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7.
Als der Großvater die Großmutter nahm.

Der junge Engelrecht, der Großvater vom jetzigen alten Herrn Engelrecht, hatte die Karten für die Spieltische besorgt und »machte den Bischof« am Abend vor der Hochzeit. Hannchen und Lotte brachten der Braut die Myrthen, die nach damaliger Sitte nicht vorher geflochten, erst beim Frisiren im Haar zum Kranze gesteckt wurden. Wie oft haben wir noch diese Myrthen gesehen, auch am Hochzeitstage, viele Jahre später – diese einst so frischen duftigen Myrthen, dürr und zerfallend im vergilbten Umschlag mit der Aufschrift des Datums, sorgfältig gesammelt und aufgehoben, eine theure Reliquie in der Hand, die sie uns zeigte! –

Nachher fanden sich noch einige andere junge Leute ein. Es wurde allerlei Kurzweil getrieben, auch Pfänderspiele, an denen selbst ältere Personen gerne noch Theil nahmen. Das Einlösen der Pfänder fiel jedoch Anfangs nicht ganz so ergötzlich aus, als man es gewohnt, vielleicht gerade deshalb, weil »der Herr Richter« statt der alten bekannten Scherze immer etwas Besonderes und Geistreiches zur Buße zu finden sich angelegen sein ließ. Allmälig gelang es ihm denn doch noch, sich des in ihn gesetzten Vertrauens bei der Wahl zu dem hohen Amte nicht gänzlich unwerth zu zeigen.

»Herr Richter,
Was spricht er?
Was soll der thun,
Dessen Pfand
Ich halt' in meiner Hand?«

»Er soll eine traurige Geschichte erzählen, bei der Alle lachen müssen.« Das Pfand war ein goldenes Medaillon.

»Ach das ist ja meines! ... Wie soll ich zu einer traurigen Geschichte kommen – lustige weiß ich genug. Da werde ich am Ende die Lebensgeschichte meiner schönen Nase erzählen müssen. Früher ist sie nämlich noch viel schöner gewesen und war es bis zu jener vergnügten Landpartie. Wir sind mit Kähnen über den See gefahren, wir haben Erdbeeren im Walde gepflückt, auf einem grünen Plan gespielt und getanzt. Es war die frohste Partie, die ich je mitgemacht. Im Garten war auch eine Schaukel, auf der hatte ich mich schon geschaukelt vor der Wald- und Wasserfahrt, und wie wir zurückkamen, es war schon bei Mondlicht, – ich gleich wieder in den Garten und auf die Schaukel. So bei Mondenschein und Sternenschimmer sich himmelhoch zu schwingen – wundervoll war es, und ich schaukelte und schaukelte mich immer höher und verwegener – plumps! da lag ich ... Nun ist das nicht traurig?«

»Sehr, aber es lacht Keiner.«

»Das Nasenbein war gebrochen. Mit blutendem Gesicht hoben sie mich auf, entsetzt standen Alle um mich herum – ich war ganz von mir. Endlich kam ich wieder zur Besinnung, und das Erste, was ich sprach, war: »Kinder, das habe ich vorher gewußt, es konnte nicht gut ablaufen. Sonst sagt meine Mutter immer »Hanne, brich nicht Hals und Bein.« Heute hat sie blos gesagt: »Gott sei mit dir« ... und jetzt lachen sie Alle. Wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen. Ich bitte mir mein Medaillon aus.«

»Herr Richter,
Was spricht er?
Was soll der thun,
Dessen Pfand
Ich halt' in meiner Hand?«

»Er soll ein altpreußisches Lied singen.« Das Pfand war ein Siegelring mit einem Wappen. Der Ring gehörte dem andern Onkel der Braut, dem Onkel Rittmeister.

»Mitgefangen, mitgehangen – mitgesprungen, mitgesungen! Ich weiß wol eins – darf ich aber in der Mitte anfangen? Ich kann nicht alle Verse.«

»Das ist nicht gegen den Richterspruch.«

Und der Rittmeister sang:

»Wat heft de Löwe däch vor een Bestand,
War nich een Hart öß, een Mund, eene Hand?
Wor öm söck hartaget, kabbelt on schleiht
On glihk den Hungen on Katten begeiht.«
»Anke van Tharaw, dat war wi nich dohn.
Du bist mihn Duhsken, mihn Schahpken, mihn Hohn.«

Und nun sangen Alle mit:

»Anke van Tharaw öß, de mi geföllt,
Se öß mihn Lewen, mihn Goet on mihn Gölt.
Anke van Tharaw heft wedder er Hart
Op mi geröchtet ön Löw' on ön Schmart.«
»Anke van Tharaw mihn Rihkdom, mihn Goet,
Du mihne Seele, mihn Fleesch on mihn Bloet.« –

»Herr Richter,
Was spricht er?
Was soll der thun,
Dessen Pfand
Ich halt' in meiner Hand?«

