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9.
Sprechstunde.

»Herein!« ... Der Herr Doktor stand an seinem Pult. Die Thüre ging auf, ein Mädchen mit einer weißen Schürze vor, einen Korb am Arme trat ein:

»Guten Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen.« Der Herr Doktor sah sich um.

»Empfehlung von Frau Kammerräthin – wenn Herr Doktor vorbeigingen, möchten Herr Doktor doch die Güte haben ...«

»Wer ist krank?«

»Ich glaube, Frau Kammerräthin wünschte nur wegen des Fräuleins mit Herrn Doktor zu sprechen.«

»Wenn ich vorbeigehe, werde ich herankommen.«

»Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen ... Kann mir schon denken, die Renate muß doch auf den Ball, mag sie noch so miserabel sein, und wenn dann nur der Doktor gefragt ist: wird es ihr auch nicht schaden? so ist schon Alles gut. – Werde mich hüten, es auf meine Kappe zu nehmen.«

»Herein!«

»Guten Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen.«

»Ach, Herr Doktor möchten doch so freundlich sein und so bald wie möglich zu uns kommen.«

»Zu wem?«

»Zum Herrn Prediger.«

»Zu welchem Herrn Prediger?«

»Zu Herrn Prediger Quillfelder.«

»Was ist schon wieder? Da ist auch immer was.«

»Der jüngste junge Herr ist unwohl.«

»Was fehlt ihm? Worüber klagt er? Liegt er zu Bett?«

»Er klagt so sehr über Leibweh und Uebeligkeiten.«

»Ich werde mit herankommen.«

»Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen ... Wenn doch nur endlich mal erst die Kalende abgeschafft würde! Die Predigerkinder werden blos von dem ewigen fetten Schinken essen so viel krank ... Herein!« – Wieder ein Mädchen in einfacher Tracht, aber kein Dienstmädchen.

»Guten Morgen, Herr Doktor!«

»Guten Morgen.«

»Herr Doktor, ich habe das Fieber und kann es gar nicht los werden.«

»Einen Tag um den andern?«

»Ja, Herr Doktor.«

»Es liegt Ihnen so in allen Gliedern, dann kommt's mit Frost, so recht mit 'nem Schüttelfrost?«

»Ja wol, Herr Doktor, und dann mit der Hitze.«

»Wann haben Sie's denn zuletzt gehabt?«

»Gestern.«

»Und wann zuerst?«

»Ach das ist schon lange, über drei Wochen.«

»Warum kommen Sie denn nicht gleich? Denken Sie, es ist leichter zu vertreiben, wenn man sich Wochen lang mit so etwas herumschleppt und es erst recht einwurzeln läßt? – Ich werde Ihnen was aufschreiben. Wie heißen Sie?«

»Marie.«

»Wie weiter?«

»Salwitz, Marie Salwitz.«

»Sind Sie die Tochter vom Fischer Salwitz?«

»Ja, Herr Doktor.«

Und der Herr Doktor schrieb.

»So, das lassen Sie sich machen. Sie bekommen da sechs Pulver.«

»Das Mädchen streckte die Hand nach dem Recept aus.

»Hören Sie nur erst.«

Und wie das blasse Mädchen vor dem ernsten Herrn stand, der zu ihr sprach mit erhobenem Zeigefinger und bei jedem Satze gleichsam zu besserer Einschärfung den scharf geschnittenen Rand des Papierstreifens berührte, auf dem die wunderbaren Zeichen seiner Kunst noch glänzten in frischem Schwarz, hie und da ein blinkendes Sandkörnchen: – hätte ein zufälliger Beobachter gar nicht gehört, was der ernste Herr zu dem so aufmerksam ihn anhörenden blassen Mädchen sprach, nur beide gesehen, etwa wie im lebenden Bilde nach einem alten niederländischen Gemälde – und der zufällige Beobachter verstand nur ein wenig zu rathen, er würde keinen Augenblick gezweifelt haben: das müssen Doktor und Patientin sein.

»Haben Sie auch verstanden?«

Und der Herr Doktor wiederholte noch einmal die nicht ganz einfache Gebrauchsanweisung. Sydenham, oder wer zuerst Chinarinde gegen febris intermittens methodisch anwandte, hätte nicht sorgsamer verfahren können. Es war ja auch ein zum ersten Mal versuchtes, ganz neues Mittel – für die Marie Salwitz. Der Herr Doktor konnte die Fieberlitanei freilich im Schlafe hersagen.

