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22.
Der Regenbogen.

Unser alter Hausfreund lag zu Bett. Der liebe Herr Nachbar saß auf dem Stuhl neben dem Bette.

»Die Lerche könnte ich allenfalls noch hören an einem schönen Märztage, wenn Alles ganz still, und das Fenster in der andern Stube offen.« Der alte Herr faßte mit beiden Händen das Tuch, das am Fuß-Ende der Bettstelle befestigt, richtete sich auf und sah mit erloschenem Blick seinen lieben Herrn Nachbarn an. »Ich hörte sie gerne noch einmal. Die Lerche ist mir lieber, als die Nachtigall, von der viel zu viel Wesens gemacht wird, wie von Vielem – weil die Grünschnäbel das Wort führen. Nun, die Nachtigall warte ich nicht mehr ab. Was der März nicht will, holt der April. Wenn die Steineiche – Sie wissen schon, welche – das ist immer die letzte, die Frühlingsmode mitzumachen – wenn die Steineiche wieder ihre grüne Florkappe überstreift, denken Sie an mich: dann bin ich nicht mehr da, mein Urlaub und Nachurlaub sind abgelaufen. Blumen und blühende Bäume sehe ich nicht mehr – wozu brauche ich die auch noch? Auf das Todtenbett, auf den Sarg, in die Gruft eines unschuldigen Knaben, eines Kindes, einer Jungfrau gehören Strauß und Kranz – nicht auf die sechs Bretter und zwei Brettchen eines morschen abgelebten Greises. Daß sich Keiner untersteht ...«

Doch ehe der alte Herr den Satz vollendet, wurde er wie von einem innerlichen Stoß zur Seite geworfen und griff hastig nach jenem, ihm zu Füßen eingeknüpften Tuche. Ohne diesen Halt wäre er mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Er erholte sich aber gleich wieder. Der liebe Herr Nachbar stand auf. Beide nickten sich zu – ein stiller Händedruck – und der Kranke war wieder allein. Die alte treue Magd saß im andern Zimmer. Aehnliche Zufälle hatte er schon öfter, und es ging immer wieder vorüber. Tief erschüttert war seine Lebenskraft dennoch seit lange, sein Ende nicht mehr fern, wenn auch nicht ganz so nahe, als er glaubte. – Seine letzten verständlichen Worte sind gewesen: »Der Moment rückt immer näher ... guten Morgen, Schwesterchen!«

Und als nun eines Morgens der Laden des einen Fensters in des alten Herrn Schlafstube geschlossen blieb, die am andern herabgelassenen Vorhänge leicht wehten und nun stärker flatterten, wie die Thür aufging – als ein Mann eintrat auf den Zehen, mit leisester Behutsamkeit, ein Mann im langen grauen Rock, die Mütze mit großem viereckigen Schirm in der Linken, während die Rechte über den kahlen Scheitel fuhr und das von einem schwarzen Kamme gehaltene, in den Nacken fallende, gelblichgraue Haar zurückstrich, als diese welke, trotz des gemischten Geruches von Möbelpolitur und eines kleinen Morgenschnäpschens, zitternde Hand, deren Adern, Sehnen und Knöchel unter ihrer faltigen Haut zu Tage lagen wie ein anatomisches Präparat, den Zollstock aus dem Stiefel zog und an das Bett hielt, ein paar Mal nacheinander, worauf der Mann seine unter buschigen, eisgrauen Brauen zwickernden Augen wischte: »ich nahm dem Vater und der Mutter das Maß – muß ich's nun auch noch dem jungen Herrn nehmen« – da lag doch ein Blumenstrauß auf dem Bette »des jungen Herrn«.

Und als nun den dritten Tag darauf draußen in der Vorstadt in einem langen, hellgestrichenen Staketenzaune das Thor weit offen, in der Mitte des offenen Thores ein kleiner hagerer, aber fester Mann ernst, ruhig und kühl dastand, wie wenn er etwas erwartete – ernst, ruhig und kühl sein blaugewürfeltes Tuch hervorzog, mit beiden Händen um die Nase legte und ebenso ernst, ruhig, ja feierlich sich schneuzte – ernst und ruhig über den Fahrdamm schritt nach der andern Seite, wo der Boden sich ein wenig erhob, und man die Straße, die nicht ganz gerade, besser übersehen konnte, ernst und ruhig zurück ging, sich wieder kühl erwartungsvoll in die Mitte des offenen Thores stellte und ernst, ruhig, ja feierlich ausspie: – da hatte doch auch schon die Steineiche, die ihre knorrigen Aeste über den Kirchhofzaun breitete, und »die immer zuletzt die Frühlingsmode mitmachte, ihre grüne Florkappe übergestreift«.

