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24.
Das einige Deutschland.

Den andern Morgen reiste der Fremde mit der Post weiter, bis zum nächsten Bahnplatze begleitet von dem Herrn, der neben ihm an der Hoteltafel saß, und mit dem er fast ausschließlich gesprochen. Dieser hatte sogleich in ihm einen alten Schulfreund erkannt. »Mich konnten Sie natürlich nicht wieder erkennen. Einmal – sagte der Herr mit ernstem Gesicht, mein Name stand nicht im Fremdenbuch, was immer eine kleine Unterstützung auch für das treuste Physiognomien-Gedächtniß – und dann: wer so gar nicht heraus kommt, – weiß Gott, man versauert und verbauert, verschimmelt und vermoost ja vor der Zeit. Wie das so geht: erst mußte ich einen Trumpf darauf setzen, den »jungen« Engelrecht los zu werden, jetzt bin ich nur zu sehr der Alte. Wenn ich noch so viel Trümpfe aufsetze – »der Junge« werde ich nimmer mehr. Da ist Justus Alborn besser daran. Grau geworden ist er auch, aber »der Alte« noch lange nicht. Der Stadtrath, sein Vater, der wird nun wol der Alte werden.«

»Ist der nicht todt?«

»Bewahre! das ist des Stadtraths Vater, Justus' Großvater. Der ist allerdings vor Kurzem gestorben, und deshalb meine ich eben, der Stadtrath wird nun in die vollen Altersehren hinaufrücken. Justus rückt doch nur in zweiter Linie nach. Ich wundere mich, daß Sie das nicht auch wissen. Sie scheinen ja sonst merkwürdig orientirt im einigen Deutschland.«

»Im einigen Deutschland?«

»Ja so, das können Sie wieder nicht wissen? Einiges entgeht einem doch, wenn man fast immer im Auslande lebt. Freilich im Inlande ist das hohe Wort auch ziemlich außer Kurs. In der Familie hat sich's erhalten. Ob sie deshalb bessere Patrioten, ist eine Sache für sich.«

»Und wie das? Ich verstehe Sie nicht.«

»Nun etwa so: Da ist ein junger strebsamer Mann, auch in gutem Geschäft – es fehlt nur noch etwas vom Besten. Ohne etwas in's Geschäft gesteckt zu haben, kommt auch nichts heraus beim Geschäft. Was zu machen? Da wird denn doch wol das einige Deutschland seine milde Hand aufthun müssen.«

»Oder talentvolle Jünglinge wollen sich ausbilden. Fragt sich nur, welche Universität, Akademie, oder welches Polytechnikum Vorlesungen, Wohnung, Mittagstisch, Fechtlehrer, Schwertfeger, Paukdoctor, Wäscherin, Stiefelfuchs und so und so viel Seidel Abends auf der Kneipe gratis giebt. Denn auch im »einigen Deutschland« legt die Muse nicht immer dem Talente, ja dem Genie, gleich in die Wiege das Nöthige zu seinem irdischen Fortkommen, sei es baar, sei es in Eisenbahn-Prioritäts-Aktien oder Obligationen.«

»Oder: Jemand, der schon eine, an den Fingern nicht mehr leicht zu berechnende Anzahl von Semestern auf der hohen Schule des Lebens und doch noch immer nicht ausstudirt, noch immer nicht lernte die große Kunst, auszukommen bei der entschiedensten Begabung, auszugeben – hat bei alledem den einen, für ihn unschätzbaren Vorzug vor Hunderten seines Gleichen: seine Urgroßmutter war ja auch eine geborne Timpf, folglich gehört er doch auch zum »einigen Deutschland.«

»Oder: schon wieder eine Hochzeit? das kommt aber wirklich ein bischen oft. Man möchte doch gern etwas wählen, das hübsch und doch auch von einigem Nutzen. Nun es hat sich ja noch immer was gefunden, wird sich auch diesmal etwas finden. Haben sie uns Freundlichkeiten erwiesen, dürfen wir es nicht unerwidert lassen. Was soll man machen? – es ist einmal Hochzeit im einigen Deutschland – und nicht zu Cana im gelobten Lande, wo Wasser zu Wein wurde und der Gabentisch voll auch von leeren Händen.«

»Kennen Sie die Puskowier?«

»Nein.«

»Haben auch nicht von ihnen gehört?«

»Nein.«

»Sie verlieren nicht viel. Nun das kann nicht anders sein. In welcher größeren Familie wären denn lauter liebenswürdige Menschen? Merkwürdig nur, wie häufig das zusammentrifft, daß diejenigen, denen es »nicht sehr geht« auch meistens nicht gerade die Beliebtesten sind. Kommt man in die Gegend – vorbeifahren kann man nicht, oder man wird als hochmüthig verschrieen. Das Herz von Deutschland ist Puskowien nicht, auch nicht die Lunge und die Leber. Auf jeder guten Specialkarte – vom einigen Deutschland muß es doch zu finden sein.«

