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15.
Am Krankenbett.

»Ach du bist es, Ferdinand? das ist ja prächtig!« Ottilie machte selbst die Thür auf. »Wir glaubten schon, du wolltest gar nichts mehr von uns wissen.« »Ich konnte nicht weg, es war Allerlei vor, wo ich selbst zusehen mußte, zuletzt noch mit dem Heu – bei dem wechselnden Wetter – da muß jeder Augenblick wahrgenommen werden, aber nun habe ich auch Alles gut d'rin. Wie geht es Euch denn? Natürlich ausgezeichnet.« »Max ist unwohl, er hat sich hingelegt.« »Was tausend! Davon sagte mir ja kein Mensch etwas.« »Es war heute auch noch Niemand hier, ich wollte eben zu den Eltern schicken.« »Da kann ich ihn wol nicht einmal sprechen?« »O doch – gewiß, ich will ihm nur sagen, daß du da bist. Er wird sich sehr freuen.«

Im Zimmer, in dem der junge Hausherr lag, verschwanden ein paar weiße Röcke, und ein Kleid, das an demselben Ständer hing und hängen blieb, erhielt noch rasch im Vorüberstreifen eine taktvolle kleine Wendung, die darauf berechnet schien, es gesellschaftsfähiger zu machen. Das Morgenhäubchen durfte seinen Platz auf der Toilette behalten. Der ältere Bruder war ja auch früher schon in der Stube gewesen, nur als Empfangzimmer hatte er sie noch nicht kennen gelernt.

Nicht ohne eine leichte Befangenheit, die ihn selbst im Grunde mehr belustigte, als verdroß, trat er ein. Max richtete sich auf, um ihm die Hand zu geben; es wollte nicht recht gehen, er hatte Schmerzen, verzog das Gesicht und unterdrückte mit Mühe ein Stöhnen. »Sag' mal, was sind denn das für Geschichten?« – »Ach es ist nichts! Ich habe mich erkältet ... ein Hexenschuß. Morgen gehe ich wieder aus.« »Das wird sich finden, lieber Mann, der Doctor wird ja bestimmen. Es wäre gar nicht so schlimm geworden, wenn er nur gehört hätte! Er hört ja aber nicht – wem nicht zu rathen, ist nicht zu helfen. Da mußte er durchaus noch gestern in die Versammlung, obgleich er sich schon nicht wohl fühlte. Mit diesen ewigen Versammlungen! ... Ich kann mich nicht damit befreunden, die Männer werden am Ende dem Hause und der Familie entfremdet.« »Davon ist es nicht.« »Nein – davon ist es nie, aber du sagst doch selbst, es wäre ein entsetzlicher Tabaksqualm gewesen, und mit den ärgsten Kopfschmerzen kamst du nach Hause. Nachdem er die ganze Nacht gefiebert und schrecklich gehustet, wollte er doch aufstehen und ausgehen. »Ich habe keine Zeit, krank zu sein, das ist für Leute, die von ihren Renten leben«, erklärte er mir auf mein dringendes Bitten. Nur mit List hielt ich ihn so lange zurück, bis der Medicinalrath kam, den ich ohne Wissen und Willen meines lieben Eigensinns bitten ließ – kurz, er war wie ein kleines Kind.« »Frau, was fällt dir ein!« »Ja – sage ich nicht die reine Wahrheit? Ehe wir's vergessen, es ist Zeit zum Einnehmen.«

Ottilie holte die Medicinflasche, schüttelte um, goß den Löffel streichend voll, hielt sorgsam die Hand unter, kein Tröpfchen floß über, und so geschickt, zuletzt mit einem schnellen, gleichsam überrumpelnden Aufschwung, hob sich der Löffel – der heilsame Trank mußte bis auf die Nagelprobe hinab. »Schauderhaft schmeckt das Zeug.« »Zum Wohlgeschmack medicinirt man nicht.« »Wenn du nun noch so gut sein willst, mir die Kopfkissen etwas hinaufzuziehen?« »Mit Vergnügen! Bleibe nur ruhig – nehme ich beide Kissen so mit einem Griff, brauchst du dich gar nicht viel zu rühren.« »Ja das ist wahr, das versteht sie wie eine gelernte Diakonissin.« »Das ist doch etwas.«

