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18.
Der blaue Brief.

»Mein alter Freund und Bruder – ich glaubte schon ganz zum alten Eisen geworfen zu sein. Und siehe, da zieht man mich doch wieder hervor: das bischen Treue und Pflichterfüllung, das ja nichts als verdammte Schuldigkeit, mußte doch noch so glänzende Anerkennung finden. Schönen Dank für deine herzlichen Glückwünsche! Und halte mir's zu gut, daß ich es dir nicht sofort selbst gemeldet. Alles machte sich zu schnell und überraschend, und in welchem Trubel hier meine ersten Tage hingingen, kannst du dir denken. Gleich nach unserer Ankunft erschien der Regimentsadjutant! – ein sehr netter Mensch, tüchtig und anstellig in jeder Art, reich verheiratet, gut beritten, auch sehr nette Frau und ein Kind – die brachte er aber nicht gleich bei der ersten Meldung mit; etwas später der älteste Major, ganz unser alter S... nur edlere Formen: am andern Morgen das Offizierkorps. Dann Meldung bei der Generalität, Parade, Vorstellung der Unteroffiziere und Gemeinen mit schönen Reden, und denselben Nachmittag noch nach – – mit General ... meinem Brigade-General, zur Musterung der Füsiliere, ein schönes strammes Bataillon. Das ganze Regiment kräftig, proper, stattlich, hübsche Offiziere, alles tüchtig und gut. Nun helfe der Himmel weiter, das ehrende Vertrauen zu rechtfertigen, das Einstweilige dauernd zu erringen, aus einem Provisor wirklicher Apotheker zu werden – so einer auf die Art wie Gneisenau, als Blücher Doktor wurde. Und dir, Bruder Herz! soll meines Glückes »Zügel« Gerte und kitzelig kalt Eisen in die Weichen sein, dich auch zu rühren, empor zu raffen, wieder mal in's Zeug zu gehen, dich in die Bänke zu spielen. Komm' doch herüber, präsentire dich den Lebenden als einer, der auch noch nicht in der Verlustliste abgethan, eingesargt, mit Ehrensalven beknallt – und begraben liegt unter Kreuz und Trauerweide. Laß dir in's Ohr flüstern: es hat dieser und jener nach dir gefragt, dessen aufrichtige Theilnahme, von der ich überzeugt, dir nützlich sein kann – so oder so. Willst du schon aller Tage Abend machen, willst du dir ein für alle Mal genügen lassen am gesottenen Lorbeer in der Schmorbratensauce à la Waterloo, die Serviette unter das Kinn gesteckt, als Onkel Major in der Familie – nächst der guten Frau Oberstin a. D. höchste Spitze der bewaffneten Macht in unserm alten gemüthlichen Nest? – Auch bei Th... war ich schon, er behielt mich zu Tische. »Bleiben Sie nur, wir sind unter uns – zwei junge Herren noch, die werden Sie nicht geniren.« Beides waren Civilisten, feine Leute. Wir gingen zusammen fort. »Um's Himmelswillen, was war das für eine wunderbare Suppe – der Feinste von beiden knöpfte sich die Weste auf – war das Apfelsuppe? Das kennen wir bei uns nicht, daß man Gästen Bouillon von essigsauern Aepfeln vorsetzt: ich fühlte auf der Stelle, das liegt dir wie Blei im Magen.« Ich klärte ihn auf: es war Sauerkrautsuppe. »Gott stehe mir bei! Ja nun begreife ich auch das gesunde Ideal seines Staatsmannes. »Von einem Staatsmanne verlange ich, hatte Th… gesagt, vor Allem: Ideen, das Herz auf dem rechten Fleck, einen Kopf, der arbeiten und schlafen kann, wenn er will – nebst einem guten Magen.«

