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13.
Im April.

Max ging aus, Ottilie sah ihm nach. Schon lag ihr Finger an den Lippen in zärtlicher Bereitschaft zum letzten Gruß – er ging weiter und weiter. Sie lehnte sich ganz seitwärts in die Fensternische, um ihn im Auge zu behalten, so lange wie möglich. Er bog um die Ecke, nun war auch der äußerste Rockzipfel weg – er sah sich nicht mehr um. Es würde die junge Frau sehr gefreut haben, hätte er ihr noch einmal zugenickt, aber sie war nicht so kindisch, sich darum zu grämen.

Er ging spazieren, sie hatte er auch aufgefordert, doch blieb sie lieber zu Hause. Das Wetter war zu unbeständig. Ottilie verlangte nicht von ihrem Mann, immer bei ihr zu sitzen. Ihr würde die Zeit schon nicht lang werden, sie wollte fleißig sein – sie stickte. Es war eine Stickerei, auf einen Streifen Glanztaft geheftet. Weiter und weiter rückte der schmale weiße Streif vor, den sie über die Hand gespannt hielt. Das Muster hatte sie selbst gezeichnet. Wenn es sich nur doch im Ganzen gut machen möchte! Wieder sah sie es darauf an. Zum ersten Mal kam ihr dies Bedenken, und fast noch emsiger fuhr sie mit der Arbeit fort. Sie wollte nicht so wankelmüthig sein, aber die rechte Freude war hin. Das ewige Knittern des Glanztaftes, selbst der eigentümliche Duft, den sie bisher nicht beachtet, machte sie nervös. Der künstliche Stich, zu dem der Faden immer erst um die Nadel geschlungen werden mußte, fing an, sie zu ermüden. Sie hätte lieber was Anderes vorgenommen, etwas Einfacheres, was recht Nützliches. Nur was? Ihre kleine Wirthschaft, die ohnehin in diesen Nachmittagsstunden stets am wenigsten Gelegenheit zur Beschäftigung bot, war besorgt. Da fiel ihr etwas ein. Es war freilich eine Kleinigkeit. Sie wollte ihrem Manne einen Henkel an den Schlafrock nähen, der alte hielt noch, aber unter dem aufgeplatzten schwarzen Band guckte schon die eingelegte grobe Schnur hervor, und das sah unordentlich aus. Was die Herren Schneider schlecht arbeiten! Es war ja noch ein ganz neuer Rock. Ein Junggeselle hätte sich vielleicht nichts aus dem schlechten Henkel gemacht, aber Max sollte doch merken, daß ihr Mann eben kein Junggeselle mehr war.

Max hatte nicht die Gewohnheit, Nachmittags zu schlafen. Ja Ottilie machte früher einmal die eigentümliche Bemerkung: »Ach das gewöhnen sich die Herren, die studirt haben, nur auf der Universität an!« Heute war es ihm doch passirt. Die junge Frau dachte nicht weiter daran bis jetzt, da sie seinen Schlafrock unter Händen hatte. – Bald war die kleine Reparatur fertig, und der ganze Rock hatte doch gleich wieder ein anderes Ansehen. Sie hing ihn in den Schrank zurück und machte den Schrank zu mit etwas mehr Kraftaufwand, als unbedingt nöthig sein mochte. Der komische Max ließ ihn immer offen. Dann legte sie die Kleiderbürste hin, wo sie hingehörte, und rückte den einen Stuhl am Fenster zurecht, er stand ein wenig schief, sie konnte keine Unordnung sehen. Das Buch, in dem Max gelesen, lag noch aufgeschlagen mit dem Rücken nach oben, was die junge Frau gar nicht liebte. Es macht den Band zu nicht und hat so etwas Nachlässiges. Sie warf einen flüchtigen Blick in das Buch und lächelte: »so so – er liest die italienische Reise nicht ohne Nutzen.« An der aufgeschlagenen Stelle war von der Siesta die Rede. »Nur der Kinder und Frauen Schlummer kann schön sein, der Schlaf der Männer ist es nie. Diese bewußtlose, pflanzenhafte Ruhe scheint zu sehr, ja unversöhnlich im Widerspruch zu stehen mit dem durchaus auf Thätigkeit und Kraftentwickelung angelegten männlichen Organismus.« Und wieder sah die junge Frau seinen Kopf auf die Brust sinken, den Mund halb geöffnet, den Arm schlaff herabhängen, die Kniee übereinander, den einen überhängenden Fuß vom volleren Pulsschlag in träge zitterndem Takt beben bis zur Stiefelspitze ... »Ach es ist ein dummes Buch.«

Es wurde auch mit einmal so finster, daß man kaum lesen konnte. Klappernd sprangen gegen die Fensterscheiben erst kleinere, dann größere weiße, eisharte Körnchen – es hagelte. Sie hatte also doch Recht ... sie sah es ja auch ganz genau gegen den dunkeln Hintergrund der offenen Thüre drüben, es war auch erst schon nicht blos Regen ... sie mochte nur nicht streiten über solche Kleinigkeiten. Richtiges Aprilwetter – im Nu war Alles schneeweiß, und so schnell der Schauer herauftrieb, so schnell war er auch verjagt vom rauhen Nordwest. Nach wenigen Minuten schien die Sonne wieder, das dicke Gewölk hatte sich zertheilt, die noch übrigen einzelnen Wolken, düster bleigrau auf der einen Seite, auf der andern grell weiß, flogen nur so wie gefegt am Himmel dahin, dessen Blau eine scharfe und kalte, ungemüthliche Klarheit hatte, als wären auch da droben etwas zu frühe die Doppelfenster herausgenommen.

