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4.
Die Schwiegertochter.

Frau Perwitt, die uns besucht, empfahl sich. »Nun leben Sie wohl, bleiben Sie hübsch gesund und grüßen Sie Ihre lieben Kinder! Auch das junge Pärchen – sie haben uns zwar noch nicht die Ehre erwiesen. Ich verdenke es ihnen gar nicht. Wir kennen das, in den Honigwochen sind sie sich allein genug. Die Zeit kommt doch schon, wo man auch ganz gerne wieder unter Leute geht. Und wenn sie's bis Ostern aufschieben und thun es dann aus freien Stücken, weil's ihnen wirklich so um's Herz ist, freut es mich hundertmal mehr, als wenn sie schon längst gekommen wären mit Stöhnen und Seufzen wie der Bauer in den Thurm: »Herr Gott! wir müssen ja zu den alten Perwitts.« Wie ich, mein Mann und wir Alle über das Frauchen denken, wissen Sie – schon als Braut eroberte sie alle Herzen im Sturm. Ihr lieber Sohn hat einen rechten Glücksgriff gethan. Ueberhaupt – er ist und bleibt ein Sonntagskind, der macht auch weiter seinen Weg, er geht ja wie auf Hefen. Als Agathchen heirathete, war er da nicht noch auf der Schule? Nicht wahr? Freilich, ja, ja, ich entsinne mich sehr gut, er war noch ein ganzer Junge. Und jetzt Herr Baumeister mit Frau Baumeisterin ... nicht übel! Er zeichnete schon immer wunderhübsch. Daß der Onkel ein so großer, einflußreicher Mann in seinem Fach, wußte ich nicht mal, ist mir ganz etwas Neues. Ihren lieben Max wird das nicht bestimmt haben, aber wenn so was mit dazu kommt, ist's doch auch recht angenehm. Und die ganze Familie so allgemein geachtet – vor der nimmt Jeder den Hut ab! Daß sie nicht von hier, darüber grämen Sie sich nicht. Ich fragte die junge Frau: »bangen Sie sich sehr?« Da lachte sie, schüttelte das Köpfchen, sann aber einen Augenblick nach und sagte: »oder doch – ja – als ich meinen Nähtisch zuerst aufmachte und noch Alles so fand, wie zu Hause, und wie ich das Nadelkissen umklappte und die Nadel steckte noch darin, ein Fadenrest weißer Seide im Oehr, dieselbe Nadel, mit der ich mir die Blonden an mein Brautkleid nähte, da bangte ich mich – ein bischen.« Wenn's nicht schlimmer kommt! dann geht es noch. Und ich gestehe aufrichtig, das ewige Ineinanderheirathen – dabei kommt auch nicht viel heraus. Am Ende wird die ganze Stadt eine liebe Familie vom Oberthor bis zum Niederthor, wie mein seliger Vater von Marienburg zu sagen pflegte: »ganz Marienburg ist ein Strumpf, immer Masche an Masche.« Jetzt wird's auch wol anders sein. So wie Sie und Alborns, wie wir mit Jäschecks – das lasse ich mir gefallen, allein das ist Ausnahme – nicht wahr? Oft geht's auch so: bei der Verlobung unbeschreiblicher Enthusiasmus auf beiden Seiten, nichts als Liebe und Freundschaft »Herr Bruder hier, Frau Schwester da«, lauter ausgesucht treffliche, edle Menschen – bis zur ersten kleinen Uebelnehmerei, an der kein Theil schuld ist – versteht sich! Dann schlägt der Wind um, die Begeisterung kühlt sich ab, die Schattenseiten treten hervor. Man kann auf der Hochzeit sehr vergnügt zusammen sein und auf die Dauer doch nicht recht für einander passen. Bald heißt es: »kommen sie uns nicht, wir kommen ihnen gewiß nicht«, und am Ende besteht das Vergnügen der gemeinsamen Familienfeste nur darin, sich gegenseitig über einander aufzuhalten. Ich nenne keinen Namen, aber habe ich nicht Recht? Unter uns, die Schwiegereltern von meinem Arnold, herzensgute, liebe Leute, wir sehen uns alle Jubeljahr, sind die besten Freunde – ob wir in fortwährendem Verkehr ebenso stimmen würden – wer weiß? Sollte Emil sein Glück auch einmal am andern Orte finden, es würde mich nicht weniger freuen. Es fehlt meinem guten Jungen nicht an Anerkennung, und doch ganz nach Werth wird Niemand geschätzt, wo er mit dem Schultornister durch die Straßen sprang – immer die alte Geschichte, etwas bleibt immer hängen: der Prophet gilt nichts im Vaterlande. Noch ist Emil nicht so weit, Ihr Sohn hat ihn überflügelt. Er braucht sich nicht zu schämen, sie sind wol gleich im Alter, doch Max ist Aelteren vorgekommen, er hat ja drei Brüder auf den Backofen gesetzt. Das soll man wol nur von Schwestern sagen? O, das sehe ich nicht ein. Dörrobst ist Dörrobst, der Apfel so gut wie die Birne. Schreiben Sie das nur Ihrem lieben Karl. Er hat ja jetzt sein schönes Gehalt. Und Adolph steckt den Privatdocenten auf und nimmt die Lehrerstelle an? Ich dachte mir's. Da kommt er also auch zu Brod. Neugierig bin ich, wen Evelinchen noch mal beglücken wird. Laß sie sich nur nicht zu lange besinnen! Weshalb in aller Welt heirathet aber Ferdinand nicht? Es muß ihm ausgezeichnet gehen. Dieselben Leute, die Anfangs die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, wie er bei der hohen Pacht durchkommen wollte, schreien jetzt: »er hat es für'n Spott gepachtet, er kratzt Pacht und Zinsen blos so nebenher aus den Speicherecken heraus.« Die Nachbarschaft verwöhnt ihn, das ist das Ganze. Alborns in Maraiten sind einzig liebe Menschen. Ernestine war immer meine Flamme, schon wie sie das erste Mal bei Ihnen, ein eben fertig gewordenes Backfischchen. Es ist mir, als wäre es gestern gewesen. Nein, wie die Zeit vergeht! Wie weit hat er denn nach Maraiten? Etwas über eine Meile? Das ist ja gar nichts für die Landleute. Da geht er dort ein und aus wie zu Hause – versteht sich. Alles sehr schön und gut, den eigenen Herd mit Weib und Kind ersetzt es nicht. Warum sieht er sich nicht unter den Töchtern des Landes um? Die vorzüglichsten Mädchen bleiben sitzen, daß es eine Schande für die Männer ist. Ich habe ihm schon längst was ausgesucht. Wenn ich sie nur mal zusammenbringen könnte! Der Vater, ein kreuzbraver Mann, auch recht wohlhabend, aber wissen Sie was er sagt? »Ein gutes Pferd verkauft sich am besten im Stall. Wer meine Töchter kennen lernen will, muß sich zu uns bemühen, und wer sich mit ihnen verlobt, wird mal warten müssen, bis ich und meine Frau nicht mehr sind.« Mein Gott! es giebt genug, die darauf ausgehen. Sie ist vom Lande, Engelrechts kennen sie auch, mehr darf ich aber nicht verrathen, ich habe fast schon zu viel geplaudert. Am besten, so was macht sich von selbst, viel helfen wollen, hilft oft am allerwenigsten, ja es schadet zuweilen mehr, als es nützt, obwol wir Frauen alle ein bischen dahin neigen nicht wahr? Hand auf's Herz! Wenn wir ganz offen sein wollen ... Und warum nicht? Bin ich glücklich, will ich auch Anderen die Wege ebenen.«

