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25.
Eine frohe Nachricht.

Es wurde in jener hastigen Art geklingelt, wie Leute zu thun pflegen, die geschäftsmäßig von Haus zu Haus gehen – man hört gleich: der hat Eile, und das Klingeln an sich macht ihm nicht mehr besonderes Vergnügen, weil er es zu oft genießt. Es war der Briefträger, und wie geöffnet wurde, hielt er auch schon den Brief hoch in der Hand und rief: »vom Studenten!« Das that er immer so. Seine langjährige Praxis hatte ihn gelehrt, daß von den portopflichtigen Schreiben nur diese eine Art stets herzlich willkommen – die Briefe auswärtiger Kinder. Karl vermied denn auch, zu frankiren mit einer Consequenz, als wäre dies eine Verletzung der schuldigen Ehrerbietung gegen die Eltern. Eines der Kinder hatte die Thüre geöffnet, sprang mit dem Brief in das Zimmer und reichte ihn dem Vater – dreifach beglückt, einmal durch den Brief selbst, zweitens dadurch, daß er ihn hereinbrachte, und drittens, daß er dem Briefträger das Bestellgeld geben durfte. Aber der kam ihm schon nach, steckte den Kopf vertraulich durch die offen gebliebene Thüre, und sein altes Gesicht sah heiter genug aus dem orangefarbenen Kragen hervor auf die Familiengruppe um den Frühstückstisch; er hatte auch Kinder – und wenn er erfreuliche Briefe brachte und fand nicht gleich einen halben Silbergroschen zum Herausgeben, so hieß es: »behalten Sie's nur. Lieber, bis auf's nächste Mal« – wenn der Hausherr den Brief abnahm; die Hausfrau war nicht so verschwenderisch.

Der Hausherr erbrach das Siegel, und las, während alle Anderen ein rücksichtsvolles Schweigen beobachteten. Max hatte einen Witz machen wollen eben, als der Brief kam, und konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn auch jetzt noch zum besten zu geben, allein Niemand achtete darauf, obwol es ein ganz guter Witz war. Adolph schien kurz zuvor einen Verweis erhalten zu haben, vielleicht war an die neuerdings in Vergessenheit gerathene Verordnung erinnert: »wer nicht zur rechten Zeit fertig, bekommt kein Frühstück.« Doch was es auch gewesen, nun nahm er sich's nicht mehr zu Herzen, – weg war die Miene der gekränkten Unschuld oder »das Schafsgesicht mit Gänseaugen«, wie die theilnehmenden Geschwister auch wol sagten. Wer in die Schule mußte, frühstückte weiter, und man hörte das Krachen der frischen hartbackenen Semmeln deutlicher als vorher. Die Kleinen, die noch nicht in die Schule mußten, frühstückten natürlich erst recht weiter. Sie sogen und schlürften wie die lieben Kälberchen, die aus dem Eimer getränkt werden, das Gesicht halb in die Tasse gesteckt, und roth auf den Backen von der warmen Milch und dem Eifer, mit dem sie tranken. Aber selbst sie richteten ihre Blicke auf den Vater. Alle wollten an seinen Augen absehen, was der Brief enthielt. Am besten verstand das noch die Hausfrau, doch selbst sie war ihrer Sache nicht immer gewiß, und wer weiß auch, ob sie gerne einen Mann gehabt hätte mit so weichen Gesichtszügen, daß gleich Alles und Jedes, was in seinem Innern auch vorging, sich erkennbar darin ausgedrückt hätte. Diesmal dauerte des Hausherrn Undurchdringlichkeit, mit der er Briefe in Gegenwart der Familie zu lesen pflegte, nicht lange. Er hatte kaum die erste Seite überflogen, so sagte er: »Karl will sich in Berlin nicht aufhalten, er wird schon in acht Tagen hier sein!« – Ja damals fuhr man bereits »nur« eine Woche vom Rhein bis zur Weichsel, und die wunderbar schnelle Beförderung erregte gerechtes Staunen. Wie groß die Freude über diese Nachricht war, kann man schon allein daraus schließen, daß die Hausfrau, gänzlich hievon in Anspruch genommen, das jüngste Kind gar nicht zu bemerken schien, welches eben aus dem Nebenzimmer von der Wärterin hereingeschoben wurde. Agathe, die für so etwas Augen hatte, mußte die Mutter erst aufmerksam machen, wie es sich in seiner Morgenblödigkeit verschämt an die Kinderfrau schmiegte und nicht den Muth hatte, allein vorwärts zu gehen. Es war reizend.

Nachdem der Hausherr den Brief auf allgemeines Bitten laut gelesen, las ihn die Hausfrau nochmals still für sich, dann ging sie zur Großmutter, las ihn der auch vor und hob demnächst das wichtige Document in ihrem transportabeln Archive, im Schlüsselkorbe auf. Sie wünschte noch einige zweifelhafte Stellen einem gründlichen Nachstudium zu unterwerfen – zum Beispiel die, wo von dem Reisegefährten Karl's die Rede war, ob er Herz burg oder Herz berg hieß. Der Vater meinte nach der kalten Art der Männer, das sei ja gleichgiltig, ihr war es aber gar nicht gleichgiltig; die Mutter interessirte Alles, was den Sohn betraf, bis in die kleinsten Einzelnheiten.

Unterdessen hatten die Kleinen die frohe Nachricht in Musik gesetzt, wie sie gerne thaten bei Allem, was sie freudig bewegte, wenn der Gegenstand an sich auch nicht sehr zur Komposition geeignet war. Sie sprangen und sangen durch das ganze Haus: »der Karl kommt schon Freitag, schon Freitag, schon Freitag!«

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