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27.
Die Begrüßung.

Als der Herr Nachbar, unser alter Hausfreund, das Posthorn hörte und der schwere Wagen plötzlich nicht mehr rasselte, da wußte er auch gleich, was das auf sich hatte. Ein Schnellläufer war er so wenig wie andere Podagristen, allein wenn etwas Merkwürdiges bei uns vor der Thür passirte, da trugen ihn seine schwachen Füße doch immer noch zur Zeit an das kleine halbrunde Erkerfenster, das nach vorne auf die Straße hinausging. Von da konnte er dann Alles gut übersehen, ohne sich in seiner häuslichen Ruhe zu stören. Er brauchte nicht einmal sein schwarzes Sammetkäppchen abzulegen oder den Schlafrock auszuziehen. Und so selbst beobachtend, beobachtete ihn keiner. Das war ihm aber gerade recht. »Ich stehe nicht mitten im Leben wie ihr, Kinder,« pflegte er zu sagen, »ich gehe nur so nebenher, und meine ganze Freude ist, mir die Welt behaglich anzuschauen, aber recht genau von meiner höheren Warte – aus dem Kappfensterchen!«

Solch' ein Schauspiel wie jetzt gab es freilich nicht alle Tage bei uns vor der Thüre. Das war ein Jubel und Trubel! Das ganze Haus lief zusammen, alle Thüren standen offen – es war ein Zug zum Auffliegen! Wer an Rheuma litt oder schwache Nerven hatte, würde klug gethan haben, sich ein paar Loth Baumwolle in die Ohren zu stopfen, sowol zum Schutz gegen Erkältung, als gegen den Spektakel. Aber kein Mensch dachte an sich selbst. Jeder ließ stehen und liegen, was er vor hatte, und lief auch mit hinaus. Alle wollten Karl sehen, Karl begrüßen! Wie er aus dem Wagen gekommen, ist mir noch ein Räthsel. Er schien Lust zu haben, durch das Fenster zu springen, als der Drücker an der Thüre nicht gleich aufging. Dann verwickelte er sich in seinen Mantel, obwol dieses ursprünglich nach höchst solidem Schnitt von Meister Nickelhardt angefertigte Kleidungsstück mittlerweile erheblich gekürzt worden – ja es war eigentlich nur eine Art langer Kragen davon übrig geblieben, luftig und leicht, wie »mit Essig gefüttert«. Und zuletzt fiel ihm auch noch die Mütze ab, wenn man einem gold-grün-weißen Deckelchen, nicht größer wie ein Dessertteller, diese schwerfällige Bezeichnung geben darf. Nun das hinderte ihn freilich am wenigsten, er kümmerte sich gar nicht darum, und wir auch nicht: es blieb den kleineren Geschwistern überlassen, das Prachtstück von Cereviskappe aufzuheben und im edlen Wetteifer dabei lustig mit den Köpfen zusammenzustoßen, während die Eltern den Sohn in ihre Arme schlossen. Alle Beredtsamkeit der Welt hätte die Empfindungen des Wiedersehens nicht schöner ausdrücken können, als die Mutter mit dem einfachen Ausruf: »mein Karl!« Und wieder strich ihm die immer noch etwas rauhe – selten müßige Hand über Stirn und Haar, und wieder hatten ihre Augen einen feuchten Glanz. Es war Alles wie beim Abschied, nur weinte die Mutter damals keine Freudenthränen. Wie flog Agathe an des Bruders Brust! und dann stellte sie sich vor ihn hin, ergriff seine beiden Hände und schaute ihm so recht in die Augen. Aber Ferdinand machte nicht viel Federlesens und schob die Schwester sanft zur Seite: »laß mir auch noch was von ihm übrig!« Er war ja ausdrücklich deshalb zur Stadt gekommen, der Pferdemarkt war nur Nebensache. Sie faßten sich kräftig mit verschränkten Armen, sahen einander auch fest in die Augen und klopften einer dem Andern auf die Schulter: »alter Junge, bist du's, lebst du wirklich noch?« Ernestine hielt sich etwas zurück. Aber Karl kam unbefangen auf sie zu und reichte ihr freundlich die Hand.

