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I. Bilder aus dem Kinderleben.

O wär' ich nur ein wenig allmächtig und unendlich – dachte Walt – ich wollte mir ein besonderes Weltkügelchen schaffen und es unter die mildeste Sonne hängen, ein Weltchen, worauf ich nichts setzte, als lauter dergleichen liebe Kinderlein, und die niedlichen Dinger ließ ich gar nicht wachsen, sondern ewig spielen.

Jean Paul

 

Inhalt

I. Bilder aus dem Kinderleben.
1. Mittwoch ein Vierteljahr
2. Unser Kindchen
3. Altpreussisch
4. Morgentoilette
5. Tischchen deck' dich
6. Abendsegen
7. Schlaf und Träume
8. Besuch
9. Zusehen
10. Der beste Spielgefährte
11. Kinderschuhe
12. Allerlei Händchen
13. Eine Eroberung
14. Guter und schlechter Humor
15. Mutterchen
16. Die Nixchen
17. Frühlingstreiben
18. Sommermärchen
19. Der Nussstrauch
20. Ein Rätsel
21. Der Traum des Winters
22. Lebenslauf des Greifspiels
23. Anschlagespiel
24. Engel und Teufel
25. Weihnachtfrühfeier
26. Grossmutterstübchen

II. Knaben und Mädchen.
1. Der Liebling
2. Hausmusik
3. Robinson der Jüngere
4. Die kleine Eva
5. Hausmütterchen
6. Toga virilis
7. Zaun und Fliederbusch
8. Gesetz
9. Gleicher Stärke
10. Zur Schule
11. Schöne Künste
12. Die Tasche
13. Brüderliche Liebe
14. Der junge Herr und die Gesellschaft
15. Der Komiker
16. Mauserchen
17. Kräutchen rühr' mich nicht an
18. Agathe, gerade!
19. Erste Liebe
20. Der Gegenstand noch einmal
21. Das Genie
22. Ein trüber Tag im Mai
23. Der Frühaufsteher
24. Sylvester
25. Durch
26. Abiturio
27. Der letzte Abend
28. Ade nun ihr Lieben, du väterlich Haus!

III. Auswärts und daheim.
1. Der Landmann
2. Heiliger Dreikönigsabend
3. Auf dem Wirthschaftshofe
4. Der Federviehhof
5. Frühjahrsbestellung
6. Die Saaten
7. Landregen
8. Die Feldfrüchte
9. Bei Mondenschein
10. Appell
11. Erntefest
12. Gold-grün-weiß
13. Naturkneipen
14. Kneipabend
15. Nachwirkungen
16. Vis-a-vis
17. Das Verbindungszeichen
18. Auf Mensur
19. Die Frau Gevatterin
20. Die Freunde auf der Wanderschaft
21. Ausgeflogen
22. Die Freundinnen
23. Das Lesekränzchen
24. Fidelio
25. Eine frohe Nachricht
26. Wiederkommen
27. Die Begrüßung
28. Der flügge Vogel im alten Nest

IV. Liebesgeschichten.
1. Die Verlobung
2. Was die Leute dazu sagen
3. Braut und Bräutigam
4. Schattenseiten
5. Die Frühstücksstube
6. Tanz
7. Abgeblitzt
8. Tante Malchen
9. Eveline, vormals Evchen
10. Margellis
11. Das Liebesorakel
12. Der Barankepelz
13. Spaziergang
14. Liebesbriefe
15. Hochzeit und Nachhochzeit

V. Am eigenen Herde.
1. Morgenbeleuchtung
2. Abendbeleuchtung
3. Die junge Hausfrau
4. Die Schwiegertochter
5. Ein Abenteuer
6. Die beste Wirthin
7. Wieder bei Mondschein
8. Besuch vom Lande
9. Mutter und Tochter
10. Vor dem Feste
11. Die erste Gesellschaft
12. Auch zur Philosophie der Ehe
13. Im April
14. Der Hausfrieden
15. Am Krankenbett
16. Zuschneiden
17. Ein Kaffee
18. Die Galakutsche
19. Taufe
20. Pro domo

VI. Die Alten.
1. Schnorrer und Familie
2. Wie die Großmutter schreiben lernte
3. Curriculum vitae
4. Drei weiße Sperlinge und die Geschichte des Einen
5. Eine angenehme Gegend
6. Wenn es nur der ist
7. Als der Großvater die Großmutter nahm
8. Die Handschrift des Großonkels
9. Sprechstunde
10. Eine glückliche Kur
11. Die Schlacht bei Jena
12. Schönes Wetter
13. Ungebetene Gäste
14. Zur Geschichte des Kaiserreiches
15. Die Akustik des Hauses
16. Eltern und Kinder
17. Die alte Vaterstadt
18. Der blaue Brief
19. Die Jugendfreundinnen
20. Kehraus
21. Bekenntnisse
22. Der Regenbogen
23. Auf der Höhe der Zeit
24. Das einige Deutschland
25. Familientag
26. Seine Alte
27. Das Jubiläum

1.
Mittwoch ein Vierteljahr.

Die Mutter hat das Kind vor sich im Schooße, lächelt und nickt ihm zu.

