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13.
Eine Eroberung.

Wer nicht blind ist, dem muß auffallen, wie unsere Kleine den »blanken Vetter« auszeichnet. Ja – Vettern kommen wol genug, aber kein anderer mit so einem blanken Helm, so einem blanken Degen, so blanken Sporen und so was Blankem auf der Schulter. Schelmisch blickt sie über die Untertasse, in der sie den Milchkaffee kühl bläst, nach ihm hin. Sie schleicht hinter seinen Stuhl und zupft neckend an den Schößen des Waffenrocks, in der Hoffnung, der Vetter wird urplötzlich rückwärts greifen und sie festzuhalten suchen, wie gestern, als sich ein so lustiges Haschen daraus entspann. Da dies nicht geschieht, schleppt sie mit Anstrengung noch einen Stuhl herbei, setzt sich dicht neben ihn, legt ihr Köpfchen an, streichelt und umfaßt ihn, thut, als hörte sie gar nicht der Mutter Abmahnung: »nun quäle den Vetter aber auch nicht beständig!« – und findet den krausen Ton, mit dem dieser sich weitere Maßregeln vorbehält, von entzückender Liebenswürdigkeit. Denn ein wenig Derbheit bei den Männern lieben die Damen, die großen wie die kleinen, sie müssen nur graziös bleiben wie der blanke Vetter. Der streicht sich sein Bärtchen und lächelt fein: »o wenn sie mir's zu arg macht, nehme ich sie beim Wickel und werfe sie zur Thüre hinaus.«

Auf einen Augenblick verjagt, ist sie gleich wieder da, hebt ihr Röckchen halb hoch und hält es vergleichend an seinen Arm.

»Du, wessen Rock ist hübscher?«

»Meiner,« sagt der Vetter.

»Nein, meiner, meiner! Aber dein Kragen ist hübscher als Papas,« fügt sie tröstend hinzu. »Rothe Kragen gefallen mir besser wie schwarze.«

Sie macht ihm Mittheilungen über die merkwürdigsten Erlebnisse ihrer jungen Tage, wie sie schon einmal den Nachtwächter pfeifen gehört und neulich einen todten Maulwurf im Garten gefunden, stellt eine Auswahl der besten Scherze des Kindermädchens zusammen, die alle so eingeleitet werden: »einmal sagte ich ... und da sagte die Caroline,« ... sie führt ihn an ihr Spielzeugschränkchen und präsentirt sämmtliche Puppen, bis auf das Wickelkind, dem »Onkel Vetter« – der aber, mit dankendem Grausen, sowol die Onkelehre als die Zumuthung der Kußpflicht ablehnt, wogegen er mit Interesse erfährt, daß Freitag über acht Tage der kleinen Puppenmutter Geburtstag, und daß sie hofft, der Vetter wird dann noch hier sein. »Vetterchen, was wirst du mir schenken?«

»Ein goldenes Nichtschen und ein silbernes: Wart' 'n Weilchen.«

»Ach nein, du mußt mir wirklich was schenken.«

Dann geben sie sich Räthsel auf, immer eins schwerer als das andere:

»Welcher Knecht thut gute Dienste und bekommt doch keinen Lohn?«

Oder: »lang hängt es an der Wand, man trocknet sich daran die Hand.«

»Weißt du, Louis« – die Freundschaft ist schon bis zu dieser ungezwungenen Form der Anrede gediehen – »ich kann höher springen als der Kirchthurm.«

»Es ist wol nicht möglich!«

»Ja ... doch ... der Thurm kann ja gar nicht springen!«

Was wollen wir wetten, du kannst nicht sagen: »der Hahn, der Hahn und nicht die Henne.«

Nun sage du mir aber einmal: »graue Erbsen«, und der Vetter schüttelt, wenn sie zum Sprechen ansetzt, das kleine Kinn mit dem Grübchen so herzhaft, daß nichts herauskommt als: »gwau ... au ... au ...« Es ist zum Todtlachen.

