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11.
Die Schlacht bei Jena.

Noch einmal muß ich zurückgreifen in die Tage des jungen Hausstandes der Großeltern – um es schon zu belassen bei dieser Bezeichnung, die dem gegenwärtigen Geschlecht doch die geläufige – dann geht es auch gleich wieder vorwärts. Das Leben – nicht nur in diesem Buch, läuft ohnehin so schnell! Hat man erst einmal erfahren, daß die, welche wir noch auf dem Arm gehabt als kleine Kinder, nun als gleichberechtigte Erwachsene neben uns stehen, wo nicht gar uns über den Kopf wuchsen, dann geht es bald rasch und rascher. Zuletzt wundert man sich nur, daß die eben Gebornen, Getauften, zur Kinderlehre Gegangenen nicht schon wieder geheirathet und Kinder haben. – Sollte auf so beschleunigter Reise ein kleiner Aufenthalt nicht erwünscht sein? Wol kommt es auf den Platz zum Halten und auf die Gesellschaft an. Wem beide nicht gefallen, oder wer gar nicht schnell genug weiter kann, aus einem oder dem andern Grunde, der braucht sich ja auch nicht aufzuhalten. Ueberschlägt der behaglich Reisende dann und wann einen Zug, warum soll der, mit dem Eilzuge Lesende nicht ein paar Seiten überschlagen? –

Also der Großvater ging aus an einem unfreundlichen Octobermorgen. Er war nicht in bester Laune aufgestanden – er hatte ja auch genug auf seinem Kopf. Dazu noch die ernsten Zeiten! Der Krieg war erklärt. Alle hatten ja guten Muth – Manche nahmen die Sache doch wol zu leicht. Nur das Schenkmädchen in der Schenke dicht neben der Wache und die Tochter des pensionirten Hauptmanns gerade über der Wache waren untröstlich. Eine Garnison hatte die Stadt nicht, nur ein »Kommando« zum Schutze der öffentlichen Kassen, und die Hauptmannstochter war die Braut des Lieutenants, das Schenkmädchen die Braut des Hornisten. Wenn sonst das Kommando abzog, kam ein neues, und dann wurde das Schenkmädchen die Braut des neuen Hornisten und die Hauptmannstocher die Braut des neuen Lieutenants – aber jetzt war die Wache ganz geschlossen – wer weiß, wann wir wieder ein Kommando bekamen? ... Wer es am ernstesten nahm, sagte: »selbst wenn wir zuerst eine Schlappe kriegen – bis zu uns nach Ostpreußen werden die Franzosen wol nicht gleich kommen – es ist ja noch nie einer hier gewesen.« – Und doch, wer konnte wissen, wie noch Alles wurde?

So wie der Großvater den Fuß über die Schwelle setzt, das Erste, was er erblickt: eine alte Frau mit rothen Augen. Der Großvater schnitt ein Gesicht. Es war keine Hexe, es war ein gutes armes altes Weib, und der Großvater war ein aufgeklärter Mann, aber auch aufgeklärte Männer sahen schon damals eine hübsche junge Frau oder ein hübsches junges Mädchen lieber als ein altes Weib, selbst wenn sie keine rothen Augen hatte und ein in ihrer Art ganz vortreffliches armes altes Weib war – zu jeder Tageszeit, um wie viel mehr gleich früh Morgens, so wie man aus dem Hause tritt. Auch war der Großvater ja eben noch nicht Großvater, sondern ein Mann in besten Jahren, die ersten Kinder waren noch ganz klein – und wie gut, daß sie noch ganz klein!