»Man hat anderswo ein Geschäft. Es ist weit, man kann augenblicklich nicht ab. Ganz einfach liegt die Sache keineswegs. Viel käme darauf an. Jemand Auftrag zu geben, der persönlichen Antheil nimmt. Aber wie ist denn das? Haben wir da nicht wen? Freilich, da ist ja unser alter lieber Freund und Vetter ... Vetter? Nun keiner von den nächsten, das ist wahr, aber die entlegenen Provinzen gehören auch zum Reiche. Einer vom einigen Deutschland soll dem Andern beistehen. Und der thut es – es ist ein guter Mann.«

»Ein sehr guter Mann, wenn unsere Ansichten auch in manchen Dingen nicht übereinstimmen ... Du lieber Gott! wollten wir nur mit denen verkehren, die in Allem und Jedem ganz einerlei Meinung mit uns, so würde sich der Umgang doch ungemein beschränken – selbst im einigen Deutschland.«

»Nein, das zerreißt aber das letzte Band!« – »Was ist denn? Was ist geschehen?« – »Er hat das und das von uns gesagt.« »Woher weißt du das denn?« »Ich habe es von seiner Schwägerin. Zu der hat er es selbst gesagt.« »Sie hätte auch etwas Klügeres thun können, als es dir wieder zu sagen. Wenn Jeder vom Andern ganz genau wüßte, was der Andere einmal von ihm gesagt hat, so würden diejenigen, die einander am meisten lieben oder zu lieben glauben, vor lauter Liebe sich mit Haut und Haaren auffressen, selbst – »im einigen Deutschland« – bis Einer allein übrig bliebe. Der stellte dann doch gewiß, wofern er nicht platzt von der gesegneten Mahlzeit, das einige Deutschland dar, wie es leibt und lebt ... Verstehen Sie nun?«

»Ich glaube wol und muß bekennen, ich finde diese Anwendung des großen Wortes nicht unpraktischer – als manche andere.«

»Immerhin sage ich: Kinder, ihr werdet so lange euren Scherz treiben, bis eines schönen Tages am Ende doch noch Ernst wird mit dem viel verspotteten einigen Deutschland.«

»Lieber Engelrecht, ich gratulire Ihnen zu dem schönen Vertrauen und der beneidenswerthen Gabe unverzagter Hoffnung. Das beweist Jugendkraft. Ich will Ihnen aber gleichfalls etwas erzählen aus dem »einigen Deutschland«.

»Ich hatte vor, auf der Reise hierher einen Bekannten in Sigmaringen zu besuchen, und war so unvorsichtig, mich nicht anzumelden. Natürlich fand ich ihn nicht. Mir geschah recht. Ich hätte doch am ersten daran denken sollen, der ich so viel unterwegs, daß in einer Zeit, wo alle Welt fortwährend reist, stets zu vermuthen, daß man auch wieder alle Welt nicht zu Hause trifft. Nun wurde mir gesagt, wahrscheinlich kämen sie – Frau und Töchter waren mit – denselben Abend noch zurück. So entschloß ich mich, zu warten und machte inzwischen eine Spazierfahrt. Mein Kutscher, ein Landeskind, war sehr geneigt, mich zu orientiren in der Gegend. »Was ist denn das dort?« – »Däs da? Däs ischt Niedlinge', Herr.« »Und das d'rüben auf jener Seite vom Bach?« »Oblinge'.« »Das hat fast noch eine schönere Lage.« »Ja, ja – ä schönere Lag'! Ich bin von Niedlings', Herr, ich kenn's, ich kenn' die schöne Lag'. Und bei der schöne' Lag' schneide' sie uns däs Wasser ab, haue sie die Stöck' aus unserm Holz', hüte' und pflüge' über, wo sie auf unserer Seit' noch ä Stückle Bode' habe'. Und wenn Ihne' da wer was schuldig, und Sie schreibe' däs in dene' ihre' Schorstein, und nach 'nem Jahr steht es noch darin, dann kriege' Sie doch nix und wieder nix von dene' Hallunke'.« »Ist Oblingen auch schon preußisch?« fragte ich, um den freundnachbarlichen Eifer des guten Niedlingers ein wenig abzulenken. Seine Faust packte den Griff der Peitsche noch fester zu einer vielsagenden Geste, bei der die zitternde Spitze des Peitschenstockes gerade über dem Kirchthurm von Oblingen schwebte: »Dene' hätte m'r's eher vergunnt.« – Nein, liebster Freund, ich habe ein gut Theil von der Welt gesehen und einige Erfahrungen gesammelt: alle Schlagbäume werden fallen, alle Standes-, Stammes-, National-, Sprach- und selbst alle mundartliche Unterschiede mögen ihrer Ausgleichung entgegengehen – ob zu besonderem Heil der Menschheit, ist etwas Anderes – aber glauben Sie mir: eine Grenzlinie wird niemals verwischt, zweierlei Menschen werden sich nie verstehen.«

»Weiße und Schwarze – Heiden und Christen?«

»O nein: nur Niedlinger und Oblinger.«

Der Fremde hatte sich in unserm Hotel eingeschrieben: Baron v. Hillerström, Legationsrath a. D. Er mochte ein ausgezeichneter Diplomat gewesen sein oder auch noch sein, ein untrüglicher Prophet war er zum Glück nicht. –

*

 


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