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9.
Zusehen.

Die Butter thut spröde und glitscht alle Augenblicke unter dem Löffel weg, sie wird aber immer wieder zurückgeholt zum lösenden Rundlauf. Endlich läßt sie jeden Widerstand schwinden und fügt sich still in das Unabänderliche, wie es im Recept steht »zu Sahne gerührt zu werden. »Es schneit, es schneit,« nicht wirklichen Schnee, doch wirklich schneeweißes Mehl. Am Schüsselrand aufgeschlagene Eier fallen in den Mehlschnee, kreiseln in lustigem Wirbel und werden als gelblackirte Jagdschlittchen begrüßt. – Es wird Kuchen eingerührt: – die Kinder sehen zu.

Der Wächter, zu dessen Amtspflichten auch die Sorge für die nächtliche Straßenbeleuchtung gehört, kommt die Laterne zu putzen. Er stutzt den Docht, polirt den messingenen Hohlspiegel und die Glasscheiben, schlägt nach vollbrachter Arbeit – es ist Winterszeit – die Arme kräftig um den Leib zu seiner Erwärmung, nimmt die Leiter schräge über die Schulter, steckt den Arm durch die Sprossen und setzt seine Tour weiter fort: – die Kinder stehen am Fenster und sehen zu.

Morgen am Sonntage soll spazieren gefahren werden. Der Wagen ist zur Säuberung vom Kutscher aus dem Schuppen gezogen. Zuerst wird er mit der Hand aus dem Eimer, so im großen Ganzen angespritzt, wie Leinwand aus der Bleiche; dann erfolgen ein paar Sturzgüsse kräftigster Schwenkung, recht unter den Kasten nach der Gegend der Deichselgabel und des Spannnagels hin, dann werden die Achsen geschmiert, die abgestreiften Räder glitschend wieder aufgestreift, und es ist eine Lust, wie leicht sie sich jetzt drehen in freier Schwebe über dem untergestellten Hebebaum, während sie nun abermals gleichmäßig von allen Seiten bespült werden können. Dann zum Schluß noch das Einthranen des Lederzeuges und das Blankreiben der Metallbeschläge. Alles höchst anziehende Dinge: – die Kinder sehen zu.

»Mache dein Mäulchen auf, ich thue dir nichts, ich will blos probiren, ob er schon lose ist; ist er noch fest, so lassen wir ihn ruhig sitzen.« Der Faden wird umgeschlungen, ein kleiner schwacher Ruck – und wahrhaftig, da baumelt er schon, der kleine Mausezahn, am abgestumpften Kegel-Ende mit einem schimmernden, frischrothen Blutpünktchen geziert. Die Thüre geht auf, die Thüre – wie andere Thüren nicht ohne Schlüsselloch; der glücklich Operirte kehrt weinend zu seinen Geschwistern zurück, die natürlich nicht etwa – zugesehen haben. Denn erstens stehen sie am andern Ende des Zimmers, und zweitens nicht überall, wo die Kinder zuzusehen wünschen, ist dies erlaubt. Ueberhaupt müssen sie nicht so neugierig sein und nicht von Allem wissen wollen, sonst werden sie zu früh alt.

Ein Huhn, eine Ente haben die Kinder wol schon schlachten sehen. Wenngleich sich die Köchin bei dem unerfreulichen Geschäfte allemal so postirt, daß ihre breite Figur das Opfer deckt, ein und der andere Flügelschlag zuckender Todesangst läßt sich von spähgierigen Blicken dennoch seitwärts erhaschen. Aber was will das sagen? Was ist Federviehschlachten gegen Schweineschlachten! Der Fleischergeselle ist erschienen, mit blendend weißer Schürze – »ein sehr anständiger Mensch«, nach der Versicherung des gesammten weiblichen Dienstpersonals. Das wohlgemästete, in seinem Fett wackelnde Thier wird vom Wagen gehoben und giebt seine Mißstimmung über die ihm verursachte Unbequemlichkeit in schauerlichen Tönen zu erkennen. »Es wird gleich noch ganz anders singen –« und der zarte Fleischer wetzt das Messer an seinem Stahl. Schlachttrog und heißes Wasser sind zur Hand. Krähen, die leckere Abfälle wittern, streichen die Schnäbel auf den Forstpfannen des Daches. Alles ist bereit zum Beginn der blutigen Wursttragödie – ach, daß gerade jetzt der grausame Befehl an die Kinder ergehen muß: »Marsch, marsch hinein! Ihr habt hier nichts zu suchen.« Das ist noch der einzige Trost, die Ohren verstopft man ihnen nicht: schreien hören sie das Schwein auch im Zimmer.

Glücklicherweise sind diese Fälle ausgeschlossener Oeffentlichkeit nicht häufig. Wenn ein Slovakischer Hausirer altes Geschirr mit Drahtgeflecht bestrickt, wenn der Glaser eine Scheibe einsetzt, wenn der Uhrmacher die große Kastenuhr auseinander nimmt, oder der Böttcher Reifen um das Faß schlägt, wenn der Maurer Mörtel mischt – der fette weiße Kalk ist die Schlagsahne, der bräunliche Sandkies zuckersüßes Backwerk – bei Gartenarbeiten und beim Wäscherollen, beim Zuckerschlagen und Bratenaufschneiden, beim Packen zu versendender und beim Oeffnen angekommener Kisten, wie bei einer Menge anderer, neuer und lehrreicher Vorgänge in Haus und Hof dürfen die Kinder frei und ungehindert, was sie so gerne thun, und was nur sie allein mit dieser selbstvergessenen, sich ganz in den Gegenstand versenkenden Naivetät zu thun vermögen – zusehen.

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