Um Ein Uhr wurde gegessen. Die Großmutter, die um Zwölf »auf ein Augenblickchen« zur Lotte gegangen, war um halb Zwei noch nicht zurück. Wenn das in späteren Zeiten auch ab und zu vorkam, und die Kinder mußten um Zwei in der Schule sein, also doch mindestens um Drei Viertel gehen, so aßen sie selbst nichtsdestoweniger mit der größten Gemüthsruhe bis auf den letzten Bissen – es bekommt ja auch viel besser – der gute Vater der Schulpflichtigen aber saß in ihrer Seele wie auf Kohlen und schlang das Essen in Hast herunter, von Aengsten gehoben, sie würden verspäten. Wunderbar! Gerade an solchen Tagen hatte der Großvater regelmäßig auch noch von allen Gabeln die einzige, deren Griff lose, von allen Messern das eine einzige, auf dem man nicht bis Rom, doch bis Riekenhof reiten konnte, ohne sich durchzureiten, von allen Stühlen den einzigen wackeligen, von allen Suppentellern den einzigen abgestoßenen, von allen Untertellern den einzigen halbgeborstenen, der nur auf einen Mittag wie dieser gewartet, um völlig auseinander zu fallen, wie schon beim Frühstück von allen Tassen die eine einzige, an der oben am Rande noch »das ganze Handtuch saß«, obwol es »gar nicht möglich«, da die Großmutter selbst eins von den neuen, nie fasernden englischen Trockentüchern herausgegeben. Und es war auch gar nicht möglich, daß alle Griffe an den Thürschlössern sich naß anfaßten, da ja die Großmutter weder große noch kleine Wäsche hatte. Zu alle dem sagte der Großvater dann nichts, nicht ein Wort, er sah die Großmutter nur bei jeder neuen Ueberraschung dieser angenehmen Art mit einem Gesichte an, von dem das ernste Schweigen, das geschäftsmäßige Löffel-, Messer- und Gabelrasseln nicht gerade gemüthlicher wurde. Wie gut, daß es vor der Hand in dem jungen Haushalt noch gar keine Gabel mit losem Stiel, kein stumpfes Messer, keinen wackelnden Stuhl, auch noch keine englischen Trockentücher gab. Denn die besserten wenig, ja wenn es »gar nicht möglich«, daß diese nie fasernden Tücher etwas an den Tassen hängen ließen, und es saß trotzdem noch das ganze Handtuch an der Tasse, und wenn weder kleine noch große Wäsche im Hause – und doch faßten sich alle Thürdrücker so »glamserig« naß an, als wären sie statt mit »Moppke« oder was für Putzpulver sonst mit Seifenlauge eingerieben, so waren diese, auf natürlichem Wege schwer erklärliche Phänomene wieder nicht sehr geeignet, das trübe Gewölk am Ehestandshimmel und über dem Familientisch aufzuhellen. Mehr schien sich die Großmutter davon zu versprechen, wenn sie – ohnehin noch in leiser Nacherregung von dem erheiternden und ausführlichen Vormittagsbesuch – allerlei Neues und Unterhaltendes erzählte.

»Der zweite Sohn soll ein ebenso talentvoller und fleißiger Mensch sein.«

»Laß doch nur herausnehmen und das Andere bringen.«

Es wurde abgenommen und das Andere gebracht.

»Auch ein so hübscher Junge soll es sein, während die Mädchen gar nicht hübsch sein sollen.«

»Ist zum Knippmann geschickt?«

Die Großmutter sah aus, als sei ihr die Ideenverbindung nicht sogleich einleuchtend zwischen dem Schuhmachermeister Knippmann und der merkwürdigen Erscheinung, daß die Mädchen nicht so hübsch wie die Knaben in einer Familie, in welcher der Großvater nicht Hausarzt war, die er so gut wie gar nicht kannte, und die ihn überhaupt ganz und gar nichts anging. Doch faßte die Großmutter sich schnell.

»Ach, das habe ich ganz vergessen.«

»Dann muß sie gleich nach Tische gehen, ich brauche sie ja, das andere Paar ist auch schon schlecht.«

»So wie sie abgewaschen, soll sie gehen ...«

»Und wo ist denn das Salz?«

»Nein – hat sie vergessen, Salz aufzusetzen!«

Die Großmutter sagte das mit einer Betonung, als ließe sich gar kein höherer Grad von Zerstreutheit und Vergeßlichkeit denken, und doch lag eine gewisse, wenn auch nur sehr geringe Erleichterung darin, daß sie die ihr zugemuthete Verantwortlichkeit, die sie im Allgemeinen ja nicht bestritt, in diesem einen besondern Fall von sich abwenden und derjenigen überlassen konnte, die wirklich Schuld hatte.

»Vergessen scheint Mode zu werden.«

»Da ist es ja schon, sei nur nicht böse.«

»Aber Herz, bin ich denn böse? Du thust doch, als wäre ich der ärgste Sauertopf und Haustyrann. Ich werde doch sagen können, was auf dem Tisch fehlt, und was nicht ist, wie es sein soll. Das Fleisch ist wieder nicht zur Seele zu bringen – sie läßt sich auch Alles in die Hand stecken.«

»Ich habe ihm alle Ehre widerfahren lassen – geklopft ist es.«

»Dacht' ich's doch! Wenn es nur geklopft ist, dann kann es mit dem beruhigenden Gefühl erfüllter Pflicht so zäh sein, wie es Lust hat – es ist wieder Ochsenfleisch von einer alten Kuh.«

»Kuhfleisch ist feinfaseriger, auch heller.«

»Es ist vielleicht eine brünette gewesen.«

Nun, die Großeltern waren beide noch jung, hatten noch gute Zähne, da machte am Ende auch die grobfaserige Brünette nicht so viel Schwierigkeiten, wie anderen wirklichen Großvätern und Großmüttern die besten mürbesten Stücke.