»Nehmen Sie sich vor der Morgen- und Abendluft in Acht. Ihr Haus hat keine gesunde Lage, und kommen Sie mir Bescheid sagen.«

»Ich danke sehr, Herr Doktor ... guten Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen.«

Der Herr Doktor schrieb weiter an seinem Sectionsbericht. Ein paar Briefe hatte er schon beantwortet und ein Attest ausgestellt ... »Herein!«

»Guten Morgen, Herr Doktor.«

»Ah, Herr Pennemann! Guten Morgen. Setzen Sie sich doch, und kommen Sie nur erst zu Athem. Wie geht es denn?«

»Wie soll's gehen, Herr Doktor? So so – schlecht auch gut, gut auch nicht gut. Man muß dem lieben Gott für Alles danken. Kraft habe ich ja noch, blos: dat Pausten, dat Pausten – die Blasbälger wollen nicht mehr fort.«

Der Herr Doktor lächelte, nur kam das Lächeln nicht so recht heraus. Die starkknochige, aber abgemagerte Gestalt, auf der die Kleider schlotterten, die breite, doch eingefallene Brust, der lange dürre Hals zwischen dem steifen hohen Hemdekragen, diese scharfen Züge, die abgezirkelte Röthe und die verdächtige Klarheit der Augen mochten doch wol glaubwürdigere Zeugen gegen die Blasbälger als für die »grausame Kraft« sein.

»Zeigen Sie mal den Puls!«

Herr Pennemann hielt den Arm hin, und der Herr Doktor fühlte ihm den Puls.

»Zeigen Sie mal die Zunge!«

Herr Pennemann zeigte die Zunge.

»Wie ist es denn mit dem Appetit?«

»Da kann ich nicht klagen, Herr Doktor – unser Hund noch weniger. Es heißt ja bei uns auch nicht: warum ist der Hund so mager? Er frißt nicht. Warum frißt er nicht? Wir geben ihm nicht. Warum gebt ihr ihm nicht? Wir haben nicht ... Was hilft das Alles? Dem Herrn vom Hunde klebt's nicht an die Rippen.«

»Aber es schmeckt Ihnen?«

»O ja, Herr Doktor, recht gut, wenn gut gekocht ist, und die Frau hat 'n gut Stückchen Fleisch bekommen – aber das ist nicht immer.«

»Ja, lieber Herr Pennemann, das geht Ihnen nicht allein so. Und was Ihnen gut schmeckt, das macht Ihnen nicht weiter Beschwerde?«

»Herr Doktor, wenn Alles so sein möchte, da wäre ich der glücklichste Mensch.«

»Haben Sie noch von der Medizin?«

»Ja, Herr Doktor, ich habe sie mir wieder machen lassen, wie Sie sagten.«

»Brauchen Sie die zu Ende, und dann wollen wir mal 'n Weile pausiren. Sie sind ja ein vernünftiger Mann: bei dem beständigen Medizinschlucken kommt auch nicht viel heraus.«

»Wie Herr Doktor meinen – Herr Doktor, darf ich mir die Brust mit Speck einreiben? Es wird mir so sehr geraten.«

»Reiben Sie!«

»Und sie sagen ja Alle, ich hätte die Schwindsucht, sagt meine Frau.«

»Hören Sie doch nicht darauf, was die alten Weiber sagen. Die Schwindsucht haben Sie nicht, die Fettsucht werden Sie auch wol nicht sobald kriegen.«

»Guten Morgen, Herr Doktor.«

»Haben Sie sich gut ausgeruht? Sonst sitzen Sie lieber noch ein Weilchen – bleiben Sie nur, Sie stören mich nicht – ich schreibe unterdessen weiten.«

»Danke sehr, Herr Doktor! Es geht ja Trepp' ab, das macht mir nichts – nur Trepp' auf. Trepp' auf, das wird mir sauer. Da muß ich alle zwei drei Stufen stehen bleiben und wieder erst Luft sammeln: dat Pausten, dat Pausten! Adies, Herr Doktor.«

»Adieu, Herr Pennemann.«

Nicht lange darauf klopfte es abermals.

