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11.
Schöne Künste.

Bei den öffentlichen Schulprüfungen wurden auch Proben abgelegt von den Fortschritten des Schönheitsgefühls und Kunstsinnes, und besonders nahmen die weiblichen Angehörigen der Schüler ein lebhaftes Interesse an diesem Theile der Prüfung, da sie nicht immer und überall im Stande waren, auf den streng wissenschaftlichen Gebieten zu folgen.

Schönschriften lagen zur Ansicht aus, welche kurze und ihrem Inhalt nach meistens unbestreitbare Sentenzen, wie: »Hunger ist der beste Koch,« oder: »aller Anfang ist schwer,« kalligraphisch verherrlichten, in weit getrennten Zeilen, deren Geradheit und Ebenmäßigkeit noch mehr Staunen hätte erregen müssen, wären nicht hier und da am Rande kleine Restchen der mit Blei gezogenen Hülfslinien stehen geblieben, welche der Gummi auszureiben vergaß.

Mappen mit Zeichnungen gingen von Hand zu Hand, und wenn beisammen sitzende Herren und Damen sich untereinander auf eines der Blätter mit feinem Lächeln aufmerksam machten, war es fast immer Heiterkeit der Anerkennung. Unzweifelhaft satirische Aufnahme fand nur jenes in der Geschichte der Malerei berühmt gewordene wilde Schwein; der gute Eber hatte sich so arg übernommen in fetter schwarzer Kreide, daß gegen die dunkelen Schlagschatten seines rauhen Borstenkleides die beste englische Stiefelwichse an der Bleichsucht zu leiden schien. Auch ohne den Unterschleif, am Fenster durchzuzeichnen, ließ sich mit wachem Auge und nicht ganz ungeschickter Hand ein ziemlich richtiger, billige Anforderungen befriedigender Umriß geben. Allein das Schattiren – gut Schattiren war furchtbar schwer!

Gesangstücke kamen zur Aufführung, geistliche wie weltliche, für Chor und Einzelstimmen, wobei natürlich diejenigen Schüler sich am meisten hervorthaten, die auch zu Hause Musik trieben und fleißig übten, nicht aber die, welche stets dazu geschoben werden mußten, wie der Bauer in den Thurm, zu gähnen anfingen, noch ehe sie sich an's Klavier setzten, den Stuhl bald zu nah, bald nicht nahe genug, das Stuhlkissen oder die untergelegten Notenhefte bald zu hoch, bald zu niedrig fanden, alle Augenblicke das Schnupftuch brauchten oder seufzend nach der Uhr hinüber schielten – ob die dem Cultus der heiligen Cäcilie gewidmete halbe Stunde noch immer nicht pflichtschuldig abgesessen sei. Auf die Manier wird man allerdings kein Virtuose!

Am mannichfaltigsten offenbarte sich die Geschmacksbildung bei dem beliebten Vortrage von Gedichten. Alle Arten der Poesie waren vertreten, von der kindlichen Septimanerfabel: »Eine kleine Biene flog – emsig hin und her und sog,« die zwischen »sog« und »Süßigkeit aus allen Blumen« eine mehr äußerlich im Versbau als durch den Sinn begründete, starke Cäsur eintreten ließ, bis zu der erhabenen Muse Klopstock'scher Oden. Man durfte jedoch aus der Wahl der Stücke ohne Uebereilung nicht Rückschlüsse auf Charakter und Gemüthsart der Declamatoren thun. Es ist ja eine bekannte Erfahrung, wie oft Temperament und Talentrichtung in scheinbar schroffem Widerspruch stehen. Berühmte Komiker waren im Privatleben schlimme Hypochonder, und mancher große Tragöde zeichnet sich nach dem Schluß des Trauerspiels in der Weinstube nicht minder aus als Erzähler von Anekdoten und Schwänken jeder Gattung. Und so hatte auch einer der Schüler beim Memoriren des Gedichts zu diesem Redeactus seine jüngeren Freunde in häufigen Erholungspausen gar lustig geneckt, und dann lernte er immer eifrig weiter: »Ebert, mich scheucht ein trüber Gedanke tief in Melancholei« ... Auch ein dramatischer Dialog wurde gegeben. Ferdinand, der edle Sohn des eisernen Alba, ersuchte Egmont mit hoher spitzer, zwirnfadendünner Stimme, »seine Leidenschaft rasen zu lassen,« während dieser Angesichts des grausen Todes durch Henkershand, auch noch den Kummer zu tragen hatte, daß er – keinen Frack bekommen. Egmont mußte in einer Polkajacke deklamiren. – Von Balladen errang der Kampf mit dem Drachen den meisten Beifall. Um gerecht zu sein, muß indeß bemerkt werden: der noch sehr jugendliche Darsteller war durch häusliche Unterweisungen, wie sie nicht Jedem zu Gebot standen, erheblich gefördert worden.

»Vor allen Dingen mach' mal erst eine ordentliche Verbeugung! So – und die Haare streiche dir aus dem Gesicht! Nun fange an, aber schnattere nicht, sprich langsam und deutlich! Hinter jedem Punkt mußt du doch anhalten und eine kleine Pause machen. – Aber wie stehst du schon wieder! Steh' hübsch gerade, lehn' dich nicht an und zupf' nicht immer mit den Händen so linkisch an den Kleidern herum! Das paßt weder für den Hochmeister, noch für den Ritter – und für den Lindwurm auch nicht!

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