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6.
Abendsegen.

Ohne der Mutter Hand zu halten, ohne der Mutter in das Auge zu blicken, wagt sich das Kindergebet nicht heraus aus dem Seelchen, als fürchte es, allein in dem unendlichen Weltraum, des Weges zu fehlen.

Selbst der Vater und die geliebteste Wärterin haben nur eine gewisse Vicariatsberechtigung, nicht die vollen verordneten Weihen eines Gebetbeistandes.

Die Mutter macht die Runde von Bett zu Bett, einem jeden der Kleinen das fromme Sprüchlein abzuhören.

»Weißt du, Mutterchen,« sagt das eine, als es an die Reihe kommt, »was ich gerne einmal möchte?«

»Nun?«

»Ich möchte gerne einmal so schlafen: mit dem Kopfe nach dort (wo jetzt die Füße liegen) und mit den Füßen hierher« (wo jetzt der Kopf liegt).

Diesen bedeutungsvollen Wunsch im Herzen, naht sich der gottesfürchtige kleine Beter dem Altare der Abendandacht. Mit freundlichem Ernste hört ihn die Mutter an.

»So so! Nun sage aber dein Gebetchen.«

Die Hände falten sich, das Gesicht glänzt mild in andächtiger Kindesunschuld. Ein Engel schwebt über der Stätte, wo eben noch lustige Kobolde sich tummelten. Sollten diese aber ganz und gar verschwunden sein? Steckt nicht vielleicht der eine oder andere der ausgelassenen Gäste unter der Bettdecke und wartet nur das Amen ab, um wieder hervorzugucken mit triumphirendem Ausruf: »Aetsch, Bertha! du warst die Letzte im Bett – du bist Schornsteinfeger. Ich war der Erste – ich bin König!«

*

 


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