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13.
Spaziergang.

Das Brautpaar hatte klug gethan vorauszugehen. Ehe so eine ganze große Familie auf den Zug kommt – das dauert! Wie der Vater fragte: »woran liegt es denn noch?« und ihm auf der Mutter tröstliche Erwiderung »ich bin gleich fertig«, ein »ach so!« entschlüpfte, das bei vieler Freundlichkeit doch gerade so klang, als hätte die Mutter gesagt: »es wird noch eine Ewigkeit und drei Tage dauern« – wie die Kleinen ihre Jäckchen hatten, aber nicht ihre Tücherchen, und nur noch die Tücherchen holen sollten »rasch! rasch!« die Tücherchen indessen nirgend zu finden waren, bis sich ergab, daß sie wohlverwahrt in der großen Ledertasche steckten, die zum Mitnehmen bestimmt, längst in Bereitschaft über einer Stuhllehne hing – als der Hausherr, wie es endlich denn doch so weit war oder zu sein schien, nun selbst nicht umhin konnte, noch eine dringliche Kurrende, mit der ihm der Stadtdiener im Flur entgegentrat, durchzulesen und zu unterschreiben, und – nachdem auch der Stadtdiener abgefertigt, sowie dem Slovaken, der sich diesen passenden Moment ausgewählt, seine Mäusefallen anzubieten, zum Bescheide einfach und nicht allzu sanft die Thüre gewiesen war, kurz, als nichts weiter mehr unser Fortkommen hinderte – nur daß plötzlich Eveline vermißt wurde, die doch den Augenblick noch dagewesen: »Herr Gott, nun hat die sich wieder verkrümelt, da waren Justus und Agathe, froh, den Aufbruch mit Kind und Kegel nicht abgewartet zu haben, wer weiß wie lange schon, im freien Felde.

Wo gegangen werden sollte, war verabredet. So schlugen sie gleich am Anfang der Promenade einen Nebenweg ein, der die Häuser und Gärten, welche sich an jener in ununterbrochener Reihe hinziehen, seitwärts liegen läßt. Bald wurde es ein einfacher Feldweg. Zwei Wagen konnten einander nur ausbiegen, wenn jeder mit einem Rade empor holpernd den Ackerrand streifte. Zwischen der aufgewühlten nackten Erde des Gleises wuchsen Gras, weißer Klee, Butterblumen, hie und da eine Distel, ein Kletten- oder Nesselnbusch, wie allerlei anderes Kraut und Unkraut. Kleine Vögel flogen immer erst dicht vor den Füßen der Spazierenden auf, um sich einige Schritte weiter schon wieder zu setzen, und abermals verscheucht, flatterten sie abermals weiter oder kehrten zur früheren Stelle zurück und fuhren fort, die grünlichen Körnchen abzunaschen von den lang aufschießenden Samenstengeln, die man auch den Stubenvögeln in ihr Bauer steckt. Die Raine schmückte manche hübsche Blume, ja stellenweise schimmerten bis weit in die Aecker hinein buntere Farben, als den Besitzern angenehm sein mochte. Schon als Kind hieß Agathe, wenn wir über Feld gingen »unsere kleine Ziege, die überall was abrupfen muß« und sie hatte noch jetzt die alte Liebhaberei. Auch heute pflückte sie wieder fleißig von ihren lieben Feldblumen.

Der Roggen wurde schon blasser, seine schwellenden Aehren neigten sich und schlugen an Arm und Hand, die sie im Vorüberstreifen zufällig berührten, mit behaglicher Wucht, während der goldgrüne Weizen noch kerzengerade aufrecht stand. Das dunkle Saftgrün der Kartoffelstauden war über und über mit lila, weiß und gelben Blüthenglöckchen bedeckt. In den Wiesen wurde Heu gemacht, zum Theil war es bereits eingefahren: ein Fuder, eben geladen, wurde noch mit der Harke glatt abgestrichen, daß unterwegs nichts verloren ging, ein anderes volles Fuder fuhr langsam und schwankend – jeder freie Halm zitterte von der schwerfälligen Bewegung – über die nächste Kuppe des welligen Hügellandes.

Eine Weile gingen beide still neben einander hin und lauschten dem fröhlichen Geschwirr unzähliger Lerchen. Agathe fiel ihr Lieblingsgedicht ein, und als wieder vor ihnen eins der unermüdlich gesanglustigen Thierchen trillernd aufstieg, sagte sie: »sie singt das Lied der Andacht, das Lied des Fleißes.«

»Hörst du aber auch schon die Mühle rauschen?« ...

Agathe nickte.

»Und das Mahlwerk gehen?«

»Ja, jetzt ganz deutlich.«

»Die Mühle klappert rüstig den Takt zu deinem frommen Liede – Arbeit ist auch Beten.«

Hätte Justus statt des leichten grauen Filzhutes einen Heiligenschein um's Haupt getragen, die Braut würde kaum mit verehrungsvollerer Liebe zu ihm haben aufblicken können.

