Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16.
Mauserchen.

Agathe begann sehr zu wachsen, und fühlte oft eine Müdigkeit in allen Gliedern, wie von gewaltsamen Ziehen und Recken. Wenn sie sich bückte oder rasch aufstand, knackte es manchmal so laut in den Gelenken, daß der Onkel Major sagte: »nun ja, Gras wachsen hören ist eine Kunst, aber wie du wächst, Kind, das hört Jeder, der nicht kanonentaub.« Er war es auch, der ihre Gestalt anschaulich, obwol nicht sehr ideal mit der schlanken, doch haltungslosen Figur junger Jagdhunde verglich. Bald hatte sie die achtbare Länge bis zum zweiten Knopfloch am Hausrocke des Vaters erreicht. Was aber einmal aus dem Gesichtchen werden würde, das konnte kein Mensch wissen, es war noch in lebhaftester Auseinandersetzung zwischen Unreife und Reife. Die Wangen hatten die Rundung kindlicher Fülle verloren, in kargen Linien schlossen die schmalen Lippen zusammen, und noch war es so lange nicht her, daß man die Lücken von ein paar nicht ergänzten Zähnen bemerken konnte. Das Kolorit wurde klarer, aber entbehrte der gesunden Frische. Ihre früher häufigen Morgenklagen über die Zofe, die beim Durchkämmen des langen starken Haares, nicht aus Versehen – nein »mit Fleiß« so furchtbar zauste, fielen nun fort; dafür saßen die auf den Rücken hinabfallenden Flechten gern etwas schief, als wäre das Zopfband nicht ordentlich gebunden, und dies wie eine gewisse rauhe Freiheit in der Behandlung des Scheitels verriethen jeder Kennerin sogleich, daß die junge Dame sich die Haare allein machen lernte. Auch hatten diese ersten Versuche mitunter wiederholt werden müssen, wenn die Mutter nach einem flüchtigen Ueberblick sagte: »liebes Kind, du siehst aus wie ein Strauchdieb, thu' mir den Gefallen und frisire dich noch einmal!« Und doch umschwebte schon die schärfer sich zeichnenden Brauen, die dunkeln langen Wimpern ein lieblicher Vorschimmer erblühender Jungfräulichkeit.

Im Verkehr mit allen, die der Familie fern standen, verschwand das »Du«, ausgenommen die privilegirten Allerweltonkels und Tanten, und nur jene gute Alte, die »Fräuleinchen ausgewartet«, that lieber der Sprache die grausamste Gewalt an in kühn umschreibenden unpersönlichen Wendungen, ehe sie sich zu der förmlichen Anrede mit »Sie« entschloß. Längst machte Agathe nicht mehr den kindischen Sprungfederknix, aber die salonmäßige Verneigung, die sie in der Tanzstunde lernte, wollte sich zu praktischem Gebrauch auch noch nicht recht schicken. Bei Begegnungen mit Herren hatte es außerdem immer etwas Peinliches, nicht zu wissen, ob sie zuerst grüßen oder den Gruß abwarten sollte – es wäre denn der Herr Kandidat gewesen, ein geistvoller und liebenswürdiger Lehrer, zu dem sämmtliche Schülerinnen ein inniges Zutrauen gefaßt.

Agathe's ganze Erscheinung zeigte ein eigenes Widerspiel von unentfalteter Anmuth und schulmäßiger Steifheit. Doch die Anmuth trug bald den Sieg davon. Denn mit weicherer Hand führt die Natur das weibliche Wesen auch über diese Entwicklungsstufe hinweg, während Knaben im Uebergangsstadium des schwankenden Kehlkopfes, der noch nicht zu wissen scheint, wofür er sich entscheiden soll, für den Adams- oder – Evas-Apfel, einnehmende Formen so sehr zu entbehren pflegen, daß oft nur der Trost bleibt: je struppiger der Nestling, desto schöner der flügge Vogel.

»Knöspchen« nennen sie in manchen Familien die halbwüchsigen Mädchen, wir sagten »Mauserchen«.

*

 


 << zurück weiter >>