Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17.
Kräutchen rühr' mich nicht an.

Ueberall blickte bei unserm Töchterlein das Streben durch, sich bildsam der Erziehung unterzuordnen. Von einem fleckenlosen Spiegel der Liebenswürdigkeit war sie denn doch noch recht wohl zu unterscheiden. So wurde jetzt eine Neigung zur Empfindlichkeit an Agathe getadelt, die wir nicht bemerkt hatten, so lange die gute Kleine der Genius mit den bunten Schmetterlingsflügeln des Kinderspiels umgaukelte.

Meistens war Agathe seelenvergnügt, sie konnte so allerliebst mit den kleinsten Kindern spielen und würde noch ganz gerne ihre alten Puppen wieder vorgenommen haben – wenn sie sich nicht geschämt hätte. Doch dann mit einmal wie angeweht, kam ihr ein weinerliches, weiches, gereiztes Wesen. Man ließ das unbeachtet, so lange, es irgend ging, zeigte sie aber ihre Gereiztheit im Benehmen gegen Andere, oder drohte, die üble Laune sich festzusetzen, so genügte nicht immer ein aufmunterndes Wort, ein freundliches Nichtsehenwollen. »Einzige Tochter, sprich es aus, wenn dir etwas fehlt, wenn du Grund zur Klage hast; aber diese Gesichter um nichts und wieder nichts leide ich nicht. Das mußt du dir abgewöhnen. Du siehst aus, als wäre dir die Petersilie verhagelt!«

Ach dann kam sie sich selbst so – so unleidlich vor! Aber beim besten Willen gelang es ihr oft nicht, durch die Kraft des Entschlusses die unbefangene Heiterkeit wieder zu gewinnen! Wer aber das sich zart aufbauende kleine Herz hätte belauschen können, würde gewiß nicht ohne lächelnde Rührung die kindliche Zerknirschung wahrgenommen haben, mit der sie in's Gericht ging mit sich. Sie glaubte bei diesem Mangel an Selbstbeherrschung gänzlich unwerth zu sein – der Ehre, schon nächstes Jahr an dem Vorbereitungsunterricht der Confirmanden Theil zu nehmen.

Ein Jahr ist indessen für diese jungen Wesen im vollsten Wachsthum eine lange Zeit, in der sich noch gar Manches ändern kann. Brauchen die Schwaben nach dem Sprichwort vierzig Jahre, um klug zu werden, so können damit nur die Männer gemeint sein. Die Schwäbischen Mädchen, sagte der Großvater schon immer, kommen eben so schnell wie ihre Schwestern in der ganzen übrigen Welt zu reifem Bewußtsein, ja Kind und Jungfrau sind oft nur durch einen so geringen Zeitraum getrennt, daß sich die kurze Dauer ihrer wunderbaren Umwandlung fast nach Wochen berechnen läßt.

Die Eltern haben jenen launischen Wechsel der Stimmung im Grunde auch immer nur für eine jener vorübergehenden Schwankungen dieses Alters genommen; mit Recht erwarteten sie, Agathe's von kleinauf seelenvolle Natur würde sehr bald den innern Einklang wieder gewinnen, und dann würde es eine noch anmuthigere Harmonie sein, als die unbewußte der Kindheit.

Je jünger und unerfahrener wir aber noch sind, desto größer ist die Neigung, jede gelegentlich hervortretende Schwäche bei Anderen sogleich zu einem moralischen Fehler zu stempeln. »Kräutchen rühr' mich nicht an« nannten die Brüder Agathe in dieser Zeit. Nun ihre Späße werden wol oft so gewesen sein, daß sie Niemand angenehm berühren konnten! Und dafür hießen andere Backfischchen wieder: »Flausenlieschen« – »Strudelkopf« – »Rauschepelz« oder kleine »Sanftmuth«. Agathe erhielt das letztgenannte Beiwort nur ein einziges Mal, wie sie mit dem Fuß aufstampfte bei dem unerhörten Aergerniß, daß die beiden Zipfel des zusammengelegten Umschlagetuches sich nicht sogleich vorschriftsmäßig decken wollten. Wir haben eben alle unsere Schwächen; kein Wunder, daß Mädchen von dreizehn, vierzehn Jahren sich auch hierin dem allgemeinen Loose der Sterblichen nicht entziehen.

*

 


 << zurück weiter >>