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6.
Tanz.

Der »erste Walzer« war kein Raschwalzer, sondern ein Galopp, und wie sich von selbst versteht, hatten Justus und Agathe den Ball eröffnet, der ja ihnen zu Ehren von Alborns gegeben wurde. Sodann folgten ein paar andere Rundtänze, und nun sollte der »Contre« kommen, es wurde schon dazu aufgefordert. Auch unser Karl musterte die holde Schaar der Damen, er sah hierhin und dahin, mit einer gewissen ernsten Dringlichkeit, die sprechend ausdrückte, was es auf sich hat für einen jungen Herrn in Tanzgesellschaft, die engagirte Schöne nicht finden zu können. Dann verließ er den Saal, suchte die Nebenzimmer ab und kam wieder zurück. Er strich sich den Backenbart, steckte zwei Finger in die Cravatte, sah sich abermals überall um ebenso forschenden Blicks und machte zuletzt ein Gesicht, als wollte er sagen: »wo blieb sie denn nur – sie wird doch nicht ganz und gar verschwunden sein!«

Gretchen Engelrecht hatte gegen Ende des vorigen Tanzes jenen gelinde erschütternden Krach in der Taille verspürt, der das Mißgeschick eines abgetretenen Besatzes oder ausgerissener Falten leider schon als vollendete Thatsache verkündet. Inzwischen war die kleine Verlegenheit glücklich beseitigt, Gretchen wartete nur noch auf Aurelie Jäschek, der eine Schleife abgefallen, ein Band aufgegangen war, oder – was weiß ich: nur so viel weiß ich, daß beide junge Damen, obwol sich noch ziemlich fremd und dem ersten Eindruck nach nicht sehr sympathisch, einem aufrichtigen Herzensbedürfniß folgten, da sie Arm in Arm wieder eintraten. Es war das schwesterliche Schutz- und Trutzbündniß jungfräulichen Zartsinns gegen müßige Neugierde – namentlich das profane Männergeschlecht durfte um's Himmelswillen nicht ahnen, weshalb sie sich so lange zurückgezogen, obwol es doch durchaus nichts Böses, daß die jungen Mädchen nicht schon in fix und fertiger Balltoilette auf die Welt kommen.

Gretchen erblicken und ihr entgegen eilen mit dem verbindlichsten Lächeln, war eins für Karl, der nicht gesonnen schien, das kleine Unbehagen des Wartens die sehnlichst Erwartete entgelten zu lassen.

Schon hatten sich unterdessen die Kolonnen geordnet, jetzt traten rasch auch noch die beiden an, sowie Aurelie und Hans Engelrecht, Gretchens Vetter, als ihr vis-à-vis. Der junge Herr Wiedemann klatschte in die Hände, die Musik, die vorher signalartig nur die ersten Takte gespielt und dann wieder abbrach, setzte definitiv ein: » en avant quatre!« und mit aller Anmuth und all' der unterhaltenden Mannichfaltigkeit, die man vom Nationaltanz des elegantesten und für die Reize heiterer Abwechslung gewiß nicht unzugänglichsten Volkes der Welt erwarten darf, entwickelte sich die Française. Graziös schwebten die Damen dahin, gewandt flitzten die Herren zwischen ihnen durch, herüber und hinüber schlang sich die lebendige Kette, und aus den verschiedenartigsten Figuren ging zuletzt doch stets wieder die ursprüngliche Ordnung hervor. Auf strenge Durchführung der Pas wurde nicht viel gegeben: es war damals bereits mehr ein rhythmisches Schlendern, namentlich von Seiten der Herren. Nur bei den Solos schwang sich Einer und der Andere zu einem Entrechat auf. Ja, Herr Hans Engelrecht wagte die bescheidenen Mittel seiner Frackschöße in kecker Nachahmung gerade so mit zierlich gespitzten Fingern beim Vortänzeln zu halten wie die Damen ihre – allerdings etwas stoffreicheren Kleider. Gewiß sehr albern, dennoch sah es drollig aus, und wie überrumpelt von der Improvisation lächelten im ersten Augenblick auch einige der Mädchen, so zu sagen wider Willen. Dann aber setzten sie alle eine um so entschiedener ablehnende Miene auf, die diesem Eingriff in ein ausschließliches Vorrecht der weiblichen Grazie und Rockfalten das verdiente Urtheil sprach. – Bis dahin war Alles geglückt. Selbst » grande chaine«, bei der so leicht ein einziger Fehler die größte Unordnung hervorbringt, ging glatt und rund ohne jeden Anstoß ... rechte Hand, linke Hand, linke – rechte, und so wurde im ganzen großen Kreis das gefällige Princip wechselnden Tausches der Hände mit tadelloser Präcision durchgeführt. Schon rückten sich Karl und Gretchen wieder näher und näher, schon warf Aurelie dem jungen Engelrecht wieder einen ihrer großen Blicke zu – und nun haben sie sich gleich, im Nu sind ja Alle wieder beisammen, die zusammen gehören, dachte wol, wer nichts davon verstand, ... da heißt's munter » tournez« – rechts um kehrt! Und – einmal ist keinmal, sagte der Tanzmeister, der das artige Manöver erfand: erst wird sich die bunte Reihe rückwärts von A bis Z hübsch noch einmal durch einander kringeln!

