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11.
Das Liebesorakel.

Eines Nachmittags saß die Mine in der Gesindestube und nähte.

»Ich weiß nicht, was das ist, daß sich der Faden mir heute immer so verknüppert!«

»Das macht, weil Sie für sich und nicht für die Frau nähen, meinte die Flore. Sie werden sehr gefallen in dem Kleide.«

»Na ja, ich denk' auch.«

Die Mine nähte weiter.

»Au – das that aber weh!«

»Haben Sie sich gestochen. Minchen? – Minchen, Minchen, das hat was zu bedeuten – Sie wissen doch?«

»Florchen, wenn Sie lieber möchten gehen und die Kiep' nehmen und Holz eintragen.«

»Da haben Sie auch ganz Recht, mein Minchen. Nachher wird's wieder so spät, und ich muß in der sinkenden Nacht mir der Laterne herumklabastern.«

Die Flore nahm also den großen Korb und ging Holz holen.

Die Mine nähte weiter und sang gefühlvoll, obwol etwas durch die Nase:

»Grüne Reben, grüne Reben
Geben Wein, ja geben Wein,
Aber du, mein theuerstes Leben,
Wirst mir ewig ferne sein.«

Die Mine seufzte und sah mit einem scheuen Blick zum Fenster hinaus auf den Hof nach dem Holzstall hin, ob sie auch noch vor der Flore sicher sei. Dann zog sie die Schieblade des sogenannten rothen Tisches auf. Dieser hatte wirklich einmal einen rothen Anstrich gehabt, von dem hie und da, besonders an den Seiten, wo der Scheuerlappen nicht so viel hinkam, auch noch deutliche Spuren zu erblicken waren. In dem rothen Tische befanden sich einige steinharte alte Brodrinden, ein grobwollenes Strickzeug, ein Spiel deutsche Karten, das nicht ganz vollständig und schwierig abzuheben war – die Blätter klebten gerne zusammen – ein wohlerhaltenes Gesangbuch, ein anderes viel kleineres Büchlein ohne Einband, auf Löschpapier gedruckt, stark zerlesen und mit zahlreichen Eselsohren, so wie – ein gewisser beim Aufziehen des Schubs sich sogleich merklich machender säuerlich muffiger Duft. Das kleine unscheinbare Büchlein war das Traumbuch, und dies brauchte die Mine eben. Sie blätterte darin und las, nachdem sie die gesuchte Stelle gefunden, sehr aufmerksam, wobei sich ihre Lippen wie buchstabirend bewegten, und der Finger Wort für Wort, Zeile für Zeile auf dem Blatt mit weiter rückte.

Als die Flore zurückkam, sah sie vom Traumbuch nichts mehr, das hatte die Mine rasch wieder weggesteckt.

Die Mine seufzte abermals.

»Minchen, was seufzen Sie?«

»Das geht Sie nichts an.«

»Na, na – seien Sie nur nicht gleich schlimm!«

Und immer schwerer wurde der Mine auf der Brust, aber sie nahm sich zusammen und seufzte nicht. Doch die Natur rächte den ihr angethanen Zwang. Hatte die Mine nicht seufzen wollen, so mußte sie nun schluchzen, oder wie sie sagte »schlucksen«.

»Minchen, wer denkt an Sie?«

»Ach mein Florchen – wer soll an mich denken?«

»Das weiß ich nicht, aber es denkt Einer an Sie – glauben Sie mir. – Wir wollen mal probiren und rathen – nützt es nicht, so schadet es auch nicht. Aber ich sage: treffen wir's, so hört Ihnen das Schlucksen auf ... Am Ende der Seiler?«

Die Mine schluckste.

