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V.
Am eigenen Herde.

»Jede Arbeit ist ihres Lohnes werth,
doch das beste Project ist ein eigener Herd.«

 

1.
Morgenbeleuchtung.

Es hatte gereift über Nacht, auch das Dach des kleinen Hauses in der Gartenstraße war weiß. Die Sonne kam, der Reif schwand, und der rothe First hob seine schwarze Schornsteinkappe heiter in den wolkenlosen, doch rauhen Herbsthimmel. Die Vorderstube hatte des Morgens keine Sonne, aber die gedämpfte Beleuchtung war angenehm belebt durch den Widerschein des gegenüberstehenden großen Hauses. Eine Menge seiner Reflexe schien still bemüht, das volle Licht zu ersetzen. Die Politur der neuen Möbel, deren eigenthümlicher Duft noch stark ausströmte, der vor Sauberkeit leuchtende, eben aufgewischte Anstrich des Fußbodens, der Firniß von Thüren und Fenstern, die atlasartig eingewirkten Blumen im Wollenstoff des Sophabezuges, die Schreibtischplatte, mit grünem Saffian ausgeschlagen, selbst das feingenarbte braune Leder eines Armsessels und der schwarze Lederrücken des Schlummerkissens, das umgekehrt darauf lag, – Alles glänzte und schimmerte, nichts blendete. Das Feuer im Ofen erlosch, das taktmäßige Pochen, Dröhnen und Klirren der kleinen eisernen Thüre hatte aufgehört, nur ab und zu knisterte es, als ob das Metall die glühende Hitze in einzelnen prickelnden Funken entlud. Der rothe Fleck gegenüber an der Wand – das einzige Grelle im ganzen Zimmer – flackerte und zitterte erst, jetzt wurde der Schein ruhig aber intensiver. Starke Schatten waren wenig bemerkbar. Das arabeskenartige Spiel von mattem Licht und zartem Dunkel auf der hellgrauen Tapete hatte etwas Traumhaftes, als wären es die letzten Grüße der entschwundenen Nacht – oder war es nur der dämmernde Schattenriß der Gardinen, ihres leichten durchsichtigen Faltenwurfes und zierlichen Gewebes? Etwas behaglich Erwartungsvolles lag in dem Allen, Alles lud freundlich ein zum Beginn eines neuen Tages. –

Justus und Agathe wohnten nicht mehr in dem kleinen Hause.

Der jetzige Hausherr, unser Max, war bereits fleißig. Morgenstunde hat Gold im Munde. Er fühlte sich so leicht und wohl, alle seine Seelenkräfte tiefer erschlossen, freier entfaltet. Er hatte noch nie so gut arbeiten können. Auf dem geräumigen viereckigen Tische von einfachem gebeiztem Lindenholz, an dem er saß und zeichnete, lagen Pläne, theils zusammengerollt, theils ausgebreitet vor und neben ihm; der Tisch stand dicht am Fenster. So streifte ab und zu auch ein flüchtiger Blick über die Arbeit hinaus auf das beginnende Leben der Straße. Die Ersten sind wie allemal die Zimmerleute mit dunkelbraunem, die Maurer mit hellgelbem Schurzfell, und andere Arbeiter, sie tragen ihr Werkzeug. Außerdem hat fast Jeder noch ein kleines Bündel bei sich, wahrscheinlich mit Mundvorrath, aber was es auch ist, die Tücher, in die sie es eingeknüpft, sind bunt, meistens roth und grell gefärbt, weiß niemals. Der Tuschkasten steht nicht mehr neben dem Reißbrett – das empfängliche Auge für Farben hat Max nach wie vor. Die Stiefelputzer mit Bürstentasche und Klopfstock haben es eilig, da Niemand gern unausgeklopfte Kleider und ungewichste Stiefel oder Schuhe anzieht. Noch eiliger sind die anderen Herren, die einen grünen Tuchbeutel zusammenrollen, wenn sie aus den Häusern treten. Schon der Geschäftseifer ihres Ganges, bei dem der eine gleichsam rudernde Arm nicht unwesentlich mitwirkt, würde den ernsten und hochwichtigen Beruf ahnen lassen, der sich vom Bartabnehmen bis zum Schröpfen und Blutegelsetzen erhebt, sähe man auch nicht die umgekrempelten Aermelaufschläge, die vom warmen Wasser halb verbrühten Hände und die selbstbewußte forsche Manier, mit der sie aus den kleinen messingenen Becken den Seifenschaum schlenkern, daß er weit weg auf das Steinpflaster spritzt. Um so stiller und bescheidener drücken sich an dem Gartenzaun hin auf der andern Seite der Straße einzelne junge Mädchen in ordentlicher aber unscheinbarer Kleidung. Sie gehen in ihr Geschäft oder in Privathäuser zur Näharbeit für den ganzen Tag und bekommen gewiß dort erst ihren Kaffee: sie sehen etwas bleich, fröstelnd aus. Von den Milch-Mädchen und Frauen läßt sich das nicht sagen, und sie sind doch schon viel früher auf, kommen viel weiter her; und daß das Trageholz, die »Pehde«, auf dem Nacken nicht ganz leicht, verräth die geduckte Haltung des Kopfes und ein gewisser wuchtiger Rhythmus des Schrittes. An den Enden des Trageholzes, das genau auf die Schulter paßt, sind Ketten, an den Ketten Haken, an den Haken hängen die beiden Eimer. Damit die Milch nicht überschwappt, schwimmt ein hölzernes Kreuz oben auf; der blecherne »Halbe«, das Maß, ist von außen lose eingehakt in den einen Eimer ... Und wer kommt nun? ...

