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15.
Hochzeit und Nachhochzeit.

Die pünktlichsten Gäste, die stets mit dem Glockenschlage kommen, waren schon ziemlich lange in der Kirche. Sogar der junge Herr Wiedemann, der sonst bei Hochzeiten und Taufen »consequent« erst dann erschien, wenn nach anderer Leute Ansicht die Hauptsache bereits vorüber, ließ sich herbei, diesmal ausnahmsweise nicht zu verspäten. Nun war die Versammlung vollzählig und harrte der Ankunft des Brautzuges in feierlichem Schweigen.

Ein Sperling flog von Pfeiler zu Pfeiler, man hörte den ruckweise schwirrenden Flügelschlag und sein unsicheres Flattern, wie er vor einem Schalllach schwebte, in das er sich setzen wollte. Bald darauf streifte der Leichtfertige schon wieder weiter, piepte und zwitscherte, als wäre er auf der Straße. Der polternde Ton beim Anziehen der Orgelregister, den er für ein Attentat auf seine persönliche Sicherheit halten mochte, hatte ihn verscheucht. Dann war wieder Alles still. Der alte Herr Wiedemann drückte das Kinn in die hohe, weiße Halsbinde und räusperte sich so würdevoll, wie sich's hienieden nur räuspern läßt.

Frau Wiedemann flüsterte Frau Engelrecht etwas zu – eine sehr gleichgiltige Bemerkung, aber auch das Gleichgiltigste erhielt eine Weihe durch die ernstere Stimmung des festlich glänzenden Kreises im Gitter vor dem Altar. Frau Engelrecht nickte und lächelte – sofern man diese sanfte, mehr angedeutete als ausgeführte Bewegung der Nackenwirbel Nicken und diesen auf's Aeußerste gemäßigt heitern Schimmer um die Augen noch ein Lächeln nennen darf. Als Frau Engelrecht sich wieder links hin wandte, Frau Wiedemann stand ihr zur Rechten, funkelte es gar fein, fast wie ein selbstleuchtender Strahl unter ihrer Spitzenhaube, im Augenblick aufzuckend und wieder erlöschend.

»Frau Engelrecht hat ihre Ohrringe mit den Brillanten!« dachte Gertrud Rademacher. Gertrud's Nacken, stets sehr zart, war in der kühlen Kirche alabasterweiß geworden, und wie sie ihre »Florwolke« etwas höher hinaufzog, vernahm man selbst das leise Knistern, mit dem sich dieser leichteste aller Stoffe an ihrem Kleide rieb. Ihre großen blauen Augen, die zu Zeiten auch recht lustig, ja ausgelassen blitzen konnten, weilten jetzt mit Vorliebe auf den Kränzen, welche die alterthümlich gewundenen Säulen am Altare umschlangen – gleichsam ein fröhlicher Gruß der irdischen Lebensblüthen an jene andere Welt heiligen Ernstes, deren Symbole im tiefeingedunkelten Altarbilde sie umrahmten. Auf dem Altare lag eine himmelblaue Decke mit zwei sich kreuzenden, in Silber gestickten Palmen. Von den beiden großen Kerzen flackerte die Eine Anfangs unruhig hin und her, als könne sie jeden Augenblick ausgehen, nun brannte sie eben so still und gleichmäßig wie die andere, und auch ihre steil senkrecht gen Himmel gerichtete Flamme umzitterte ein kleiner Strahlenkreis. »Und die bläuliche Luft ringsum, in der die Strahlen zucken, bald roth, bald gelb, bald weiß – bald näher, bald weiter, und wieder die andere Beleuchtung so schräge durch die hohen schmalen Fenster, und all die feinen Schattirungen in den Gewölben – wer das so malen könnte! oder lieber gleich selbst so eine ganze Kirche bauen – das wäre doch das Allerbeste! ...« dachte Max. Tante Malchen aber dachte: »wie gut, daß das Licht nicht ausging! Man soll nichts darauf geben, es ist sündhafter Aberglaube – aber so ist's mir doch lieber.«