Und wieder wurde die Musik abgeklatscht, und wieder die neue Tour auch mit einer andern Weise angefangen, was immer sehr »animirend« klang, als käme jetzt erst »die wahre Höhe«! Die folgende Melodie war aus einer italienischen Oper, in welcher Gift, Dolch, schnöde Untreue, Verrath, Gattenmord und sonstige tragische Requisite nicht sparsam verwendet – es ließ sich aber auch recht nett danach tanzen.

»Sie passen schon wieder nicht auf!« schalt Gretchen – nur Schade, daß die Muntere, so liebenswürdig bedacht, ihren Tänzer auf den rechten Weg zu leiten, selbst ein wenig in die Irre gerieth,

»Aber, gnädiges Fräulein, wo wollen Sie denn da hin? Die Damen nach innen – die Herren nach außen« – erlaubte sich der junge Herr Wiedemann als Kommandirender zu erinnern – »Sie sind doch kein Herr!«

Ohne grobe Unwahrheit durfte dies Gretchen nicht behaupten, sie zog es daher vor, nur zu lachen. Karl runzelte die Stirn um so mehr, da sofort ein zweiter Ordnungsruf ihm selbst galt: »mein Gott, kennen Sie denn nicht mal moulinet

»Nein!«

Gretchen lachte noch herzlicher: die vorwurfsvolle Frage klang aber auch wirklich, als ob gründliche Kenntniß der Mühlenflügeltour das erste Erforderniß für einen praktisch brauchbaren jungen Rechtsgelehrten. »Eine schreckliche Confusion!« Alles Winken und Schreien, Schieben und Zerren war vergebens, es half nichts: »die Sache ist noch nicht spruchreif« – hieß es mit einem berufsmäßigen Scherz – »Wiedemann resolvirt.« Die Tour mußte richtig von Anfang an wiederholt werden. Jetzt gaben Alle Acht, und es ging wie am Schnürchen bis zur letzten Prommenade und der Schlußverbeugung der Herren, nach der sie die Damen wieder an ihren Platz führten.

Doch setzte sich fast Keine. Wie nach jedem Tanz traten die Mädchen in dichtgedrängten Gruppen zusammen. Die Eine tändelte mit dem Strauß, die Andere mit dem Fächer. Diese drehte ihr Armband um das schmächtige Handgelenk, jene rückte die Perlen, die ihren weißen Hals umschlangen, hin und her oder schob eine um die andere weiter wie an einem Rosenkranz der Weltfreude. Die niedliche Kleine neben ihr faßte nach der Busenspange – die Brosche gehörte zum selben Schmuck und hatte die gleichen vergißmeinnichtblauen Steinchen wie ihre ewig beweglichen Ohrbaumeln – während dort die blonde Schöne mit dem Apfelblüthenkranz den Finger auf die weiche Uebergangslinie vom Hals zur Wange legte. Wie leicht wäre es dem feinen Fingerchen gewesen, von der Wange nach den Lippen zu gleiten, wenn das Fingerchen wollte! ... aber es wollte eben nicht. Und man muß sagen: all die fröhlichen Gesichter, all die bunten Farben, all die feinen leichten, duftig zarten Stoffe und all die schlanken zierlichen Formen, so dicht auf einem Fleck bei einander, das war ein durchaus erfreuliches, auf das mannichfaltigste bewegtes Bild. Den holden Mund aber hielt Keine. Alle hatten sich unendlich viel Wichtiges und Interessantes mitzutheilen nach dieser ereignisreichen Quadrille.