»Also der nicht? Schad't auch nichts, an dem Humpelbein von Strangchendreher ist nichts gelegen. Wie soll der vorwärts kommen? Er watschelt ja immer rückwärts, wenn er sich den Faden aus dem Leibe dreht wie die Spinnen ... Na ja, Herzchen, er hat doch den Hanf vor sich in der Schürze. Oder vielleicht denkt der Ueberlei an Sie? Auch nicht? Das ist mir lieb. Nur kein Wittmann! Ich hab' nichts gegen den Ueberlei, blos die Würmer heirathet die Frau doch mit – und eins immer kleiner und kleinutscher als das andere – und werden sie nachher groß, ist es noch schlimmer ... Das ist schon richtig, er fuhrwerkt sich was zusammen mit den beiden steifen Schimmeln und seiner alten Kalesche. Da könnten Sie Sonntags spazieren fahren ... Nehmen Sie mich auch mit. Minchen?«

»Florchen, hauen Sie mir lieber mal in's Kreuz – aber forsch! das wird besser sein als Ihre Faxen.«

Die Flore hatte die Gefälligkeit, der Mine forsch in's Kreuz zu hauen. Doch auch dies zarte Mittel half nicht ... die Mine schluckste.

»Minchen, es wäre doch ein Spaß, wenn der kleine Bucklinski, der Glaser, an Sie dächte. Lachen Sie nicht, Kindchen, das sind die Allertollsten.«

Die Mine lachte nun erst recht, sie schüttelte sich nur so, sank rücklings an die Stuhllehne und hielt beide Hände vor das Gesicht, aber mitten in all dem furchtbaren Lachen kam der hartnäckige Mahner schon wieder.

»So wird es einer von den Zimmergesellen sein? O, Zimmermann ist ein gutes Handwerk, da können die Frauen tüchtig Späne schleppen. Manch' eine nimmt nicht weniger unter dem Arm mit als auf so 'nem Fuderchen vom Holzmarkt, wo die Bauern so geschickt laden – daß mehr Luft als Holz zwischen: die Radspuren breit wie die Hüften von der dicken gnädigen Frau, aber die Leitern und Rungen stehen schmal wie die Schultern von 'nem dreizehnjährigen Fräulein.«

Die Mine schluckste.

»Nicht? Na nein, nein – kein Zimmermann! Sie haben wol die Schwalbchen lieber, die Maurer? Ich weiß nicht. Minchen ... den Korb und Paartopf mit Essen tragen müssen Sie da ebenso – aber Sie bringen auch nicht ein Splitterchen Holz mit zurück zum Feuer für nächstes Mal. Und den ganzen langen Winter keine Arbeit, da liegen sie auf der Bärenhaut und kommen auf unnütze Gedanken und gewöhnen sich das Saufen an. Na ... und wie sehen sie immer aus! – bespritzt und bekleckert von oben bis unten mit Kalk und Lehm. Wenn die Maurerfrau dem Mann 'n Kuß geben will, muß sie erst die Stelle im Gesicht suchen, wo sie ankommt, daß sie nicht kleben bleibt wie der Abputz an der Wand.«

Die Mine schluckste.

»Herrje, herrje – Minchen, was ist das mit Ihnen? Das abscheuliche Schlucksen stößt Ihnen ja beinahe das Herz ab – sollt' es der Maler sein, der Ihnen so zusetzt?«

Die Mine wurde kirschroth.

»Hat der denn gar nicht wieder von sich hören lassen?«

Die Mine schüttelte den Kopf: »Als wenn man einen Stein in's Wasser wirft – plumps! weg ist er.«

»Ander Städtchen, ander Mädchen. Wer weiß, wo er jetzt auf dem Gerüst steht, einen feinen Pinsel im Mund, mit dem andern in der Hand oder mit 'nem Lineal und dem ausgeschnittenen Papier, durch das er die Farben schlagt, und durch's ganze Haus riecht's nach der Farbe, und sie singen: »steh' nur auf, steh' nur auf, du Schweizerbub'«, oder: »es lebe die Liebe, es lebe der Wein!« und der Bursche holt von gerade über aus der Ressource eine Flasche Bier zum Silbergroschen, und ...«

Die Mine hielt den Athem an, was sie nur konnte, aber das zarte Liebesorakel hatte, wie andere geheimnißvolle Mächte auch, seine Launen und ließ sich durch menschlichen Willen nicht zwingen. Die Mine schluckste.

»Trösten Sie sich. Minchen – die Anstreicher taugen alle durch die Bank nicht viel, und nun gar der Blasse mit seinen Schmachtlocken und den verliebten großen Kalbsaugen, an dem war das Blut nicht gut.«

Die Mine nähte sehr eifrig.

