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14.
Zur Geschichte des Kaiserreiches.

»Trotz alledem hatte der Bonaparte mehr Genie im kleinen Finger als Mancher im Kopfe, der doch auch kein Spatzen- oder Kaninchenkopf – aber drei große Fehler kann ich ihm nachweisen.« ... Und Herr Engelrecht, der seinem Vater, dem »Original«, von Jahr zu Jahr ähnlicher wurde, sah seine Jugendfreundin – die Großmutter, an, die nun wirklich bereits ein Enkelchen hatte, also auch bereits wirkliche Großmutter war, obwohl es ihr und nicht ihr allein einigermaßen wunderlich vorkam. Noch eine sehr rüstige Frau und auch noch eine sehr gut aussehende Frau gefiel sie, wie Herr Engelrecht gelegentlich bemerkt, namentlich wenn sie so ihren rechten schönen Tag hatte, dem Großvater noch immer zehnmal besser, als die hübschesten jungen und die häßlichsten alten Mädchen in der ganzen Stadt.

»Und was waren denn das für drei große Fehler?«

»Erstens, daß er die Josephine verstieß, das hätte er nicht thun sollen. Zweitens, daß er nach Rußland ging – hätte er wieder nicht thun sollen. Und zum dritten, daß er etwas nicht that, was er hätte thun sollen, und zwar hier in unserer Stadt.« – Herr Engelrecht sah die Großmutter an, die Großmutter sah Herrn Engelrecht wieder an, und dann strickte sie weiter.

»Er ist doch zweimal hier gewesen. Denn damals kam ja Alles bei uns durch. Wir haben alle Annehmlichkeiten der großen Straße genossen, all die zahllosen Durchmärsche, Einquartirungen, alle Lasten getragen. Der Rücken thut uns noch weh, ja wir schleppen noch daran. Als dann wieder Friede im Lande und bessere Zeiten, da hat man uns die große Straße genommen. Nun man muß nicht abgünstig sein, anderen Leuten auch etwas gönnen. Wird's den Marienburgern des Guten zu viel, oder Gott verhüt' es! giebt's wieder einmal Krieg, Durchmärsche und Einquartirungen ohne Zahl und Ende, dann können wir ja vielleicht auf einflußreiche Verwendung unsere alte große Straße wiederbekommen. Nun zu jener Zeit hatten wir sie und mit den Beschwerden auch die Ehre und das Vergnügen. Das eine Mal hielt der Kaiser eine Musterung ab über sämmtliche Truppen, die in der ganzen Gegend lagen. Sie waren vor dem Marienburger Thor aufgestellt, am Telesius'schen Garten vorbei und weit zur Vorstadt hinaus. Er ritt einen schneeweißen Zelter, zierlich wie ein Kunstreiterpferdchen, die Mähnen mit rothem Band durchflochten. Für einen Platzmeister oder Kunstreiter saß er aber doch schon etwas zu unbehilflich zu Pferde. Dazu zog er ja aber auch nicht in der Welt herum, weder als Hochzeitbitter noch als Kunstreiterprinzipal – er gab andere Vorstellungen. Es soll ein prächtiges militärisches Schauspiel gewesen sein, ließ ich mir berichten. Ich selbst sah es nicht, war nicht mehr lüstern danach: wir sahen bereits so viel von der Art Pracht und Glanz, daß uns die Augen übergingen. Das war, als er sein Hauptquartier im Schloß Finkenstein hatte. Wir schickten auch eine Deputation hin zu allerunterthänigster Bitte um Nachlaß unserer unerschwinglichen Contribution. Mein Vater sagte gleich: »Kinder, das nutzt nichts, glaubt mir. Ihr versäumt euch blos und handelt ihm noch nicht so viel ab, als ihr an Fuhrwerk und Zehrungskosten ausgebt. Finkensteiner Bier und Doppelbier, mit und ohne Zucker, mit und ohne Knüppel im Glase, könnt ihr auch hier haben. Was gilt die Wette – nicht einen Pigeon läßt der nach, paßt mal auf.«

