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5.
Eine angenehme Gegend.

Der Wald lief aus in ein Eichenwäldchen, dessen Boden ungefähr in gleicher Höhe blieb, während die Straße daneben sich etwas senkte. Oben auf dem Fußpfade, unter den Bäumen in wechselndem Licht und Schatten ging ein Herr, die Arme auf dem Rücken und eine Reisemütze in der Hand, das Haar schlicht frisirt, und sein Zöpfchen, eben nur groß genug zum Bezeigen des guten Willens, sich von der doch noch immer herrschenden Mode nicht geradezu auszuschließen, hing ein wenig windschief über den Kragen seines Ueberrockes von feinem dunkelblauem Tuch. Er schien die Gegend, die sich nun freier aufthat, mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten. Von der nahen Stadt erblickte man bereits die ersten Häuser, rings umgeben von Gärten, sowie den Thurm und das Dach eines mächtigen Domes in der braunrothen Farbe alter Backsteinbauten. Vorher sanftwelliges Hügelland mit Getreidefeldern, noch im lichten Grün des Frühlings, dahinter tauchte ein schmaler Streif der schon üppiger grünenden Niederung auf, und jenseits wieder ferne Höhen in bläulichem Duft.

»Felsen können jene steilen hellschimmernden Abhänge da drüben nicht sein, sie sehen aber fast so aus – und sie sehen schön aus zwischen den dunkeln Waldungen. Das muß ein artiger Punkt sein.« Des Fremden Brust hob sich höher.

Gegen die äußerste Spitze des Eichenhaines wurde nach der andern Seite hin noch ein zweiter Weg sichtbar, der bald darauf mit der großen Landstraße zusammentraf. Ein Bach schlängelte sich im Wiesengrunde, nicht mehr fern von dem kleinen Fluß, in den er sich ergoß. In dem Erlengebüsch hörte man die Nachtigall, doch nur einzelne langgezogene Töne, nicht den vollen Schlag, als sparte sie die schönsten Lieder für den Abend und die Nacht. Und da rauschte ja auch wieder ein Mühlenrad – »Grüß Gott! Das heimelt einen ganz an. Eine angenehme Gegend.«

Von der Brücke, die über den Fluß führte, kam ein junger Gesell, ein derbes Felleisen auf dem Rücken, den Stock in der Hand, grüßte den Herrn und blieb wie dieser unter der Linde am Kreuzwege stehen. Beide schwiegen eine Weile. Da kam aus dem Nebenwege in entgegengesetzter Richtung ein Reiter angesprengt, der hatte einen Strauß im Knopfloch, bunte Bänder flatterten um seinen Hut, bunte Bänder waren auch durch die Mähnen des Pferdes geflochten, dem er nach Bauernart mit den Hacken in die Flanken schlug, und lustig knallte seine Peitsche, die einen kurzen Stiel und eine lange Schnur hatte, etwa wie eine Schlittenpeitsche.

»Was ist das denn für einer?«

»Ein Platzmeister.«

»Was ist ein Platzmeister?«

»Ein Hochzeitbitter vom Lande.«

Das Trappeln verhallte, auch das Bellen der Hunde hörte auf, die eine Zeitlang den Reiter verfolgt: einer nach dem andern kehrte um, wie mit Befriedigung, doch seine Schuldigkeit gethan zu haben, wenngleich ohne namhaften Erfolg, zuletzt der kleinste und häßlichste, der gar nicht genug kriegen zu können schien von dem köstlichen Vergnügen, mit unschädlichem aber desto wüthenderem Kläffen hinterher zu jagen und Staub zu schlucken, immer hart an den blinkenden Hufen, die ihm die aufgewühlte Erde in die Augen warfen, jeden Moment zu einem noch kräftigeren Denkzettel bereit. Einige Tauben, die weggeflogen, doch nicht weit, kamen schon wieder zurück zu den Gleisen eines Wagens, der zur Mühle gefahren, und es war etwas anmuthig Heiteres, gleichsam Lachendes, in dem behaglichen Geräusch der letzten Flügelschläge, ehe sie sich niederließen, die hellrothen Füße schon ausgestreckt zum Absitzen am Boden.

»Und klingt's mir nur im Ohr, oder wird wirklich geläutet?«

»Ich höre nichts – oder doch, ja jetzt dünkt's mich auch, aber es läutet nicht, es bimmelt blos. Das kann nur das Pathenglöckchen sein zu einer Taufe in der Kirche. Wunderbar, daß man es hört, doch das macht, wie der Wind geht. Hätten wir die Luft nicht von der Stadt, würden kaum die großen Glocken bis hierher schallen; und die brummen doch anders – wie gestern, da war ein schönes Begräbniß.«

»Also das ist hier zu Lande auch so? Noch immer werden Kinder geboren und getauft, Brautleute aufgeboten und getraut, und wer nicht heirathen will, braucht nicht – sterben aber müssen alle einmal?«