»Wenn es ein Bäcker oder Fleischer sein möchte: das wäre so was – die verhungern nicht, die werden dick und fett, mag es sonst gehen wie es will. Brod und Fleisch holen die Leute doch immer. Wo die warmen Semmel eben aus dem Ofen kommen, oder ein aufgehauenes Kalb an der Thür hängt, da ist allemal noch Verkehr, wenn mancher große Kaufmann mutterseelenallein hinter dem Ladentisch steht und Maulaffen feil hat ... Kaufmann Laufmann.«

Die Mine schluckste.

»Warten Sie, warten Sie, Kindchen! Wir kriegen ihn – nur Geduld! Da ist der junge Buchbinder, der die Akten auf dem Gericht heftet, der geht jetzt Tag für Tag bei uns vorbei.«

Die Mine schluckste.

»Nein? Wieder nicht? Schmeckt Ihnen der saure Kleister nicht? Ja, wer kann es denn sonst wol noch sein? ... doch nicht erst wer, der nicht das Salz auf's Brod hat und kein Puschkaterchen ernähren kann, und dem das Freien man so ankommt wie dem jungen Mops das Grasfressen. Sie kennen ja auch die Köchin von Meinerts ... Nicht? Na, die ist gut so alt wie ich, viel schöner auch nicht, oder brummig wie des Teufels Großmutter, wenn sie nicht recht ausgeschlafen. Wie sie von vorn aussieht, das hat noch kein Fremder erfahren, der in's Haus kommt. Sie hebt blos die Klinke, daß die Thür aufspringt, und dann links um – sie schlarrt schon wieder ab in die Küche, ehe der seinen Fuß über die Schwelle setzt. Sie kocht aber Alles pappweich, anders kann es der alte Herr nicht beißen – sonst würde sie auch schon weiß Gott wo sitzen, aber nicht in der schönen warmen Küche, und viel Visiten kommen ja auch da nicht. Na – nu ist das gut, und es klingelt wieder mal, und sie macht wieder aus ... ist aber keine fremde Herrschaft, nur so 'n armseliger junger Bursche, langaufgeschossen und dünn wie 'ne Petersilienwurzel, ein Vaterunser durch die Backen zu blasen, auch von Kleidung schäbig und unsauber, blos 'n buntseidenes verstecktes Halstuch zum Staat und Vatermörder, im Rinnstein gewaschen und im Schornstein getrocknet. »Ein armer Reisender, der ansprechen will – ist er's nicht würdig, ist er's doch bedürftig, denkt sie – denn gut von Herzen ist sie – mein Gott! der arme Schlucker hat heute gewiß noch keinen warmen Löffel im Leibe gehabt« – macht kehrt, zeigt ihm, wie ihr schöner alter Küchenrock aussieht, wo sie nicht die Schürze vorgebunden, wackelt ab und bringt ihm 'ne Neige Suppe. Und die lacht ihn so an, und er lacht sie wieder an wie die Gans das Haberfeld – aber er legt die Hand auf den leeren Magen, bezähmt sich noch und zieht den Hut, den er sich geborgt, und der noch das Beste an ihm, streicht sich die spießigen langen Haare aus dem Gesicht – und jetzt erkennt sie ihn erst ... »Was? Sie sind es? Der lange Hannes? ... ich seh' nicht gut gegen das Licht. Was Gott! führt Sie her? ... schickt Sie der Meister oder die Frau Meisterin?« Denn da verkehrt sie so etwas – ich glaube, sie haben mal zusammen gedient, und so hat sie auch wol ab und zu mit den Gesellen und Burschen ein Wort gesprochen. Und nun fängt der an zu brascheln wie der Jud' um's Hasenfell, nicht gehauen nicht gestochen. »Was, was?« ... Die alte Tine versteht ihn gar nicht – mit einmal geht ihr ein Licht auf. Kurz und gut: es ist ja noch ein ganz grüner Bengel, noch kein halbes Jahr freigesprochen, von Profession ein Tischler – aber was für einer! ... Eine wackelige Hobelbank mit drei Beinen ist seine ganze Einrichtung und sein ganzes Vermögen, womit er sich etabliren will, und so warf er sein Auge und seine erste Liebe auf die paar Groschen, die sich die alte Person mit ihrem sauren Schweiß verdient und in den Kasten gespart. Na, dem hat sie aber gedient: »Na nu' Gott's Segen! Sie träumen wol von der Johann'snacht? Wenn Sie lieber möchten gehen und erst trocken werden hinter den Ohren und Gut's thun beim Meister und nicht alte Leute zum Narren machen, die Ihre Mutter sein könnten – aber Gott soll mich in Gnaden bewahren vor Mutterstelle an so 'nem Unnosel! Von blöden Eltern sind Sie nicht – Ihr Vater heißt wol Dreist und Ihre Mutter ist eine geborne Ausverschämt? ... und pratsch! schmeißt sie die Thüre zu. Sein Glück, daß er schnell zoppte, sonst hätte er den andern Tag wiederkommen müssen, sich die eingeklemmte Nase abholen.«

