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9.
Mutter und Tochter.

»Meine liebe Ernestine! gerne glaube ich dir, daß du mich nicht vergessen. Es treffen ja gerade in diesen Tagen so viele Erinnerungen zusammen – frohe und traurige. Du dankst mir so herzlich! Mein Tochterchen, was habe ich denn für dich gethan, das nicht jede andere Mutter ebenso thun würde? Welche Macht des Herzens Gott in die Mutterliebe gelegt, erfährst du nun selbst. Deinen Kindern kannst und wirst du wiedergeben, was du deiner Mutter etwa schuldest, die nur zu oft empfand, wie viel ihr fehlte, nicht an Pflichtgefühl und treuester Liebe, aber an Kraft der Einsicht und manchem nützlichen Wissen, das jetzt spielend erlernt wird, in meiner Jugend aber noch nicht so leicht zu haben war. Wenn reifere Erfahrung den Blick schärft, faßt man Manches anders auf und erkennt, wie dies und das wol richtiger hätte angegriffen werden können. Doch auf dich findet das am wenigsten Anwendung, du bist nicht schwer zu erziehen gewesen, du hast uns nie Sorgen gemacht. – Ja wol war es eine schöne Zeit, als wir dich noch bei uns hatten. Unvergeßlich ist mir jener letzte Sommer draußen auf den Hufen. Die herrlichen Abende saßen wir vor der Thüre. Es giebt schönere Gegenden – ein lieber Blick ist es doch über die Wiesen nach unserm alten Pregel. Die rothen Wolken verglühten, die sich im Wasser spiegelten, der Mond kam, die Silberpappeln flüsterten, Segel um Segel zog still vorüber – geschwellte Segel, die dem Hafen zutrieben. Damals gehörtest du uns noch ganz, Mutter und Tochter theilten Alles. Nachher als Braut warst du ja auch noch da und bliebst dasselbe liebe Kind, nur die Gedanken wollten mitunter nicht mehr Stich halten, die flatterten schon der neuen Heimath zu. Nun das ist der Lauf der Welt. Der selige Vater hat dich noch glücklich in deinem eigenen Hause gesehen, das war der letzte Sonnenschein seines Lebens. Genießt doch nur recht diese schönste Zeit und glaubt, es bleibt nicht so. Ich weiß, ihr jungen Leute hört das nicht gern, ich würde es auch fein für mich behalten, thäte es mir nicht leid um jede Stunde, die du dir unnöthig trübst von diesen besten Jahren. Mir scheint, du nimmst Manches zu schwer, sind auch die Zeiten vorüber, wo ein versalzenes Rührei, eine plimperige Suppe oder ein fehlendes Handtuch dich schwermüthig machten. Daß dein lieber Mann nicht aus Uebermuth baut, auch manche Sorge haben mag, und daß in einem großen Haushalt, wie der deinige, nicht immer Alles glatt abgeht, begreife ich wol. Es müßte ein Wunder sein, wäre es anders. Du brauchst dich nicht so um das Einzelne zu kümmern, wie die Frauen in der Stadt, kannst Hilfe haben, so viel du willst, aber je mehr dienstbare Geister, desto schwieriger das Anordnen, das Regieren, das Richten und Schlichten.«

»Das Alles sehe ich sehr gut ein und sagte das auch neulich der Braut von Winrich, die mir immer besser gefällt. Sie hat sehr was Offenes und Zutrauliches. Unsere Unterhaltung würde dich interessirt haben. »Tritt Anfangs leise auf, hat ihr die Mutter gerathen, nach und nach suche festen Fuß zu fassen – erwirb dir vor Allem die Liebe der Leute; wem sie gerne dienen, dem dienen sie gut und treu.« Anders ihre Tante, die selbst lange auf dem Lande gelebt: »Traue Niemand über den Weg, mache daß dich Alle gleich vom ersten Tage fürchten, verschließe die Zuckerdose, sowie du den Rücken kehrst, ohne Gelegenheit nascht keine Katze, und der diebischste Rabe stiehlt den Löffel nicht, den du wohl verwahrt. Vor bösen Menschen kann man sich schützen, vor Dummheit nicht.« »Und welchem Rath denken Sie zu folgen?« fragte ich. »Ich weiß noch nicht. Zunächst will ich selbst sehen, wie weit ich gelange, wenn ich meinem eigenen Gefühle folge.« Sie freut sich sehr, daß sie in eure Gegend kommt, und auf den Umgang mit dir.«