»Herein! Ei sieh da, wie komme ich denn zu der Ehre? Sie werden doch nicht krank sein?«

»Gottlob nein, Herr Doktor.«

»Es wäre auch wol das erste Mal in Ihrem Leben?«

»Und dennoch komme ich zu Ihnen, nicht Ihren gütigen Rath – aber doch mir Ihre ärztliche Ansicht zu erbitten – wenn es nicht indiscret ist ...«

»Ohne Umschweife.«

»Sie sind seit Jahren Hausarzt in Ogorek.«

»Gewiß.«

»Ich bin mit den Söhnen befreundet, mit dem Aeltesten intim. Nun ist schon so viel Trauriges in der Familie gewesen ... Erst starb die eine, dann die andere Tochter am selben Leiden. Die Brüder sind fest und kernig, wie mir scheint – aber die dritte Schwester – glauben Sie wol, hat man zu besorgen ... nach menschlichem Ermessen ...? Nur zur Beruhigung der Brüder, die mit zärtlichster Liebe an ihr hängen ...«

»Lieber Herr, ich kann Ihnen nur sagen: bis jetzt ist sie ein gesundes Mädchen. Wenn die zärtlichen Brüder mehr wissen wollen, mögen sie den lieben Gott consultiren.«

»Aber bitte, verrathen Sie mich nicht, bester Herr Doktor! Directen Auftrag habe ich nicht von meinen Freunden.«

»Kann mir schon denken – wir sind ja auf Verschwiegenheit vereidigt, obwol der Fall nicht so ganz streng in die ärztliche Praxis zu gehören scheint.«

»Verbindlichsten Dank, Herr Doktor – empfehle mich bestens.«

»Guten Morgen ... Der will sich mit der Annette verloben. Womit sie einem auch nicht Alles kommen! Ein vorsichtiger Liebhaber, aber kein ganz dummer. Wenn alle Verliebten nicht nur ihr Herz, sondern auch den Doktor befragten, ehe sie zum Prediger gehen, das Aufgebot bestellen, wäre viel Elend weniger in der Welt ... Herein!«

Der Herr Doktor schnitt ein Gesicht, als er nach der Thür gesehen und sich rasch wieder umkehrte.

»Guten Morgen, Herr Doktor!«

»Guten Morgen.«

»Sie werden meine Zeilen erhalten haben?«

»Ja wol.«

Der Herr Doktor that einen tiefen Griff in seine Rocktasche, in der es knitterte. Den Luxus der Papierkörbe kannte man vielleicht überall, bei uns jedenfalls noch nicht.

»Ich kann Ihnen nur erwidern, was ich Ihnen schon hundertmal gesagt habe: Sie sind ein Hypochonder.«

»Das mag ja sein. Dann ist die Hypochondrie aber auch eine Krankheit, und eine schwere unter Umständen. Giebt es denn keine Hilfe, kein Kraut dagegen?«

»Es gab wol eins – früher, nur ein etwas scharfes. Sie sind ja ein Gelehrter und Kenner der Geschichte, zumal der vaterländischen. Wissen Sie nicht, wie es die alten Preußen machten?«

»Ich erinnere mich nicht, – ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Nun da wurde für alte, schwache und kränkliche Leute durchgreifend gesorgt – für freie und nichtfreie. Knechte hing man auf, Standespersonen bekamen mit der Streitaxt vor den Kopf. Probatum est – es soll damals wenig Lebensmüde und Hypochonder gegeben haben. Na – nehmen Sie mir's nur nicht übel! Strang und Axt sind nicht mehr officinell, aber glauben Sie mir, von Zeit zu Zeit so ein kräftiger Strich mit der eisernen Bürste, wo nicht über Leib und Leben, doch über die Seele thut noch immer Patienten Ihrer Art am allerbesten. Und nun machen Sie sich Bewegung, gehen Sie auf's Land, wenn Sie können, promeniren Sie, reiten Sie, fahren Sie spazieren, essen Sie, trinken Sie was Ihnen mundet, machen Sie sich keine Gedanken und bleiben Sie so lange fort als möglich.«

»Hilft es nicht dem Kranken, so hilft es doch dem Arzt, der den unbequemen Stöhner los wird. Ich komme aber doch wieder, und wäre es auch nur zur »eisernen Bürste«.

»Versteht sich: je mehr gestriegelt, je blanker das Pferd – ich kenne meine Leute.«

»Guten Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen.«

Die Uhr tickte, der Herr Doktor schrieb – und wieder wurde geklopft, und wieder rief er laut und herzhaft: »Herein«. Diesmal war es ein kleiner untersetzter Mann, gelblich bleicher Gesichtsfarbe, aber behende und dreist:

»Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen.«

»Verzeihen Herr Doktor, ich möchte mir wol das Vergnügen machen, ob ich nicht den Bandwurm hätte?«

»Hören Sie, so'n besonderes Vergnügen ist das nicht. Nun wir wollen sehen, was sich für Sie thun läßt.«