Mitten im eifrigsten Gespräch und gleichsam, ohne daß Gretchen selbst es wußte, erhob sich ihre Hand über die Schulter, streifte eins der beiden flockenartigen Löckchen im Nacken, die sich noch nie dem fesselnden Aufstrich von Kamm und Bürste gefügt, und schien sich mit einem anmuthig lässigen Tasten nur überzeugen zu wollen, ob auch in der Anordnung des Haupthaares Alles noch so war, wie es sein sollte. Der Spieß mit den beiden blanken Knöpfen von Gold und schwarzem Email, der die Flechten zusammenhielt, that seine Schuldigkeit. Die vielfach durch einander geschlungenen braunen Zöpfe fühlten sich vollkommen probemäßig an. Ein beiläufiger Blick in den Spiegel, ein leichtes elastisches Neigen des Kopfes, halb nachgebend, halb Widerstand leistend, ein nicht starker, aber sicherer Druck auf die Haarnadeln – und auch der hängende Maiglockenstrauß sitzt wieder fest wie angenagelt! Dann kreuzte Gretchen beide Arme über dem Gürtel, was sehr ihre Gewohnheit. Es gab das den biegsamen, geschmeidigen jungen Gliedern einen gar behaglichen Zusammenschluß, ein so angenehm erhöhtes Gefühl sicheren Beruhens in sich selbst.

Und jetzt lachte sie wieder. Was sie reizend lachte! Die Stimme kam auch im Sprechen so weich und voll aus der jungen Brust hervor, bald in tiefen, fast zu tiefen Tönen, bald jubelhell wie Lerchensang. Und doch bei all dieser Heiterkeit, die oft noch etwas kindlich Jauchzendes hatte, ging Gretchen auch auf jedes ernstere Gespräch gern und mit Verständniß ein. Und diese Augen! ... Nach dem originellen, ganz neuen Gleichniß eines ihrer Verehrer, der ein geschworener Feind aller Wortspiele – er erschrak fast selbst darüber, als er sich darauf ertappte – Gretchen Engelrecht war ein Engel! Auch kam dem Engel der Reiz der Neuheit zu statten. Erst seit kurzem war Gretchen bei den Verwandten zum Besuch. –

»Und nun schlage ich vor, wir lassen die Damen nicht länger schmachten,« rief einer der Herren, die im Kabinet mit der Weinranken-Tapete die Bowle gründlich prüften. – Was kommt denn jetzt?«

»Raschwalzer.«

»Halt! das wäre noch mitzunehmen.«

Es wurde wieder präsentirt. Jeder nahm noch ein Glas, und Jeder trank es schnell aus: nur Herr Hans Engelrecht – trank es auch schnell aus und nahm noch ein zweites von hinten her unter dem Ellbogen des Dieners weg, der mit ausgebreiteten Armen das große Umreichbrett trug.

»Was ist das nun? Raub nicht – es fehlt die Gewalt.«

»In keinem Fall ist es Diebstahl an Eßwaaren« – und Herr Hans Engelrecht trank auch dies Glas schnell aus.

Noch zog der junge Wiedemann seine Haarbürste aus der Tasche, strich mit größter Ungezwungenheit sich die Frisur vor dem Spiegel wieder frisch auf und imponirte keinem mehr als unserm Max, dem »mitgebetenen« Secundaner, der in diesem »sicheren Auftreten« ein untrügliches Zeichen des vollendeten Weltmannes anstaunte. – »O ja, er weiß zu leben« – Adolphs Bewunderung war etwas gemäßigter, wie es dem höheren Standpunkte des Primaners entsprach. – Und der Walzer begann.

Karl schien diesmal nur zuschauen zu wollen. Da klopfte ihm der freundliche Wirth auf die Schulter: »Warum tanzen Sie denn nicht? Wenn solche Köpfe feiern ... es sind ja noch Damen da, oder machen Sie doch wenigstens eine Extratour!« Das ließ sich hören. Erst holte Karl Gretchens Schwester, dann ihre Cousine, dann noch eine Cousine, dann eine jugendliche Tante, die Gattin des Assessors, bei dem er »decretirte«. »Er tanzt mit seinem Decernat,« hieß es. Im Privatleben war der Herr Assessor ein Vetter Gretchen's. Demnächst beglückte er das jüngste Töchterchen des Hauses und schwenkte sie herum wie eine Puppe. »Wer das Kleine nicht ehrt, ist des Großen nicht werth ...« oder er denkt: »die wächst mit der Zeit auch heran« – hieß es nun wieder. »Ich bewundere den alten Jungen, sagte Bruder Ferdinand, jetzt macht er sich sogar an die zweite Perwitt – ja ja, mit der kutschirt sich's nicht so bequem, wie mit 'nem gut geschmierten Beschlagwagen – es ist ein wahres Scharwerk!« Aber ihre Mutter war doch auch eine geborene Engelrecht – und so kam nach und nach die ganze liebe Verwandtschaft pflichtmäßig an die Reihe. Alsdann erst, nachdem der strebsame junge Mann im Schweiße seines Angesichts allen Rücksichten der Höflichkeit genügt, belohnte er sich und tanzte extra mit Gretchen.