– Auch? Wo waren sie denn zu früh herausgenommen? Und wann sollten sie herausgenommen werden? Etwa im Sommer, am längsten Tage! Ach, die ganze Einrichtung mit dem Herausnehmen und Wiedereinsetzen zum Winter war unpraktisch, altmodisch und kleinstädtisch, freilich nicht zu umgehen, wenn die doppelten Fenster so plump gearbeitet werden.

Ottilie trat vom Fenster weg und blickte in den Spiegel. Sie hätte nicht die grüne Schleife nehmen sollen, die machte sie ganz bleich. Sie steckte die Schleife anders, strich das Haar glatt, zog ihr Kleid zurecht und war doch nicht zufrieden, sie hatte keinen guten Tag. Eine Unruhe überkam die junge Frau, sie setzte sich bald hierhin, bald dorthin, und wie die Beiden anfänglich noch immer neue Lieblingsplätzchen in ihren Zimmern entdeckten, so konnte sie jetzt allein nirgend die rechte Perspective finden für das anmuthige Bild ihrer Häuslichkeit. Da sprang sie auf, schlug die Hände hastig zusammen, daß es klatschte, rieb die kleinen Hände, machte sie wieder auf und sah begierig nach – weg war die Motte, die unbefangen mitten am hellen Tage vom Sopha her auf sie zugeflattert – und die Sonne war auch schon wieder weg. Die Welt ist zu unvollkommen, das beste Insektenpulver hilft nicht radikal – und die allermodernste und geschmackvollste Ausstattung vermag den Sonnenschein des Lebens nicht dauernd zu fesseln! Der wunderhübsche Sophabezug, die reizende Tischdecke, der entzückende Teppich, die bezaubernden Gardinen – mit einem Wort »der Himmel auf Erden«, dies ganze Paradies der neuen Einrichtung kam der jungen Frau herzlich langweilig vor. Ach, daß der Reiz des Neuen eine solche Macht hat über das schwache Menschenherz – und nicht allein in diesen Aeußerlichkeiten! Das Eden, welches der Schwermüthigen jetzt vorschwebte, sah ganz anders aus. Es war ein enges Stübchen mit einem Bett, einem Tischchen und ein paar Stühlen, einem kleinen Roccocospiegel an zierlich geknüpftem rosa Bande, das von unvergänglicher Frische schien, während der vergoldete Rahmen seinen ehemaligen Glanz längst verloren, einem an Schnüren hängenden Bücherbrett, das einige elegante Bände nicht ganz füllten, mit dem Blick aus dem einen Fenster – auf alle landschaftlichen Reize des rings umbauten großstädtischen Hofes ... und mit wenigen Schritten durch den dunkeln Korridor war man in der Wohnstube bei der Mutter! Die kleine Frau hielt die Hand vor die Augen – die nassen blanken Pflastersteine und das dazwischen angesammelte Wasser blendeten sie wol? Aber es war ja kein Sonnenschein! Mit der Raschheit eines plötzlichen Entschlusses ging sie durch das Zimmer, das Strickzeug, das sie inzwischen vorgenommen und wieder weggelegt, schleppte nach. Am Schreibtisch bemerkte sie es und machte mit einem schwachen Lächeln den Faden los, der sie umschlang und festhielt. »Nun nun, ich will ja nicht gleich ganz weglaufen, so arg ist es noch nicht.«

Sie schrieb, hätte den Brief am liebsten verworfen, – nachdem sie das Geschriebene nochmals durchgelesen – und schickte ihn dann doch ab. »Aber sage nur Niemand etwas, auch dem Vater nicht und keinem der Geschwister, liebe Mutter! Du weißt am besten, wie glücklich ich bin. Und doch – erst nach einiger Zeit der Trennung kommen Stunden, in denen man so recht inne wird, wie tief unsere ganze Seele in der Heimath, im Elternhause wurzelt. Wenn ich mich gar nicht bangte, das wäre doch auch nicht gut. Der ganze sehnsuchtsvolle Brief enthielt keine einzige bestimmte Klage, gewiß hatte sie auch keinen Grund dazu.

– Oder doch? Begann seine Liebe zu erkalten? Vernachlässigt er sie? ... Ach nein, nein! Aber heute bei Tische – die junge Frau fing von diesem und jenem an, er ging auf nichts recht ein. Endlich brachte ein günstiges Ungefähr das stockende Gespräch auf »die schönste Zeit ihres Lebens.« Die Väter waren Jugendfreunde. »Wer weiß, ob du sonst je unser Haus betreten?« Sie sah ihn recht zärtlich an: »Aber ich denke, wir hätten uns doch gefunden.« ... »Ich denke« – sagte er nach einer kleinen Pause und legte die Serviette zusammen, »du läßt jetzt abnehmen, Kuchen kommt ja wol nicht – gesegnete Mahlzeit.«

*

 


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