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21.
Das Genie.

»Was doch noch einmal aus all' den Kindern werden wird?«

»Mögen sie werden, was sie wollen – wenn nur alle tüchtige Menschen werden.«

»Tüchtige, gute Menschen,« ergänzte die Mutter.

»Tüchtige, gute, fromme Menschen,« sagte die Großmutter.

Ferdinand rief: »ich werde Landwirth.«

»Das wissen wir. Aber denke nur nicht, daß du dann nichts zu lernen brauchst, wie früher, wo die Leute sagten: »der Junge ist zu dumm zum Studiren, wir wollen ihn auf's Land geben.«

»Ich studire,« erklärte Karl.

»Manche drehen nämlich jetzt das Ding um und sagen: der Junge ist zum Geschäft nicht zu brauchen, wir wollen ihn studiren lassen,« bemerkte unser alter Hausfreund. Aber Karl nahm ihm den Scherz nicht übel. Seine Freundschaft mit den Kindern war eine sehr herzliche, obwol er sie oft neckte – ja sie ihn auch mitunter.

»Ei, wenn einer Schornsteinfeger würde? – Bernhardchen, was meinst du?«

Der kleine Bernhard gab seinen Schauder vor dieser düstern Lebensperspektive dadurch zu erkennen, daß er sich gänzlich hinter der Mama verkroch.

»Oder ein Genie?«

»Der Himmel bewahre uns!«

»Nun, nun, es giebt auch noch Schlimmeres,« sagte der Hausfreund, »und da jetzt ohnehin das Glück überall so ziemlich vergriffen, warum sollte es nicht einer auch einmal auf dem Wege versuchen? – Wenn es gar keine Genies und gar keine Schornsteinfeger gebe, damit wäre der Welt auch nicht sonderlich geholfen. Denn sieht man, wie die Menschheit geworden, was sie ist – und Alles in Allem bleibt es immer noch eine ganz leidliche Gesellschaft – diese wunderbaren Geister, welche man Genies nennt, haben sie in ihrer Entwickelung doch nicht unwesentlich gefördert, und zwar so: wenn zu viel Ruß angesetzt war, daß die Flamme des lebendigen Gottesgeistes nur noch kümmerlich brannte, dann erschienen die genialen Schornsteinfeger oder die Schornstein fegenden Genies – wie man es nehmen will – und kehrten den Schlot des alten Schlendrians aus, damit das Feuer wieder besser Luft bekäme.«

Unser alter Freund hatte die Art, Scherz und Ernst launig durch einander zu mischen. Eine gute Lehre aber, die er in dieser Manier gab, haftete nicht weniger fest bei den Kindern, wie sie den alten Erbschlüssel auch vor allen übrigen Schlüsseln am besten kannten; es war der, der so einen komisch krausen Bart hatte, und man konnte auf seiner Höhlung pfeifen wie auf einer Röhre der Papagenoflöte.

»Fahren Sie doch fort, liebster Nachbar!« sagte der Vater. »Sie haben über Alles so Ihre eigenen Gedanken. Wenn man sich die ganze Woche mit den trockenen Geschäftssachen herumschlägt, thut es dem Kopfe wohl, sich am Sonnabend auch mal an etwas Weltweisheit zu erquicken.«

Die Mutter schenkte dem Freunde die zweite Tasse Kaffee ein, Agathe reichte Zucker und Rahm; er bediente sich, rührte um, nahm einen Schluck und ging gerne auf die Bitte ein, seine Betrachtung weiter zu führen. Denn obwol er ein bescheidener Mann war – und Lehrer, hörte er sich selbst doch eben so gern sprechen, wie Andere.

»Denke aber nur Keiner« – nahm unser alter Freund also wieder das Wort – »daß es so ein Leichtes ist mit dem Geniewerden. Die guten Leute haben es sich sauer genug werden lassen müssen. Umsonst ist nichts in der Welt, der Ruhm am wenigsten. So oder so bezahlt ein Jeder dem Geschicke seine Schuld. Homer war blind, Beethoven wurde taub, Raphael, der die heilige Familie schöner dargestellt, als irgend ein Anderer, war selbst weder Familienvater – soviel ich weiß – noch ein Heiliger, und als Apollo, der Musen Führer, dem Mädchen, das er lieb hatte, seine Hand reichen wollte, wurde sie ihm zum Lorbeer; den konnte er aber doch nicht heirathen!«

»Was fangen nun wol diejenigen an, die nicht heirathen und auch den Lorbeer nicht erhalten?« fragte Vetter Aurel, ein braver junger Mensch, nur vorschnell und von etwas zu starkem Selbstgefühl.