»Und ein ganz seltsames Verhältniß soll das im Hause der Schwägerin sein.«

»Welcher Schwägerin? ... Ach so ...«

Das Verhältniß schien aber nicht nur seltsam, es schien zu einer mehr heitern als herben Auffassung unwiderstehlich herauszufordern. Ja jetzt lächelte der Großvater – er lächelte wirklich, zum ersten Mal an diesem Tage mit unverkennbarem Behagen. Nur der Großmutter mochte es doch nicht recht behagen, bis sie wußte, worüber er eigentlich lächelte.

»Hat dir das Alles die Lotte erzählt?« sagte der Großvater mit einer Gelassenheit, die nicht ganz – oder nur zu sehr mit dem Lächeln im Einklang stand ... Nun sagte die Großmutter aber auch gar nichts mehr.

Wie gut, daß in jenen Tagen das Buch noch nicht erschienen, ja noch nicht geschrieben war und noch lange nicht geschrieben wurde, darin zu lesen steht: »Wenn jede Frau, die da sagt, »nun sage ich aber auch gar nichts mehr,« auch wirklich fortan gar nichts mehr sagte, so würden die Geistlichen – der das schrieb, war selbst einer und mußte das also wissen – nach der Predigt bei den Abkündigungen Sonntag für Sonntag gar nicht gerathen können mit lauter Danksagung für plötzlich stumm gewordene Frauen. Wäre das Buch schon geschrieben, in Druck und Buchhandel erschienen, und der Großvater hätte es gelesen – alle von Geistlichen verfaßte und veröffentlichte Werke las er nicht – so ein guter Mann und zärtlicher Gatte er war, wer weiß, ob der Großvater im Stande gewesen sein würde, der Verlockung zu widerstehen und der Großmutter nicht zu zeigen, daß es auch Schriften von Predigern gebe, die er allerdings und nicht ohne Nutzen las.

Der letzte Nachschimmer von Großvaters Lächeln war noch nicht ganz erloschen ... Der Großvater ist nie ein schöner Mann gewesen, aber wenn er so unwillkürlich lächeln mußte ... es stand ihm gar zu gut – nur diesmal fand es die Großmutter nicht. Und die wallende Röthe der Großmutter war noch nicht ganz wieder einer gleichmäßigen ruhigen Farbe gewichen, als angeklopft wurde, und ehe der Großvater noch »herein!« rief, ging die Thür auch schon auf ... es war Herr Engelrecht, der Sohn des »Originals«. Er hatte sich nicht anmelden lassen, entschuldigte sich auch gar nicht und schien schwer das Wort zu finden, was sonst nicht seine Art.

»Um Gotteswillen, was haben Sie? Setzen Sie sich, Freund ... Sie sehen ja aus wie der Kalk an der Wand.«

»Wissen Sie noch nicht?«

»Nein – was ist denn? So reden Sie doch.«

»Die Armee des Königs hat eine große Schlacht verloren. Der König und die Prinzen leben ... Der Präsident hat eine Estaffette.«

– Erst später erfuhr man die ganze Größe der Niederlage, und daß die Schlacht bei Jena war ...

– Es stand in keiner Zeitung, kein Augenzeuge hat es berichtet – das war aber auch gar nicht nöthig – an einem solchen Tage, bei diesem ganz furchtbar schlechten Wetter, wie es Gott sei Dank in den Witterungsannalen des Hauses, wie der Monarchie nicht oft verzeichnet, bedurfte es nicht erst der Beweise für oder wider. Meteorologisch und moralisch stand es von vorneherein fest, wie an allem und jedem großen oder kleinen Mißgeschick in und außer dem Hause, hatte auch hieran im letzten Grunde Niemand anders Schuld – als die Frau.

– Ja die Männer, die Männer! Hatte doch schon immer der Vater von Herrn Engelrecht gesagt: »Kein ärgeres Volk, als das Männervolk – und das Weibervolk.«

*

 


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