»Pigeons« nannten sie doch unsere kleine Münze spottweise wegen des preußischen Adlers, der freilich kein kaiserlicher Adler. Mittlerweile hat die Taube ja auch bescheiden zugreifen gelernt, und fliegen haben die Tauben schon von jeher recht gut gekonnt. Ohne Falsch wie die Tauben, klug wie die Schlangen, stark wie der Adler – wäre auch noch nicht das schlimmste Motto für ein Herrscherwappen – meine ich. Mein Vater aber sagte: »Und er kann auch gar nicht ablassen, beim besten Willen nicht. Warum nicht? Ich habe es von einem Franzosen selbst, der wußte so was Alles. Wie der Kaiser noch simpler General und in den Flitterwochen mit der ersten Frau lebte, wurden sie den einen Abend überfallen – nicht vom deutschen Reich, das schlummerte längst, auch nicht von Preußen, das ruhte auf seinen Lorberen. Einige alte Bekannte, Kameraden von der Artillerieschule »überfielen« das junge Paar. Nun hatte die Frau gar nichts im Hause. »Auch nicht Eier, Butter und Mehl?« »Ja das habe ich.« »So backe uns einen Eierkuchen und damit basta!« »Wie viele sind denn recht eigentlich, und wie viel Eier soll ich wol nehmen?« »Nimm so viel, bis du glaubst, daß es zu viel ist, und dann noch mal so viel, so wird's ja wol reichen.« Nachdem der General Bonaparte dann erster Consul, und der erste Consul Kaiser geworden, und, um der Welt den schon seit einiger Zeit gewünschten ewigen Frieden nun sicher zu geben, leider durch Intriguen böser Menschen gezwungen, erst noch rasch einige kleine Kriege führen mußte, und dem Finanzminister ging der Kopf mit Grundeis: »Majestät, das wird wol wieder einen Thaler und acht Groschen kosten?« – da waren Seine Majestät kurz angebunden: »Laßt mich in Ruhe, und backen wir den Eierkuchen nur wieder nach dem alten Recept ... Nehmt so viel Ihr kriegen könnt, bis Ihr denkt, es ist zu viel – und dann noch mal so viel, dann wird's ja wol mit Gottes Hilfe langen« ... »Schade, daß Ihr lieber Mann nicht hier ist, Frau Doktorin, der war ja auch bei der Deputation. Es waren: der Bürgermeister, der Zimmermeister Senftleben und unser Doktor als Sprecher, weil er am besten französisch sprach. Der Kaiser mochte aber sonst auch schon nicht ganz schlecht französisch sprechen gehört haben: sie wurden gar nicht vorgelassen. Sie erhielten durch einen Adjutanten, oder was er war, den Bescheid in Gnaden: »es bleibt dabei – blecht, daß ihr die Schwerenoth kriegt.« Der Kaiser selbst hatte auch keine Zeit zu solchen Kleinigkeiten, dem gingen andere Dinge im Kopf herum. Fürsten, Herzöge und Könige mußten sich im Vorzimmer die Beine in den Leib stehen, ehe die Reihe an sie kam. In Finkenstein wurde auch eine persische Gesandtschaft von ihm empfangen, und als der Perser seine, nach Art der Orientalen, an Bildern und Weihrauch nicht arme Rede begann: »Beherrscher der Welt,« sagte er ganz bescheiden: » pas encore – was nicht ist kann werden.« Wurde aber doch nicht! Der Strich war schon gezogen von einem noch etwas höhern Herrscher der Welt: bis hierher und nicht weiter! Wenn der Löwe am lautesten brüllt, den Rachen am weitesten aufreißt, die Quaste seines Schweifes am höchsten hebt, ist er bereits dicht an der Grube, in die er kopfüber stürzen soll. Zeitiger als je zogen in dem Jahre die Schnepfen weg, zeitiger als je verloren die Birken ihre goldgelben Blätter, zeitiger als je bekamen die Wiesel weiße Haare; dazu eine Nußernte, wie seit Menschengedenken nicht: stets das unfehlbare Zeichen eines strengen Winters. Und zeitiger als je wurde geheizt, nur ganz wenig für den Anfang zum Ausdunsten, oder mal die verklamten Hände an die Kachel zu halten, die am ersten warm wird, und die Mäuse auszuräuchern, für die eigentlich die Oefen nicht gesetzt waren in Moskau.« –