»Was du mir von Martha sagst, unterschreibe ich Wort für Wort. Der Mann, dessen Frau sie einmal wird, betrügt sich nicht. Der nette Besuch ist also fort und hält dich nicht mehr zu Hause fest. Jeden deiner Briefe begrüße ich mit herzlicher Freude. Willkommener als die schönste Knixvisite ist mir euer Johann und der alte Fußbote mit dem krummen Rücken, ich glaube, den er hat blos von den unterthänigen Bücklingen mit ausgebreiteten Armen, als wollte er einem die Kniee umfassen und das Kleid küssen. Das ist auch noch so ein Rest aus der polnischen Zeit. Sieht man das spitze Gesicht und hört die feine pieperige Stimme, sollte man denken, der arme alte Mensch hat die Halsschwindsucht, frage ich ihn aber, wie lange er gegangen, so hat er den weiten Weg in so kurzer Zeit gemacht, daß man erstaunt. Er giebt ganz verständigen Bescheid, ich lasse ihn mir auch gewöhnlich hereinkommen. Die Herren Eleven sind meist so artig, sich von selbst vorzustellen, schweben auf den äußersten Zehspitzen in ihren hohen steifen knarrenden Stiefeln durch mein einfaches kleines Zimmer, als wären sie auf dem Parquet eines Schlosses, und überreichen mit schwungvoller Verbeugung, was sie abzugeben haben, wissen jedoch in der Regel nicht viel von euch aus dem Hause, kehren schleunigst zur Schwelle zurück, blicken verlegen auf das Schneewasser, das von ihren Sohlen abthaut, und regelmäßig, wenn sie sich rückwärts herauskomplimentiren, stoßen sie an das Tischchen am Wandpfeiler, daß es kracht. Es ist nur gut, daß ich die Uhr nicht mehr darauf stehen habe. Am meisten freue ich mich doch, wenn – du selbst kommst. Täglich sehe ich nach dem Thore hin. Es ist da viel Verkehr, aber was auch Alles aus- und eingeht, reitet und fährt, die wohlbekannten Schimmelköpfe wollen immer nicht auftauchen in dem dunkeln Bogen. Als ich herzog, wünschte man mir Glück, daß ich dich nun so viel näher hätte. Ja, ja – sehr schön! Nur wenn die lieben Leutchen, nach denen unser Herz verlangt, doch nicht kommen, und man selbst kann auch nicht zu ihnen, will der Vortheil nicht recht einleuchten. Jetzt im Winter darf ich mich ja gar nicht rühren.«

