Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20.
Ein Rätsel.

Der Baum war über und über mit Kerzen besteckt: jede Kerze sah aus wie ein kleines Tannenbäumchen, das statt grüner Nadeln an jedem Zweiglein eine kleine Blüthenflamme hatte, jede kleine Flamme brannte hell weiß an einem Docht von Staubfäden, und man konnte in sie hineinblicken wie in einen Kelch, in dem rothe Funkentropfen perlten. Zuckerwerk und Nüsse fehlten dem Baum, dafür gab er aber ein Räthsel auf, das lautete: welche Pferde haben ein stacheliges Fell, das man erst abziehen muß, ehe sie angespannt werden können?

Die Kinder riethen und riethen, brachten aber nichts heraus. Sie wandten sich an die Rosen, diese schickten sie zu den Nelken, die wußten es aber auch nicht. Sie hatten nur die unbewußte Sprache ihres Duftes, und was sie darin sagten, glich einem Gedichte, das, so schön es Alle finden, doch von Wenigen ganz verstanden wird. Die Georginen mit einer Frage anzugehen, hatten die Kinder nicht den Muth, die standen in ihren Prachtgewändern von Sammet so stolz und steif da, als dächten sie: wir haben nicht nöthig, uns den Kopf zu zerbrechen mit Räthseln. Der Sommer war zu Ende, der Wind ging über die Stoppeln, und die Kinder hatten die Auflösung noch immer nicht gefunden. Doch machten sie einen letzten Versuch und erkundigten sich noch bei den Astern. Die meinten: »Euch kann geholfen werden. Der Herbst weiß nicht nur das Räthsel, er ist recht eigentlich angestellt, es zu lösen. Er ist aber sehr beschäftigt, seht zu, wie ihr ihn fassen möget.«

Das eine Mal trafen die Kinder den Herbst dabei, wie er Aepfel und Birnen schüttelte. Ein Hagel des Segens fiel rasselnd nieder auf den Rasen, in Körbe und Mützen, auf Köpfe, Arme und Rücken, es war, als wenn »Knüttel aus dem Sack« gerufen wäre. Der Aufschrei der Getroffenen und das Lachen der Nichtgetroffenen klang lustig durcheinander. Da war denn keine Zeit, dem Räthsel nachzuforschen.

Das zweite Mal, als die Kinder anklingelten und ganz bescheiden fragten: »könnten wir wol die Auflösung des Räthsels erfahren?« warf ihnen der große hölzerne Rührlöffel die Thüre vor der Nase zu. Er kam vom Feuer, war förmlich violett im Gesicht und brummte: »wir haben andere Dinge zu thun, wir kochen Pflaumenmus.«

Das dritte Mal hörten die Kinder schon von ferne Knabenstimmen einander zurufen: »wirf auf ... jetzt ist es ja lang genug ... laufe, lauf' ... laß nach, laß nach ... steh still, halt! ... so steh doch still!«

Der Herbst ließ den Drachen steigen. Es war ein großer Drachen, der ein »ganzes Pfund Bindfaden trug«, eine tadellose Kreuzschnur, an den Seiten und am Schweife prachtvolle Quasten von Papierschnitzeln und das Gleichgewicht besser hatte, als Europa. War eine wichtige Bestellung auszurichten, so nahm der Herbst ein Stückchen vom »Unreinen« des letzten deutschen Aufsatzes, machte ein Loch in die Mitte, streifte das Blättchen über den Faden, und der Wind lies schleunigst mit dem Apostelbriefchen nach oben, dicht bis an den Himmel, und händigte es dem Drachen ein.

Der Drachen »stand wie eine Mauer«. Mit majestätischer Ruhe blickte er auf eine Menge kleinerer Drachen hinab, die tief unter ihm unsicher hin- und herschwankten und jeden Augenblick besorgen ließen, sie möchten eigensinnig »bocken« oder, wenn ihnen die Flugkraft versagte, kläglich zu Boden stürzen. Nur von Zeit zu Zeit gab er ein Zeichen des Lebens durch ein würdevoll gemessenes Schlängeln seines Schweifes, wobei sich ein leises Knistern und Rauschen hoch oben in der Luft vernehmen ließ. Von den ganz kleinen Drachen, aus einem einzigen Viertelbogen Papier mit zwei durchgesteckten feinen Stäbchen, die fast immer an der Erde schleiften und nur, so lange man mit ihnen lief, sich schwebend erhielten, nahm er gar keine Notiz, als wären es untergeordnete Geschöpfchen einer durchaus andern Gattung, wie er selbst.

Um nicht abermals zu stören, warteten die Kinder geduldig, bis der Herbst anfing, den Faden wieder aufzuwinden, den er übrigens gar nicht ganz abgelassen, so reichlich war er damit ausgestattet. Schüchtern traten sie näher und bemerkten zur ersten, scheinbar absichtslosen Anknüpfung: »das Knäuel ist wol recht fest gewickelt?«

»Wie Stein,« und der Herbst drückte mit dem Daumen darauf, ohne daß sich, auch nur die mindeste Vertiefung bildete.

»Zieht er auch tüchtig?«

»Wickelt die Schnur um die Finger, wenn ihr probiren wollt.«

Die Kinder waren wohlerzogen und brauchten nicht gerne verbotene Worte, dennoch konnten sie nicht umhin, auszurufen: »Donnerwetter ja, der zieht!« Dem Herbst schien das aber gerade Spaß zu machen; denn er schmunzelte ein wenig schadenfroh, als die Kinder sich die Hände rieben, wo der Faden einen rothen Streifen eingedrückt, und nun fragte er selbst nach ihrem Begehr.

»Wir möchten gerne das Räthsel wissen, das an dem Weihnachtsbaume des Frühlings wächst, das Räthsel von den Pferden mit dem stacheligen Fell, das man erst abziehen muß, ehe sie angespannt werden können.«

»Wenn es weiter nichts ist, das können wir besorgen, aber erst muß der Drachen nach Hause gebracht werden.« Und der Herbst hielt Wort, der wirklich eine gute Methode hatte, Räthsel aufzulösen. Er nahm das Räthsel, warf es an Baumstämme, Wände, Gartenmauern, Zaunpfähle, an Steine oder auf den harten Boden, und wenn das Alles nichts verschlug, trat er ihm höflich mit dem Stiefelabsatz auf den Kopf. Da zierte sich das Räthsel nicht länger, und muntern Trabes rollten – die wilden Kastanien als schmucke Spielpferdchen hervor, ein ganzer Marstall voll, dunkelbraune und lichtbraune, einfarbige und mit Abzeichen versehene »Blässen« und Schecken.

Da der Herbst einmal guter Laune war, zeigte er den Knaben auch noch eine andere nützliche Verwendung der Kastanien. Er höhlte sie aus, steckte in eine jede seitwärts einen Federkiel, stopfte sie mit, trockenen Kirschblättern – und die Tabackspfeifen waren fertig, so daß die ganze kleine Gesellschaft rauchen konnte. Wenn gleich nun den jungen Herren bald etwas flau um den Magen wurde, und es ihnen scharf auf die Zunge biß, sie ließen sich nichts merken, nur spuckten sie häufig aus und sahen sich um, ob auch die Mutter nicht käme.

*

 


 << zurück weiter >>