Die Mine schluckste.

»Aber nun will ich zum letzten Mal rathen, und wenn es der auch nicht ist, dann weiß ich nicht. Es ist gewiß der Schuhmacher, der an Sie denkt.«

»Welch' Schuhmacher? Ich weiß von keinem Schuhmacher.«

»Minchen, thun Sie nur nicht so! Sie wissen recht gut ... wie heißt er denn gleich! der, der – na der da – der Karline bei Rademachers ihrem Schwager sein Halbbruder – so 'n blonder, 'n bischen völlig, 'n hübscher Mensch.«

»Ach so – Sie meinen wol den Masch?«

»Ja wol, den Masch, den mein' ich, und das wäre der Schlimmste noch nicht. Der hat sich doch schon die Hörner abgelaufen, er ist ja in der Welt herum gewesen weit und breit. Was ist der nicht schon gewandert, bis nach Wien und nach Ungarn hinein. Und wissen Sie denn auch schon, daß er da fast hängen geblieben wäre – es war man so so, wie er wieder loskam. Bei einer Frau Meisterin hat er gearbeitet, die das Geschäft fortsetzt, 'n großes Geschäft in blühender Nahrung und nur ein einziges Kindchen, und mit dem schönsten Essen hat sie ihn förmlich genudelt, und blos immer Wein, Wein, Wein – nichts als Wein hat er zu trinken gekriegt – immer den reinen schönen Ungarwein, denn da giebt es gar kein Bier und kein' Schnaps, oder was für Schnaps geht, das ist aus Pflaumensaft gebrannt und besser wie der Wein, den hier die Herrschaften haben – ja so ist das da.«

»Warum hat er sich denn nicht in all das Glück hereingeheirathet?«

»Das sagt' ich ihm auch – und wissen Sie, was er mir da sagte. Minchen? Florchen, sagte er, damals war ich noch zu dumm – und ließ mich zuletzt von so 'nem lumpigen Dresdner ausstechen – wenn's jetzt wäre, da würde ich nicht so lange fackeln – sagt' er.«

»Nehmen Sie ihn doch!«

»O mein Minchen, für's Erste nimmt sich das nur nicht gleich so, und für's Zweite danke ich auch recht sehr: rath' ich vom Wittmann ab, so will ich als Wittfrau auch kein Narr sein – und mich wieder in den Essigtopf setzen – ich habe schon an einmal genug gehabt.«

»Und ich an keinmal, ich werde gar nicht heirathen, wenn Sie's wissen wollen.«

»Das ist das Allergescheiteste, Minchen.«

»Was ich möchte, das ist – Krankenwärterin werden, und dann wollte ich die armen Kranken so lange treulich pflegen, bis ich selbst nicht mehr kriechen kann, dann werden sie einen doch auch nicht hinter dem Zaun liegen lassen. Du lieber Gott, wer weiß, wie bald ich's nöthig habe – das sticht mir manchmal so hier in der Brust – ich denke immer, ich habe schon jetzt auf 'ne Art die Schwindsucht. Was ist denn auch an unser einem gelegen? Da kräht kein Hund, kein Hahn danach, ob ich da bin oder nicht!«

