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8.
Tante Malchen.

Wie jedes Jahr feierte auch diesmal die gute Tante das Weihnachtsfest mit uns, und wie jedesmal blieb sie auch dieses Jahr am Sylvesterabend lieber still allein für sich. – Ueber ihrem Schreibtisch hingen drei Pastellbilder. Das eine war der selige Assistenzrath, dem Malchen nicht sehr ähnlich sah, obwol sie es gern hörte, wenn ältere Leute, die den würdigen Herrn noch gekannt, versicherten, die Augen habe sie doch ganz vom Vater, auch »so was um's Profil«. Dachte man sich am zweiten, einem Frauenbildniß, die Haartracht – die ähnlich, wie wir sie an den Porträts der Königin Louise sehen – in Malchen's glatten, tief herabgehenden Scheitel umfrisirt, die Stirn ein wenig flacher, den Mund kleiner und die behagliche Fülle von Gesicht und Brust in etwas sprödere Linien zusammen gezogen, so waren Mutter und Tochter nicht zu verkennen. Aus dem Rahmen des dritten Bildes – es nahm den Platz in der Mitte dicht unter den beiden anderen ein – schaute ein junger Mann im blauen Rock, dessen Schnitt nach jetziger Mode ziemlich plump erscheinen würde, in gelber Weste mit Perlmutterknöpfen und hoher weißer Halsbinde, deren Schleife in ein paar gestickte Zipfel ausging. Er hatte schwarz braunes weichgelocktes, nicht sehr volles Haar, feine Züge, eine zarte Röthe und jene eigentümlich vergeistigte Klarheit des Blickes, die schon so mancher anscheinend blühenden Lebenskraft ein verhängnißvolles Vorzeichen war. Den Mund fanden Andere leider stark verzeichnet, Malchen nicht, und hielt sie vollends die Hand über den untern Theil des Gesichts, immer höher und höher, bis fast gar nichts mehr übrig blieb, so war es »sprechend«.

Malchen bekränzte alle drei Bilder mit Immergrün, dann nahm sie aus einem innern Schubfach ihres Schreibtisches, das mit seinem besonderen kleinen Schlüssel aufgeschlossen werden mußte, eine Mappe, welche wieder ein noch kleineres Schlüsselchen öffnete – es mochten wol Werthpapiere sein, die mit dieser außerordentlichen Sorgfalt aufbewahrt wurden, und das waren sie auch – für Malchen. Sie würde die alten Briefe um keinen Preis hingegeben haben, und hätte man ihr jeden Stockflecken im vergilbten Papier mit Gold belegt. Wie oft hatte sie diese Zeilen schon gelesen – sie las sie immer wieder, Wort für Wort, vom Datum bis zum letzten und allerletzten Gruß, für den nur noch ein Plätzchen auf der Innenseite des Couverts offen geblieben, und mehrere dieser Couvertstückchen waren sauber abgeschnitten und mit himmelblauer Seide dem Hauptdocument angeheftet, damit auch nicht das geringste Bruchtheilchen der kostbaren Reliquien verloren ging. Mit der nämlichen Pietät und peinlichen Eigenheit war für ein paar andere kleine Einlagen gesorgt. Einer der Briefe enthielt ein ganz vertrocknetes Blümchen: der winzige Kelch wie der Stengel waren zusammengeschrumpft. Man erkannte die ursprüngliche Farbe gar nicht mehr und kaum noch die Form der Erstlingsblüthen des Frühlings – vor zwanzig Jahren. »Das erste selbst gepflückte Veilchen« stand auf dem Umschlag. Ein zweiter eben so kleiner Umschlag – beide waren nicht größer als eine Visitenkarte – trug die Aufschrift: »Mühlitten, den 3. August 1823.« Malchen konnte sich wieder nicht genug freuen und wundern, wie gut sich der Vierklee hielt – das Zeichen des einst in frohen Jugendtagen gefundenen, ach nur zu bald wieder verlorenen Glücks. War es wirklich ein Wunder oder eine freundliche Täuschung und einfach dadurch zu erklären, daß der vierblätterige Klee kunstgerechter als das Veilchen auf Watte gepreßt worden? Gleichviel, es that der lieben Seele so wohl, auch noch im erstorbenen Grün ferner Vergangenheit etwas Unverwelkliches zu erblicken! Nachdem Malchen all der theuren Heimgegangenen mit stiller Erbauung gedacht, verwahrte sie ihre Schätze wieder und schrieb dann noch bis zur ersten Stunde des neuen Jahres. »Und so kann ich ja nur dankbar auf meine Tage blicken,« schloß sie. Ohne Kampf ist mein Leben nicht – und soll es nicht sein. Allein prüfe ich mich genau, so finde ich die Quelle von Kummer, Ungeduld und Mißmuth meistentheils im eigenen schwachen Herzen – in zu hohen Ansprüchen nach verschiedenen Seiten hin. Wollte ich nur stets das Zeitliche dem Ewigen unterordnen und aller Eitelkeit der Welt entsagen, läge mir nur an des Herrn Wohlgefallen Alles, an dem der Menschen weniger, und liebte ich die Menschen recht selbstlos – nur um Gottes willen, nicht um meinetwillen, gewiß, mein innerer Friede würde festeren Bestand haben, immer reiner und ungetrübter werden. Doch kommt dieselbe Einsicht wol auch in anderen Lebenslagen. Alles in Allem muß ich nicht trotzdem wahrhaft staunen, wie reich der Herr mich noch gemacht, und wie viel Er mir doch noch zu lieben gegeben!« –