Schon zeigte sich auf manchen blühenden Wangen, Schultern und Armen jener dunkelrosige Hauch, der noch lieblicher wäre, wenn er nicht allzu leicht in unliebliche Hitzflecke ausartete – nur die ewig junge Wittwe, die bereits so viele Generationen von Gymnasiasten und Studenten eingetanzt, behielt unabänderlich fast dieselbe bleiche, mattglänzende Farbe wie die Besatzröllchen von weißem Atlas an ihrem Kleide. Schon begannen hie und da die duftigen Locken sich in schmachtende Zerflossenheit aufzulösen und drohten, am Ende ganz und gar auszufallen, um so mehr, da ihr reizendes Gekräusel nicht das alleinige Werk der schönen Natur. Kunst – Pomade und Lederwickel hatten auch ihr bescheiden Theil daran. Schon wallten die Busen immer höher, und wenn gewisse Herren von unendlicher Suade, sowie das Paar ausgetanzt, gleich wieder auf die Dame einsprachen, konnte diese, gänzlich außer Athem und mit klopfendem Herzen kaum Luft schöpfen, geschweige denn antworten. Und doch walzten immer wieder die folgenden Paare an, sowie die Vortanzenden in die Reihe zurückgetreten – noch immer hüpften und schleiften im raschen Dreivierteltakt die Fußspitzen über die glatt und glatter werdenden Dielen dahin, noch immer spürte man ein leises Beben und Dröhnen durch's ganze Haus, als hätten die Balken und Wände nicht üble Lust, selbst ein wenig mitzutanzen, noch immer flackerten und liefen die Lichte vom Zuge der heißen und keineswegs staubfreien Luft, zumal wenn ein Paar, dem das einfache Walzen nicht mehr genügte, mit verdoppelter Geschwindigkeit im »Carrière« vorüberflog – noch immer streckten einige Herren den Arm steif in die Höhe wie eine Segelstange, während andere in regelmäßigem Wechsel der Hebung und Senkung die anmuthige Bewegung eines Pumpenschwengels zum Vorbilde genommen zu haben schienen, und noch andere die Hand ihrer Tänzerin mit dem wehenden Batisttüchlein sich dicht unter die Nase hielten und verhimmelt aussahen, als seien alle Wohlgerüche Arabiens nichts gegen den süßen Mischduft von kölnischem Wasser und durch und durch warmen Mädchen-Handschuhen – und noch immer wurde, wenn der letzte Theil des Walzers zu Ende, unverzüglich wieder der erste Theil begonnen, als sollte nun schon fort und fort mit echt deutscher Gründlichkeit und Gemüthstiefe nach dieser einen und selben Weise, wo nicht durch's ganze Leben, doch mindestens bis an den hellen lichten Morgen Raschwalzer getanzt werden.

»Ach, schon die Pause!« Die jungen Damen waren ganz erstaunt. »Die hungern nicht, die dursten nicht, die werden schon vom bloßen Vergnügen satt!« sagte einer der älteren Herren zu Frau Engelrecht, die er zu Tafel führte. »Namentlich im ersten Winter; nachher hat es mir wenigstens immer recht gut geschmeckt.« Auch verschiedene andere Herren Väter waren der Ansicht, daß nun das Schlimmste überstanden, als sie sich den Serviettenzipfel unter das Kinn in's Halstuch steckten, die Wildpastete »recht gut« fanden und ihre Tischnachbarinnen fragten: »weiß oder roth?« Was waren den ernsten, gesetzten Männern Thee, Kuchen, süß gemischte Getränke und – Tanzen zusehen! Und an die Karten setzen mochten sich doch auch nicht alle. Für die verehrten Ballmütter hingegen kam die schwerere Hälfte des Vergnügens erst nach dem Essen. Frau Rademacher hatte bei Nachtwachen am Krankenbett, wie in den Freuden und Leiden des Kleinkinderentwöhnens den Heroismus weiblicher Geduld und Unermüdlichkeit oft noch gediegener bewährt – war es darum etwa keine rührende Bethätigung treuer Mutterpflicht, wie sie jetzt im schimmernden Ballsaal mit dem übermächtigen Schlummer rang, den Töchtern zu Liebe, die »unglücklich gewesen wären«, hätten sie nicht zum Kotillon bleiben dürfen!