»Es ist nur gut, daß ich schon meinen Pelz anhabe, Sie könnten denken, meine Einzige, ich wollte mir einen zum Winter verdienen. Dann wüßte ich auch noch eine aus der Stadt, ein liebes Kind! Man braucht nur ihre Näharbeiten und Stickereien zu sehen. Alles so sauber und eigen. O die Mädchen aus der Stadt – Frau Perwitt erhob die Hand und den einen Finger der Hand, die schon den Handschuh aufgestreift, zu ausdrucksvoller und feiner Unterstützung der treffenden Worte – wenn sie nur klug sind, wissen sich auf dem Lande oft besser zurecht zu finden, als die Landfräuleins bei uns in den Städten. Nein, nein! es ist nicht, die Sie meinen – kein einziges Töchterchen. Dazu würde ich nie rathen, die sind verzärtelt, bringen wol mehr mit, wenn was da ist, brauchen nicht zu theilen, machen aber auch ungetheilte Ansprüche. Das gefällt mir so an Ottilie – diese Anspruchslosigkeit! Wie nett häuslich ist sie erzogen! Ich hätte es von einer Großstädterin nicht erwartet. Die Zeugmeister erzählte mir, sie hätte sie bedauert: »Sie vermissen gewiß das Theater, die Concerte – kurz die Kunstgenüsse.« »Nicht mehr, als ich zu Hause manchmal die Natur vermißt habe.« Sehen Sie, das hat mir gefallen, das finde ich doch hübsch und klug zugleich. Ob alle jungen Damen aus den großen Orten so sind, ist eine andere Frage. Es spricht auch für die Mutter. Alle Achtung vor der Frau, die ihre Töchter so erzieht. Ein bischen sehr jung ist sie, allein der Fehler gleicht sich ja mit jedem Tage mehr aus. Max ist auch kein Methusalem. Ich war noch viel jünger, »noch ganz ein Kind« sagten Alle. Mit kindlicher Verehrung blickte ich auch wirklich zu meinem Manne empor, und ich liebte ihn doch, wie nur ein Weib lieben kann. Ein Zeugniß der Reife, mit dem er – jetzt kann ich's ja wol offen sagen – eben so zufrieden, als hätte ich das beste Gouvernantenexamen gemacht und wäre eine alte Schachtel gewesen.«