»Als der Siegeswagen des Gewaltigen zum ersten Mal unsere unchaussirten Landwege nicht verschmähte, haben wir ihn nicht empfangen mit Festgeläute und Ehrenpforten, wie Aehnliches hie und da in nicht kleineren Städten geschehen sein soll, wo sie sonst doch immer mit allem Großen vorangehen, auch mit dem großen Maul. In Graudenz nicht, nein – nein! »Wenn es keinen König von Preußen mehr giebt, bin ich König von Graudenz«: ein stolzes Wort – blos es ist nicht wahr – wie Manches, was oder wie es erzählt wird. So anmaßend ist der alte Courbiere gar nicht gewesen. Er hat ganz loyal gesagt: »Wenn es keinen König von Preußen mehr giebt, giebt es doch noch einen König von Graudenz.« Auch so kein kleines Wort, obwol Graudenz nur eine kleine Festung, und ein noch kleineres Königreich. Und es war nicht blos ein Wort. In den Zeitungen lasen wir, wie's anderwärts ging, und wem stieg nicht flammend die Schamröthe in's Gesicht? Mein Vater war ganz außer sich: »man schämt sich, ein Deutscher, ein Preuße zu sein, man möchte sich selbst ohrfeigen« – that es aber doch nicht. So weit ging sein patriotischer Ingrimm nicht. Nur wurde er fuchswild über Jeden, der noch ein sanftes Mäntelchen der Beschönigung d'rum hängen wollte, und gerieth sogar mit seinem lieben Freunde, dem guten alten Herrn Traun zusammen. »Freund, es ist schlimm, schlimm – sehr schlimm! Aber brechen wir nicht den Stab, greifen wir in unseren eigenen Busen, im siebenjährigen Kriege hat unser gutes Ostpreußen den Russen in aller Form gehuldigt.« »Nicht die Provinz, nur die Stände – das war ganz was anders – und es hat nicht an wahren Patrioten gefehlt, die ...« »An denen wird es jetzt, so Gott will! auch nicht fehlen ...« »Und der König hat das Preußen nie vergessen können.« Kurz sie geriethen wie immer von den neuen auf die alten Kriegsgeschichten. Als Blitzableiter für den augenblicklichen Streit war das auch ganz gut. Nur den Namen des einen russischen Generals konnten sie nicht finden, so viel sie sich den Kopf zerbrachen. »Freund, wenn er Euch einfällt, laßt es mir sagen.« Mitten in der Nacht – wir wohnten damals doch noch mit den Eltern zusammen in dem alten Hause, – kommt der Vater und weckt mich. Ich muß auf, und hinaus und hinüber zu Herrn Traun, störe das ganze Haus da auf, und an sein Bett – ich sehe ihn noch, den freundlichen alten Herrn mit dem feinen Gesicht und der etwas stark gebogenen Nase, in Schlafmütze und Nachtjacke, wie er sich doch ein wenig alterirt in den Kissen aufrichtet, das Licht zur Seite schiebt auf dem kleinen Tischchen neben seinem Bett, und die Hand vorhält: »Um Gotteswillen, was ist?« »Schönen Gruß vom Vater, und er ließ nur sagen: Tettenborn ...« »Richtig – da haben wir's – ja wol: Tettenborn, Tettenborn! Grüßen Sie den Vater, ich lasse ihm vielmal danken, und Ihnen danke ich auch sehr. Ich war noch nicht eingeschlafen, ich konnte kein Auge zumachen um den verdammten Russen: ja Tettenborn, Tettenborn!« ... Und das ist noch heute bei uns sprichwörtlich.«

»Bei uns auch,« sagte die Großmutter.