Und wieder ein Krankenexamen, und wieder stand der Herr Doktor am Pult, wieder schnitt er mit der großen Scheere einen schmalen Streifen Papier ab, wieder sah der hinter ihm Stehende, daß er anfing »eine Platte zu bekommen« – wieder dieses nachdenkliche Schweigen, das während des Receptschreibens der auch nach damaligen Begriffen auf das allereinfachste möblirten Giebelstube eine Stimmung verlieh, wie sie nicht feierlicher sein konnte in den elegantesten Empfangzimmern der berühmtesten Aerzte oder einst in den Sprechstunden Aeskulap's selber. Wieder ächzte der rostige Bügel der Pultklappe des alten Sekretärs von massivem Mahagoni, aus dem Bretter genug sich hätten schneiden lassen, ein ganzes modernes Möbelmagazin zu fourniren mit feinen blattdünnen Ueberlagen. Wieder erhielt der grüne Tuchbezug der Klappe ein paar schöne schwarze frische Tintklexe zu den rothen und gelben Tüpfelchen vom kleckenden Wachsstock und Lack beim Zumachen der Briefe und Untersiegeln der Atteste, und wieder grinzte oben auf dem Pult der Todtenkopf stillvergnügt: wohl dem, der es überstanden, der keinen Doktor und keinen Apotheker mehr braucht!

»So – der Herr Doktor knips'te mit dem Finger unter den Papierstreifen, der Sand flog ab – »das werden Sie Ihnen in der Apotheke gleich machen, es dauert nicht lange. Davon nehmen Sie Morgens und Abends einen Eßlöffel voll. Probiren wir mal erst damit. Wirkt es nicht, so muß ich Ihnen etwas Stärkeres geben – Sie werden ja sehen, und nehmen Sie die Sache nicht zu leicht mit dem Vergnügen.«

»Was soll man machen, Herr Doktor? Kopfhängen bessert nichts, und wie schon Eulenspiegel bemerkte, als er Bauchgrimmen hatte: das paßt mir! Wenn dem Esel wohl ist, geht er auf's Eis – und da riß ihm der Schuhband. Das paßt mir! Sonst ging ich doch nicht zum Hufschmied – nun wohnt der dem Schuster gegenüber, da ist das ein Gang. Guter Freund, sagte der Hufschmied: ihr habt den Bandwurm. – Das paßt mir! So spare ich mein Geld, brauche den Schuster nicht in Nahrung zu setzen und binde mir die Schuhe mit dem Wurm zusammen ... Guten Morgen, Herr Doktor!«

»Guten Morgen. Das ist kein Hypochonder ...« »Herein! – Ei sieh da, sind Sie glücklich zurück?«

»Guten Morgen, Herr Doktor.«

»Guten Morgen. Nun erzählen Sie doch, wie ist es Ihnen ergangen?«

»Zurück bin ich – ja – glücklich nicht.«

»Sie werden angegriffen von der Reise sein – natürlich – die weite Fahrt, das ist keine Kleinigkeit ... Warten Sie nur die Nachwirkung ab. Das ist bei allen Bädern so, vorzüglich bei Karlsbad.«

»Ach Herr Doktor, sein Sie doch nur nicht böse – aber das ist es ja eben, ich bin nicht in Karlsbad gewesen.«

»Nicht? Fort waren Sie doch.«

»Ja wol, fort war ich, aber in Karlsbad nicht.«

»Wo waren Sie denn?«

»In Pyrmont.«

»In Pyrmont?«

Der Herr Doktor sah steil aufrecht nach der kleinen verräucherten Rosette an der Zimmerdecke, unter der einige Fliegen lustig immer in die Runde flogen, als wäre das da ihr Circus. Der steile Blick schien jedoch durchaus nicht scherzhaft weder die Rosette noch den Fliegencircus, noch die überraschende Tour nach Pyrmont aufzufassen. Die Decke war nur zwischen, eigentlich blickte der Herr Doktor gen Himmel, was er nicht oft that.

»Um Alles in der Welt, wie kommen Sie nach Pyrmont?«

»Mit meinem Vetter, Herr Doktor. Dem hat es auch sehr gut gethan, er redete mir so zu, er hat den schönen Wagen – ich weiß mir so schlecht zu helfen unterwegs. Und so ganz allein an dem fremden Ort, dachte ich, mein Gott! wie wird das werden? Und der Sprudel soll doch so sehr aufregen. Ich kann mal Niemand was abschlagen – ja, Herr Doctor, und da sind wir denn zusammen gereist.«

»Nach Pyrmont? Wirklich nach Pyrmont?«

»Nach Pyrmont.«

»I, du mein Herr und Schöpfer!«

Der Herr Doktor faltete die Hände, was er auch nicht oft that.