»Das ist viel und wenig, erlaubte ich mir dagegen, wir Soldaten kommen noch mit weniger oder mehr aus: »Ordre pariren, Gott vor Augen, den König im Herzen.« – Apropos, sieh dich doch unter der Hand nach einer angenehmen kleinen Hütte, alias Kathe, bei der Stadt um, nicht zu nahe aber auch nicht allzuweit, mit ein paar Beeten guten Gartenlandes, wo man bei vorkommenden Gelegenheiten seinen Kohl und seine Kartoffeln billiger haben könnte, als für den Marktpreis. Der tapfere Führer hat den Sieg im Auge, der kluge Führer vergißt auch nicht ganz, an den Rückzug zu denken. Aber wie ich dir sage, nur unter der Hand in aller Stille. Erforsche auch den Preis, ohne merken zu lassen, daß und für wen du etwa kaufen wolltest – sonst werden wir übertheuert. Aus dem Manöver wird es sich ja entscheiden.«

»Heute in Hast nur einige Zeilen, damit ihr uns zu finden wisset, falls eure Gedanken mich in alter Freundlichkeit geleiten wollen. Am 8. Abmarsch, 15. in – – eintreffen, wir beziehen ein Lager an der Fähre von – Kavallerielager auf den Feldern von ... Die frühe Ernte sehr günstig – 16. Ruhetag, 17. große Parade – 18. 19. Korpsmanöver – 20. Ruhe – 21. 22. Feldmanöver, und dann zu Hause und – »wirklicher« oder Kohl und Kartoffeln. Vielleicht findest du nicht etwas auf Salaterei: wäre mir lieb, damit ich in Ermangelung von Eroberungen auf dem champ de bataille und anderwärts wenigstens Salatherzen breche. Auf den grünen Salat legen dann freundliche Hühner, die sich von unseren Brosamen, fetten Würmern und einer Hand voll Gerstenkörner herrlich herausfüttern, kostbare Eier, wie man sie nicht frischer haben kann, wenn das seines Segens erledigte Huhn noch kakelt, während wir uns schon den Mund danach wischen. Und auf daß wir unser Brod dazu nicht trocken essen, salbt die allzeit mildthätige, liebe ländliche Verwandtschaft das wunde Herz eines Veteranen auf Halbsold mit einem Topf Butter oder Schmalz. Sonst wäre der »Höllengrund« auch keine üble Gegend: im Fegefeuer sind wir schon, wie das ja jedes Interimisticum – das meinige macht keine Ausnahme. Nicht wer sattelt – wer aufsitzt, ist der Reiter. Der Neid lauscht schon am Wege. Laß er lauschen in drei Teufels Namen – je mehr Neid, je mehr Segen! Schon rasseln die Würfel im Becher, und wie's fällt, so bullert's. Gott befohlen, Herz Bruder! Also Salaterei oder Höllengrund – »Wirklicher« oder: Zopp zopp! in den Klätertopp.« –

»Angenehm, daß mein Quartier keine Viertelstunde von – – – Ich reite auf meiner schnellfüßigen Cora – die treue Seele – in fünf Minuten hinüber und finde bald den, bald den, immer gute Gesellschaft, vorgestern den Bruder meines Schwagers ... Der schreit mir schon entgegen, ehe ich noch guten Tag gesagt: »Schwerenoth, was machen Sie für Geschichten? Sie werden schön ankommen, ich habe einen Auftrag an Sie vom Prinzen: wenn Sie nicht von selbst ihm die Ehre schenken wollten, würde er Sie holen lassen.« Ich bin da gewesen, hatte ihn aber nicht gefunden. »Und sagen Sie ihm nur: er ist mir höchst zuwider gewesen, ich habe ihn nicht in mein Armeekorps gewollt, er hat zu lange bei der Landwehr gestanden. Ja der Prinz habe dieserhalb einen groben Brief an den Kommandirenden geschrieben, der wäre aber auf seinem Stück geblieben, ich qualifizire mich doch.«