Und als nun der vom Meister Todtengräber erwartete Zug, der Anfangs wie eine einzige dunkle Masse erschien, sich entfaltete – voraus allerlei Leute, die ab und zu still standen, sich umkehrten, weiter gingen, wieder still standen, sich wieder umsahen und wieder vorausgingen – dann vier Pferde, lang gespannt und schwarz verhüllt bis auf die Ohrenspitzen, die in besonderen schwarzen Futteralen steckten, geführt von Knechten in schwarzen Radmänteln, dann der schwarze niedrige Wagen mit schwarzer Sammetdecke, auf dem der schwarze Sarg – und so Alles schwarz, schwarz und wieder schwarz: – da waren die schwarzen »sechs Bretter und zwei Brettchen« doch von einem schönen frischen Kranze umwunden.

Und als nun der düstere Zug am Thore hielt, als die Herren vom Gewerke, die so lange neben dem Leichenwagen gingen, in angemessenem Abstand, jeder ein weißes, durch die Sargringe geschlungenes Tuch in der Hand, sich jetzt anders ordneten, den Sarg abnahmen vom Wagen, auf die Bahre stellten, die Bahre auf die Schultern hoben, murmelnd die Last noch gleichmäßiger vertheilten und sich dann in Bewegung setzten – ihre Trauerflöre flattern, ihre langen Frackschöße pendeln nach dem festen Takt ihres gespreizten Paradeschrittes, der dröhnend das unregelmäßige leise Schlarren »der Folge« übertönt: – da haben all die Zweige, die sich zu einem blühenden Laubgange wölben und die fernen, in bläulichem Morgenduft schimmernden jenseitigen Höhen umrahmen – doch »sich unterstanden«, den ganzen Weg bunt auszustreuen auch für den »morschen abgelebten Greis«.

Und als nun der Sarg schon über der schauerlichen Tiefe schwebte, nur gehalten noch von zwei Rollstangen, die quer über die Gruft gelegt auf die ausgeworfene Erde, als der Geistliche sprach – seine Stimme war wol kaum stark und durchdringend genug im Freien vor einer so weit vertheilten Menschenmenge – das eine immer wiederkehrende Wort verstanden doch auch die Entferntesten weit über den nächsten Kreis hinaus: »laß dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist mächtig im Schwachen,« – als dann Alle das Haupt entblößten beim Schlußgebet und Segen – als der Sonnenschein verschwand, ferner Donner rollte, der Jüngste vom Gewerk hinabsprang, die weißen Tücher löste, die Tücher hinaufgezogen aus den blanken metallenen Sargringen glitten, eine Hand voll Erde nach der andern lose und leicht – wie ihm die Erde sei für und für, der darunter ruht! – auf den Sarg fiel, und die ersten schweren Schollen hinabpolterten: – da schlug doch die Nachtigall – »von der viel zu viel Wesens gemacht wird, wie von Vielem, weil die Grünschnäbel das Wort führen«. Leise hatte sie angefangen, aber der schwermüthige Rhythmus im verhallenden Klang der Grabrede schien sie zum Wetteifer anzureizen. Und so schlug sie immer lauter, immer schöner, immer eifriger, auch in ihrer weichsten Tonart gleichsam die Freude dieses kurzen Erdendaseins preisend. –

Beim Zurückgehen vom Kirchhofe spannten Einige die Schirme auf, Andere nicht. Die sie aufgespannt, machten sie bald wieder zu. Es war nur ein leichter Strichregen. Und wie wir so weit in der Stadt, daß man das Haus schon sehen konnte, aus dessen kleinen Giebelfenstern unser alter Freund nun nicht mehr sah und nie mehr sehen wird, schien die Sonne bereits wieder. Ueber dem rothen Dache und dem gelben Giebel wölbte sich in leuchtenden Farben auf dunkelm Grunde das Zeichen, von dem geschrieben steht: Und wann es kommt, daß ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken.

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