Das konnte nur der Bursche sein in grauer, weiß bepuderter Mütze und Jacke, eine schwärzliche Schürze vor, in Schuhen mit hinten abklappenden Holzsohlen, die flache Semmelkiepe auf der Schulter: der war schon von fern zu erkennen an seinem fröhlichen Pfeifen. Er pfiff einen damals beliebten Marsch, und unser junger Hausherr und Baumeister, ohne sich bewußt zu werden, daß er die Melodie dem Bäckerjungen von den Lippen nahm, pfiff nach einer Weile auch diesen Marsch ganz leise, er wollte Ottilie nicht wecken. Wie der Dieb in der Nacht hatte er sich am hellen lichten Morgen aus seiner Schlafstube geschlichen. »Laß sie schlafen in Gottesnamen! Mit unserer großen Wirthschaft wird sie noch zeitig genug fertig.« Und wie schön sie schlief! Die eine Hand, die sie über der Bettdecke hatte, lag so ruhig da, der tiefste Frieden umfing die ganze Gestalt, deren liebes Bild sich treu in seiner Seele spiegelte bis auf die zwei feinen Fältchen quer über der sanften Wölbung der geschlossenen Augenlider. Eine vielleicht in sich selbst nicht ganz klare Rührung wandelte den glücklichen jungen Gatten an, – es war eben nur eine Anwandlung und im Augenblick vorüber. Dann richtete er sich höher auf, legte den Zirkel weg, nahm das kleine messingne Winkelmaß aus dem dunkelblauen Sammetfutter des Reißzeuges, hielt es an seine Zeichnung mit jenem besonnen prüfenden Blick, der seiner Kunst eigen, und pfiff eben so leise den andern Theil von »Kriegers Lust«.

Plötzlich wandte er sich halb um, das Ohr in der Richtung nach der Schlafstubenthüre. Dann nickte er – er hatte recht gehört. Leichte Schritte huschten hin und her, die Vorhänge gingen mit schrillem Ton in die Höhe, die angelegte Thüre zog ein leichter Ruck vollends in's Schloß – sie war auf.

Unterdessen hatte es geklingelt, die Hausthüre wurde aufgemacht und das Mädchen kam mit der Meldung: »der Herr ist da, derselbe von gestern – ob Herr Baumeister schon zu sprechen?«