»Trotz des Prinzen entschiedenen Vorurtheils sei es mir nun gleich bei der ersten Vorstellung gelungen, seine vollkommene Zufriedenheit zu gewinnen, und er werde nun für mich sorgen. Die Mädels waren dabei und das war so was für die: »der Onkel wird roth, der Onkel wird roth!« Und war der Onkel nicht roth, so wurde er's – roth bis an den Ohren. Es war gegen Vier, ich sprenge zurück, um meine Sachen zu arrangiren und abermals hinzugehen, und bin kaum abgestiegen, als auch schon die Ordre eintrifft, um halb Sechs da zu sein. Der Prinz empfing mich sehr freundlich, gab mir die Hand und sagte, er habe nicht abreisen mögen, ohne mich noch zu sehen, so daß ich nicht wußte, wie meinen innigsten Dank auszudrücken. Ich durfte über eine halbe Stunde bleiben. Dann entließ er mich mit großer Huld. – In der Nacht vorher war ich ganz unwohl, wovon weiß ich nicht. Das bischen Naßwerden kann mir doch nicht geschadet haben: erst madenaß von Schweiß, dann bis auf die neunte Haut bei Donner und Blitz und einem Guß, als sollten wir alle weggeschwemmt werden in die Ostsee. Kurz ich glaubte zu fiebern, und so dachte ich: »Gut, daß du übermorgen zur königlichen Tafel befohlen! da darfst du nicht krank werden.« Den Vormittag war mir auch schon wieder besser – noch besser, als ich beim Prinzen gewesen. Und heute machen wir uns denn auf, Oberst v... und ich. Ich saß dem König schräge gegenüber. Er hatte die Uniform des ... Regiments an, sprach über Tafel oft zu mir und fragte mich, wie lange ich bei der Landwehr, wie lange bei dem ... Regiment gestanden. Ich aß tüchtig, schmeckte mir vorzüglich, und hatte Fieber und Alles in Grund und Boden vergessen. So vergaß mich das Fieber auch und kam nicht wieder. Nach Tische unterhielt der König sich mit General ... Oberst v. ... Oberst v. ... und mir und sah mich oft so recht huldvoll an, besonders nach der linken Seite, daß ich verstohlen mit der Hand wischte. Ich glaubte schon, mir meinen neuen schönen Rock befleckt zu haben, bis er sagte: »wo das Kreuz erworben?« Da wußte ich, daß es kein Fleck, nach dem er geschaut. Und so hoffe ich, wenn wir gesund bleiben, und der liebe Teufel hat nicht noch einen hochfeinen Atout, den ich zerstreuter alter Spieler wieder zu zählen vergessen, ganz speciell für mich aufgehegt, so verlieren wir dasmal nicht die Partie und könnten vielleicht noch mehr erleben. Alle Welt spricht nur von dem schönen propern ... Regiment. Es heißt, wir würden in einer Kabinetsordre besonders belobt werden. Alles gratulirt mir bereits, was ich geduldig über mich ergehen lasse. In der Regel kommen die Glückwünsche erst, wenn's Glück schon da ist – übrigens doch wol nicht so ganz dumm ... immer hilft das Wünschen vorher auch nicht.« –

»Und so melde ich dem alten Getreuen zuerst vor Allen ganz still und bescheiden, aber nicht unvergnügt, daß mich der König mit einem blauen Briefchen erfreut, mich in gnädigen Ausdrücken zum wirklichen Kommandeur des ... Regiments ernannt. Die Kabinetsordre ist vom 28. ... und geht vom Ersten der volle Gehalt an. Mit Salaterei und Höllengrund eilt das nun nicht so sehr.« –

