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25.
Familientag.

Das war ein ereignißloser Winter: keine Gesellschaft, kein Ball, keine Maskerade, keine Schlittenfahrt, keine Hochzeit, nicht einmal eine Verlobung. Endlich war doch eine Braut – mit wem? »Ach es soll ja ein Funfziger sein.« »Mein Tochterchen, wenn ein Funfziger kommt, nimm ihn. Wenn er aber nicht kommt, dann nimm ihn doch nicht.« An Ereignissen anderer Art war dieser ereignißlose Winter reicher, aber noch lange nicht ereignisreich genug. Warum wurde Paris nicht bombardirt? Die gute Mutter konnte es schon gar nicht mehr erwarten – dieselbe gute Mutter, die vor nicht so sehr vielen Jahren in ihrer Friedensliebe selbst dem Vater ein wenig zu weit ging, der doch auch nicht für den Krieg um jeden Preis. Da hatte sie ganz unbefangen erklärt: ach, wenn wir auch schon keine Großmacht bleiben, wenn wir nur Ruhe und Frieden im Lande behalten.« Aber sollten unsere lieben Jungen denn ewig draußen campiren mit eiskalten Füßen, sich in die Hände hauchen und die Arme um den Leib schlagen wie die Holzbauern im Walde, dicht vor den Thoren der schönsten Stadt der Welt?

Endlich sahen die Heerführer ein, die gute Mutter hatte Recht, folgten ihrem Rath, gönnten dem schweren Geschütze auch ein Wort – und Paris ließ mit sich reden.

Endlich war genug geschossen, gehauen und gestochen, genug Pulver und Blei verpufft – auch Einiges an edleren Metallen, womit einem armen Manne hätte geholfen werden können für's Erste – genug Festungswälle und Mauern, genug friedliche Häuser und Höfe zerstört, genug Weinberge und wohlbestellte Aecker verwüstet, genug Bäume umgehauen – in etwas weniger Zeit, als bis sie so weit waren. Schatten zu geben und Früchte zu tragen, genug Menschen gefallen oder avancirt zu Krüppeln auf Lebenszeit, auch ein wenig schneller, als Rekruten zu tüchtigen Soldaten gedrillt und Kinder zu Männern werden.

Ja viele, viele blieben, kamen nicht wieder! Aber noch mehr Gott sei Dank! blieben – heil und gesund und bei so guter Laune, daß die Alten zu Hause oftmals nicht umhinkonnten, so sehr die guten Nachrichten sie erfreuten, den Kopf zu schütteln, wie die Jugend von heute mit fast ängstlicher Scheu Alles mied, was auch nur entfernt an den hohen Ton von Leier und Schwert hätte erinnern können. Es lag kein Tadel darin, es war nur ein leise bedauerndes, vielleicht von unwillkürlicher heimlicher Bewunderung nicht ganz freies Befremden. Am unverhohlensten wurde diese gemischte Stimmung ausgedrückt von einem alten Herrn, der sonst nicht schmeichelte. »Ohne Enthusiasmus und Pietät, altklug, glühend bei der Bowle, nachlässig zur kleinsten Pflichterfüllung, aber stets, überall und für Alles mit einem elenden Witze bereit« – so hatte er unsere Jugend bis dahin charakterisirt und jetzt brummte er: »das ist wahr, geschlagen haben sie sich gut, die infamen Bengels.« Wie oft hieß es von den jungen Helden und ihren ruhmreichen Thaten »über jedes Lob erhaben«. Diese »infamen Bengels« wogen doch vielleicht noch etwas schwerer – umsomehr, wenn man die gesammte rosige Weltanschauung des »Sanguinikers« kannte. So wurde der alte Herr genannt, dessen Refrain seit Jahren: »Alles kernfaul und wipfeldürr von oben bis unten, von unten bis oben – in der Bel-Etage erst recht. Am ersten nehme ich noch den gemeinen Mann aus, da sitzt noch der alte Preuße. Die unschädlichsten sind die Schreier: laß die Hühner kakeln, wenn wir nur die Eier haben. Laß die Köter kläffen – je mehr sie das Maul reißen, sagte der eitle Reitersmann, der durch die Straße galoppirte – je mehr schöne Frauen und Mädchen kommen an das Fenster, die sonst gar nicht mal nach mir ausgeschaut ... Höher 'rupp, höher 'rupp! Wir stehen an einem Abgrunde. Es gehen Dinge vor – Dinge, Brüderchen – da ist Hochverrath ein Kinderspiel gegen, und Kindermord ein reiner Junggeselle ... Ich speie der Menschheit in's Angesicht.« »Bitte, sagte Herr Engelrecht der ältere, erlaube nur, Brüderchen, daß ich etwas zur Seite trete.«