»Er soll ein neues Lied singen.« Das Pfand war ein Ohrgehänge bescheidenster Art, ein kantig geschnittener kleiner Karneol in Silber gefaßt, in der Mitte mit einer Perle. Es gehörte der Braut, deren Mutter und Eltermutter es schon getragen. Und wie oft haben wir es nicht auch noch gesehen viele Jahre später, wenn die Mutter und Großmutter gelegentlich auf Verlangen und Bitten der Kinder oder Kindeskinder ihr schlichtes Häubchen zurückstrich und es vorzeigte zu besonderer Verwunderung der jungen Mädchen, die viel größere und schönere Ohrbaumeln – sowie derjenigen jungen Herren, die gar keinen Ohrring, aber viel größere Ohren hatten. Die Braut besann sich auch nicht lange und sang das uns jetzt freilich nicht mehr ganz neue Lied: »Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht – pflücket die Rose, eh' sie verblüht.« – Damals war es neu und hatte »uns in Preußen eben erst seinen Gegenbesuch gemacht,« nach dem zierlichen Ausdrucke des Herrn Kammersekretär. »Denn – sagte der Herr Kammersekretär – übersetzt in's Hochdeutsche, in modernem Gesellschaftsanzuge gleichsam, kommt unser Anke van Tharaw jetzt auch ja überall herum, wo deutsche Lieder erklingen, selbst bis in die ferne Schweiz. Und so schallt – ein heiteres Echo – von den schneebedeckten himmelhoch ragenden Alpen zurück bis zu unseren Niederungen und unserm Ostseestrand: »Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht.« Der Sänger, dem wir es danken, soll, wenn nicht dies, doch Anderes und vielleicht sein Bestes auch in der rauhen Mundart seiner Berge gedichtet haben, wie Meister Simon Dach Anke van Tharaw in seinem ostpreußischen Platt. Aber rauh oder nicht rauh, Heimathklang bester Klang – was von Herzen kommt, geht zum Herzen.« – Längst hatte der Herr Kammersekretär das Wertherkostüm – blauen Frack, gelbe Weste und Stulpenstiefel – abgelegt, das einst auch wol ein wenig mithalf, seinen Ruf als Schöngeist zu begründen. In allen Fragen des Geschmacks, in Kunst und Literatur war er noch immer eine Autorität. Ja, bei der einen Stelle dieses harmlosesten aller heiteren Lieder glaubte er sich sogar eine verbessernde kleine Aenderung gestatten zu dürfen. Wo es heißt: »Sucht Dornen auch und findet sie, und läßt das Veilchen unbemerkt« – sang er vor mit starker Betonung und einer galanten Handbewegung: »und läßt das Veilchen nicht unbemerkt ...« Der lebhafte Beifall, mit dem der gesammte Chor sich der artigen Variation anschloß, ließ keinen Zweifel, daß sie allgemein verstanden und gewürdigt war – obwol das Veilchen ein weißes Kleid anhatte. Der Herr Kammersekretär saß am Klavier zur Begleitung der Lieder. Es war ein auf dünnen Beinen stehender flacher und schmaler Kasten, mit brauner Oelfarbe gestrichen, oben auf dem Deckel ein paar bunte Bouquets geklext. Sein sanfter, mehr schwirrender als klingender Ton galt jedoch fast für ebenso gut wie der des Engelrecht'schen Instruments, das einen gebahnten eichenen Kasten hatte. Und da der Herr Kammersekretär einmal am Klavier saß, und die Pfänder nun alle ausgelöst waren, so sang er noch: »ein Veilchen auf der Wiese stand, es war ein herzig Veilchen.« Und da die schöne Weise von Mozart, spielte er noch einige andere schöne Weisen von Mozart, auch die Menuet aus dem Don Juan, und wie der Bräutigam eben sagte: »nur die Masken fehlen,« gingen die Alkovenvorhänge auseinander und – da waren sie ja! Die Menuet wurde nicht nur gespielt, sie wurde auch getanzt, ohne Larven und doch in der lustigsten Maskerade von Herren und Damen – und noch dazu gleichsam von Herren und Damen in einer Person. Es erschien Hannchen im apfelgrünen, Lotte im rosarothen und Cousine Linchen, die aus Thorn zur Hochzeit gekommen, im hechtgrauen Leibrock. Sie hatten den Kleiderschrank von Herrn Traun geplündert, der die hellfarbigen Röcke nicht mehr trug, aber sich auch nicht entschließen konnte, sie ganz wegzuthun. Das hochzeitliche Kleid, das er morgen anlegen wollte, war seit dem Tode seiner Frau sein erstes nicht schwarzes. Der Stoff hieß »London bei Nacht« – zu hell und grell wird die Farbe wol auch nicht gewesen sein. Uebrigens war den Mädchen erst im Augenblick der schalkhafte Einfall gekommen, und das blieb denn auch das Einzige, was etwa an die heutigen Polterabendscherze erinnerte. Von lange vorbereiteten, wohleinstudirten Aufführungen war keine Rede, so wenig wie von großen Geschenken oder einer Hochzeitreise. Das Alles kannte man damals noch nicht.

»Ja die alte Zeit war eine einfache Zeit,« schloß die Großmutter gewöhnlich, wenn sie von ihrer Hochzeit erzählte. Es war eine Haustrauung, und der selige Consistorialrath hielt eine wunderschöne Rede, ich habe sie noch und kann sie euch hervorsuchen ... Nun nun – habt nur keine Angst, ich weiß schon, Romane les't ihr lieber – wenn es nur wenigstens keine schlechteren sind, als den ihr mir jetzt gebracht. Steht auch viel dummes Zeug d'rin, oder es ist mir zu hoch. Aber das hat mir gefallen, wenn es da heißt: Ein Kind, das keine Eltern mehr hat, nimmt Gott selbst an die Hand. Das paßt so recht auf meine Jugend. – Und vergnügt sind wir ja nachher auch noch gewesen, nur nicht bis in die Nacht hinein. Um drei Uhr war gebeten, um Vier die Trauung, um Acht setzten wir uns zu Tische, um Elf war Alles vorbei. Aber das darf ich und will ich nicht verhehlen, auch auf eurer Großeltern Hochzeit wurde schon zum Schluß getanzt und gesungen: »Als der Großvater die Großmutter nahm, da war der Großvater der Bräutigam.«

*

 


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