»Im Himmel sitzen wir indessen auch noch nicht. Unter uns, ich fand Manches vernachlässigt: so den Felddienst, den ich jetzt Vor- und Nachmittags übe. Mußte hie und da scharf durchgreifen, darf auch jetzt noch nicht feiern. Das Auge überall, die Zügel in leichter aber sicherer Hand, hie und da an der rechten Stelle ein kleiner Ruck thut Wunder und sorgt, daß Einzelheiten nicht dem Ganzen schaden. So steuern wir fest und ruhig weiter. Den Vortheil habe ich, Alle theilen meine Ansicht. Der Wille ist gut. Die Herren vom Civil denken, wir hätten nur das blanke Kleid anzuziehen, spazieren zu reiten und die Leute zu kuranzen. Der Arbeit ist nicht zuviel in Friedenszeit, aber auch kein Mangel, und eben jetzt: da kommen die Conduitenlisten, nicht mein Steckenpferd – geht doch nicht da ohne, Vertheilung der Rekruten u. s. w ... Du kennst es ja. – Einen habe ich zum Abschied einreichen müssen, und so etwas ergreift mich immer viel zu sehr. Solche leidigen, ja traurigen Unvermeidlichkeiten und das Bewachen eines jeden Wortes, jeder Handlung, auch der geringsten, ja jeder Miene – das ist's, was mir meine Stellung erschwert und das Leben oft verbittert. Ein Segen, daß ich dir, Alter! ab und zu ein kameradschaftlich Wort sagen darf. – Einmal muß der Mensch seine Brust lüften ... und so werde ich in die Ressource gehen, »da finden Sie Alles«, sagt man mir. Ich fand aber nicht »Alles« und Alles, was ich fand, sah mich an wie: »na, der wird uns den Abend wol in Essig legen,« mußte nolens volens auf den Ehrenplatz – um mich lauter ernste, verbindliche, feierliche, strammstehende Gesichter. Ich ließ mich das nicht anfechten, sprach freundlich rechts und links, trank erst rothen, dann weißen, zuletzt Champagner, und wie das Eis gebrochen, in dem der Schaumwein ja nicht am übelsten mundet, brachte ich das Wohl des fröhlichen Kreises aus: – Du kennst meine Art, nicht hochstilisirt, frisch von der Leber weg. Das zündete. »Ohne Säumen, in klingenden Reimen – in süßem Trank sagte man mir herzlichen Dank.« Nun ging die Freude erst los, alle Talente entwickelten sich, von allen Seiten ließen sie sich mir vorstellen, und wie ich mich überzeugt, daß ich doch nicht so ganz Spielverderber und »Buschebaar« gewesen, noch nicht ganz verlernt, Alles zur Lustigkeit zu verführen, knöpfte ich meinen Rock wieder zu und schlich mich still davon. Ueberhaupt hielten wir uns Anfangs sehr zurück, wollte uns bedünken, einst bei unendlich weniger Aufwand, weiß Gott nicht weniger wahrer Vornehmheit, Feinheit und Fröhlichkeit begegnet zu sein, glaubten auch wol, wir wären zu alt geworden, paßten nicht mehr für die heutige Art. Inzwischen wurden wir bekannter, immer mehr brave und liebe Menschen treten uns nahe, immer mehr zweifelhaft scheint zu werden, ob sich – auch auf das glatteste bestgebohnte Parquet, auf die schönsten persischen Teppiche und in diese ganze moderne luxuriöse Geselligkeit nicht ein wenig von dem Geiste und der Anmuth unserer guten alten Zeit hinüber retten ließe. Traf uns erst, oder schien uns der Vorwurf des Stolzes zu treffen, so gesteht man jetzt um so bereitwilliger zu, daß wir diesem Laster nur mäßig fröhnen. Mehr und mehr fühlen wir uns heimisch, mehr und mehr gefällt sich auch meine Gattin und – gefällt bei Alt und Jung. Ja das junge Volk bedauert, nicht schon gelebt oder doch zur Gesellschaft noch nicht gehört zu haben, als wir jung gewesen, oder macht sich wol gar diesen Umstand schlau zu Nutze, verehrt, betet sie an und vergöttert sie, wie sich's die Milchbärte nicht unterstehen dürften, wären wir noch in erster Blüthe. Immerhin muß ich sehr auf meiner Hut sein, gehe nie, außer im Dienst, wo ich sie nicht füglich allemal mitnehmen kann, ohne die Theure aus, sehe es aber nicht ungerne, wenn wir ab und zu von einer oder einem paar hübschen jungen Frauen Besuch kommen: – die Schildwache hat gemessene Ordre, die alten abzuweisen. Und da sind wir denn auch ganz vergnügt. Meine Herzensfrau spricht mit Geläufigkeit und Gewandtheit, ich brauche mich um die Kosten der Unterhaltung nicht zu bemühen, durchaus nicht. Ja wenn ich dann auch in aller Bescheidenheit mal ein Wörtchen hinein werfen will, und wäre es gar kein übler, ja der beste Einfall – keine Möglichkeit. Der Faden reißt nicht ab. Dann harre ich in Geduld, warte auf meine Zeit – sie wird doch endlich aufhören, Athem schöpfen – gewiß, aber noch nicht. Ich hake mir den steifen Kragen auf, harre weiter – vielleicht beim Gute Nacht sagen bringe ich's noch glücklich an: wer zuletzt lacht, lacht am besten. Der Faden reißt aber noch immer nicht, bis alle mit Gott aus dem Haufe sind. »Nun sie schienen ja Alle recht heiter zu sein.« »O ja,« sage ich – »Nur …« »Nur?« wiederhole ich und weiß nicht gleich, was sie meint. »Nur ließt du mich ja wieder gar nicht zu Worte kommen ...« »Na gute Nacht, liebe Frau.« »Ich habe die Compagnie, meine Frau hat das Regiment,« sagt mein jüngster Kapitän. Doch sind wir auch manchen Abend ganz still allein – ich lese ihr vor, auch Dichter, ältere und neuere, selbst neueste: ist freilich meist nicht was d'ran, aber man muß doch ein bischen auf dem Laufenden bleiben, und dann habe ich ja das Wort, wenn gleich nicht für mich in Person, und dann lauscht meine Rezia mir doch in tiefem Schweigen, und wenn ich ihren Beifall erringe, umarmt sie ja doch nicht den Dichter, sondern sie packt mit beiden Händen ihres ritterlichen Huion's altes Gesicht und freut sich darob, daß es von Tag zu Tag dicker wird – auch nicht im Ruhestand. Ein Glück, daß meine Geliebte mich schon ungefähr so lange liebt, wie ich sie, und daß wir schon so lange copulirt sind – sonst kennte sich, zumal bei dem Vorlesen so zarter minnesängerlicher Dichtungen am Ende noch ein zartes Verhältniß zwischen uns anspinnen.«