»Wie alt ist der Kleine?«

»Mittwoch ein Vierteljahr.«

Also Mittwoch! Der Vater des Kindes würde vielleicht gesagt haben: »ein Vierteljahr« oder »bald – nächstens ein Vierteljahr.« Im Munde der Mutter wäre das ein unerklärlicher Mangel an Genauigkeit.

Die Mutter lächelt und nickt. »Es ist doch ein einziger Junge!«

Die Wärme dieser richtigen, obwol durch Neuheit nicht überraschenden Bemerkung könnte zu der Annahme verleiten, es sei der Mutter einziges Kind im streng arithmetischen Sinne. Dieser Schluß wäre doch voreilig. Die angewandte Mathematik der Mutterliebe hat ihre eigene Art zu rechnen: je mehr Kinder schon da sind, um so gewisser wird jedes neu hinzukommende das »einzig einzige«. Die anderen sind ja auch alle reizende Kinder, aber dies ist »ein zu reizender Junge!«

Die Mutter lächelt und nickt, und war es erst das sanfte stille Lächeln, das sich ganz in den Anblick des Kindes versenkt, so ist es jetzt ein gar heiteres Nicken und Kopfschütteln zugleich; sie neigt sich immer mehr vor und zieht die Brauen hinauf, als wollte sie ein bischen böse thun, was auch ganz dem Zwecke entspricht – noch immer heiterer auszusehen und dem Kleinen ein erwiderndes Lächeln abzuschmeicheln.

– Und da lachte er ja auch!

»Freilich – was wird er nur nicht! Wir haben ja Gottlob! die dumme Zeit hinter uns.«

Ein Schrei des Schmerzes ist das erste Lebenszeichen bei des Menschen körperlicher Geburt, das erste geistige Regen offenbart sich in dem elektrischen Funken der Freude. »Es spielt mit den Engelchen«, sagt man, wenn die Kinder im Schlafe lächeln. Wenn sie wachend das Lächeln der Mutter erwidern, ist es ein Spiel mit dem treuesten und eigensten Schutzgeiste des jungen Lebens. –

Nun lächelt die Mutter, weil ihr die Aehnlichkeit des Kleinen mit dem Vater noch nie so aufgefallen: – nun, um die väterlichen Liebesrechte gleichsam in Vertretung des Abwesenden wahrzunehmen, und nun wieder auf eigene Rechnung: – sie kann sich nicht satt sehen an ihrem neuen, jungen Glück, das vor ihr liegt, so groß es ist – funfzehn und dreiviertel Zoll nach der Messung des exacten Vaters – mit dem klopfenden Pulse im Schädelchen, das seidenweiche, feine, kräftig schwarze Haarspürchen dicht bedecken – mit den hellen, klaren Augenkreisen, die sich wie fragend zwischen den beweglichen Lidern drehen, als wollten sie zunächst nur gern wissen, wo eigentlich oben und wo unten ist bei der Horizontallage – mit den milchzarten, grabbelnden Händchen, den kleinen, ganz kleinen Fingerchen, jedes Fingerchen mit Fältchen an den Knöchelchen, ein jedes mit seinem rosigen Nägelchen, und jedes Nägelchen mit seinem weißen Rändchen.

»Und schon so nettes festes Fleisch haben wir, so volle Gliederchen, und das Gesicht ist schon so hübsch rund, blank und glatt.«

Ein Kind von dieser wunderbaren Gelungenheit ward noch nicht vom Weibe geboren. Ganz in der Ordnung, daß von ihm in der majestätischen Form der Mehrheit die Rede ist: »Wir – regierender Jüngstgeborner!«

»Lachst du auch mit? Das ist recht – lachen sie uns aus, lachen wir sie wieder aus – die Anderen. Was wissen die? Wir beide verstehen uns doch am allerbesten. Aber das Mützchen ist dem Kinde ja ganz und gar verrutscht! Wie sieht das aus! Als wenn wir ein Gläschen zu viel hätten. Du – du Mützchen, willst du uns wol nicht immer so verrutschen!«

Und nachdem das Mützchen wieder gehörig zurecht gerückt ist, benutzt die Mutter die sehr passende Gelegenheit, dem Kinde freundlich lächelnd – zuzunicken.

*

 


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