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17.
Frühlingstreiben.

Kaum ist der Frühling da – kaum hat seiner Sohle Spitze die Erde berührt, so tanzt ihm schon der kleine keilförmige Kreisel entgegen – er muß wol, das Peitschchen spielt ihm auf.

Bälle fliegen durch die Luft, Bogen und Blasrohr versenden gefiederte Pfeile, und wenn sie den Sperling nicht tödtlich treffen – angeschossen haben sie ihn gewiß. Niemand kann das Gegentheil beweisen; schlimmsten Falls holt der kleine Waidmann eine Prise Salz aus der Küche und streut es dem Vogel auf den Schwanz, dann kann er ihn mit der Hand greifen, sagt die Köchin. Marmorkugeln rollen, Reifen werden getrieben und hüpfen vom Fahrdamm der Straße mit dreisten Sätzen selbst über die Abgründe der Gossen hinweg, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, oder die Kinder stellen sich im Kreise auf, und die bunten Ringe flattern in hohen Bogen, von einem zum andern. Gehört aber schon Geschick zum einfachen Werfen und Wiederauffangen, um wie viel mehr, wenn die Reifen in gleichzeitigem Fluge aufsteigend sich kreuzen! Stelzen machen Riesenschritte und lassen die kleinen Leute in die Fenster hoher Erdgeschosse sehen. Wettläufe werden veranstaltet, das Kriegsspiel verläßt die Winterquartiere und schlägt von Neuem seine glorreichen Schlachten, während das nicht mehr vom Froste erstarrte Erdreich zu dem schönen und friedfertigen Spiele auffordert, einen kleinen Scherben oder ein Steinchen mit der Fußspitze durch mehrere Abtheilungen einer, rautenförmig in den Boden gezeichneten Figur so durchzutreiben, daß man niemals die Linien betritt, durch welche die einzelnen Felder geschieden sind, und dabei muß man auf einem Beine hüpfen, sonst wäre es keine Kunst. Freunde stärkerer Aufregungen, die den spannenden Reiz materiellen Gewinnes und Verlustes lieben, spielen »Paar oder Unpaar«, fragen gleichermaßen mit geschlossener Hand »Timte – nimte, Timte – naten ... wie viel willst du rathen?« oder schließen sich einer jener Gruppen an, die Knöpfe, kleine Blechmünzen und Stahlstückchen zu klingendem Absprung an Mauern, Thorwege und Kirchenthüren werfen: wessen Stahl, Knopf oder Münze am weitesten springt oder dem ersten Wurfe so nahe kommt, daß die Hand mit einer Spanne den Zwischenraum messen kann, der streicht den Einsatz ein.

Und die kleinen Hazardspieler haben einzusetzen, ihre Taschen sind voll von Bohnen der begehrtesten Sorten, Eierbohnen, Schecken und dunkelrothen Kirschbohnen.

Zum ersten April hört man ganz nagelneue Schwänke: »Ach, was hast du für einen häßlichen Fleck auf dem Kragen!« oder »warte, warte – dir kriecht da eine Spinne!« Oder es werden Vexirbriefchen verfaßt und auf die Stadtpost gegeben, in denen nichts steht als: »April, April, April!«

Am Palmsonntage erfreuen die sammtweichen, silbergrauen Blüthen der Palmweide, zum Feste selbst die ersten grünsprossenden Birkenreiser, die als »Schmeckosterruthen« nach uraltem, ja wol bis in heidnische Vorzeiten zurückreichendem Brauch um so mehr Glück und Gedeihen bringen, je herzhaftere Streiche sie austheilen, und gefärbte Eier, die der Osterhase in noch unbelaubte Büsche und Hecken versteckt. Aber zur lieblichen hohen Frühlingsfeier der Pfingsten ist das volle Grün heraus: lustig knackt's allerorten in den Wipfeln der Bäume, die frischen duftigen Maien fallen, und unter den fröhlichen Klängen des Kinderconcerts von krähenden Grashalmen, knallend aufgeschlagenen Blättern und süß eintönig piependen Kalmuswurzeln, wölbt sich Laube an Laube, daß die ganze Welt einem einzigen schönen, schattigen Garten gleicht: Berg und Thal, Wald und Wiesen, Dörfer und Städte spielen »Bitt' um Grün«.

Und mit dem Grün kommen Blumen, und aus Grün und Blumen werden Kränze: Kränze für die lockigen Scheitel der Kinder, Kränze für den Taufstein, Kränze zum Geburtstagskuchen, Kränze zur Einsegnung, Kränze für den Hochzeittag der Eltern und Kränze auf die Hügel, unter denen frühgestorbene Geschwister schlummern.

Aus Grün und Blumen werden Sträuße – Sträuße, die der Garten bietet, wenn ihm der Morgenthau funkelnde Tropfen in's Gesicht spritzt, und die Kinder heraus kommen »Wetter schmecken« – Sträuße, spottbillig, daß das bescheidenste Kindergeldtäschchen die Ausgabe erschwingt, sie auf dem Markt zu erhandeln, wo sich nachbarlich gemischt mit Radieschen, Salat, Spargeln und Küchengewächsen aller Art ein ganzes blühendes Paradies etablirt hat – Sträuße, im Felde, auf Rainen und Wiesen gepflückt – sind es auch meist wilde Krausköpfe, die wenig von Kunst und Ordnung wissen, hält sie auch nur ein schlichter Grashalm zusammen, an bunter Mannichfaltigkeit und lachender Lebensfreude nehmen sie's doch auf mit dem stolzesten Ballstrauß französischer Manier, der in zierlich gepreßter Papiermanschette wie in Schnürbrust und Reifrock steckt – schöne Sträuße von Flieder, Narzissen und Tulpen, für den Lieblingslehrer zur Schule mitgenommen, daß dem Schulzimmer recht eigen zu Muthe wird, wenn der ungewohnte Wohlgeruch die dumpfen, alten Mauern anweht, wenn das offene, nach außen gehende Fenster, vom Luftzuge bewegt, so sehnsüchtig knarrt und pfeift, als lockte es heimlich in's Freie hinaus, während der Lehrer, das Vokabelbuch in der Hand, die kleinen Studenten überhört, wie der Frühling, die Blume, die Schwalbe, die Lerche und der Storch in einer todten, tief in Gelehrsamkeit begrabenen Sprache heißt. –

»Komm, lieber Mai, und mache
Die Bäume wieder grün!«

So rufen die Kinder den Wonnemond herbei, und wenn die Blüthen fallen, die anmuthige Zeit vollbracht ist, und des Mais geflügelter Gefährte die goldbraunen Schwingen ausspannt zur weiten, weiten Fahrt in's nächste Jahr, so singen sie:

Maikäfer, flieg'!
Dein Vater ist im Krieg',
Deine Mutter ist im Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt –
Maikäfer flieg'!

Glückliche Reise, frohes Wiedersehen!

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