»Wenn einem ein Name im Munde herumläuft, man kann ihn aber nicht fassen, endlich hat man ihn, und es fällt einem wie ein Stein vom Herzen, so beglückwünscht den Erleichterten die ganze Familie mit dem historischen »Tettenborn, Tettenborn!« ... Was ich sagen wollte – gekrochen sind wir nicht vor ihm und haben nicht um seine und seiner Großen Gunst gebuhlt. Wir füllten nur die Rinnsteine mit Sand aus, daß der Siegeswagen nicht gar zu unsanft stuckerte auf unserm schönen Pflaster, und Jeder wollte doch von Angesicht zu Angesicht den großen Mann sehen, der uns so klein gemacht. Auf dem Hinwege beehrte er uns nicht. Eylau und Friedland paßten ihm besser – wir waren auch nicht untröstlich: weit davon ist gut zum Schuß. – Nun waren die Würfel gefallen, der Friede zu Tilsit unterzeichnet, und er ging zurück auf der großen Straße und kam also hier durch. Die Postpferde waren schon ein paar Tage vorher auf die Stunde bestellt, er ließ uns aber doch lange warten, und ich fing schon an mich zu ärgern, daß ich nicht ruhig zu Hause geblieben. Allein so etwas steckt an wie alle Thorheiten, Weisheit weniger. Und meine Frau wünschte es so sehr, ja sie hielt es für nöthig. Sie chikaniren uns so schon genug, warum sollen wir ihnen geradezu vor den Kopf stoßen? Was machten sie für lange Gesichter, als ich sagte, wir wüßten noch nicht, ob wir gehen würden. »Was, Sie wollen unsern Kaiser nicht sehen, Madame?«

Kurz ich wurde breitgeschlagen – die eigene Neugierde kam dazu, wie ich nicht leugnen will. Er ist und bleibt ja auch ein Mann, wie jedes Jahrhundert höchstens Einen hat. Ich nahm meine Frau unter den Arm und so gingen wir – und standen, standen und standen. Und da wir schon so lange gestanden, uns drängen, stoßen und treten lassen, wollte ich nun doch auch, daß wir unsern Zweck erreichten. Uebrigens wäre es nicht leicht, wol noch schlimmer gewesen, sich Platz zu machen zum Zurückgehen. Die Menschen waren ja Stunden und Stunden weit zusammengeströmt, die Fenster am Markt bis zu den Dächern hinauf – Alles besetzt, wo nur irgend eine Erhöhung, auch die schrägen Kellerthüren draußen vor den Häusern, auf denen feine Damen standen; wie sie's machten, daß sie nicht herunterrutschten, wenn sie nicht Eissporen an den Sohlen hatten, weiß der liebe Himmel. Schon ein paar Mal hieß es: »er kommt – jetzt kommt er«, wie bei allen solchen Gelegenheiten. Es war und wurde immer noch nichts. Endlich war er wirklich da – es ging wie ein Lauffeuer von einem Ende der Stadt zum andern, von der Post bis zum Markt. Wir dachten mit dem Umspannen müßte noch eine Weile vergehen, doch die frischen Pferde standen bereit: eins – zwei – drei! war Alles fertig. Und hatte er uns erst warten lassen, so kam er nun mit einmal wieder rascher, als man glaubte. Viele hielten den, der neben ihm saß in prächtiger Uniform, mit wallendem Federbusch, für den Kaiser, und wie ihnen hinterher gesagt wird: »der war es ja gar nicht, der Kleine ist's mit dem großen Kopf, im grauen Oberrock und der grünen Uniform« – so laufen sie nach, was sie können, um doch noch den Rechten zu sehen. Die Wagen fuhren in scharfem Trabe mitten durch die Menge. Plötzlich hält der erste, also müssen auch die anderen mit dem Gefolge halten – der Mameluck des Kaisers springt vom Bock, schiebt den Hemmschuh unter, im Nu sitzt er wieder auf, die Postillone treiben die Pferde, die sie etwas zoppen ließen, wieder an – und vorwärts weiter! zum Niederthor hinab. Das Alles im Augenblick. Indessen ein einziger Augenblick ist manchmal lang genug, daß die merkwürdigsten Dinge geschehen können.« –

Die Großmutter strickte immer viel und fleißig, aber so emsig wie jetzt doch selten, – das Enkelchen mußte das wollene Unterröckchen sehr nöthig brauchen.