»Minchen, versündigen Sie sich nicht, der liebe Gott kann Sie strafen!«

»Und wenn es mal so weit ist, wünsche ich mir blos Eins noch.«

»Na sagen Sie doch, mein Herzchen!«

»Ein schönes Begräbniß.«

»Wie wollen Sie's denn haben?«

»Ach wenn Sie einen doch in Ruhe ließen. Florchen! Mir ist so schon traurig genug zu Muth.«

»Eben d'rum – Sie müssen sich den Gram von der Leber wegsprechen.«

»Ich kann die schwarzen Särge nicht leiden – ich möchte einen gelben haben, so 'n recht hellgelben, und oben 'n schönen grünen Kranz d'rauf – und alle Leierkasten aus der ganzen Stadt müßten vorangehen und spielen – im Ernst, Florchen – ich hör' die Leiern immer so gern!«

»Gut, Minchen, ich werd' es bestellen – ich brauch' doch nicht gleich zum Todtengräber zu gehen, es hat ja wol noch Zeit bis morgen oder übermorgen. Ueberlegen Sie sich's noch mal –, ein schönes Begräbniß kostet auch schönes Geld. Ein zehn ... fünfzehn Thaler ist viel, aber was ist das? ... da sind noch keine großen Sprünge zu machen mit 'ner Leiche. Und was ich sagen wollte – ja das Schlucksen ist wahrhaftig fort, seitdem wir vom Masch sprechen, wie weggeblasen. Minchen, Minchen – da werden Sie ihm müssen die Zeugschuhe einfassen und lernen mit schwarzem Wachs wichsen und groben Pechdraht so fein andrillen, daß er durch's Nadelöhr geht ... Ja was! ein Graf, ein Baron kommt doch nicht. Beim Schneider muß die Frau auch sticheln helfen, beim Weber Spulchen drehen und die Handschuhmacherfrauen müssen Handschuhe waschen, bis ihnen die Finger so dick! ... schwellen. Aber das Schlucksen ist wahrhaftig weg und bleibt weg, als hätten Sie eingenommen. Spaß bei Seite: der Masch ist es, der denkt an Sie.«

»Laß er doch denken, so viel er will, aber ich denke nicht an ihn. Ich werd' ihm nicht zur Last fallen, daß er sich um meinetwegen fast die Seele aus dem Leibe schluckst.«

»Minchen, verreden Sie sich nichts – sonst geht es Ihnen am Ende wie der andern Mine, die vor Ihnen war.«

»Die den Kürschner hat?«

»Nein, das war die »grüne Minchen«, die trug immer so 'ne grasgrüne Jacke – die andere: »die blaue Mine«, die immer im Spencer von blauem Stuff ging. Ihr Mann ist Horndrechsler.«

»Ach die Kogel'n?«

»Ganz recht, Kogel heißt er. Und wissen Sie, was die ihm für Bescheid gab, als er zum ersten Mal angefragt? Nein? Nun ich will es Ihnen sagen. Es war auf dem Schuhmacherball. Denn die Horndrechsler hielten sich damals zu den Schustern, sie waren zu wenig, um selbst einen Gewerksball zu Stande zu bringen. Und sie war auch wie aus den Wolken gefallen. Alles in der Welt hätte sie wol eher gedacht als das. Sie kannt' ihn noch so gut wie gar nicht. Einmal hat sie die Pfeife vom Herrn mit dem Weichselrohr abgeholt, ich hatte sie hin gebracht: er sollte eine neue Spitze andrechslen. Es war noch ein junger Anfänger, aber seine Arbeit wurde sehr gelobt. Dann hatten sie sich ein paar Mal beim Herausgehen aus der Kirche gesehen, das war Alles. Und nachher that's ihr leid, daß sie ihn so ablaufen ließ. »Minchen, sagt' ich, was haben Sie? ... was ist Ihnen? ... Sie stoßen und spicken ja mit Allem so, als wenn Sie heiß Eisen unter Händen hätten.« Aber da gönnt sie mir noch nicht das Wort. Den nächsten Sonntag war der blauen Mine ihr Sonntag. Ich sage ... »Minchen, sage ich, werden Sie nicht ausgehen, es ist doch heute Ihr Sonntag.« »Ich gehe aber doch nicht aus.« »Warum denn nicht?« »Weil ich keine Lust habe.« »Na schön, schön! meinetwegen – ich frage ja nur.« Sie zieht aber doch ihr bestes Kleid an, bindet sich eine propre weiße Schürze vor, und es läßt ihr recht nett.«