Wie sehne ich mich danach, wieder in die Kirche zu gehen. Das hätte ich doch so bequem, nur quer über. Aber ich soll ja nicht, und alte Leute müssen hübsch gehorsam sein wie Kinder. Wer gerne gehen möchte, kann nicht, und Mancher, der könnte, geht nicht. Doch ich will nur nichts sagen, sonst heißt es gleich, ich predige und schelte. Das Reden einer alten schwachen Frau hilft nicht viel, und man macht sich nicht angenehmer dadurch. Gott sei Dank, es finden ja auch noch genug den Weg! Zur Entschädigung lese ich für mich eine Predigt, das Evangelium und die Epistel. Dann setze ich mich an das Fenster und warte, bis der Gottesdienst aus ist. Lieder und Orgel kann ich jetzt nicht hören, wie im Sommer bei offenem Fenster, aber ich sehe, wie der Organist die Kirche leer spielt, wie immer einer neben und nach dem Andern aus dem engen Portal tritt über die schräge Linie auf den grauen Fliesen, wo der Schatten aufhört, und wie das helle Sonnenlicht die Köpfe streift, bald den blanken Helm eines Offiziers, bald die Silberlocken eines Greises, der jetzt erst das schwarze Sammetkäppchen mit dem Hut vertauscht, die Tressenmütze eines Livreedieners, von dem sich die reiche Frau den Fußsack nachtragen läßt, dann wieder die farbigen, mit Blumen besteckten Hüte der jungen Mädchen und die Schüler in ihren bunten Kappen, unter dem Arm das neue Gesangbuch mit blitzendem Goldschnitt, das sie zur Einsegnung bekommen. Ja all so was in einiger Entfernung sehe ich noch sehr gut, dazu brauche ich keine Brille. Worüber ich mich auch stets freue, ist das erste Lächeln auf den andächtigen, etwas fröstelnden Gesichtern; bei einem kommt's früher, beim andern später, manche scheinen es sich bis zu Hause aufzusparen, aber glaube mir, verlernt hat es Keiner, während seine Seele sich an Gottes Wort erquickte. Möchte es doch auch den vielen Gestalten in Trauer beschieden sein! Niemals sind Sonnenschein und Heiterkeit schöner, als an einem Sonntag, der den Namen »Tag des Herrn« wirklich verdient. Zuletzt kommen mit tastendem Schritt und Stock die Blinden, die Lahmen auf ihren Krücken, und ganz zuletzt – ich habe das sonst nirgend so beobachten können, du wol auch nicht, und doch weißt du's, und wäre es nur von eurer alten Kinderlust her – wenn der trauteste Vater sich die Pfeife angezündet, und ihr dem erlöschenden Fidibus zusaht, den er euch zu Liebe nicht zerschlug am Rohr. Wenn der letzte der wimmelnden Funken ausging – »das war« – nein, das war er doch noch nicht, »es kommt noch einer und noch einer – es kommen noch so viele Leutchen aus der Kirche«, bis endlich in dem schwarzverkohlten Papier das allerletzte Fünkchen glühroth aufgekribbelt und ausging – dann schriet ihr jubelnd: »das war der Küster.« ... Ach wo sind die Zeiten hin!«

»Du schreibst mir so nett von eurem kleinen Volk und machst mich recht begierig, die Enkelchen auch mal wieder bei mir zu haben. Doch kann ich dir auf deine Frage nicht verhehlen, Scharlachfieber und Masern spuken noch immer, wenn sie auch nicht mehr so verbreitet sind, wie vor einiger Zeit, und die Krankheit weniger bösartig auftritt, von ungünstigem Ausgang hört man nicht. Da wirst du die Kinderchen wol nicht mitbringen wollen. Ich rede dir auch nicht zu; wenn nachher was vorfiele, würde ich mir die größten Vorwürfe machen. Aber dich und deinen lieben Mann hindert das ja nicht! Bei euren Bekannten ist Alles gesund, so viel ich weiß, sollte es anders sein, braucht ihr nicht hinzugehen. Erinnere dich doch nur, wo der liebe Vater nicht überall hin mußte, und was sie ihm Alles in's Haus brachten. Hätte ich da stets mit Bangen an uns und unser eigenes Häuflein denken wollen, mir wäre keine sorgenfreie Stunde geblieben. Wenn du so ängstlich sein willst, bist du gar keine rechte Doctorstochter. Ueberlegt es euch doch noch!«

»Es ist ja wunderschön, daß du dich in der Familie deines Mannes so wohlfühlst, aber was dem Einen recht, ist dem Andern billig. Geht es denn immer nur nach jener Seite? Der Prediger Rüst, der zum Begräbniß seines Onkels hier war und mich besuchte, sagte mir, er hätte den Weg besser gefunden, als er glaubte. Emma würde sich unbeschreiblich freuen. Könnt ihr nicht zum Fünfzehnten, so kommt später oder früher, willkommen seid ihr mir jeden Tag. Dein Bett steht bereit, und für deinen lieben Mann ist schnell eins aufgestellt. Doch ich will nicht weiter in dich dringen. Ich weiß, wenn ihr könnt, macht ihr mir die Freude.«

