Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23.
Das Lesekränzchen.

In jeder Woche einen Nachmittag versammelten sich die Mädchen, um gemeinschaftlich etwas zu lesen. Natürlich sprachen sie über das Gelesene nachher noch und zuweilen mit einem Eifer, der an das alte Wort erinnerte: in der Kirche, auf der Parade und in der Schule spricht immer nur Einer, wo aber junge Mädchen beisammen sind, sprechen sie immer alle zugleich. Während des Lesens sollte jedoch keine Unterhaltung stattfinden, das war streng verboten.

Sämmtliche Mitglieder, bis auf Elise, waren bereits anwesend. »Elise ist regelmäßig die Letzte, wir sollten wirklich eine Strafe auf's Verspäten setzen.«

»Fangen wir an, das ist die beste Strafe.« Agathe schlug das Buch auf an der Stelle, wo sie voriges Mal stehen geblieben waren, und begann zu lesen, wozu sie als Wirthin statutenmäßig verpflichtet. Bald darauf trat Elise ein. »Lest nur weiter, ich höre schon,« bat sie, legte schnell ab, warf einen Blick in den Spiegel, strich den Scheitel mit ihrem Kämmchen zurecht und setzte sich an den Tisch zu den Anderen. Das Gesicht war anmuthig geröthet von dem Gange durch die frische Luft. Sie nickte bald dieser, bald jener zu, öffnete ihr Nähkörbchen, holte eine Handarbeit heraus und war bemüht, sich zum achtsamen Zuhören zu sammeln. Da fühlte sie ein Zupfen am Kleide, und ihre Nachbarin flüsterte: »wie war es gestern?«

»Himmlisch!« lautete die Antwort, freundlich aber kurz. Elise wollte sich nicht im Aufmerken stören lassen, nicht wieder den Faden des Zusammenhanges verlieren. Allein sehr bald wurde sie von der andern Seite an einer Kleidfalte gezogen und gleich leise gefragt: »wie habt ihr euch denn gestern in den Hugenotten amüsirt?«

Die Erwiderung war nicht minder enthusiastisch und schon ein wenig ausführlicher. »Göttlich! Die Hoffmann als Valentine war ausgezeichnet.«

»Wurde sie gerufen?«

»Nach jedem Akt. Und am Schluß wurden Blumen geworfen, – ganze Körbe voll! Die Mutter wollte eigentlich schon vor der letzten Scene gehen, wegen des Schießens und Pulverdampfes, aber ich ließ nicht ab mit Bitten, bis wir denn blieben. Ich habe die ganze Nacht die Musik gehört und von der Valentine geträumt, und wenn ich zwischenein erwachte, nahm ich mir fest vor, zu der Hoffmann hinzugehen, um sie persönlich kennen zu lernen. Am Morgen bei nüchternem Sinn lachte ich mich selbst deswegen aus. Nun denke dir, heute Vormittag – welch' entzückendes Abenteuer!«

Das Zwiegespräch war allmälig lauter und lauter geworden, auch einige Andere horchten hin, und der Zauber des Wortes »Abenteuer« riß vollends die allgemeine Aufmerksamkeit an sich.

»Ein Abenteuer? Wer hat ein Abenteuer gehabt? Elise? Wo ... wie ... mit wem?« riefen Alle durcheinander.

»Mit der Hoffmann.«

»Mit der Hoffmann!« wiederholte der ganze Chor. Es war ein einziger Aufschrei und zwar in so hoher Tonlage, daß ich bei weniger lieblichen Wesen ohne Umstände von »Kreischen« oder »Quieken« sprechen würde. – Für »die Hoffmann«, die gefeierte Primadonna, schwärmten die jungen Mädchen alle.

Bei bedeutungsvollen Ereignissen sind auch Nebenumstände gewissenhaft zu erwähnen. Elise begann deshalb ihre Erzählung mit einer genauen Zeitangabe. »Ich gehe also heute Vormittag um Zwölf in die Musikalienhandlung, lasse mir den Klavierauszug der gestrigen Oper geben und blättere darin, um den Auftritt zu finden, wo Valentine singt: »ich bin ein Mädchen, o Marcel!« Ach, und wie hinreißend sie das sang! Da sehe ich zufällig auf – eine Dame steht neben mir; sie war nach mir gekommen, aber ich hatte sie nicht bemerkt, ich kümmerte mich um nichts, als um die Noten und suchte, wie ich sie erhalten, sogleich eifrig nach der Stelle. Da höre ich die Dame sprechen, ihre Stimme kommt mir bekannt vor; nun sehe ich sie mir an, und – wer ist es? Niemand anders als – Valentine selbst – die Hoffmann.«

»Das dachte ich mir!«

»Wie reizend!«

»Du Beneidenswerthe!«

»Nein, die Elise hat doch fabelhaftes Glück! Sie erlebt immer die wunderbarsten Geschichten, wenn sie nur quer über die Straße geht, während unser einem nie etwas passirt. Ich wette Hundert gegen Eins, wäre ich dagewesen, so hätte mich vielleicht die Gunst der Götter mit Herrn Drigallek, Madame Klemm oder Fräulein Hinterzuber Eins zusammengeführt.«

Bei diesen, nicht sehr illustren Namen glitt ein Lächeln seliger Ironie über die Züge Aller.

»Aber hört doch weiter! Das Beste kommt ja erst. Wie ich so neben der Himmlischen stehe und voll stiller Bewunderung nach ihr hinschiele, verliert sie einen Handschuh. Ich springe natürlich zu, hebe ihn auf, überreiche ihn ihr, und sie mit unbeschreiblicher Liebenswürdigkeit ...«

»Nun, was sagte sie?«

»O, sie hat gewiß gar nichts gesagt, sondern sofort mehrere Ellen glänzenden Koloraturgesang losgelassen, fein wie brüsseler Spitzen und blüthenreich wie der Frühling.«

»Du irrst, sie sagte allerdings etwas: »ich danke Ihnen!« sagte sie, nichts weiter. Aber wie sie das sagte – dieser Wohllaut auch im unbedeutendsten Parlando! Das hättet ihr mal hören sollen! Und den Handschuh hättet ihr mal sehen sollen – und fühlen ... diese Weichheit! Und das Parfüm! Kurz – Alles auf's Feinste!«

»Waren es helle Glacés?«

»Ja wol,« bestätigte Elise, fast unwillig über die Voraussetzung der Möglichkeit, ein so erhabenes Wesen könnte etwa auch dunkel gefärbtes Ziegenleder über ihre Finger streifen.

»Paille?«

»Nein, chamois, aber unendlich zart.«

»Und was hatte sie denn sonst an? Sage doch, liebe Einzige!«

Die Tendenz des Lesekränzchens war nicht auf oberflächliche Unterhaltung gerichtet; es war gestiftet zur Förderung eines wahrhaft klassischen Geschmackes. Und die bisher so unruhige Versammlung lauschte nun mit athemloser Spannung Elisen's ausführlichen Mittheilungen über das – was die Hoffmann »angehabt« hatte.

»Nein, Kinder, aber jetzt müssen wir weiter lesen, wir kommen ja sonst gar nicht vom Fleck!«

*

 


 << zurück weiter >>