Nach Tische gehen Vetter und Bäschen die Diele entlang, nebeneinander auf und ab, sie mit gefährlich gespreiztem Ausschreiten; denn Schritt muß gehalten werden. Der blanke Vetter zählt: »einundzwanzig, zweiundzwanzig – rechten, linken – Speck und Schinken.«

Dann wieder jagen sie sich im Zimmer umher, und so groß der Vetter ist, er weiß sich zu tummeln: erst läßt er sich ganz nahe kommen, und dann, wenn man ihn schon zu fassen meint, mit gewandtem Sprunge über Stühle und Sophalehnen – weg ist er wie der Blitz. Sie machen ein Halloh – der Nachmittagsschlaf wird aus dem halben Stadtviertel verscheucht.

Nach diesen lebhaften Manövern zu Fuß kommen die Kavallerieübungen daran. Die dreiste Kleine wünscht auf dem Knie zu reiten, sie auf dem einen, die Schwester auf dem – andern, aber hübsch nach dem Takt, im Wechselschritt: »erst dies, dann das – erst dies, dann das.«

Sodann laufen die beiden jungen Damen, indem der Vetter die Stellung des Kolosses zu Rhodus einnimmt, unten durch, wobei der Hauptspaß ist, sich während der Passage den Kopf nicht zwischen den Knieen einklemmen zu lassen.

Auf dem Spaziergange, von der Mutter an der einen Hand gehalten, besteht die treue Verehrerin darauf: »mit der andern fasse ich den Vetter an.«

Ein ganz neues Vergnügen gewähren die blanken Uniformknöpfe – sie kann sich ja darin sehen und besehen wie im Spiegel – sie darf auch auf- und zuknöpfen – der interessante Mechanismus ist den kleinen Mädchenfingern noch nicht geläufig, und sie würde die lehrreichen Studien länger fortsetzen, käme nicht die Uhrkette zum Vorschein. »Ach zeige mir deine Uhr ... ei, die ist schön!«

»Hörst du? das ist das Herzchen der Uhr.«

»Hast du auch ein Herzchen?«

»Ja.«

»Wo denn?«

»Hier in der Brust – fühl' einmal!«

Nun kommt der Abend, und beim »gute Nacht! sagen« beglückt die »rundumküssende« Freundin den auserwählten Freund, vor allen Anderen im ganzen großen Familienkreise, mit einem »Kneif- und Knallkuß«. »Der knallte aber auf Ehre wie ein Zündhütchen«.

Doch ach! der Urlaub ist gar zu kurz, wie bald ist der Morgen da, wo der blanke Vetter wieder fort muß. Der Wagen steht vor der Thüre, der Reisefertige hat schon die Handschuhe und den Paletot an, da kommt sie noch mit einer Bitte ... »Nun, mein gnädiges Fräulein, was steht zu Befehl?« Sie will noch einmal die wundervollen Luftsprünge machen. »Wenn es nichts weiter ist! Mit Vergnügen.« Er bückt sich, faßt sie mit beiden Händen unter die Achsel, sicher gehalten, flattert das leichte Figürchen empor, – hopsa, hopsa! und jedesmal klappt er die Hacken zusammen, daß die Sporen klirren, und jedesmal macht sie in der Höhe ein lustiges Zappel-Entrechat. Dann setzt er sie nieder und fragt: »wirst du mich denn auch ein bischen lieb behalten?«

Ein Jeder, der etwas von Herzensangelegenheiten versteht, wird begreifen, wie gespannt der gute blanke Vetter ihrer Antwort entgegen sieht, um so mehr, da er sich doch über Mangel an herzlichem Entgegenkommen so weit nicht zu beklagen hatte. Und was sagt sie? Sie sagt nicht »Nein« – also – Halt! ... Ein klares, unumwundenes, unzweideutiges »Nein« ist das Schlimmste noch nicht. Dann weiß man doch, woran man ist. Sie sagt nicht »Nein«, sie sagt nur – und gar zu traurig klingt es nicht: – »Morgen ist Sonntag, da ziehe ich mein neues Kleidchen an – mit der langen Taille!«

*

 


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