»Mögen sich Ihre Töchter zusammennehmen, nicht ausgestochen zu werden – bei wem? Nun nun, aufhetzen will ich nicht. Agathchen wird wol nicht eifersüchtig sein, auch nicht in der Seele ihres Mannes, und er selbst eben so wenig. Das ist mal der Lauf der Welt, das jüngste Schwiegertöchterchen, das kaum warm geworden in der Familie, weiß sich besser einzuschmeicheln auch beim strengsten Papa, als der schon seit Jahren bewährte Schwiegersohn. Na – na – na – wir kennen das! Gelobt hat er sie gegen mich noch mit keinem Wort, das ist wahr. Und als ich sie lobte mit vollen Backen – wovon das Herz voll ist, geht der Mund über – nein, den Blick hätten Sie sehen sollen! Er sagte nichts als: »das wird erst eine Frau werden« ... Hätte er ihr Loblied singen und blasen lassen mit Posaunen, Trompeten, Zinken und Schalmeien, der Stadtdiener mit der Trommel voran, vom Graudenzer Thor durch alle Straßen bis auf den Knieberg – das wäre nichts gewesen gegen diesen Blick, gegen diese ablehnende vornehme Zurückhaltung, gegen diese stolze Mäßigung ... Die jungen Herren gehen natürlich alle durch Feuer und Wasser für die liebenswürdige Schwägerin. Wo steckt denn der Bernhard? Mit dem habe ich ein Hühnchen zu pflücken. Leugnen kann er's nicht, er hatte noch die Keckheit mich zu grüßen, als er Ottilie nach Hause begleitete. Und wie lange ist's denn her, daß ich ihn um den gleichen Ritterdienst bat? »Bernhard, der Mond scheint so schön, wenn du mit mir untergefaßt über den Markt spazierst, du kriegst einen baaren blanken Silbergroschen in die Sparbüchse.« Sie waren nicht dabei, sonst würde ich mich gehütet haben, Ihr Söhnchen zu verführen. Aber seien Sie ganz ruhig! Denken Sie, er ging in meine Netze? Nicht rühr' an, ich glaube, ich hätte ihm einen halben Gulden bieten können, er würde doch nicht mit der Alten gegangen sein. Mit der jungen Frau geht er, vor der fürchtet er sich nicht. Gebissen hätte ich ihn auch nicht.«

»Einen kann ich Ihnen aber nennen, der dem Zauber der kleinen Frau bis jetzt noch widersteht. Ich fragte Eugen, wie sie ihm gefällt. »Nicht schlecht, ganz niedlich, fein mittel – aber nichts Hervorragendes.« Denken Sie sich, diese Unverschämtheit! »Aber ich verlange auch viel, sagt er, das Mädchen meiner Neigung muß sehr schön, sehr liebenswürdig, sehr geistreich und sehr reich sein. Nicht um des Geldes willen, aber auch nicht ohne dieses – ist meine Maxime und besonders wünsche ich das Vermögen gleich disponibel, daß man nicht noch erst viel Weitläufigkeiten und Scherereien hat, wenn man seine Schulden bezahlen will.« Ist es nicht bodenlos albern? Eigentlich sollte man so was gar nicht wieder erzählen. Ja, ja, das Eugenchen! Und käme er nur wenigstens vorwärts! Hätte Gott ihm den Vater erhalten, er wäre so nicht geworden. Das mag manchmal eine rechte Sorge für die Mutter sein. Der Jüngste ist er auch nicht mehr.«

»Warten Sie, ich kann es nachrechnen, er muß gerade so alt sein wie Ida Jäscheck. Jäschecks heiratheten ein Jahr früher wie wir, die Kinder sind alle ziemlich zwei Jahre auseinander, die Ida ist die dritte, nein – erlauben Sie, zwischen den Zwillingen und der Dorchen war noch ein Jungchen, das vor der Taufe starb. Doch was zerbreche ich mir den Kopf! Es kommt ja nicht darauf an.«

»Schelten Sie nur nicht, daß ich Sie so lange aufgehalten. Wegen der Butter aus Maraiten lassen Sie mir also sagen, ich werde sehr gerne nehmen. Sie kommen wol bald wieder herein und steigen ja immer bei Ihren Kindern ab. Es ist eine Freude, wie treu die zusammenhalten. Von den Frauen will ich gar nicht sagen – so nahe befreundete Mädchen bringt die Heirath nur auseinander, wenn sie in sehr verschiedene Verhältnisse heirathen, aber nicht alle Vettern und nicht alle Männer von Jugendfreundinnen harmoniren so wie Ihr lieber Schwiegersohn und der Maraiter Alborn. Ernestinchen fand ich das letzte Mal ein bischen stärker geworden, es steht ihr gut. Und jetzt geben Sie mir noch einen Kuß! Sie werden drei Kreuze machen hinter der alten Plappertasche. Und besuchen Sie mich doch endlich mal, aber hübsch ordentlich, nicht blos so auf 'n Schnippchen. Thun Sie mir die Liebe und bleiben Sie d'rin, ich kenne den Weg. Adieu, Adieu – auf Wiedersehen!«

Da Frau Perwitt das Alles noch einfiel zwischen dem ersten und letzten Adieu, so kann man sich einen Begriff machen von der angeregten Unterhaltung, die voranging.

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