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20.
Kehraus.

Das war ein trauriger Tag, als die beiden Herren kamen – ein junger, der Alles aufschrieb, und ein älterer, ein großer strammer Mann mit einer blauen Schnalle im Knopfloch, der Alles schätzte ...

– Auch den alten flügellahmen, kahlköpfigen blinden Kanarienvogel, der doch noch so schön sang, wenn der feine Schläger den Frühling wieder merkte an den zwischen seine Käfigdrähte gesteckten zarten grünen Blättchen und weißen Blüthchen frischen Vogelkrautes?

– Auch das kleine Spinnrad der Eltermutter, das schon – wer weiß wie lange – aus einander genommen, auf dem Boden lag, dessen zierliches Rädchen – wer weiß wie lange schon nicht mehr geheimnißvoll schnurrte beim Summen eines alten Liedchens oder zu den Reimen eines Märchens, wie sie so schön doch nur gesungen oder erzählt werden in unserm »Oberland« mit seinen blaublühenden Flachsfeldern und waldumkränzten Seen?

– Auch das Körbchen von gedrechseltem, braun polirtem Holze, inwendig mit einer Perlenstickerei, und darin vier Nadeln, nur wenige Male herumgestrickt, die fünfte durchgesteckt, und an Faden das Knäuel?

Ja schon hatte der jüngere Herr die Feder eingetaucht, um auch dies Körbchen einzutragen in seine Liste, schon hatte der stramme Mann seine Hand ausgestreckt, schon krümmten sich die Finger zum Griff: da schien seine Hand – sonst eine feste Hand – ein wenig unsicher zu werden, sein Gesicht – sonst ein festes Gesicht – ein wenig zu zucken. Das war ein seltsamer, obwohl nur ganz leiser Zug um seine glatt rasirte Oberlippe und an den Mundwinkeln. Es war dem strammen Manne sichtlich unbequem, daß sich seine Mundwinkel und die so unzeitig weiche Oberlippe in Dinge mischten, die sie gar nichts angingen, aber – richtig! der stramme Mann setzte das Körbchen, das seine ein wenig, nur ganz wenig bebenden Finger auch wirklich schon erfaßt, sachte und still wieder weg, als hätte er sich an etwas vergriffen, worüber ihm und seinem Amt keine Macht gegeben. Er schätzte das kleine Körbchen am höchsten von Allem – er schätzte es gar nicht ... Die Umstehenden hatten untereinander etwas gesprochen, lächelnd, doch mit bewegter Stimme und leise. Er hörte nur ein paar Worte, aber die verstand er ganz gut: »Schlage mir nur wieder auf, mein Tochterchen, mache ich ihn nicht zu, macht ihn wer anders zu – ein Strickzeug muß der Mensch doch haben.«

»Trinken die Herren aber nicht mal erst ein Glas Wein? Wir haben noch viel vor uns. Sie sind es wol gewohnt, lieber Michels – aber gewohnte Arbeit macht auch müde auf die Dauer.«

Der stramme Mann mit der blauen Schnalle hieß bisher »Herr Michels« oder »Herr Taxator«. Von nun an hieß er »lieber Michels«. –

Und wieder ein trauriger Tag – nicht doch, kein trauriger – ein öder, öder Tag. Fremde Menschen kamen und gingen, besahen das Haus von oben bis unten, von vorne und von der Hinterseite. Die Einen fanden es »doch sehr verwohnt«, die Anderen richteten sich schon ganz häuslich ein. »Dies könnte ich für mich nehmen, das könnte dann deines, dieses die Kinderstube und das da unser Schlafzimmer sein.« Einer hatte gedacht, der Schrank sei von Lindenholz – einer, der Sekretär sei nicht von Birkenmaser, sondern von Mahagoni – einer, der ganz alte Sekretär, der in der That von Mahagoni, sei nicht gar so plump und schwerfällig – und wieder einer, die Bankenbettstelle sei keine Bankenbettstelle, sondern eine »Schlafbank«, die am Tage, zusammengeschoben und zugeklappt, auch noch als Anrichtetisch in der Küche benutzt werden könnte. »Ja, und wenn die Kommoden und Spiegel nur etwas moderner, Gläser und Teller wenigstens im Dutzend vollständig wären!« ... Erinnerte das nicht an jenen Marodeur, der eine nach der andern von des Großvaters Tabakspfeifen nahm, sich sehr genau besah und wieder wegstellte: » trop long ... trop long ...« Da zuckte der Großvater die Achsel: »Wenn ich mir wieder Pfeifen anschaffe, werde ich nur kurze nehmen, damit die Herren Soldaten auf dem Marsch bequem daraus rauchen können.« –