Ferdinand wollte eigentlich gleich wieder gehen, sie geriethen aber so in's Plaudern, er blieb und blieb. Es wurde dunkel, die junge Frau zündete Licht an. »Nun will ich euch aber nicht länger stören.« »Du störst uns nicht, trinke doch eine Tasse Thee mit, du bist uns sehr angenehm.« »Lange nöthigen lasse ich mich nicht.« »Da kommt der Thee auch schon. Wir können es uns ganz gemüthlich einrichten. Faßt beide mal gefälligst an und rückt mir den Tisch näher – noch ein bischen – dicht an's Bett. So – sehr schön! Und nimm mir die langweiligen Bücher weg, sie hindern blos, ich lese heute doch nicht mehr. Wenn du das Maß deiner Güte voll machen willst, lieber Bruder, so schneide nun noch Brod.« »Das kann ich ja auch, lieber Mann.« »Nein nein, wer das Brod schneidet, führt das Regiment im Hause, und glaube mir, Ferdinand, solch ein Pantöffelchen, so weich und schmiegsam es zu sein scheint und wirklich ist, dreht man es um, da zeigt sich – das reizende Ding hat bei alledem ein ziemlich hartes Hackenleder.« »Aber Max!« In diesem Tone ging es weiter. »Neckte er denn auch schon so als Bräutigam?« »O ob? ... sieh ihn nur an – ja schlage nur die Augen nieder! ... Der Schalk blickt doch durch.« »Auch vor der Verlobung?« »Nein, das hätte ich doch mißverstehen können.« »Verzeih' Frauchen, du kennst das alte Sprichwort vom Lieben und vom Necken, – nach und nach werde ich's mir sicherlich abgewöhnen – das Necken meine ich. Die Ehe ist ja ein moralisches Institut.«

»Thu' mir den einzigen Gefallen und sage das nicht!« »Wie so denn nicht?« »Ich kann es nicht leiden, und es paßt auch gar nicht.« »Es ist doch nichts Unpassendes?« »Ein Institut! Wie das klingt! Ein Institut ist ein Ort ...« »Was?« »Nun ja, ein Institut ist ein Ort ... ein Raum ...« »Vorzüglich!« »Was ist es denn?« »Aber nein – du hast ja Recht, eine Mädchenpension ist ein Institut, eine Pension pflegt in einem Hause zu sein, ein Haus ist ein Ort, kein Ort schwebt außer dem Raume, folglich ist ein Institut ein Ort ... ein Raum.« »Ach geh', du bist häßlich!« »Da hast du wieder Recht, wir Männer brauchen auch nicht schön zu sein, wenn wir nur nicht unerlaubt dumm und schwach sind, und wenn ich mehr auf Logik, als auf persönliche Liebenswürdigkeit sehen wollte, hätte ich ja am klügsten gethan, Herz und Hand einem Doctor der Philosophie zu reichen ... Ein Institut ein Ort ... ein Raum! Müßte ich nur nicht so fürchterlich lachen! Au ... mein Kreuz!« –

»Siehst du, das ist die Strafe!«

Ferdinand lachte mit, hatte aber das Gefühl, Max ginge zu weit. Der wunderliche Leidende mochte wirklich glauben, sich etwas gehen lassen zu dürfen, da er seine Liebe auch bereits durch die That bewiesen. – Nicht zum ersten Mal wurde das junge Haus heimgesucht von Krankheit. Bald nach jenen unbehaglichen wetterwendischen Apriltagen stand der Arzt an dem andern Bett, ohne ernstliche Sorge, doch auch nicht ganz unbesorgt. Der zärtliche Gatte pflegte die liebe Patientin mit rührender Treue bei Tag und Nacht, bald schwand die Gefahr, die köstlichen Stunden der Genesung kamen. Ottilie fühlte sich so dankbar, sie war das »unverdient glückseligste Geschöpf auf Gottes Welt« und begriff jetzt nicht, wie nur je einen Augenblick sich der leiseste Zweifel in ihrer Brust regen konnte, sie sei nicht mehr so heiß geliebt. Ja sie hatte keine Ruhe, bis sie sich offen ausgesprochen. Er verzieh ihr von ganzem Herzen, Alles sollte vergeben und vergessen sein. Auf jede Weise suchte er sie zu beruhigen: »Quäle dich und mich doch nicht mit solchen krankhaften Ideen, du bist ja Gott lob! wieder gesund.« Jetzt machte sie sich Gedanken, daß sie sich Gedanken gemacht. Auch das hörte er eine Weile gelassen mit an, zuletzt verlor er doch die Geduld und sagte ihr gerade heraus: »Liebchen, du weißt selbst nicht was du willst« – ja er sagte noch etwas Stärkeres, und es wäre fast zu stark gewesen, hätte er es nicht in so zartem Tone gesagt. Das änderte doch viel, und was die Hauptsache ist – es half besser als alles Andere, mit dem er es bisher versucht. Er sagte so sanft, wie sich nur was Liebes sagen läßt, ja er hauchte es gleichsam nur hin: »Du bist ein kleiner Schafskopf, weißt' auch das?«

*

 


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