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13.
Naturkneipen.

Ueber all diesen wichtigen Dingen vergaß Karl nicht ganz, daß er doch zunächst auf der Universität, um die Rechte zu studiren. Ja er war fleißig und besuchte die Vorlesungen mit musterhafter Regelmäßigkeit – namentlich in der ersten Zeit. Ueber all dem Studiren vergaß er jedoch auch das Spazieren nicht ganz. Bald hießen er und Hermann, sein Stubenbursche, Orest und Pylades, bald »die Unermüdlichen,« und es wurde ein stehender Witz: »habt ihr denn noch immer nicht ausprobirt, wo es am schönsten ist?« Aber die Frage schien auch hier, wie so oft, leichter als die Antwort. War es nicht schön überall? ...

War es nicht schön, selbst im winterlichen Thal, wenn der Abendschein über die nur spärlich mit Schnee bestreuten Aecker sein rosiges Licht ergoß, und wenn des Bergwalds Bäume die malerischen Linien ihres Gezweiges nun übersichtlicher zeigten, als im Sommer, verdeckt von der Fülle des Laubes? – die schönen Formen blieben, auch wenn die Farbe erlosch, und ganz erlosch sie ja nie – oder wenn im Strom die kreiselnden Eisschollen sich drängten, rieben und an einander aufschoben, doch ohne es zur festen Ueberbrückung zu bringen? Das verstanden die Flüsse jenseits der Elbe besser!

Wie schön, wenn den kommenden Frühling das Brausen der Stürme verkündete, sich dem Ungestüm der Luftwellen, die die flatternden Kleider fast zerriß, keck entgegen zu werfen, der Lerche gleich, welcher der Athem zum Liede auch nicht ausging; hin und her geweht, schwebte sie doch hoch und immer höher hinauf zum blauen Himmelszelt!

Wie schön, wenn die plätschernden, sprudelnden Bäche wieder in goldigem Sonnenschein glänzten und mit geschäftiger Lebendigkeit aus der Felsenschlucht hinabsprangen, dem Wiesengrund zu, wo das junge Gras so heiter aufsproßte! Und doch erregte sein lichtgetränkter hellgrüner Schimmer Gefühle einer unbestimmten Sehnsucht.

Wie schön, wenn der Finkenschlag wieder erklang in seiner herzigen Weise, am Rhein gerade so wie bei uns in der altpreußischen Heimath – während in den Gärten, auch lustig zu hören, die schwirrende Baumsäge dürre Aeste durchschnitt, und am frischen Zweige die schwellenden Knospen sich aufthaten, Büschel bei Büschel!

Wie schön, wenn Thal auf, Thal ab die krausköpfigen Fruchtbäume sich weiß und roth schmückten mit der Pracht ihrer Blüthen! Wohlhabende Dörfer, freundliche Uferstädtchen, still umhegte Weiler lagen zahlreich zerstreut in der Landschaft, die einem einzigen großen Garten glich – und hie und da wiesen aus dem Grün aufsteigende Kirchthürme von der prangenden Erde zum Himmel empor. Nur die Rebenhügel waren noch dürftig belaubt. Aber an Stellen, wo ein Fels mit dunkeln Schieferplatten oder scharfkantigen Basaltsäulen den warmen Mittagsstrahl auffing, da entwickelten sich die breiten feingezackten Blätter rascher, bald waren auch die ersten kleinen, traubenförmig aneinander gereihten Blüthen heraus, und ihr milder Duft wiegte die Seele ein in Träume von Stunden noch höherer Lebenslust ... Reife Purpurbeeren gaben ihren feurigen Saft der Kelter ... das muntere Treiben der Winzer und Winzerinnen belebte die hohen Gelände der Weinberge ... Freudenschüsse weckten ringsum den Widerhall. – Aber noch war es Frühling, Frühling der Natur und Frühling im Herzen der Jünglinge.

Am schönsten waren doch die Abende! Wenn der sinkende Sonnenball seine Feuerstrahlen durch die grünen Büsche blitzen ließ, und die Drossel auf hohem Baumwipfel ihren letzten Flötenton anschlug – wenn die Käfer summten, und der erste Nachtvogel, kaum hörbar mit seinem weichen Gefieder, vorüber huschte – wenn die leuchtende Mondscheibe hinter den Bergen heraufkam, und diese in ihrem eigenen Schatten wie eine riesenhaft aufgethürmte dunkle Wand dastanden, an den Spitzen und höheren Thaleinschnitten umdämmert vom silbernen Lichte der Nacht – wenn das Wehr lauter rauschte, und es im Ufergebüsch rege ward vom süßen Ton unzähliger Nachtigallen: dann brach die Freude an der herrlichen Welt nicht selten mit lautem, stürmischem Jubel hervor. Das unvergleichliche Gefühl hatte etwas Berauschendes, aber es war keine Sentimentalität – das durfte man nicht sagen – Orest und Pylades hätten es für Tusch genommen.

»Wenn wir einmal alte Philister sein werden, die nach Sonnenuntergang nicht mehr hinausgehen, weil man sich in dem nassen Grase den Schnupfen holen könnte – dann wollen wir an den heutigen Abend denken!« sagte Karl in einer dieser glücklichen Stunden.

»Das wollen wir nicht, denn so tief werden wir nie sinken.« ...

»Aber Kerle, wo in aller Welt her kommt ihr jetzt erst angewachsen?« riefen den Verspätenden die Kommilitonen entgegen.

»Die haben wieder den Mond angeschwärmt, in Poesie gefrevelt!«

»Allerdings – wir haben Natur gekneipt!«

*

 


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