Auch Malchen war wie der Onkel Major »in voller Uniform«, sie prangte in einem oder vielmehr in dem stahlblau seidenen Kleide, sowie in ihrem weißen Crèpe-de-Chine-Tuch, das wir gleichfalls jetzt nicht zum ersten Mal zu bewundern Gelegenheit hatten, und mit dessen langen Fransen die gute Tante beim Eintreten in den Kreis an einem Frackknopf des Herrn Hans Engelrecht hängen blieb. Die Krone von Malchen's ganzem Staat war ihr »Aufsatz« – man denke: Tante Malchen mit einem lila Sammetaufsatz im Haar und oben auf dem Aufsatz noch eine stolz wippende Putzfeder ... und hängen geblieben am Knopf vom jungen Herrn Engelrecht! Dennoch verzog Niemand auch nur die Miene zum Lachen. Ja der junge Engelrecht selbst, der sonst doch nicht unempfänglich für so etwas, machte ein furchtbar ernstes Gesicht, wie man es auch bei anderen jungen und älteren Komikern hin und wieder sieht.

Endlich wieder das dumpfe Dröhnen eines heranrollenden Wagens, bald darauf klappt die innere Thür des Hauptportals, und Alle sehen hin: jetzt sind sie's! Oben auf dem Chore stehen die Sänger, die Notenblätter vor sich, der Herr Kantor klopft auf das Pult, sein Taktstock fährt mit einer gebietenden Bewegung in die Höhe, und der Gesang beginnt. Es war ein Chor aus Agathe's Lieblingsoratorium. Und so gingen die Liebenden, begrüßt von diesen ihnen so vertrauten und zu Herzen sprechenden feierlichen Klängen den schönsten Gang ihres Lebens. Die beiden Elternpaare folgten, Brautführer und Brautjungfern beschlossen in üblicher Weise den Zug.

Nach dem Chor unseres Gesangvereins wurde noch ein Lied vor der Trauung gesungen. – Was hatte aber nur der Onkel Major? ... der schnitt ja wunderliche Gesichter! Er trug den Schnurrbart noch knapp gestutzt in zwei schmalen Streifen auf die Art, wie es zur Zeit der heiligen Alliance Mode war – die sogenannte »Elf«, und die Elf fing gegen Ende des ersten Verses ganz leise zu beben an. Auch seine alten Augen, die einst als junge Augen »Brennaugen« hießen, und stets so blank waren »wie auf der Knopfgabel geputzt«, wurden trübe und immer trüber beim zweiten Vers. Ja, als die Orgel von Neuem einsetzte, ihr voller brausender Tonstrom sich zum Beginn von Vers 3 durch die weiten hohen Räume ergoß, und wir sangen:

»Lobet den Herrn, der künstlich und fein dich bereitet,
Der dir Gesundheit verlieh'n, dich freundlich geleitet!
In wie viel Noth
Hat nicht der gnädige Gott
Ueber dir Flügel gebreitet!«

– da ging's unserm tapfern Onkel Major wahrhaftig nicht viel anders, wie der Weichsel, als das hohe Augustwasser kam. Brach der Damm auch nicht, es schwappte doch über. Eine große dicke Thräne glischte, kullerte und sprang »ricochettirend« über die wetterbraune Backe des Veteranen, fiel bis auf seine Brust hinab und blieb am – eisernen Kreuz hängen, wo sie fast eben so schön flimmerte wie der Frau Engelrecht Diamanten. Die verdammten Choräle! der Onkel Major konnte sie sammt und sonders nicht leiden, aber diesen nun schon gar nicht.