Ja, auch Malchen hatte ihre Liebesgeschichte gehabt, die sehr glücklich anfing, aber traurig endete. Sie war verlobt – der begabte, hoffnungsvolle junge Mann starb. Nachher bewarb sich noch ein anderer wackerer Mann um sie, und hätte er nur etwas gewartet – wer weiß, was geschehen wäre, aber es war noch zu früh. Dann kam keiner mehr; die Jahre vergingen, und so wurde es zu spät, die schöne liebenswürdige Amalie wurde ganz sachte und allgemach unsere gute Tante Malchen: –

Tante Malchen, mit den unzähligen feinen Schrammen und Schrämmchen im Gesicht, die sammt und sonders so sehr gewöhnt, immer nur freundlich zu lächeln, daß sie sich gegen jeden unfreundlichen oder gar ein bischen boshaften Zug gleichsam auf's Aeußerste zur Wehr setzten: – das war nun einmal gänzlich wider Natur und Strich dieser menschenfreundlichsten aller Krähenfüßchen –

Tante Malchen, die überall Begehrte, stets Willkommene, die aber doch nie das zarteste Gefühl dafür verlor, wo ihre Gegenwart gerade am meisten nothwendig, nützlich, angenehm oder überflüssig war –

Tante Malchen, die alle Geburts-, Tauf-, Hochzeits- und Sterbetage unseres wie so vieler anderer Häuser mit unfehlbarer Sicherheit im Kopfe hatte und den Ehrentitel eines alten »Haus- und Geschichtskalenders«, den sie sich selbst beigelegt, vollkommen verdiente –

Tante Malchen »mit der glücklichen Hand«, der was sie auch säen und pflanzen mochte, immer gut auf- und fortging, die in jeder bekannten Manier nähte, strickte, stickte und häkelte, und wenn etwas Neues aufkam, »Alles gleich konnte, so wie sie's nur einmal sah« –

Tante Malchen, die Blumenfreundin, deren Stübchen zu keiner Zeit des Jahres den Schmuck von etwas Blühendem entbehrte, und bei der selbst in den kürzesten trübsten Tagen, wo Niemand anders mehr Blumen hatte, es doch noch immer mindestens noch Reseda und – Fleckwasser roch; denn sie war »sehr, sehr eigen und sauber« –

Tante Malchen, die Begründerin unserer Kinderbewahranstalt und eins der eifrigsten Vorstandsmitglieder der Armenschule –

Tante Malchen, die in den Hütten der Armuth so gut Bescheid wußte, wie in den Krankenstuben ihrer Freunde ... mit einem Wort: Tante Malchen, das gerade Gegentheil von der »alten Jungfer, wie sie im Buche steht«, und wie sie das Lustspielpublikum noch immer nicht müde wird, auf das Herzlichste zu belachen.

Einst hatte die Gute auch uns die bange Sorge um ein theures Leben mit wahrhaft schwesterlicher Liebe und Treue tragen helfen. »Malchen, das werde ich dir nie vergessen!« sagte die Hausfrau, gab ihr die Hand, und sie sahen sich an mit so recht aus Grund der Seele aufleuchtenden Blicken. Und wie dann Malchen – sie hatte schon den Mantel um, den schwarzen Hut auf und die Handschuhe an – Jedem von uns freundlich zunickte, und die kleine behende Gestalt elastischen Schritts mit der ihr eigenen, ein wenig pedantischen Zierlichkeit sich rasch zur Thüre bewegte, um ein Haus weiter zu gehen – bei Rademachers konnte man auch wieder eine geschickte und unermüdliche Pflegerin nur zu gut brauchen – da bedauerten wir Alle mehr als gewöhnlich, daß Keiner von uns der Papst war. Wir hätten sie gar zu gern in aller Form heilig gesprochen.

Nur in einer Beziehung mußte man sehr vorsichtig mit Malchen sein und ihr um's Himmels willen seine Erkenntlichkeit nicht etwa durch große Geschenke bezeigen: das konnte sie nun einmal nicht vertragen.

