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16.
Zuschneiden.

Nachdem Agathe zu Mittag herausgegeben, ging sie in den Garten. Sie wollte nur einmal herumgehen und dann gleich wieder hinein. Der Tag war zu herrlich! Sie setzte sich, stellte den Schlüsselkorb auf die Bank, lehnte den Rücken bequem an und schlug die Arme übereinander. Sie war nicht müde, sie hatte nur ein tief erquickendes Nachgefühl, wie schön sie diese Nacht geschlafen. Nicht ein einziges Mal wachte sie auf. Des Morgens spielte sie allein für sich ein Lied aus dem Choralbuch, und das war noch immer der Grundton ihrer Stimmung, obwol sie nicht mehr daran dachte, weder an den Text noch die Melodie, ja dieser unbewußte Nachhall machte sie auch für die äußere Schönheit der Welt empfänglicher denn je. Mit innigem Vergnügen lauschte sie dem fröhlichen Gesang der Vögel, wie dem heimlichen Zirpen der Grillen, die ihr einförmiges Liedchen ganz schwach begannen, wieder abbrachen und von Neuem anfingen, als probirten sie erst und könnten noch nicht recht in den Zug kommen. Dicht an dem Zaun gingen die Leute vorüber, sie erkannte am Schritt, ob es Männer oder Frauen, alte oder junge, müßig schlendernde oder zum Geschäft eilende Menschen waren. Aus welchem der angrenzenden Gärten das Hämmern und Klopfen kam, ließ sich nicht unterscheiden – es wurde wol eine Zaunplanke oder Latte festgenagelt, zuletzt erschallten noch ein paar starke Schläge, und der Nagel saß fest. Bei einem Bau wurden Bretter vom Gerüst geworfen, es polterte, aber das Harte und Schreckhafte des plötzlichen Schalles wurde durch die Entfernung gemildert. Selbst die Pumpe des Nachbarhofes ächzte weniger mühselig: es war, als hörte man dem taktmäßigen Geräusche an, wie der klappernde Schwengel, der auf- und abgehende Kolben im Rohr aus kühler Tiefe den frischen Quell hoben zur Labung für die Pflanzen, die in den heißen Stunden danach schmachteten, wie Thiere und Menschen.

In der Ferne rief der Kuckuk in einem fort, als wollte er vor Abend nicht aufhören. Einmal blieb er stecken mitten im Ruf, als hätte er sich verschluckt, oder als wäre er in ärgerlicher Weise unterbrochen. War es etwa ein kleiner häuslicher Verdruß, der ihn störte? Doch der Schalk baut ja kein eigen Nest, er kannte keinen Hausärger und keine Sorgen für das Haus – aber auch die schönsten Freuden nicht. Die Schwalbe, der treue Hausvogel hatte keine so vollklingende und weitschallende Stimme, ihr heiteres Zwitschern drang doch mehr zum Herzen.

Am klaren blauen Himmel war nur ein einziges kleines lichtweißes Wölkchen, das jeden Augenblick verschwinden oder größer und größer werden konnte, es bewegte sich langsam in derselben Richtung, wie der nicht ganz gerade aufsteigende Rauch. Die höchsten Wipfel der Bäume schwankten dann und wann. Unten im Garten war es windstill, dort oben mußte die Luft gehen. Und wieder bogen die Pappeln ihre Spitzen, aber die wie lackirt blanken Blätter streiften sich nun tiefer und tiefer hinab auf, und das sah so wohlig aus, als machte es dem lauen West Vergnügen, in dieser Fülle weichen, saftigen Laubes zu wühlen. Ein sanft anschwellendes Rauschen wurde stärker und stärker, jetzt wehten schon die herabhängenden Zweige der Birke – der einzigen im Garten, trotz der vielen braunen und schwarzgrauen Risse der zerborstenen Rinde leuchtete der Stamm atlasweiß zwischen den anderen dunkleren Stämmen – und bald schwankten auch die Weinreben am Spalier, in dessen grüner Wand der jüngere Nachwuchs des zweiten Triebes mehr und mehr einen bräunlich schimmernden Goldglanz webte. Mit etwas steifer Grazie neigten die weißen Lilien ihre schlanken, noch festgeschlossenen und noch grünlichen, aber von Tage zu Tage sich heller färbenden Knospen, und die blaßrothen Rosenblätter lösten sich so leicht aus ihren Kelchen, flatterten so sanft nieder, als sei in diesen Wonnetagen Verblühen und Vergehen nicht minder eine Lust wie Keimen und Blühen. Selbst zerstreut und noch im Fallen schön, schmückten sie mit ihrem zarten Roth die schwarze Gartenerde und den duftigen frischgeschnittenen Rasen, wie sie knospend und erblühend der lieblichste Schmuck der Büsche gewesen.