Während dessen war man in das Haus eingetreten, und wie Karl zufällig in die Höhe sah, da stand oben im Flur am Treppengeländer – die Großmutter. Karl stürmte hinauf. Er würde den Weg wol gefunden haben, wenn sie ihm auch nicht schon entgegengekommen wäre. »Siehst du, Großchen, habe ich dir's nicht gesagt, daß du noch da sein würdest?«

Die Großmutter war Gott sehr dankbar für die Gnade, daß er sie so lange erhalten – nur wünschte sie es nun auch noch zu erleben, wenn Karl einmal für immer zurückkäme, nicht blos zum Ferienbesuch.

Die jüngeren Brüder fand Karl sehr gewachsen bis auf Bernhard: »also bist du immer noch der kleine dicke Stöpsel! Junge, bedenke, – wenn du nicht bald wächst, nehmen sie dich ja zum Trommelschläger!« Wer aber zu lang aufgeschossen, hatte es wieder nicht recht gemacht. »Nein, dieser Adolph!« das Gesicht ist noch ziemlich dasselbe, nur Alles auseinandergezogen. »Und was der Max für starke Augenbraunen bekommt! Der muß doch immer was Apartes für sich haben!« Das jüngste Schwesterchen hatte es schon Wochen lang vorher auf's Lebhafteste beschäftigt, daß der Student nun kommen sollte, und Bonn, die ferne Stadt, wo er ein paar hundert Meilen weit von Hause lebte, wie man ihr gesagt, hatte für ihre rege kleine Phantasie einen märchenhaften Reiz. Sie war noch ganz klein gewesen, als Karl zur Universität ging, und besann sich nicht mehr auf ihn. Die Tage vor seiner Ankunft zählte sie wie vor Weihnachten. Wie der große fremde Bruder nun aber wirklich vor ihr stand, da war sie doch etwas befangen. Sie guckte ihn immer nur so von der Seite an und sah rasch wieder weg, wenn Karl auch nach ihr hinsah, blieb sein Blick aber auf ihr ruhen, so lief sie zum Fenster und drückte ihr Näschen an der Scheibe platt, als wären draußen höchst merkwürdige Dinge zu beobachten, bis ihr Agathe etwas in's Ohr sagte. Da ging sie und holte den vorjährigen Volkskalender, kam schüchtern damit heran, schlug ein bestimmtes Blatt auf, das schon oft aufgeschlagen sein mußte, denn der Einband war an der Stelle stark gelockert, und so legte sie das Buch auf Karl's Kniee. Der war aber im Gespräch mit dem Vater vertieft und beachtete es nicht gleich. Die Mutter stieß ihn an: »Sieh doch! Sie will dir etwas zeigen – ein Bild. Ob du's erkennst?«

»Nun, was ist es denn Schönes? – Ah ...!« rief Karl. Wenn er schon in der Lage gewesen, eine Braut haben zu können, würde er vielleicht beim unerwarteten Anblick ihres Bildnisses auch so überrascht gewesen sein. Es war die Ansicht einer flachliegenden Stadt von der Stromseite her, im Vordergrunde eine fliegende Brücke. »Bonn am Rhein« stand darunter. Karl zog die Kleine an sich. »Wer hat dir denn das gesagt, daß du mir dies Bild zeigen sollst?«

»Keiner.«

»Sie hat es sich ganz allein ausgedacht und sich ja schon so darauf gefreut!«

»Na, komm' mal her, Margell, wir müssen uns doch ein bischen näher befreundschafteln, wie die Katze zur Maus sagte – und da biß sie ihr den Kopf ab.«

Das Schwesterchen wurde glühend roth, wie er sie vor sich auf den Schooß nahm und tüchtig abküßte; aber den Kopf ließ er diesmal noch d'rauf.

*

 


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