»Aber Spazierengehen und Blumenpflücken ist keine schwere Arbeit.« Und dabei bückte sie sich wieder, um in anmuthiger, halbknieender Stellung ein blühendes Kraut, das ganze Büschlein mit einem Rupf, abzupflücken. Es war Thymian, der denn auch unter dem Druck der weichen warmen Mädchenhand, die der Handschuh nur bis auf halbe Fingerlänge bedeckte, seinen herzhaften Wohlgeruch sogleich mit verdoppeltem Eifer ausströmen ließ.

Sie hatten die ernstere Gedankenwelt nur obenhin berührt, es war nichts als ein Uebergangsakkord von einer Tonart in die andere, und doch empfanden beide, daß die Grundstimmung ihres Gemüthes eine Weihe empfing, die nicht wieder verloren gehen konnte, und hätten sie fortan sich der ausgelassensten Fröhlichkeit hingegeben.

Am Himmel waren ein paar große Wolken, in schwungvollen Linien geballt, aber von so weicher zarter Färbung, als bewahrten sie noch immer alle Frische und den Duft des Morgenthaues, aus dem sie aufstiegen von den Blumen des Feldes. Bald schienen sie still zu stehen, regungslos wie träumerisch in sich versunkene Daseinsfreude des schönen längsten Tages, bald zogen sie weiter, doch ganz langsam und allmälig – man nahm die Bewegung nur wahr an den Wipfeln der Pappeln, am Kreuz und goldenen Knopf auf dem Kirchthurm, der allein noch von der Stadt her aufragte, oder an anderen festen hohen Punkten. Die letzten Häuser waren bereits am Horizont verschwunden. Bald regte sich kein Hauch, bald brachte ein milder Südost angenehme Kühlung mit heraus aus dem Mühlenthale, rollte das Getreide in Schaukelwellen vor sich hin und blies einer »Pustblume« ihre leichten weißen Federchen ab – ein Sinnbild der so schnell vergänglichen Jugendblüthe. Jetzt näherte sich die eine Wolke der Sonne – die Sonne verschwand. Fernher verwehte Klänge einer Gartenmusik stimmten zu sanfter Wehmuth, man wußte selbst nicht warum, und dann wieder – krach! fiel und polierte derb das von wuchtiger Kugel auf der Kegelbahn geworfene Holz ... die Herren, welche Kegel schoben, achteten wahrscheinlich bei ihrem Glase Bier nicht so genau auf die wechselnde Beleuchtung und den nachdenklichen Ernst, der sich wie ein Schleier über die Erde gebreitet. Doch schon wurde droben der Rand der grauen Wolke wieder lichter und lichter, silberhell glänzend, ja blendend – man konnte nicht mehr hin sehen – jetzt brachen die Strahlen durch, der Sonnenball tauchte wieder auf und – wieder hatte das Wort die lachende Lebensfreude.

»Ach, gieb mir deine' Hand,« bat die Braut, ich möchte nicht gerne das Getreide zunichtmachen.«

»Da du es bist –«

Sie setzte den einen Fuß über die Furche auf das Ackerbeet geschickt zwischen die Halme, der andere balancirte in anmuthiger Schwebe, und sicher durch den festen Halt an Justus, konnte sie sich dreist so weit vorne über biegen, daß ihr ausgestreckter Arm richtig bis zu den Kornblumen reichte, welche sie zu haben wünschte, und die – wie sooft die schönsten Blumen – nicht dicht am Wege blühten.

»Weißt du, Liebchen, sagte Justus – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – besorgnißerregend leicht ist deine süße Last keineswegs!«

Zwei frische rothe Mädchenlippen gingen heiter aus einander – ein wenig unsymmetrisch, der eine Mundwinkel zog sich mehr zurück und höher hinauf, wie der andere, aber es war doch reizender als die strengste Symmetrie: »sehr schmeichelhaft!«

»Ich wollte dir auch gar nicht schmeicheln, dazu habe ich dich viel zu lieb.«

»Und ich nehme es dir auch nicht übel. Ich halte mich an deinem treuen, starken Arm, der mich so schön und ritterlich unterstützt, nicht an die Worte deines losen Mundes. Ich habe da wieder einmal den Beweis recht eigentlich in die Hand bekommen, wie praktisch es doch für ein Mädchen ist, verlobt zu sein.«

Und sie schlenderten weiter.

»Kennst du diesen Stein?« sagte Agathe bald nachher.

»Ich glaube mich seiner dunkel zu erinnern.«

Sie hatten schon neulich einmal darauf ausgeruht. Es war ein großer Stein, auf dem Zwei bequem Platz hatten. Sie thaten daher ganz »als wenn sie zu Hause wären«, setzten sich, nachdem Justus Agathe's »Grauchen«, ein dickes warmes Umschlagetuch, das er ihr so lange getragen, übergebreitet hatte, und sie fing an, einen Kranz zu flechten. Er mußte ihr die Blumen zureichen. Als ein Ende fertig war, nahm Agathe dem Liebsten den Hut ab mit einer vergnüglichen Raschheit, die das beiläufige »erlaube« weit überholte, und das Verfahren einem listigen Handstreich nicht unähnlich machte.