»Man erlebt allerlei in der Praxis, wovon man sich in der Theorie nichts träumen läßt, aber das ist mir noch nicht vorgekommen. Der Henker wird Sie nicht geplagt haben, auch das Pyrmonter Wasser zu trinken?«

»Ach, das ist es ja eben, Herr Doktor! Wie gesagt, meinem Vetter hat es sehr – sehr gut gethan, aber mir gar nicht – so 'n furchtbaren Andrang des Blutes nach dem Kopf, als hätte ich Feuer getrunken.«

»Und darüber wundern Sie sich? Ich wundere mich nicht. Sie denken wol, Wasser ist Wasser und Bad ist Bad? Wenn ich Sie nach Karlsbad schicke, und Sie gehen nach Pyrmont – wissen Sie, wie das ist? Das ist gerade so, als wenn ich meinem Schneider Rock und Hosen gebe und sage ihm: die Kleider sind ja zu eng, setzen Sie mir die Knöpfe etwas weiter, und er näht mir sämmtliche Knopflöcher luftdicht zu.«

»Herr Doktor, könnte ich nicht vielleicht jetzt noch nach Karlsbad?«

»Warum nicht? Indessen ich glaube, Sie würden es näher gehabt haben, wenn Sie gleich direct von hier über Pyrmont nach Böhmen gereist wären und sich nicht noch erst nach Hause bemüht hätten. Und dann nehmen Sie doch auch Ihren Herrn Vetter hübsch mit. Eine Liebe ist der andern werth. Sie brauchen aber nicht zu sagen, was Sie schon für eine Vorkur gemacht, oder erwähnen Sie wenigstens gütigst, daß ich das nicht angeordnet, sonst kriege ich einen Orden. Glückliche Reise, grüßen Sie den alten Hofrath!«

»Guten Morgen, Herr Doktor!«

»Guten Morgen ... Da steht einem doch der Verstand still!«

Und nun kam die Frau Doctorin und legte gar sorglich und sauber das weiße Halstuch etwa handbreit zusammen. Eins, schmaler gelegt, hatte der Herr Doktor schon um, das behielt er auch. Das zweite darüber mußte ihm die Frau Doktorin binden; sonst saß die Schleife schief über der doppelten Krause des feinen Hemdes – dem Jabot – wie einst der selbstgeflochtene kleine Zopf über dem Rockkragen.

»Noch wer? Herein ... Herein! ... Der muß schon zum Frühstück Erbsen gegessen und die Schalen noch in den Ohren haben ... Herein!!«

Ein großer breiter, vierschrötiger Mann schob sich schwerfällig durch die Thür und rappelte und rappelte mit dem Drücker, ehe er die Thür wieder zu bekam. So lange hatten Herr Doktor und Frau Doktorin die Freude seines Anblickes nur von der Kehrseite.

»Guten Morgen, Herr Doktor!«

»Guten Morgen! Ich bin aber schon sehr in Eile, ich muß gleich ausgehen.«

»Es wird nicht lange aufhalten, Herr Doktor ... Ich wollte nur nach meiner Schuldigkeit fragen.«

»Das steht in Ihrem Belieben.«

Es war ein Bauer aus der Niederung, mit einer Geldkatze um den Leib. Die schnallte er ab, legte sie auf den Tisch, schnallte sie auf und zählte eine Reihe harter blanker Thaler hin mit all der Ruhe und Bedächtigkeit, wie eben Bauern Geldbeutel aus der Tasche ziehen, Geldkatzen ab- und aufschnallen und Geld zählen. Dann fuhr seine Hand über das bartlose Gesicht – Gesicht und Hand sahen aus wie von einer Art weichem rothem Sandstein. Dann zählte er mit gleicher Bedächtigkeit noch eine Reihe blanker harter Thaler quer über den Tisch. Hierauf strich der Mann sich die schlichten, flachsgelben Haare aus der Stirn und zählte wieder eine Reihe harter blanker Thaler klingend quer über den Tisch, und so ging das fort, bis der Herr Doktor es doch an der Zeit hielt, dem freien Belieben des Zahlenden Einhalt zu thun – auch nicht mehr viel Platz auf dem Tische, auch nicht mehr allzuviel in der Katze zu sein schien.

Wie oft mögen wol die heutigen Herren praktischen Aerzte in die eigenthümliche Verlegenheit gerathen, wenn Patienten aus der Stadt oder vom Lande, aus der Niederung oder von der Höhe kommen und nach der Schuldigkeit fragen, ihnen zurufen zu müssen: »Nun hören Sie aber auch auf, es ist genug!«

*

 


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