Während des letzten Verses erhob sich das Paar und trat auf den Teppich, der Prediger kam aus der Sakristei. Der Herr Diakonus hatte seine Rede ausgeschrieben und memorirt, hielt auch im Eingange daran fest, als er aber warm wurde, ging das volle Herz, »das den Redner macht«, doch wieder seine eigenen Wege, und der frei Sprechende fühlte sich nun erst recht zu Hause in seiner »großen Amtswohnung«. Er stand so ungezwungen da auf den Altarstufen, den einen Fuß etwas vor, die Hände in den weiten Talarärmeln, nur selten einmal gestikulirte er und dann meist mit einer ihm eigenthümlichen Handbewegung, die – vielleicht dem streng oratorischen Stil nicht einmal ganz gemäß – das erhabene Wort der Schrift für den alltäglichen Sprach- und Herzensgebrauch gleichsam gemüthlich zurecht zu machen schien. Als aber unser Hausfreund, der Philosoph, dem das lange Stehen sauer wurde, und der – wie er sagte – die Kirchenluft nicht vertragen konnte, unmaßgeblich der Ansicht war, nun sei es auch wol bald genug, da schloß der Herr Diakonus denn auch – den zweiten Theil und fing den dritten an: »der Mann liebe sein Weib wie sich selbst, die Frau aber fürchte den Mann!«

Außer den geladenen Gästen hatten sich noch viele Theilnehmende eingefunden, ja an der Umgitterung des Altars entstand allmälig ein förmliches Gedränge. Weiter hinten waren die Leute aufgestiegen, um besser sehen zu können, dennoch wollte es einer guten Dame durchaus nicht gelingen, sich die kanonische Gewißheit zu verschaffen, ob das Brautkleid mit einer »Schnebbe« gemacht war. Sie bog sich zu sehr über, verlor das Gleichgewicht, und da das Gesetz der Schwere auch in der Kirche keine Ausnahme zuläßt, fiel sie von der Bank herunter, diese gerieth in's Kippen, und ein halb Dutzend andere Personen, die darauf standen, fielen nicht ohne Gepolter mit ihr. Es war nur gut, daß bereits das erste Amen gesprochen war, und die Störung also weniger auf sich hatte. Gelassen sah der Prediger nach der Stelle hin, und eben so gelassen sah er wieder weg. Dann wandte er sich um, nahm das Buch mit den Formularen vom Altar, wartete noch so lange, bis die Ruhe vollständig wieder hergestellt, und verlas nun die Trauungsformel. Hat man's auch schon so oft gehört, es macht doch immer wieder und wieder tiefen Eindruck, wenn wir Zeugen sind, wie ein junges Paar sich Treue gelobt für's Leben – für gute und böse Tage, in Glück und Unglück, Reichthum und Armuth, Gesundheit und Krankheit, bis daß sie Gott scheide durch den Tod – zumal wenn dies junge Paar einem so nahe steht, wie Tochter und Sohn den Eltern und Geschwistern. Sowol die Braut als der Bräutigam, beide sprachen ihr »Ja« laut, deutlich und sicher, sie mochten sich die Sache wol vorher reiflich überlegt haben. – Wie der Prediger alsdann den Segen sprach über das kniende Paar, siehe! da war es doch wieder so still – man hörte Wort für Wort vom Altar und Taufstein bis zum Leichenwagen, der am entgegengesetzten Ende der Kirche stand, und nebenbei – doch gleichsam nur mit dem leiblichen, nicht mit dem Ohr des Geistes – hörte man draußen das Trappeln der Pferde, die unruhig zu werden anfingen, klirrende Schlüssel an der Haupteingangsthür, die der Küster wieder aufschloß, sowie von oben hinter der Orgel her das leise Aechzen und Knarren der Balgen, die Athem schöpften zum Schlußliede: »nun danket Alle Gott!« –

Die Feierlichkeit war vorüber, und die Rückfahrt der stattlichen Reihe von Equipagen regte von Neuem die Straßen auf. Kam das Brautpaar aber bei der Hinfahrt zuletzt, so fuhren sie jetzt allen Anderen voraus, – auch wieder im Staatswagen der Familie, in des Onkel Majors großer alter Glaskutsche, die ganz neu auslackirt war. Und wieder blieben die Leute stehen, und die Nachbarn lagen in den Fenstern, Jeder wollte das junge Paar sehen, und wer es gesehen hatte, schaute dem Wagen heiter nach – nur Einer nicht. Denn wer das Glück hat, führt die Braut heim, und wer Unglück hatte, für den ist das Nachsehen kein Vergnügen.