»Malchen, Sie sind ein peinlicher Wurm,« sagte die Großmutter, »aber jedes Thierchen hat seine Manierchen! Gut bleiben wir Ihnen doch – nicht wahr, Kinder?«

Ein Widerspruch von dieser Seite her war denn auch kaum zu besorgen. Und wie die »goldene kleine Tante« selten von einem auswärtigen Besuch zurückkehrte, ohne neue sehr anziehende und ausführliche Berichte über irgend »ein entzückendes Dingchen«, von dessen Liebenswürdigkeit wir bisher viel zu wenig erfahren, ja von dessen Vorhandensein in dieser wunderlichen Welt wir wol nicht einmal durch die Geburtsanzeige Kenntniß erhalten – so ließ es auch umgekehrt die liebe Jugend nicht daran fehlen, Malchen's warme Gesinnungen auf das Herzlichste zu erwidern. »Tante, warum ziehst du eigentlich nicht ganz zu uns« – »Tantchen, du bist reizend« – »Tante Malchen, weißt du, du siehst wirklich noch aus, als wärst du nicht älter wie Achtzehn, wenn man deine hübsche Figur – von hinten her sieht.« Ja Bernhard, als er »noch klein war«, erklärte einst: »liebe Tante, wenn ich mal heirathe, so heirathe ich keine Andere als dich, oder sie muß wenigstens auch Malchen heißen.« Bald darauf verreiste Malchen und blieb ein ganzes Jahr, wo nicht noch länger fort. Als sie dann aber wieder kam, war die Begrüßung mit ihrem kleinen Verehrer eigenthümlich: »o geh' nur, geh', ich sehe schon, du bist sehr unartig geworden.« Der gute Junge fühlte sich tief verletzt. Er begriff noch nicht, daß auch die herzlichste Liebe keineswegs anziehender wird durch einen Mund voller Zahnlücken, einen Schorf zwischen Lippe und Nase und ein Gesicht wie ein Putenei, bunt gesprenkelt, als wären die Sommersprossen mit dem Maurerpinsel darüber ausgespritzt. »Ja, ja – allmälig wird man klug und läßt die kleinen Liebhaber bei Zeiten laufen, ehe sie groß werden und uns laufen lassen.« Denn sie konnte auch recht heiter, in ihrer Weise schalkhaft sein, trotz der »strengen Richtung« und trotz des »Jagdjunkers«. So nannte unser alter Hausfreund die »Betrachtungen«, aus denen sie den jungen und älteren Mädchen in ernsten Stunden vorlas. Das Buch hatte einen grünen, mit Gold verzierten Einband.

Aurelie Jäscheck verblühte schnell. Unserer Agathe that sie in der Seele leid, und dies Mitgefühl kam aufrichtiger Freundschaft nahe, als die glückliche Braut an der früheren Gefallsüchtigen und vermeintlichen – Nebenbuhlerin eine gänzliche innere Umkehr wahrzunehmen glaubte. Und dem schien wirklich so zu sein; man hätte sonst Aurelie doch nicht fortwährend mit Malchen zusammen gesehen. Auch den jungen Männern entging das nicht, und es war nicht das Mildeste, aber auch nicht das Schärfste, was darüber bemerkt wurde, wenn unser Ferdinand meinte: »sie lernt wol alte Jungfer bei der Tante.« Er kam aber schön an! »Du hast Recht, mein Sohn, da es auch den besten jungen Mädchen, die nicht heirathen, leicht passirt, alte Mädchen zu werden, so wüßte ich nicht, an wem sich deine Schwester ein schöneres Vorbild nehmen könnten,« sagte der Vater, und der Onkel Major setzte noch einen kleinen sanften Drucker auf: »gewiß thut die Aurelie gescheiter, mit der Malchen zu verkehren und sich nach der zu richten als nach ihrer eigenen Tante; ich habe selber in grauer Vorzeit schmählich die Cour geschnitten, aber jetzt hat meine alte Flamme doch Schrullen und Mucken – na, es ist nicht auf 'ner Bullenhaut zu beschreiben ... Nun nun, seht mich nur nicht Alle so groß an! Ich habe mit Absicht ein Notiztäfelchen gewählt von etwas derbem Leder – nicht um aus demselben Horn zu blasen wie unser Oekonom, auch nicht um Malchen noch mehr herauszustreichen. Das hat sie nicht nöthig. Wenn aber unsere lieben Nichten und Töchter von gar keiner andern Sorte alter Jungfern etwas zu sehen und zu hören bekommen, wer steht uns dafür, daß sie nicht am Ende die glänzendsten Partien ausschlagen, blos um auch so eine Art Tante Malchen zu werden!«

»Aber Onkel!«

»Hab' ich nicht recht, trautster Bruder?«

»Lassen wir die Nichten Nichten – und die Töchter Töchter sein bis auf weiteres, aber das ist wahr« – und der Vater, der mit der rechten Hand die lange Pfeife hielt, in patriarchalischer Würde wie das Scepter des Hauses, hatte doch die linke mit dem goldenen Reif am Finger frei für die Mutter, die sie auch sogleich ergriff und küssen wollte – und wirklich küßte – der Vater wehrte sich gar nicht, wie er in frühern Jahren gethan, und dann begann er von Neuem ... »Aber das ist wahr und leugne ich nicht, es ist mir doch ganz lieb, Herzchen, daß ich dich genommen habe. Denn bei der größten Hochschätzung und Verehrung unserer guten Malchen wie einer Jeden, die ihr gleicht – eine rechte deutsche Hausfrau ist auch nicht zu verachten.«

*

 


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