und einen Kratzfuß mit Anstand – hat 's Hänschen nicht schon in Kreuz und Bein, Hans lernt es nimmer mehr« ... Nur noch ein ganz klein bischen toupiren, Herr Traun! – ich weiß ja, nicht mehr und nicht weniger wie immer, nur just, daß es Haltung giebt. Und was das Beste, ja dahinter bin ich auch erst ganz zufällig gekommen. Bei dem viel besprochenen Abschiedsfest, wo nur eine Stimme gewesen: »nein, so was kann doch nur ein genialischer Kopf wie der Herr Baron ...« Ehre dem Ehre gebührt, dem Verdienste seine Krone, aber der erste Anstoß, der ursprüngliche Einfall, gleichsam die Idee, wie Herr Kammersekretär sagt, ist mit nichten vom Herrn Baron – nein! die stammt von ganz wem anders, der zu ihm kam, als Alles schon verpackt in Kisten und Kasten oder auf der Auktion verkauft. Ameublement und Service – Alles fort, kaum noch ein Tisch und 'n paar Stühle für die Herrschaften selbst da. »Etwas leer geworden scheint's mir bei Ihnen – nun in einem wohleingerichteten Hause kann Jeder Gäste aufnehmen, das ist keine Kunst – aber ohne Einrichtung, da würde man sagen: »das ist ein wirkliches Zauberfest« – das wäre so etwas für Sie – jetzt sollten Sie einen Ball geben.« »Da haben Sie auch Recht, das gefällt mir. Ich werde zum Ball einladen lassen, und ich wette, es sagt mir Keiner ab: Jeder wird doch sehen wollen, wie ich das fertig bringe.« »Dann bitten Sie mir aber auch hübsche Mädchen!« »Wen denn, Doctor?« ... »Ja ja, stille Wasser sind tief, oder wie sie in Rußland sagen: stille Wasser haben viel Gewürm.«

»Gutzeit, Gutzeit, ein stilles Wasser seid Ihr nicht, aber habt nicht gar zu viel Gewürm! Treibt's nicht zu weit! Oder ich werde auf meine alten Tage noch ein Modenarr, schaffe Euch ab und gehe ohne Zopf und ohne Toupee, mit natürlichem Haar, wie der neue Assessor.«

»Daß sich Gott erbarm'! Ja natürlich genug geht der, die Kinder laufen ihm auf der Straße nach, wie hinter 'm Kameel mit dem Affen. Schade d'rum – so 'n hübscher Mann, 'ne elegante Figur, und noch dazu königlicher Beamter! Excellenz halten doch sonst auf Conduite. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – aber ein ... unterthänigst um Vergebung, hätte bald was gesagt. Kann auch kommen – warum nicht? Wenn es Mode ist, sitzen die Ochsen im Storchnest, das Kalb liegt in der Wiege, die Heiligen in der Kirche singen Pumpernickel, gehen unfrisirt und ungepudert zum Tische des Herrn – Puderquast und Püster gehören nicht mehr zu meinem Handwerkszeug ... Heute darf ich doch wol noch, Herr Traun –? Nur ganz wenig, ich weiß ja schon – nur so wie 'n Hauch.«

»Und wer macht die Mode, Gutzeit?«

»Der neue Assessor nicht, ich auch nicht – wir Alle nicht. Das sind die Franzosen, die müssen immer was Neues haben – immer etwas Höheres und Feineres: auf den babylonischen Thurm noch 'n Vogelnestchen, statt des Nestchen ein Nest, in's Nest ein Paradiesvogel – je bunter, je länger der Schweif, um so schöner! Und dann mit einmal wieder: Thurm ab, Nest ab, Vogel ab, Kopf ab – Zagel in die Lüschke! Dermalen haben sie ja wieder einen Kopf und eine großen. Der läßt sich nicht frisiren, der frisirt Andere. Meinethalben! Was geht es uns an – so lange er mir und meinen Kollegen nur nicht in's Gewerk pfuscht und über die preußischen Köpfe und Zöpfe kommt! ... Gehorsamer Diener.«

Meister Gutzeit machte eine Verbeugung, nahm mit zierlichem Schwunge den Pudermantel ab, packte den Mantel und seine Siebensachen zusammen, machte noch eine Verbeugung: »empfehle mich ganz gehorsamst, Herr – von Traun,« und der kleine rundliche Mann in weißem Frack, weißer Weste, weißen Hosen und Strümpfen – schwarz, aber auch sehr schwarz waren an ihm nur die Schuhe, die Augen und Augenbrauen – drehte sich zur Thüre hinaus, nach der er während der langen Sitzung oftmals geblickt. Ganz zuletzt machte er noch ein besonders ausdrucksvolles Kompliment gegen Demoiselle Friederike, die so eben durch diese Thür eingetreten. Hatte sie ihm doch einen Zweigröscher in die Hand gedrückt, als er ihr das Zettelchen zusteckte. Auf dem Zettelchen stand: »Komm' gleich ... L.« Er wußte aber schon, dann durfte er nicht zu schnell fertig werden. –

Wußte und ahnte Meister Gutzeit vielleicht auch, was Friederike für ein Gespräch, diesmal nicht mit »der Lotte«, sondern mit Lottchen's Mutter unterdessen gehabt? Es war von den wichtigsten Folgen für Riekchen, wie für unsere Familiengeschichte. Und doch hat sich von der ganzen ernsten und wichtigen Unterredung weiter nichts erhalten, als die wenigen Worte: »Wer ist es denn? ... Und: Wenn es nur der ist.«

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