Gottfried, der Kutscher, fuhr sehr schnell, so schnell – wie er es für technisch nothwendig hielt bei einer Hochzeit, auf der Rückfahrt von der Kirche. An der Ecke schleuderte der Wagen nur so recht! Ein gelinder Schreck durchrieselt Agathe, sie neigt sich unwillkürlich etwas vor, nach Justus hin, ihre Fingerspitzen berühren seinen Arm ... im selben Moment war aber auch schon Alles wieder vorbei und ein heiterer Schein flog über ihr Gesicht. Es war das erste Lächeln der Braut nach den Thränen, die sie am Traualtar geweint, und noch glänzte ihr Auge feucht – es war ein schönes Lächeln! Bald darauf parirten die stolzen Braunen, und die Kutsche hielt vor der mit Blumen bestreuten Treppe unseres Hauses. –

Daß auch bei dieser, wie bei den meisten Hochzeiten, die kirchliche Seite des Festes nicht ausschließlich in Betracht kam, sondern nachdem die feierlich ernste Stimmung allgemach ausgeklungen, die festliche Heiterkeit sich gleichfalls unter die Gäste mischte – daß am schönsten Sommertage ... »Fräuleinchen hat die Katze gut gefüttert,« bemerkte die Flore, glühroth vom Feuer, und wischte sich die perlgroßen Schweißtropfen von der Stirn, zur berühmten Kochfrau, die heute den Oberbefehl in der Küche hatte – daß, sage ich, die Gesellschaft Anfangs im Garten, wo auf dem grünen Rasen noch einmal, zum letzten Mal in Agathens glücklicher Mädchenzeit, die alten fröhlichen Jugendspiele gespielt und die alten schönen Jugendlieder gesungen wurden – daß dann das Pförtchen nach hinten hinaus sich ganz sachte aufthat, etwas blank wie Metall durch die Büsche blitzte, Instrumente gestimmt wurden, und eine sanfte Musik begann, die weiterhin sich zur Polonaise entwickelte und Jung wie Alt, Groß und Klein in langem fröhlichen Zuge durch alle Haupt- und Nebengänge und zuletzt durch die offenen Glasthüren in den Saal führte, woselbst auf glatter Diele sogleich ein flinkerer Takt den bisherigen würdevollen Rhythmus ablöste, die Respektspersonen ausschieden und die behende junge Welt allein den Platz behauptete im munteren Reigen – daß auch diesmal das »Placiren« gewaltiges Kopfzerbrechen verursachte, die getroffene Anordnung immer wieder umgestoßen wurde, und am Ende doch Dieser und Jener sich zurückgesetzt fühlte, da es eins von den vielen nicht so leicht löslichen Socialproblemen ist. Alle neben ein paar sehr anziehende und Niemand zu einigen anderen weniger beliebten Persönlichkeiten zu setzen – daß Schipke, derselbe Lohndiener, der am Morgen des Verlobungstages den bedeutungsvollen Brief brachte, zum Herumreichen bei Tafel weiße Handschuhe anzog, obwol das Schwarz an seinen Fingern echt, sagte er, wie Mohrenhaut und seine Patentwichse – daß es vollauf allerlei Gutes und Feines zu essen und zu trinken gab, sowie daß ein und der Andere selbst von den nicht mehr so ganz jugendlichen Gästen die tröstliche Erfahrung auf's Neue bestätigte, wie der Mensch nicht weiß, was er vermag, ja wie man schon vollkommen satt sein und doch noch eine ganze Weile unverdrossen weiter essen kann – daß gegen das Ende hin die Champagnerpfropfen tüchtig knallten, und der rosige Schaumwein in gewohnter Ausgelassenheit sprudelte und übersprudelte – daß zahlreiche, theils ernste, theils heitere und bald mehr, bald weniger ansprechende Tischreden gehalten wurden – daß unter Anderm der Onkel Major seine schönen Nichten »leben ließ«, Eveline mit einigen improvisirten Versen antwortete, und er seinen Gegendank durch einen Kuß besiegeln wollte, der sehr herzlich – in die Luft ging, in Folge einer geschickten, selbst von dem alten erfahrenen Krieger nicht taktisch vorgesehenen Seitenbewegung des gewandten Nichtchens – daß unser Hausfreund darauf sagte: »Evchen ist nicht für das strenge Anciennitätsprincip, sie giebt dem jüngsten Lieutenant den Vorzug vor dem ältesten Oberstwachtmeister« ... denn der alte Herr, obwol kein Narr, sondern ein Weltweiser und – Podagrist, blieb doch immer eine Mannsperson ... daß nach aufgehobener Tafel der Sitte gemäß der »Brautkranz vertanzt« wurde und der »Kehraus« das heitere Fest beschloß – dies Alles und noch so Manches mehr stand freilich nicht so ganz im Einklang mit dem Wunsche, den Justus wie Agathe wiederholt auf das bestimmteste ausgesprochen, es sollte eine ganz kleine Hochzeit werden. Allein wer fragte danach? ... denn es ist ein bedeutender, obwol erklärlicher Irrthum, wenn glücklich Lebende und Liebende, ja die Manen großer Todten, die mit rauschenden Festlichkeiten gefeiert werden, sich etwa einbilden, all die Umstände würden nur um ihretwillen gemacht – andere Leute wollen sich auch amüsiren. –