»Nun, was wird das?«

Sie hielt ihm den begonnenen Kranz über die Stirn.

»Ach so! Ich soll mich als Haubenstock nützlich machen. Nun, wie läßt es mir denn?«

»Reizend – aber wirklich, in allem Ernst.«

»Weshalb betheuerst du es denn so nachdrucksvoll? das ist einigermaßen verdächtig.«

»Weil du es doch nicht glaubst, aber ich will es dir beweisen.«

»Sei so gütig!«

Hurtig griff die Braut in ihre Kleidertasche.

»Ich bin doch neugierig,« sagte Justus und hatte die Liebenswürdigkeit, noch neugieriger zu thun, als er in der That war, während Agathe geheimnißvoll vielleicht ein wenig länger ihre Tasche durchsuchte, als unbedingt nöthig sein mochte, um die kleine Bürste zum Vorschein zu bringen. Das elegante Bürstchen hatte ein spiegelndes Glas auf der Rückseite, das hielt sie ihm hin und mit der andern Hand nochmals den werdenden Kranz über seinen Scheitel. Aufmerksam betrachtete er sein Spiegelbild: »du hast Recht, ich sehe sehr schön aus.« Agathe mußte lachen, als wäre nie ein köstlicherer Einfall zu Tage gefördert, seitdem zum ersten Mal ein geliebter Mann etwas Lustiges mit dem ehrbarsten Gesicht von der Welt sagte. Vorhin auf dem Wiesenpfade hatte es Justus gerade so kostbar gefunden, wie die Braut mit komisch gespitzter, gleichsam fistulirender Stimme die thatsächlich richtige Bemerkung machte: »hier wird es aber – schmutzig!« Denn es liegt mitunter nicht weniger daran, wie und was, als von wem etwas gesagt wird – meinte der Postmeister, als ihn der König während der Umspannung huldvoll gefragt: »wie weit ist es noch bis zur nächsten Station?« –

»Und nun kommen sie endlich!«

»Endlich? Also so lang ist dir die Zeit geworden?«

»Das versteht sich.«

Agathe gab Justus den unvollendeten Kranz, nahm die übrigen Blumen zusammen in die linke Hand, stand auf, schüttelte ihr Kleid, an dem noch einige lose Blüthenblättchen haften geblieben, und blies leicht erröthend auch ein kornblumenblaues, feingezacktes Federchen aus Justus' Haar. Die Eingeweihten wußten es ja wol ohnehin bereits, und die Uneingeweihten brauchten noch gar nicht zu wissen, daß – die Liebe uns alle wieder zu Kindern macht.

Inzwischen waren die Eltern und Geschwister herangekommen, man begrüßte sich und setzte nun den weiteren Weg gemeinschaftlich fort. Allein es schien seine eigenen Schwierigkeiten zu haben, die ganze Familie zusammen zu halten. Nachdem wir eine Weile gegangen, blieb die Mutter stehen und sah sich um. Nicht allzulange darauf blieb sie abermals stehen und sah sich abermals um, und als es zum dritten Male geschah, sah sich die Mutter nicht nur schweigend um, wie die beiden Male vorher, sondern sie sagte: »warten wir doch auf die ewigen Nachzügler,« ja sie rief den Säumigen, die sich auch jetzt gar nicht überhasteten uns einzuholen, schon entgegen: »aber einzige Kinder, erst seid ihr so eilig und lauft eine halbe Meile voraus – warum in aller Welt geht ihr denn jetzt wieder so langsam, daß ihr beständig zurückbleibt?«

Das verehrte Brautpaar war jedoch nicht in der Lage, diese freundliche Interpellation sofort zu beantworten.

– Eben hatten wir den schilfumkränzten Weiher erreicht, auf dem der Sonnenschein flimmerte wie lauter Silberflittern. Aber tief unten gurgelte es leise, bald kleinere, bald größere Luftblasen brodelten empor und platzten auf der Oberfläche. Die alte Unke lebte doch noch, so tief sie sich auch verkrochen vor dem glänzend hellen, frohen Tageslicht – vielleicht begann sie schon morgen wieder ihren gewohnten Klageruf, die eintönige Mahnung an alles Glück, das einst auch so schön blühte und dann doch unwiederbringlich unterging. Nur heute pausirte selbst die alte schwermüthige Unke mit ihrem dumpfen Seufzen und Stöhnen. Es war der schönste Festtag der Natur, Blühen und Reifen wandelten Arm in Arm durch's Feld und reichten sich die Hand zu weihevollem Bunde auf der Höhe des Jahres.

*

 


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