»Wir standen in der zweiten Reihe, ein paar Bekannte, meine Frau und ich: vor uns Damen, drei junge Frauen. Die eine war groß und schlank und hatte etwas Majestätisches. Die Andere hatte als Mädchen manchmal fast 'n bischen was Verwegenes. Später hat sie viel Schweres erlebt, noch war ihr aber nichts anzumerken. Die dritte hatte kastanienbraunes Haar und blaue Augen – mehr darf ich nicht sagen, sonst wird sie schlimm. Hätten wir uns auf die andere Seite gestellt, an der Ecke der gemauerten Lauben, mit dem Rücken gegen das Apothekergäßchen, so würden wir ebenso gut gesehen und uns doch freier haben bewegen können. Die Damen wollten aber höher stehen, auf den Steinpflasterstufen zu den hölzernen Lauben, von denen wir denn, wie leicht vorauszusagen, sehr bald hinuntergedrängt waren – präcise an die Stelle, wo des Kaisers Equipage hielt. Bei dem plötzlichen, Allen unvermutheten Halt – unsere Wagen hemmen ja meistens gar nicht – gab das unter dem vordrängenden und rennenden Volk einen Prall, Rückprall und Wiederanprall wie am Seestrande, wenn die auflaufende Welle sich zurückzieht, um mit verdoppelter Kraft wiederaufzulaufen und schäumend und spritzend – schwapp! noch ein ganzes Stück weiter schießt. Wir Herren stemmten uns, was wir konnten, um den Damen den Rücken zu decken – vergebens: die wiederanlaufende Menschenwoge nahm uns alle miteinander und warf uns – schwapp! gegen den Kaiserwagen. Da drehte sich der große Kopf mit dem kleinen Hütchen langsam ein wenig herum nach uns. Aus dem Gesicht – »marmorn« nannten es die Leute, mir sah es etwas aufgedunsen aus und, als wenn »der Marmorne« schon da anfing, 'n bischen auf gespanntem Fuß mit seiner Leber zu leben – schauten ein paar Augen, von denen auch viel gefabelt ist. Geistlos waren sie nicht, aber nicht so strahlend, wie ich sie mir gedacht. Ja, mit meinen blöden Froschaugen sah ich diesmal mehr, als sein Löwenblick. Er sah schwerlich in meine Gedanken – ich in seine: »Heißt die etwa Charlotte?« dachte er. Und eine von den drei jungen Frauen hieß Charlotte. Aber die meinte er nicht. »Hat die etwa Anverwandte in Frankreich, im nördlichen Frankreich? Ist sie vielleicht auch eine geborene Corday? Nein, von den Cordays hat keine so freundliche blaue Augen, sie ist nur so 'n bischen auf den Wagentritt gehüpft, um nicht mit dem Fuß unter das Rad zu kommen.« Und der große Kopf mit dem kleinen Hütchen und dem marmornen Gesicht dreht sich langsam wieder ab und schaut über die wogende Menge, als wäre es ein Feld von Mohnköpfen, und er machte sich nicht viel aus Mohnpielen, Mohnrollen und Menschenköpfen. – Allons! die Pferde ziehen an, die Menge giebt etwas nach, der kleine Fuß springt vom Wagentritt – und weg ist der Kaiser. Ich in seiner Stelle ...«

Schon ein paar Mal hatte die Großmutter Herrn Engelrecht in's Wort fallen wollen. Aber sie hatte sich beherrschen gelernt. Jetzt ließ sie ihn doch nicht aussprechen. »Mein lieber Herr Engelrecht: – und die Großmutter schob die lockern weißwollenen Maschen auf den langen schwarz polirten Fischbeinnadeln mit merklichem Eifer zusammen, mehr abwärts nach dem kleinen braunen Knopf von Kokosnuß, am Ende der Nadel: – es sind schon so viel Bücher über den Kaiser Napoleon geschrieben. Ich las wenig davon, aber das weiß ich, ein Punkt ist bis jetzt übersehen von Allen.«

»Nämlich?«

»Ich meine nur, wie ganz anders die ganze Geschichte hätte kommen müssen, wären Sie, lieber Herr Engelrecht, an Napoleon's Stelle gewesen.«

»Nun, ich sage ja, erstens: ich hätte die Josephine nicht verstoßen, zweitens: ich wäre nicht nach Rußland gegangen. Und vor Allem hier bei uns würde ich es so gemacht haben: ich hätte den in Gold strotzenden Marschall mit sammt seinem Federbusch aus dem Wagen 'rausgeschmissen – nach der Apotheke zu. Wenn der Mann sich was verstaucht, konnte er da gleich Salbe auflegen. Und dann hätte ich den Schlag geöffnet nach der andern Seite, und hätte die drei schönen jungen Frauen höflichst ersucht, einzusteigen zu mir aus dem Gedränge – die Eine hatte ja schon den Fuß auf dem Tritte ... Daß er das nicht that, war sein dritter großer Fehler. Ich begreife es eigentlich nicht, er war doch sonst nicht so.«

*

 


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