Den Tag nach der Hochzeit waren wir sämmtlich bei Justus' Eltern, Stadtrath Alborns, zu Mittag, wo sich fast ganz dieselbe Gesellschaft zusammenfand, und es ebenso hoch und lustig herging. Dagegen zeigte der nächstfolgende Tag bereits eine andere Physiognomie. Das ganze Haus war umgekantert und mußte nun allmälig doch wieder in die alte Ordnung zurück. Der Vater sprach wenig und mit jener eigenthümlichen Rauheit der Stimme, welche unser Medicinalrath die »Nachfestheiserkeit« nannte. Der Hausherr gab meistens nur kurze, sehr bestimmte Befehle, und wer nicht gerade ein dringendes Anliegen hatte, verschob es lieber auf ein ander Mal. Unser Freund, der alte Lehrer, mußte seine Stunden ausfallen lassen. Das fatale Gefühl im rechten Bein nahm immer mehr überhand, und zuweilen wurde das Ziehen und Schrauben so arg, daß der sonst so gelassene Weise nicht umhin konnte ein wenig aufzuschreien: »Herrje – na, na, na!« ... oder »du, du, mach's auch nicht zu toll!« ... oder »Gott's Kuckuk, will der Schurke wol Ruhe halten?« – Der arme Bernhard sah aus wie der Kalk an der Wand. Die Flore war damit beschäftigt, einen Flecken im Schlafkabinet der Knaben aufzuscheuern, der gar nicht ausgehen wollte, obwol er gleich mit Thon eingerieben und nunmehr vom Schrubber höchst energisch und mit einer Gereiztheit bearbeitet wurde, deren tieferer Grund vielleicht in gewissen über die gerechte Vertheilung der Trinkgelder entstandenen Meinungsverschiedenheiten zu suchen war.

Auch das Wetter hatte sich geändert. Den Himmel verhüllten keine Wolken, aber wäre er doch nur bewölkt gewesen! Denn so kalt, frostig und nüchtern oder – wehmüthig, wie die Sonne auf die verwelkten Kränze, die Festkleider der Mädchen, die sich noch nicht entschließen konnten, sie wieder weg zu hängen, und auf Agathe's früheres Notenschränkchen schien – das war ein Anblick, um auch heitere Naturen nachdenklich zu stimmen, und selbst im besten Herzen eine leise Anwandlung von jenem Weltschmerz möglich zu machen, der mit dem Schicksal grollt: was liegt am Ende groß am ganzen Leben, wenn nicht alle Tage Hochzeit oder wenigstens Nachhochzeit ist?