Und nun der ödeste, der allerödeste Tag, den das Haus erlebt, seitdem es erbaut und bezogen. Ein Herr mit langen weißen Haaren führte, gleich Diogenes, schon am hellen Vormittage seine Handlaterne mit sich, die nicht größer aber auch nicht viel kleiner als die neuen Straßenlaternen. Er brauchte dann nicht noch nach Hause, ehe er in die Ressource ging, wo der Ledige zu Mittag speiste und dann meistens bis zum Abend verblieb. Nach ihm erschien eine Dame, die lauter feine Sachen anhatte, und eins paßte immer zum andern wie die saure Gurke zur Buttermilch. Hätte sie sich das Allereleganteste aus Paris kommen lassen, an ihr sah es doch aus wie vom Trödelmarkte – aber eine gute liebe Frau. Dieser Dame wie dem Herrn war eine Leidenschaft für Versteigerungen eigenthümlich. Sie kamen weniger um zu kaufen, als weil sie ja die Zeit dazu hatten, und weil es ihnen nun einmal Spaß machte. So begaben sie sich auch an diesem ödesten aller öden Tage zum Spaß unter die doch ziemlich gemischte Gesellschaft des kauflustigen Publikums, saßen zum Spaß in der vordersten Reihe, athmeten zum Spaß die stickige Luft, lachten zum Spaß immer wieder noch einmal mit über die wohlbekannten Witze, mit denen der erfahrene Auktionator den eintönigen Gang des trockenen Verfahrens geschickt zu beleben wußte, boten zum Spaß mit ... »5 Silbergroschen zum ersten ... 5 Silbergroschen zum zweiten ... 6 Silbergroschen ... 6 Silbergroschen zum ersten ... 6 Silbergroschen zum zweiten ... 6 Silbergroschen zum zweiten ... und zum – dritten!« Und zum Spaß war Diogenes sitzen geblieben mit dem alten Haubenstock, wie vorher die »plachanterige« feine Dame sitzen blieb mit einem schartigen Rasirmesser aus der vorgeschichtlichen Zeit der Familie, wo der Großvater sich noch selbst barbierte.

Vor dem Hause stand eine Tragbahre. Schwere stampfende Schritte, als wollten sie die Dielen durchtreten, hallten im Korridor und auf den Treppenstufen: »Sachte sachte, – noch was höher – ganz herum, ganz herum – halt, halt doch, halt! Kaput ist rasch, wieder heil langsam – macht die Thür doch noch mehr auf, wir kommen ja so nicht durch.« Das Klavier wurde hinausgeschafft mit abgeschrobenen Füßen, und doch hatte die ganze Art des schwerfälligen Transportes eine nicht zu ferne Aehnlichkeit mit jenem andern, wenn einer der Hausgenossen hinausgetragen wird »die Füße voran«. Es war, als wüßte die, beim Aufmachen des zweiten Thürflügels, unwillkürlich angestoßene Klingel, warum sie so schreckhaft beweglich bimmelte. So bimmelte das Glöcklein in dem kleinen hölzernen Thürmchen auf dem Dache des Hospitals in jener schauerlichen Nacht, als nebenbei die Tabaksfabrik abbrannte ... Wohin kam das Klavier? Was war gegeben für den alten Kasten von Ahornholz, mit den rostigen Saiten, mit den noch vor keinen zehn Jahren ganz neu und, worauf es ankommt, sehr geschickt belederten Hämmern, mit dem ganzen, nur so wenig klappernden, nur so selten in den obersten Tönen anhackenden Mechanismus – und all den theuren, darin schlummernden Erinnerungen? Wer das alte Klavier nach diesem seinem innern vollen Werthe bezahlt, hätte doch vielleicht besser gethan, sich einen neuen Concertflügel aus einer der renommirtesten Fabriken zu verschreiben.