»Ja wol – mit oder ohne Doctor.«

»Wie viel Aerzte sind da?«

»Zwei, oder eigentlich nur ein rechter, der zweite ist blos ein alter Wundarzt, der hat aber auch viel zu thun, und können oft beide nicht gerathen. Sie sagen wol, die schlimmsten ansteckenden Krankheiten, wie Pest und so was, kommen gar nicht nach unserer Stadt; denn warum? die heilige Dorothea ist in der Domkirche begraben, und die Stadt liegt frei am Berge, hat gute Luft und gutes Wasser. Oft passirt das aber doch nicht wie im vorigen Sommer, als die Gurken blühten: eine Base von mir – sie ist schon ein bischen, was wir nennen »altlachtig«, nun die war schon ganz verzagt, wußte nicht mehr aus und ein. »Da gab der liebe Gott«, sagte sie, »daß die Kinder vom Herrn Bürgermeister die Rötheln kriegten«, denn sie geht für Krankenwärterin. »Und schlechte Zeiten, schlechte Zeiten«, sagte der Schinder, »es fällt nichts« ... Sie sollen ja noch einen ausgeschrieben haben – nicht 'n Schinder, da ist einer genug – Nein nein, noch 'n dritten Doctor – wer weiß, ob sie einen kriegen, und wenn sie einen kriegen, wer weiß noch, wie der sein wird. Die guten sind rar, und was die Quacksalber sind, da heißt's ja wol: gut begraben, besser als schlecht kurirt.«

»Sehr richtig.« An dem einen Auge des Fremden zog sich ein Dreieck heiterer Fältchen zusammen, auch die Wange ging ein wenig in die Höhe. Da der Andere aber nicht auf der Seite stand, konnte er es auch nicht sehen. –

»Wie heißt der Ort? Nicht die Stadt – das weiß ich wol – hier – die nächsten Häuser, wo die Tauben hinfliegen?«

»Das ist Liebenthal.«

»Und der Fluß?«

»Das ist die Liebe.«

»Eine recht angenehme Gegend. Und Ihr wollt in die Fremde, fort von den Ufern der Liebe?«

»Wer nicht fortgeht, kann nicht wiederkommen, und wer sich in der Welt umsehen will, muß es jung thun: im Alter liegt der Knüppel beim Hunde.«

»Auf was für ein Metier wandert Ihr? Bäcker, Schuster oder Schneider seid Ihr nicht.«

»Wieso nicht, Herr?«

»Das sehe ich an den Beinen und der ganzen Haltung.«

»Nein, das bin ich nicht.«

»Schlosser doch auch nicht? Das sieht man Euren Händen an.«

»Nein, Schlosser auch nicht.«

»Aber Schreiner oder Stellmacher – gelt? Das Winkelmaß guckt Euch aus den Augen.«

»Ja Herr, ich bin Tischler. Sie können gut rathen.«

»Ein kunstreiches Handwerk, dazu ich jedem Glück wünsche. Macht brav Wiegen und Brautbettstelle, da arbeitet Ihr mir auch in die Hände.«

»Um Verlaub, was für ein Geschäft hat der Herr?«

»Halb und halb sind wir Kollegen. Ich bin aber nur Sargmacher, und ein schlechter – ich führe meine Kunden bei der Nase herum, suche sie so lange wie möglich über der Erde zu halten, je später sie in die Grube fahren, um so lieber ist es mir – ihnen vielleicht auch.«

»Aha, ich merke ... Nichts für ungut, was ich gesagt habe. Ja ja, das paßt kurios: wer den besten Arzt hat, muß am längsten lauern, bis wir ihm das Kissen mit Hobelspänen stopfen.«

Der Wandernde schob den Daumen der einen Hand unter den Riemen über der Schulter, sich das Felleisen wieder zurecht zu rücken: »wünsche dem Herrn gleichfalls alles Glück,« faßte mit der andern an seinen Hut, schaute noch einmal nach der Vaterstadt zurück und zog dann langsam weiter den sandigen, hie und da mit Wurzeln durchwachsenen Weg hinauf in den Wald.

»Gute Reise – gute Heimkehr! ... Ja der braucht nur wiederzukommen, ich muß mir erst die Heimath suchen.«

Doch der Fremde hatte keine Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Durch den Wald vorausgegangen, ließ er die Post, als sie ihn eingeholt, ruhig an sich vorüberfahren.

Ein Passagier, der so weit gereist, wußte schon, die Pferde lenkten doch gleich wieder von selbst ein beim nächsten Hause; wie überall, wo ein Fichtenzweig am Thürpfosten ausgesteckt, das landübliche Zeichen einer Schenkwirthschaft. Jetzt blies der Postillon, der Fremde machte sich auf. Es war das Försterhaus, bei dem die Post hielt. Eine muntere Gesellschaft saß theils vor der Thür, theils in dem kleinen, von niedrigem Strauchzaune eingehegten Garten an Tischen, die wie die Bänke nicht wackeln konnten, da sie in ländlicher Ursprünglichkeit mit den Füßen ein für allemal fest im Boden wurzelten. Vorne zwischen dem Pförtchen des Zaunes und dem Postwagen standen drei junge Mädchen in weißen Kleidern mit frischen Blumensträußen. Man rief ihnen zu, der Kaffee würde kalt, sie schienen jedoch keine Eile zu haben, sie wollten erst die Post abfahren sehen.

»Was ist da zu sehen? Außer dem alten Schirrmeister mit der Schnapsnase sind ja doch wieder nur anderthalb Spießbürger von Garnsee oder Graudenz.«

»Nein, es kommt noch einer, der ist fremd.«

»Wie ein verkleideter Prinz sieht er nicht aus.«

»Ich halte ihn für einen Zahnarzt, mir soll er nicht viel Zähne reißen.« –

»Kinder, spottet nicht!« –

Der so scharf Gemusterte sah sich die drei jungen Mädchen aber auch an. Die Eine hatte etwas Majestätisches, die Andere hatte etwas Schelmisches, ja fast ein bischen was Verwegenes, die Dritte hatte kastanienbraunes Haar und recht freundliche blaue Augen, und eine war immer hübscher wie die andere.

Wirklich eine sehr angenehme Gegend!

*

 


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