Endlich hieß es, ein Theil der Landwehr würde entlassen werden, dann: sie wären entlassen, dann: sie sollten nun kommen, und nun kamen sie. Ein festlicher Empfang war vorbereitet. Viele gingen ihnen entgegen, Andere erwarteten sie unten an der Brücke, am Thore oder auf dem Markt. Und hier hatten sich auch die Frauen aus einem unserer Stadtdörfer aufgestellt, die von sich hatten reden machen einige Jahre früher. Ihre Männer waren eingezogen, sie zogen mit bis zur Bahn und wollten auch weiter mit. Es wurde ihnen gesagt, sie sollten vernünftig sein und ruhig nach Hause gehen. Keine Möglichkeit, sie zur Vernunft zu bringen: »Wo unsere Männer, unsere und unserer Kinder Ernährer bleiben, bleiben wir auch, wer die satt macht, kann uns auch satt machen, wir fahren mit, mag es werden, wie es will.« »Gut, wenn ihr denn durchaus mit wollt – aber ihr müßt den Augenblick still sein, aber auch ganz still! Wer noch weiter heult und schreit, bleibt hier. St! – kein Muck mehr! ... So – so ist's recht. Es wird nur noch ein Wagen angehängt. Und jetzt einsteigen! Fehlt auch keine? Es wäre Schade.« – Fertig! Das schrille Pfeifchen ertönt – der Zug fährt ab. Doch wie sie so eine gute Strecke draußen sind, nimmt die Geschwindigkeit wieder ab, es geht langsamer und langsamer ... »Herr Gott, was ist? Der Zug wird doch nicht halten mitten im freien Felde?« ... Nein der Zug nicht – nur das angehängte Damencoupé, das wieder abgehakt ist.

Jetzt war das nun anders in diesem letzten Kriege. Der Schulmeister desselben Stadtdorfes hatte gar nicht gerathen können mit all' den Aufträgen, die er als Geheimbriefsteller erhielt. Dutzendweise schrieb er nach dem gleichen Formulare: »Vielgeliebter Mann, mit Freuden ersehe ich aus deinen werthen Zeilen vom ... daß du auch aus dieser Schlacht – oder: aus diesem Gefecht – mit Gottes Hilfe lebend, gesund und, was die Hauptsache ist, siegreich hervorgegangen ...« So gut hatten die guten Frauen inzwischen gelernt »was die Hauptsache ist«.

Nur einer dieser guten Frauen war etwas auch bei dem diesmaligen Aufgebot und Auszuge schwer zu verwinden. In der Ordre des Mannes stand: »Angesichts dieses ...« So konnten sie nicht einmal mehr, was sie so gern gethan, noch ihr Kind vorher taufen. »Aber – sagte die Frau und hat es nachher noch häufig, nur in etwas anderem Tone wiederholt – Andere haben doch noch erst taufen lassen und sind trotzdem zur rechten Zeit auf dem Platze gewesen.« Nun Gottlob! jetzt war er ja wieder da – und wie war er da! Einen Kranz um das Gewehr, der war nicht klein, aber doch nur winzig gegen den, welchen er als Bandelier wie den gerollten Mantel um die Schultern trug, auch nicht viel dünner wie die dicke Mantelrolle. Der war ihm bereits auf der letzten Station übergestreift, und ließ sich nicht zurückweisen, besonders nicht ohne zugleich zu danken für ein von denselben zarten Händen kredenztes Seidel Königsberger Bier, frisch vom Faß, nebst einem derben Schinkenbrod. Aber wie sie nun in die Stadt einrücken und auf dem Markte Halt machen, und die Frau steht da mit dem Kinde – im Nu sind die Schultern befreit von der ruhmschweren Bürde, auch das Gewehr einem Knaben, Bruder, Schwager – oder was er sein mag – übergeben, der es sogleich schultert mit so reglementswidrigen Griffen wie nur möglich, aber mit unendlichem Diensteifer. Der Vater nimmt das Kind auf den Arm: »Wir wollen nach Hause gehen,« sagt er mit einer Ruhe, die einigermaßen absticht gegen den Jubel ringsum und gegen sein eigenes Freude strahlendes, glühendes Gesicht, und im Gehen rückt er sich die Mütze mit dem Landwehrkreuz wieder zurecht, die ihm bei einem Haar vom Kopfe gefallen, wie er Kranz und Mantel so hastig abstreifte. Wäre sie gefallen, hätte auch nichts geschadet; es war ja nicht auf Parade. Und bald hing die alte Mütze wieder am Nagel in der Kammer, um so Gott will! nicht so schnell wieder mobil zu werden, als wenn es etwa gilt, mit derselben Präcision im kleinen Dienste die Motten aus dem Monturtuche zu klopfen, wie so eben im großen Dienste die anderen alten ungebetenen Gäste ausgeklopft wurden – diesmal jedoch schon vor der Schwelle des Hauses. Es stäubt nicht so. –

Endlich waren auch die Alten wieder da, die nicht, wie die meisten anderen Alten, der Armee nur gefolgt, die Zeitung in der Hand, die Karte vor sich am warmen Ofen zu Hause. Sie selbst waren draußen mit dabei gewesen und mochten auch ihres Theils ein wenig mitgeholfen haben, Freund und Feind zu zeigen, »was die Hauptsache ist«, nicht minder wie unser Stadtdorfschullehrer, der sich der hohen Bedeutung seines schönen Berufes wohlbewußt, doch einigermaßen überrascht schien, als ihm nun von allen Seiten gesagt wurde, daß »der Schulmeister eigentlich die ganze Geschichte allein gemacht«. –

Endlich hatte es genug gefroren und geschneit, genug geschneit und gefroren. Endlich war es Frühling, und der Frühling brachte auf seinem schönsten Blatte den Frieden. Da hielt es das einige Deutschland an der Zeit, auch einmal wieder einen Familientag auszuschreiben. Und der war recht zahlreich besucht, so zahlreich wie lange keiner. Es wurden da auch ziemlich viel Reden gehalten. Jetzt sagte aber kein Mensch mehr: die Deutschen reden und reden so viel – viel Reden füllt keinen Sack.

Vor Allen nun erhob sich das Familienhaupt und sprach: »Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, und wir wollen es nicht nur sein wir sind es und wollen es bleiben. Das walte Gott!«

*

 


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