Dem Clavier folgte ein anderes Instrument, kein musikalisches, dessen Ton aber doch auch in vergangenen Tagen einen wunderbaren Zauber übte – der große – ach, wie manche andere emeritirte Größe, schon längst zu würdevoller Muße in der Rumpelkammer zurückgesetzte Bratenwender. Was für eine sinnreiche Maschine! Am offenen, von einer kleinen Fangemauer in aller Gluth zusammengehaltenen Feuer drehte er den fetttriefenden Braten mit unerschütterlicher Gleichmäßigkeit. Die Köchin hatte keine Mühe, als den Braten an den Spieß zu stecken, von Zeit zu Zeit zu begießen, und von Zeit zu Zeit das Werk aufzuziehen, dessen wesentlichste Bestandteile: ein Zahnrad und eine mit Feldsteinen unten beschwerte Zahnstange. Mit dem Läuten der Kirchenglocken ließ es sich nicht vergleichen – das fiel auch Niemand ein: und doch ohne dies gleichsam Appetit machend feierlich durch das ganze Haus schallende Rasseln beim Aufwinden des Bratenwenders – es wäre kein rechter Sonntag gewesen.

Zwei andere Träger hatten den Kronleuchter in der Mitte einer Stange befestigt und so auf die Schultern genommen. Die kantigen Glaszierathen schillerten in trüben Regenbogenfarben und klimperten noch trübseliger, als wäre ihnen auch nicht gleichgiltig, wer der Krone zum nächsten Feste die Lichter aufstecken und anzünden würde.

Das letzte Paar im Kehraus sind die beiden »schwarzen Männer«. Nicht immer waren sie schwarz, vordem waren sie bronzirt. Sie waren auch nicht immer bronzirt, vordem waren sie weiß, so wie sie einst in Gips gegossen. Es waren zwei Büsten. In griechischer Schrift stand auf der einen »Homeros«, auf der andern »Platon«. Im Hause, bei lieben Nachbarn, guten Freunden und Bekannten waren und blieben es immer nur die »schwarzen Männer« ... »Und da wundern sich über Aehnliches Andere,« meinte unser alter Hausfreund, die noch lange kein Homer sind, und ein Plato auch wol nicht.« –

Die unteren Zimmer waren schon früher geräumt. Doch kamen der Hausherr, die Hausfrau und die Kinder nun noch einmal wieder. Noch einmal gingen sie Alle durch den Garten, um all den lieben Plätzen Lebewohl zu sagen. Dann wurden die Schlüssel einem andern Hausherrn, einer andern Hausfrau übergeben. –

Und nun ist es still geworden, ganz still in dem leeren Hause. Nur schattenhafte Striche hie und da zeigen, wo die Möbel standen, die Bilder und Spiegel hingen, die Wanduhr tickte und die heiteren wie die ernsten, die glücklichsten wie die trüben, die schleichenden wie die fliegenden Stunden in gleichem Tempo schlug. Die kahlen Mauern erscheinen enger zusammengerückt, als wie das Haus noch voll von Sachen war. Und so fremdartig, so gespenstig Alles, nachdem den Wänden geraubt, was die leeren Räume erst zur menschlichen Wohnstätte macht ... Es sind die alten vier Wände nicht mehr. –

Ein paar Schächtelchen von rohem Holze stehen noch auf dem Fensterbrett der Küche. Der Deckel des einen liegt zertreten am Boden, die obere rauhe rothe Fläche hie und da zerschrammt. Das letzte Zündhölzchen, der letzte Span Kien, die letzten Scheite Holz sind verbraucht. Und wo blieben Stahl und Feuerstein – hier einst so wesentliche Requisite? Wo das Blechkästchen mit dem schwarzen Zunder, der ihre Funken begierig auffing, und in dem die glührothen Punkte dann kribbelnd umliefen, bis das Flämmchen am zerknickten Schwefelfaden seinen magisch blassen, bläulichen Schein in das Dunkel warf? Wo blieb der flackernde Glanz, die Gluth, der aufwirbelnde Rauch des letzten Feuers, von dem jetzt nur noch kalt und todt ein Häuflein Asche auf dem verlassenen Herde? ... Doch hoch oben in den kohlschwarzen Schlott scheint noch immer das viereckige Stückchen Himmelblau, und noch zwitschert auf dem Schornsteinrande die Rauchschwalbe ihr altes bescheiden frohes Liedchen. Aber der Sommer geht zu Ende, bald zieht sie auch. Wenn die Schwalbe wieder kommt, werden andere Hausgötter hier walten.

Glück und Segen auch dem neuen Herdfeuer!

*

 


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