Thautropfen funkelten buntfarbig auf Blumen, Blättern und Halmen, wo die allmälig kürzer werdenden Schatten noch nicht lange zurückwichen. Die Sonne rückte weiter und weiter vor. Auch im Auge der glücklichen Frau sammelte sich ein Tropfen, hing in den Wimpern, wurde voller, runder, länglich rund – die Wimper zuckte, der Tropfen fiel warm auf ihre Hand ... da knisterte der Kies im Gange unter einem festen männlichen Tritte, sie sah sich um.

»Ich suche dich überall«, rief der Mann ihr schon aus einiger Entfernung zu, »es ist die höchste Zeit, ich werde zu spät kommen ... Nun ich habe doch schon einmal die Schwachheit, daß ich nicht weggehe, ohne dir Adieu zu sagen.« Agathe begleitete Justus in das Haus und durch den Flur bis zur Thür. Er gab ihr noch einen Kuß, der auf die poetischen Vorrechte des ersten Kusses freilich keinen Anspruch hatte. Dafür ruhte ihre Wange mit so freundlicher Ausdauer an seinem bärtigen Gesicht, als gelte es einer Trennung auf wer weiß wie lange. »Aber, liebes Herz, sei doch nicht kindisch!« – Der geliebte Mann konnte auch recht gemüthlich brummen, und rasch machte er sich los. Er ahnte nicht, in welcher bewegten Stimmung er seine Frau im Garten traf.

Sobald Alborn fort, ging Agathe an eine nothwendige Arbeit, zu der sie schon Alles zurecht gelegt. Ihren Gedanken konnte sie dabei doch nachhängen.

– Und wer kam denn da? Es war Bernhard mit einer Bestellung. »Setze dich doch ein bischen,« bat die Schwester, nachdem er den Auftrag ausgerichtet. »Ihr habt heute wol nur bis Elf Schule?« »Es ist noch Singstunde von Elf bis Zwölf, aber ich singe nicht mit, meine Stimme mutirt.« »Ja ja, man hört es dir an.« »Wie hat sich Klärchen gestern im Kaffee amüsirt?« »O sehr gut.« – Dann erkundigte sich Agathe nach einem seiner Freunde, der schon von der Schule abgegangen, und Bernhard beantwortete noch verschiedene andere Fragen. Jenen starken Zug eines nicht abreißenden Fadens erhielt das Gespräch nicht. Jetzt wollte der gute Junge doch auch etwas zu den Kosten der Unterhaltung beitragen und fragte treuherzig: »Was wird das? Was schneidest du zu?« »Man braucht ja Allerlei, mein Jungchen.«

Eine Pause trat ein. Bernhard hielt seine Mütze vor sich in beiden Händen. Es war ein flaches, rundes, schwarzes Tuchkäppchen. Das kleine blanke Lederschild, das knapp anliegend, fast dicht an der Stirne getragen wurde, befand sich unten. Jetzt ließ er den schmalen Bräm der Mütze rund um durch die Finger gleiten, daß das Schild nach oben und wieder nach unten kam, hierauf krempelte er die ganze Kappe um und um, mit dem Futter erst nach außen und dann wieder nach innen. Nachdem er diese umständliche Manipulation, zu der unabwendbare äußere Gründe nicht vorhanden zu sein schienen, glücklich vollbracht, sagte er: »jetzt werde ich mich schieben.« Die liebe Schwester forderte ihn auf noch zu bleiben, freundlich, doch ohne besondere Dringlichkeit, und so »schob er sich«.

»Grüße schön und sage der Mutter nur, ich werde gegen Abend selbst kommen, um das Nähere zu besprechen.«

Die Schere fuhr fort, zuzuschneiden.

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