»Das kann ich Ihnen sagen, mein lieber junger Herr,« antwortete der Philosoph mit Ruhe. »Die geben Privatstunden wie ich, so viel sie bekommen können, mehr nicht. Will aber einer höher hinaus, der möge bedenken: das Höchste ist, ganz schlicht und still zu thun – was die Menschheit eben am nöthigsten braucht, auch ohne vorher ausgeschriebene Preisconcurrenz, und wenn das Große, nachdem es vollbracht, auch oft so einfach und natürlich erscheint, daß wir schwer begreifen, wie man nicht schon längst darauf gekommen ist. Wer die erste Kuh melkte, wer das erste Saatkorn in die Erde gesteckt, den Prägstock geschnitten hat zur ersten Münze, oder wer das erste Abc schrieb, das waren Alles keine Dummeriane, sondern nach meiner Auffassung Genies.«

Karl und Ferdinand hatten die geistreiche Auseinandersetzung bisher nicht überall verstanden, als aber die »Dummeriane« ihre Aufwartung machten, erhellten sich ihre Gesichter, und sie stießen einander mit den Ellenbogen an. Das war doch allgemein faßlich ausgedrückt! Und danach muß die Philosophie immer streben, wenn sie populär werden will. Die Hausfrau jedoch sah mit einmal näher und eifriger als vorher nach den Maschen ihres Strickstrumpfes; sie liebte das »niedrig Komische« nicht oder, wie sie anspruchslos sagte: »ich habe keinen Sinn für Humor.«

Der Philosoph hatte unterdessen die Tasse zum Munde geführt. »Der Mann nun,« – begann er wieder – »der eine große That gethan oder das Wort gesprochen, das alle Welt in dunklem Drange suchte, der darf sich um den Siegerpreis nicht Sorge machen. Ein grüner Kranz auf seine Stirn findet sich schon – spätestens, wenn er die Augen zugemacht, und ist er lange todt und begraben, setzen sie ihm wol auch ein Denkmal. Und hübsch mag das dann sein, wenn bei der ruhmvollen Gedächtnißfeier die Umhüllung fällt, und verklärt von der Hand des bildenden Künstlers vor dem frohlockenden Volke die Gestalt seines Wohlthäters sich erhebt! Mit des Schuhes Sohle steht er höher, als die Häupter auch der Größten unter den Lebenden hinaufragen, sein Antlitz aber, das vordem den Mitlebenden nicht viel bedeutender erschien, als die Gesichter anderer ehrlicher Leute, schaut mit nicht zuckender Wimper empor – zu den Unsterblichen.«

Der Hausfreund klopfte an seine Dose, die er während der ganzen Zeit in der Hand hielt, aber jetzt erst geöffnet hatte, und griff mit Daumen und Zeigefinger in die Füllung, Die Kinder verwandten kein Auge von der anziehenden kleinen Nebenhandlung. Dann fuhr er fort:

»Doch nicht alle Tage ist Sonntag, und nicht alle Sonntage Enthüllungsfeier. Der Festrausch, auch der schönste und reinste, verfliegt so bald! Ein Jeder kehrt heim zu seiner Arbeit, zu Weib und Kind, nur der Gefeierte bleibt allein zurück auf dem Markte. Und nun heißt es: steh' du nur! Jahr aus Jahr ein, Tag für Tag, immer in derselben schauspielerisch nachsinnenden Stellung, mit einer Rolle, auf der nichts geschrieben ist, und was noch übler, mit einem Haupte, das keine ewigen Gedanken mehr birgt. Den Marmorpaletot hat der Schneider vom selben Stoff gemacht, wie Gesicht und Hände, – im Sommer läßt das hübsch, aber zur Winterzeit ist's frostig – oder aus Bronze, die so unbequem harte Falten wirft. Die Einheimischen beachten den großen Mann des vorigen Jahrhunderts immer weniger und weniger, und bald ist er nur noch den Fremden Gegenstand der Neugierde und kalter Bewunderung. Unendlich schöner war ja doch vor Zeiten im warmen Leben des noch nicht Vollendeten ein einziger Moment glücklichen Schaffens, ein einziger Blick der Liebe, ein einziges anerkennendes Wort des verständnißvollen, aber lobkargen Freundes: »Alter, das hast du gut gemacht!« Wem das nun nicht genügt – ja, der soll es nur fein bleiben lassen und lieber eine andere nützliche Hantirung ergreifen. Ohnehin bleibt's mit dem Denkmal doch immer eine ungewisse Sache.«

»Was mich betrifft, schloß unser Freund lächelnd, ich verzichte also schon lieber gleich bei Lebzeiten auf die unverdiente Ehre. Aber wenn einmal auf dem Hügel, unter dem ich ausruhe, schönes üppiges Gras wächst, das sich sanft schaukelt, wie nachdenklich bewegt, und die Vögel singen im Busche, durch dessen Zweige die liebe Sonne blickt auf die hohen zitternden Grasblüthen und Rispen, mit denen die Schatten der Blätter spielen, und ein guter Bekannter oder einer meiner Schüler kommt und denkt »ich will doch mal hingehen und sehen, wo mein alter Lehrer liegt – das soll mir recht sein, das ist mir ein lieber Gedanke.«

So lange hatte der Sprechende die Prise ruhig zwischen den Fingerspitzen gehalten; nun erst nahm er sie. Jedes Nasloch empfing unparteiisch sein Theil, während der umgekehrte, am Nagel etwas gebräunte Daumen nach beiden Seiten mit erstaunlicher Emsigkeit schob, rieb, schüttelte und schaufelte. Die Brust beugte sich vor, damit die saubere, weiße Halskrause nichts abbekam, und das Gesicht nahm eine so ernste gewichtige Miene an, als habe dieses Geschäft unendlich viel mehr auf sich, wie die ganze tiefsinnige Abhandlung über – das Genie.

*

 


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