»Wol netter als jetzt?«

»Ja, jetzt sieht die Kogeln anders aus. Sie war ein hübsches Mädchen – 'n bischen krumme Nase, aber das schad't nichts – rund und drall und frisch war sie wie 'n Boisdorfer Apfel, und Manche hat sich noch mehr verändert, wenn sie nachher in die Käthe kam auf's Eigene. Und wir setzen uns vor die Thüre, auf die Treppe und sehen die Leutchen vorbeigehen, und im Ressourcengarten ist Musik. Mit einmal kommt da wer um die Ecke ... Ich sage: »Minchen, sehen Sie doch, wer da kommt.« »Wo denn?« »Na da aus dem Gartengäßchen – Minchen, sag' ich, hat der nicht so was vom Kogel im Gang und in der Statur?« »I mein Florchen, wie soll doch da der Kogel herkommen?« »Nun, Hexerei wär' es just nicht. Da zwischen die Gärten durch geht's auf den Holzmarkt und vom Holzmarkt durch die alte Stadtmauer nach der Kasernengasse – früher nicht, aber jetzt ist ja durchgebrochen – und in der Kasernenstraße wohnt er ja wol, wenn er nicht verzogen ist.« Da niest die blaue Mine, ich weiß das noch, als wäre es heute geschehen. »Gott helf',« sage ich, »Minchen das muß wahr sein, sie haben es beniest,« und steh' aus und sage: »ich will doch man in den Keller gehen und die Milch abschmanten, es wird wol Zeit sein, und ein Anderer thut's doch nicht für mich« – und bleibe so 'ne gute Viertelstunde weg. Denn man soll Niemand in den Weg treten vor sein Glück, und ich bin auch jung gewesen und weiß, wie das ist. Und als ich wieder zurückkam, ist schon Alles in Richtigkeit gewesen, hat sie mir nachher erzählt. Ja ja! ...«

»Was hat sie ihm denn aber auf dem Ball gesagt?«

»Ja so – das hätte ich bald vergessen ... Wie er mich neben der Minchen hat sitzen und aufstehen und hereingehen sehen, mag er wol Angst gehabt haben, ich könnte zu rasch wieder da sein, und so fällt er gleich mit der Thüre in's Haus: »Guten Tag, Minchen, wie geht's denn noch? ... und wie ist's denn? ... Haben Sie sich besonnen? ... wollen Sie oder wollen Sie nicht?«

»Da kann sie ihm das erste Mal doch nicht so sehr scharf »Nein« gesagt haben.«

»I na – es geht ... sie hat ihm ganz deutlich und vernehmlich gesagt: »mein lieber Kogel, gehn Sie beim Deiwel, ich will von nichts nicht wissen«. Und das ist närrisch gewesen: an dem Sonntag, da hat die blaue Mine auch von nichts als von Sterben und Begraben gesprochen. Ich sagt' noch, »Minchen, sagt ich, darum haben Sie sich wol eben die neuen Hemden angeschafft?« »Ja wol, sagt sie, ich will doch nicht, daß wenn die Herren vom Gericht kommen, sie nichts finden als Koddern, Flick auf Flick« – und gerade solch grausames Schlucksen hat sie auch gehabt, weil der Kogel an sie dachte ... Warum soll's nicht auch jetzt eintreffen? Also 'n Schuhmacher! ... mein Gott! Wenn er nur ordentlich ist, warum nicht? Ein Glücksspiel bleibt's immer – kann sein zum Glück, kann sein zum Unglück. Und wenn er Sie nur nicht schlecht behandelt ... so 'n Knieriemen ist eklig! Aber wie sagen sie doch auf den Dörfern? »Er liebt mich nicht, er prügelt mich nicht einmal.« Und was hilft das Alles? Der liebe Gott hat es doch schon mal in seiner Weisheit so eingerichtet, daß die Frauenzimmer alle so verrückt sind und durchaus heirathen wollen.«

*

 


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