»Schönsten Dank für die Rebhühnchen, ich hoffe, du wirst nicht böse sein, daß ich eins meiner armen kranken Frau Nachbarin geschickt. Auf Emma's Frage nach ihrer Diät, ob sie auch immer was Nahrhaftes, aber nicht zu Schweres zur Kost hätte, sagte sie: »O, ich habe gestern eine sehr schöne Suppe von einer halben Taube gehabt, heute will ich mir von der andern Hälfte kochen lassen.« Wie kann sie da zu Kräften kommen? – Ehe ich's vergesse, ich habe noch eine Schachtel und einen Korb von dir, so einen flachen Tortenkorb, auch die Serviette ist noch hier, in der das Kalbfleisch war, und ein Stück Wachsleinwand. Das kommt davon, wenn man Alles Anderen überlassen muß und kaum mehr weiß, wie es in der Speisekammer aussieht. Erinnere mich bei nächster Gelegenheit, daß ich's mitgebe. Wer so viel wegschickt, braucht auch was zum Einpacken. Es gedeiht Alles in Maraiten, aber Körbe und Schachteln wachsen nicht auf euren Feldern, die müßt ihr doch aus der Stadt nehmen, auch eine Wachstuchfabrik habt ihr bis jetzt noch nicht, soviel ich weiß. Wegen der Enten werde ich mich schon melden, da du sie einmal für mich bestimmt hast und sie so lange füttern willst. So verwöhnt habt ihr mich! Es fehlt nur noch, daß ich's mache wie der selige Kriegsrath Waldis. Die Lottchen Waldis hatte doch den Herrn von Briester in Rickenberg, und da er, wie sie, nicht sehr fix mit der Feder, gab der Kriegsrath seinen lieben Kindern schon immer im Voraus ein ganzes Pack Couverts mit der vollständigen Aufschrift: »An Herrn Kriegsrath von Waldis, Hochwohlgeboren – anbei ein Puthahn, eine Gans, zwei Kapaunen, eine Lüschke mit Spargel, Obst, Blumenkohl, oder was sonst die Jahreszeit brachte und die Kriegsräthin wünschte.«

»Ich plaudere so gerne mit dir. Du wirst wol merken, daß ich schon mehrmals abgesetzt, und wenn man dann wieder die Feder nimmt, sind die besten Gedanken eingetrocknet. Der alte Kopf will nicht mehr pariren. Wenn ich denke, was ich sonst habe leisten können! Doch still, still, nicht klagen! Nimm vorlieb, wenn Alles ein bischen kunterbunt durcheinander und doch im Grunde herzlich wenig in dem langen redseligen Briefe steht. Manches hätte ich noch hinzuzufügen, aber es muß auch was bleiben für's Wiedersehen. Ich hoffe noch immer, ihr kommt doch! – Geht's auch ein bischen schief – du hattest ja sonst keine Furcht im Fahren – umwerfen werdet ihr nicht gleich – wenn Johann fährt, neben ihm der Diener auf dem Bock, und dein Mann dich noch dazu begleitet, kannst du es schon riskiren. Es kommen auch wieder Zeiten, wo man beim besten Weg, Wetter und Willen nicht fahren darf, und dann thut's einem leid. Wie ihr euch entschließt, soll es mir recht sein ... I, kommt doch!«

»Nun lebe wohl, mein goldenes Tochterchen, grüße deinen lieben Mann und küsse das kleine Gesindel der Reihe nach ab im Auftrage der Großmama. Keinen Abend gehe ich schlafen, ohne meine lieben Kinder und Kindeskinder nah und fern in mein Gebet einzuschließen. Das werde ich auch heute thun. Möge mein Flehen erhört werden, und der Allmächtige euch Alle in seinen gnädigen Schutz nehmen.

Ewig deine treue Mutter.«

*

 


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