»Ich lasse sehr bitten.«

Die Unterredung dauerte nicht ganz kurze Zeit. Als Max, der seinen Besuch hinaus begleitet, wieder zurückkam, sah er sich ein wenig überrascht um. Er hatte geglaubt, Ottilie würde ihm schon entgegen treten. »Frauchen, bist du noch nicht fertig?« fragte er bescheiden an der Thüre. »Den Augenblick.« Er hätte immer hineingehen können. Sie stand vor dem Spiegel im weißen, weiten Jäckchen und hatte das Haar schon gemacht. Als sie die Strähnen flocht, den Kopf nachgebend zur Seite, mit einem ruhig sinnenden, gleichsam nach Innen gewandten Blick – die Finger besorgten die gewohnte feine Bewegung schon von selbst, so gut wie sie die Nadeln und schwarzen Bändchen mit sicherm Griff auf den bestimmten Stellen des Toilettentischchens fanden, als sie das Haar frei aus der Stirn strich, band und feststeckte – die hoch erhobenen Arme in etwas gezwungener, doch nicht unplastischer Haltung, – oder wie sie dies volle blonde Haar, das zwar nicht »bis zum Gürtel hinab floß« – deshalb schon nicht, weil sie noch keinen Gürtel um hatte – über die rechte Schulter genommen und mit der linken Hand zusammenhielt, während seine wallende Fülle die breiten Zähne des Elfenbeinkammes mal auf mal durchstrichen, und die kräuselnden Spitzen goldig glänzten im ersten Sonnenstrahl, der eben in die Fenster blickte – wäre da ihr Mann zugegen gewesen, es hätte auch nicht viel geschadet. »Wer war denn schon bei dir?« fragte sie zurück. »Der Maraiter Alborn.« »Das dachte ich, und warum so früh?« »Er will diesen Morgen noch nach Hause. Er erwartet Herren vom Gericht zu einem Termin, bei dem er selbst sein muß.« »Habt ihr denn nicht Alles schon durchgesprochen?« »Ihm ist noch was eingefallen.« »Was denn?« »Ich sage es dir nachher, mach' jetzt nur.«

Unser guter Baumeister fing doch an zu merken, daß er noch gänzlich nüchtern. Er hatte seinen Schlafrock an, der so elegant, wie Schlafröcke junger Ehemänner zu sein pflegen. Das Prachtgewand, in dem er nach seinem eigenen kühnen Vergleich wie ein Pascha aussah, war von einer Art Halbsammet, bunt geblümt auf dunkelbraunem Grunde mit rothem, tief herunter gehendem Umschlagkragen, statt der Knöpfe vorne mit Litzen und mit einer Troddelschnur um den Leib. Diese Schnur knüpfte er während der frühen Visite etwas enger und wiederholte jetzt dies zweckmäßige Verfahren. Herr Alborn aus Maraiten, ein Vetter unseres Justus, hatte wegen eines Bauauftrages mit ihm gesprochen. Abends vor dem Einschlafen sann er noch eifrig über den Plan nach, es war ihm Alles ziemlich klar bis auf Eines, das sich nicht leicht mit den übrigen Wünschen verbinden ließ. Beim Erwachen hatte er's auf einmal, machte sich gleich daran und war gerade fertig mit dem ersten flüchtigen Entwurf, als Herr Alborn erschien.

Sollte er nun noch eine andere Arbeit anfangen? Es lohnte kaum, sie mußte ja gleich kommen. Indem er unentschlossen dastand, zog er die lose verschlungene Schlafrockschnur zum dritten Mal etwas fester zusammen und sah nach dem Tisch vor dem Sopha. Da waren die Tassen vom feinsten weißen Porzellan, goldgerändert und in zierlichem grünen Rebenkranze mit der Inschrift: »für den Hausherrn« ... »für die Hausfrau« – das reizendste Schmanttöpfchen – das wunderhübsche Präsentirbrett, das roth lackirt und in der Mitte in kleinem, länglich rundem Bilde eine großartige Schweizerlandschaft zeigte – die blitzend blanke Kaffeemaschine, die mit einem Fuß auf der »Jungfrau«, mit dem andern auf einem Wasserfall, mit dem dritten auf einer Sennhütte stand – kurz Alles, was nur irgend gehört zum Frühstückstisch in einem funkelnagelneu eingerichteten jungen Haushalt – nur die junge Hausfrau und das Frühstück selbst fehlten noch. Eine Empfindung innerlicher Leere in rein körperlichem Sinne meldete sich, die für die gehobenste Gemüthsstimmung jedes andern Sterblichen bedenklich hätte werden können. Doch der junge Gatte war zu sehr durchdrungen von der beseligenden Gewißheit, ganz glücklich zu sein. Nur ein bischen schneller sich anziehen könnte sie wol! So setzte der ganz Glückliche sich an das Klavier und beschwichtigte durch die Macht der Töne seine Sehnsucht nach der lieblichen Genossin dieses vollkommenen Glückes und dem warmen Frühstück. Lange hatte er noch nicht gespielt – »da ging die Sonne auch in der Vorderstube auf«. Und die junge Frau sah wieder allerliebst aus in ihrem hellen, fliederblau gestreiften Morgenrock und in dem schlichten Häubchen mit offenen Bändern von dem gleichen klaren Zeuge. »Guten Morgen, mein lieber Mann!« »Guten Morgen, Frau.«

*

 


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