Als die Stühle im Kreise gestellt wurden, hielt sie sich noch brav. Dann nickte sie ein, rappelte sich aber schnell wieder auf, da es ihr – wenn gleich nebelhaft verschwommen und halb wie im Traume – so vorkam, als ob »der Herr« ihrer Auguste, seinen Arm hinter Gustchens Rücken auf die Stuhllehne stützte. Als jedoch gleich darauf derselbe Herr dieser ihrer selben Tochter Auguste denselben Arm um die Taille legte und flott mit ihr abtanzte, war durchaus nichts Unpassendes dabei – die wachsame Mutter konnte unbesorgt weiter nicken.

»Guten Morgen, Frau Nachbarin, wie ist Ihnen denn? – wieder ganz munter? Ja – das glaube ich – Sie sind gut d'ran, Sie haben nun schon gemächlich ein Paar Kopfkissen abgeschlafen – wir Anderen müssen uns noch quälen!«

»O, ich habe nicht geschlafen, meine Liebe, ich ruhe mir die Augen nur so.«

»Sehen Sie, sie machen ja schon die Tour mit den Sträußen.«

»Wahrhaftig!«

Es war gerade noch Zeit, um eine Episode nicht zu versäumen, die Frau Rademacher doch auch interessirte. Ihr anderes Töchterchen, Gertrud, »stürzte sich mit Todesverachtung« in den dicksten Qualm des Rauchzimmers, um den Mann ihrer Wahl an einem der Spieltische zu suchen. »Darf ich bitten, Herr Major?«

»Was – noch einen mehr zu meinen alten Ordens? Und so 'nen schönen Stern von Goldpapier! Ei, das läßt man sich gefallen.« Der Veteran sprang auf, ließ sich »decoriren«, zog geschwind wenigstens einen Handschuh an und entwickelte all die Galanterie, die ein alter Kriegsheld von so ritterlichem Sinn unter keinen Umständen verleugnen wird, selbst wenn er das jüngste und hübscheste Mädchen zum Tanze führt. Die ganze Bostonpartie gerieth in Aufruhr, die Herren wollten sich alle den Spaß in der Nähe mit ansehen. Und es lohnte auch! Unser wackrer Onkel Major trotz der alten Schußwunde im linken Bein, die sich immer noch von Zeit zu Zeit meldete, schwenkte seine Dreimalherum fürwahr noch so stramm und rüstig, wie der jüngste Fähnrich von – Anno Dreizehn. –

»Es war eigentlich nett von der kleinen Rademacher, daß sie mich alten Krümper auch mal wieder mobil machte,« sagte der Major beim Nachhausegehen zu Karl. Aber am Ende hast du mir das eingebrockt – du tanztest wol mit ihr – was?« – »Nein, ich tanzte Kotillon mit Fräulein Engelrecht.« »Schwerenoth, mit der hast du aber viel getanzt.« Eine Weile gingen sie still neben einander her, dann bat der alte Herr Karl um Feuer: »Du hast ja wol?« – »O ja, damit kann ich dienen, lieber Onkel.« Onkel und Neffe blieben stehen, beide hielten die Glimmstengel in der bekannten Schnäbelmanier zusammen, beide abwechselnd glühhell im Gesicht, und beide sogen taktmäßig mit dem charaktervollen Eifer, den dies ernste Männergeschäft unter allen Umständen erheischt. »So, jetzt brennt sie – ich dank' dir.« Karl wollte weiter – der Onkel hielt ihn beim Arm fest. Die Sterne am klaren Nachthimmel blitzten, die Straßenlaternen warfen ihren flackrigen Schein in die Finsterniß mehr blendend als erhellend. Der Onkel Major räusperte sich mit all der Energie einer Kehle, die über dreißig Jahre im aktiven Dienste kommandirt, und nun – waren die Andern weit genug voraus. »Ja, was ich dir sagen wollte, Alterchen, thu' mir den einzigen Gefallen und verplempere dir nicht eher, als bis du Brod hast – es taugt den Henker nichts!«

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