»Werdet ihr auch Agathe recht lieb behalten und nicht vergessen, was sie euch immer für eine gute Schwester gewesen?«

Max wurde roth bei diesen beweglichen Worten der Mutter und brummelte halblaut vor sich hin: »so viel Blumen als da blühen, so viel Stern' am Himmel ziehen, so viel Grüße send' ich dir«, aber nur die Melodie. Er hatte sich in letzter Zeit merkwürdig entwickelt – sein Abgang von der Schule stand bevor – er war für das Baufach bestimmt. Dabei behielt er noch immer sehr etwas Kindliches. Und als echter Knabe schämte der Gute sich seiner zu weichen Empfindung, auch hatte er den Mund voll, er hielt in der Hand den reellen Trost eines tüchtigen Asts vom übrig gebliebenen Baumkuchen. Die Stimmung im Hause war ungefähr so, als hätte der böse Justus unsere Agathe nach Chili oder Peru entführt.

Bis nach der Gartenstraße war es aber gar nicht so weit, und dort stand gleich vorne an ein kleines schmuckes Haus, wir konnten das rothe Dach aus einer von unseren oberen Stuben sehen. Beim Sonnenaufgang am ersten Tage nach der Hochzeit glänzte und schimmerte das Dach dieses kleinen Hauses, als wenn es etwas geregnet hätte, viel konnte es nicht gewesen sein. Der Vater, der nur wenig geschlafen, sah noch lange nach Mitternacht die Sterne wunderbarer funkeln wie noch je in einer warmen Augustnacht, und die Morgenröthe stand am klaren Himmel gerade über dem Giebel des kleinen Hauses, als die Mutter erwachte – mit den heißesten Segenswünschen für ihr geliebtes Kind, das nun am Herzen des Mannes ruhte, in dessen Hand sie mit dem vollsten Vertrauen ihr »Kleinod« gelegt. Auch den ersten Rauch sahen die Eltern aufsteigen aus dem Schornstein des kleinen Hauses, in dessen Küche ein ganz neuer Herd war, und freuten sich um so mehr, als sie doch einigermaßen mit dazu beigetragen, daß das Feuer brannte. An Alles war gedacht bei der Ausstattung, nur an Eins nicht. Wir waren kaum aufgestanden, so kam das Dienstmädchen der jungen Herrschaft angestürzt, athemlos ...

»Was ist? Fehlt noch etwas ... und was denn?«

»Es ist ja kein Kien.«

»Ja so« – die Mutter lachte, ging in die Küche und holte ein paar Bündelchen Kienholz mit Strohbändern umwickelt. »Das wird wol reichen bis zum nächsten Markt. Etwas muß doch immer vergessen werden ... wenn es nur weiter nichts ist.«

»Sag' du nicht, Herzchen! das ist ein wesentlicher Mangel,« meinte der Vater. »Ohne Kien macht keine Köchin Feuer und ein junger Haushalt ohne Feuer – das wäre doch ein gar zu frostiger Anfang.«

Da nun aber bereits zum zweiten Mal aus Abend und Morgen ein anderer Tag, und aus Morgen und Mittag ein zweiter Nachmittag geworden, seitdem Agathe Vater und Mutter verlassen, und der Sonnenschein noch immer so wehmüthig in die Fenster des alten Hauses sah, als spähe er überall umher nach der schmerzlich vermißten lieben Tochter – und da es ebenso wenig anging, daß Agathe wieder zurückkehrte zu den Eltern, ja einigermaßen bezweifelt werden durfte, ob sie es gewollt haben würde, so ergriffen wir das einfachste Mittel, um Welt und Leben wieder in hellerem Lichte anzuschauen: wir machten uns Alle miteinander auf zu einem Besuch in dem kleinen Hause der Gartenstraße. Ja, da schien die Sonne freilich anders, und zeigte uns, was wir zu Hause vergebens gesucht ... nicht mehr unsere glückliche Braut, aber eine noch viel glücklichere – junge Frau.

*

 


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