»Als die Generalin ... uns mit Gegenbesuch beehrte, eine hochliebenswürdige, etwas steife Dame, nannte sie unsere Emmy fortwährend Aurora. Der Kadet wäre fast geplatzt. Nur ein strenger Blick von mir hielt ihn im Zaum. Sonst macht er sich ja! Ich habe gebeten, ihn mir jetzt schon zu beurlauben: im Korps lernt er nichts mehr, lasse ihm guten Privatunterricht geben, helfe auch selbst nach, wo ich weiß und kann. So hoffe ich, soll er in diesem Sommer noch das Portepée und bei angestrengtem Fleiß und Application, an der ich nicht zweifle, im nächsten Jahre das Lieutenantspatent erobern, wenn nicht der Krieg Alles schon früher zur Reife bringt. Einstweilen habe ich ihm von meinem seligen Provisorrock, zweite Garnitur, einen Schniepel machen lassen, dazu eine Dienstmütze, und ein feines neues Beinkleid, statt des abgetragenen aus der Kammer des Korps – war auch nöthig. Das muß Tuch vom Krumpfende gewesen sein. Bei Sonnenschein ging er aus den einen Sonntag, bei Regen kam er wieder – wie in Schwimmhosen, so unaufhaltsam waren sie zusammengeschnurrt. So mögen die Zöglinge der Kadettenhäuser aus den Südseeinseln gehen.«

»Ein schlechter Spaß hätte mir passiren können. Ich reite allein, zurück über die lange und schmale Brücke oberhalb der Stadt. Ein Frachtwagen mit Leinwandplan, vorne ein paar mächtige Strohbündel, biegt auf die Brücke ein. Ich halte in angemessener Entfernung. Plötzlich scheut mein Pferd vor dem raschelnden Stroh, geht rückwärts, geräth zwischen die Wagenpferde mit schellenartig klirrenden Messingringen am Geschirr. Es bäumt, glitscht aus – ich herunter, das Pferd setzt über mich weg. Im Nu stehe ich wieder fest auf den Füßen, man giebt mir mein Pferd, ich sitze auf und reite weiter ohne allen Schaden. Doch mein Gemüth war tief erschüttert.«

»Bei einem Haar um's Leben gekommen auf so eine schofle Art! Es wäre doch zu dumm gewesen. Ja heute noch auf stolzen Rossen ... Unser trefflicher Geistlicher ermahnte uns den andern Morgen, es war am Sonnabend gewesen, mit freudigem Muth zum Sterben täglich und stündlich bereit zu sein. Wie bestellt für mich – war sehr erbaut. Wie ich aber aus der Kirche heraus, schrie eine Stimme in mir, daß ich mich ordentlich umsah, ob auch keiner von meinen Leuten in der Nähe, der mich hätte belauschen mögen: »Nein, nein, noch kann ich nicht!« Der Tod und der Herr Divisionsprediger sollen sich nur gedulden. Erst muß ich wenigstens Generalmajor werden! Nachher wollen wir weiter sprechen. Wie singt der Lieutenant in dem alten Liede: »Ach, wenn ich doch erst Oberst wäre,« und der Oberst singt dann wieder – und mag auch einigen Grund haben! »ach, wenn ich doch noch Lieutenant wäre.« Und so singe ich auch: »ach, wenn ich doch noch – Generallieutenant würde ...«

»Der Scherz erstirbt mir auf den Lippen – ich werfe die Feder fort und renne hinaus. Ich muß in's Freie, aus der Stuben- und Stadtluft – vor das Thor. Kaum haben die Pfingstglocken ausgeklungen, und schon wieder hallt und schallt es über's Land, über das ganze Land – aber wie anders! Tonlos dünkte mich der Lerchenjubel über mir – wie gedämpfter Trommelschlag, wenn man ein treues Soldatenherz zur Ruhe bringt. Und ein treues Herz hat ja auch ausgeschlagen unter dem einfachen Soldatenrock, legt man es gleich in die Fürstengruft. Unser guter alter König ist nicht mehr! – Unser Trost ist sein sanftes Hinscheiden und die unbegrenzte Liebe seines Volkes. Wol werden Alle um ihn trauern, nicht nur mit dem Flor am Hut, um den Arm und an der Schärpe: die tiefste Trauer ist doch da, wo ein Stück vom eigenen Herzen mit abbricht und mit in die Grube fährt. Wir, die wir mit litten und stritten, die unerträglichen, blutrünstig drückenden Ketten brechen halfen, die wir den Siegerkranz frisch auf seinem Haupte schauten – wir sind doch die nächsten Leidtragenden. Wenige Tage vor dem Ende sah er noch den Grundstein legen zum Denkmal dessen, der uns die Bahn vorgezeichnet aufwärts zum Gipfel des wahren Ruhmes, der da ist die wahre Größe, die da nicht heißet: Glanz und Flitter, Schimmer und Gepränge, viel Geschrei und wenig Wolle, viel Wind und nichts dahinter, sondern: Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Treue, Arbeit, Einer für Alle, Alle für Einen bis zum letzten Athemzuge: Betet und arbeitet, wachet und betet, auf daß das Salz nicht dumm, das Pulver nicht naß, das Eisen nicht stumpf wird! Amen.«

»Wol möchte ich noch einmal ziehen, aber nicht wie letzthin – die Sache war mir zu klein – nur im heiligen Kampf um die höchsten Güter, für die wir das Leben unserer Jugend einsetzten, und mit der gleichen Begeisterung noch einmal singen:

»Und wer den Tod im heiligen Kampfe fand,
Ruht auch in fremder Erde im Vaterland.«

Und so bis zum Ende mit Gott, für König und Vaterland

dein treuer Freund und Waffenbruder.«

*

 


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