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19.
Die Jugendfreundinnen.

»Was hast du dir dies Plätzchen allerliebst eingerichtet, Lotte! Der Epheu umrankt das ganze Fenster. Und wie tief die Nische! Es ist ja wie eine Laube. Das kann man auch nur hier am Markte haben, in den alten Häusern mit diesen dicken Mauern.«

»Ja, mein Hannchen, das ist auch mein bestes Vergnügen jetzt: so in ungestörter Ruhe hinabzublicken auf den Schauplatz unserer Kindheitspiele, mit all ihrem Glück und all ihrer Unruhe. Wie einzig, daß ich dich nun noch einmal wieder hier habe – und daß ich dich auch so wenig verändert finde.«

»Ich suche es dir nachzuthun – nur etwas weißer sind wir wol beide geworden.«

»Die weißen Sperlinge müssen doch endlich ihrem Namen Ehre machen.«

»Als wir uns zuletzt sahen – wie lange ist's denn her ...?«

»Das kann ich dir genau sagen. Es werden im August einundzwanzig Jahre. Ihr kamt von Danzig.«

»Ganz recht – wir hatten uns seit meiner Hochzeit nicht gesehen, und da fanden wir uns beide denn doch nicht ganz unverändert. Ich klagte: ach, Lotte! jeden Morgen zupfe ich mir ein graues Haar heraus.«

»Ich tröstete dich: Hannchen, ich zupfe schon lange nicht mehr für jedes, das man ausreißt, werden drei andere grau.«

»Und der selige Kammersekretär kam: sind Sie's oder sind Sie's nicht?« »Finden Sie mich so sehr gealtert?« »Sind Sie mit Ihren Töchtern hier?« »Nein, die Mädchen sind noch in Danzig bei den Verwandten.« »Dann sind Sie erst selbst bei uns vorbei gegangen?« »Ich ging an Ihrem Hause vorbei.« »Nun, so habe ich Sie für Ihre Tochter gehalten.« »Für welche?« »Für die jüngste natürlich,« sagte er galant wie immer.«

»Du hast es dir gut gemerkt, Hannchen.«

»Als wir dann Nachmittags im Telesius'schen Garten in alter Art auf den Treppenstufen des Pavillons saßen und einmal wieder recht unsere Herzen ausgeschüttet, fiel mir auf, wie du mich mit einem so eigenen Blick ansahst: »Lotte,« sagte ich, »was siehst du mich denn so an?« »Ja weißt du, jetzt hast du erst wieder dein altes Gesicht.« »Gerade so geht es mir mit dir,« sagte ich.«

»Du gabst mir das Kompliment zurück: ich erinnere mich sehr wohl. Und es hat auch wirklich etwas Wunderbares, wenn mit einmal trotz aller Veränderungen die Züge wieder auftauchen, die man im Geist und Herzen bewahrt. Viel muß im Ausdruck liegen.«

»Das glaube ich auch. So alt ich aussehe, so alt bin ich, erwiderte ich dem Herrn Kammersekretär auf seine Galanterie in gleichem Tone. Wir beide hätten uns ernster sagen können: »was ich erlebt, so sehe ich aus. – Ich war zum zweiten Mal Wittwe, und das Leben ging doch weiter, ich hatte doch wieder froh sein gelernt.«

»Ich duldete noch unter dem schweren Geschicke, von einem Herzen, das mir innerlich längst entfremdet, mit dem ich wahrhaft nie wieder vereint werden konnte, vor den Augen der Welt, nach dem Gesetze noch nicht getrennt zu sein. Es rächten sich meine hochfliegenden Träumereien, nur mit einem Manne von Genie glücklich werden zu können.«

»Reißen wir die alten Wunden nicht auf. Ganz vernarben sie nie – man fühlt doch nicht immer den brennenden Schmerz.«

»Ja, mein Hannchen, in deinen lieben Kindern erwuchs für dich der beste Trost. So wohl ist es mir nicht geworden.«

»Auch du hast dich durchgekämpft zu einem Leben, reich an Liebe und segensvoller Thätigkeit. Erst lebt man für sich, dann für Andere: das hast auch du erfahren und erfährst es noch täglich, wie es so vielleicht nicht sein könnte, hättest du zugleich die Sorge für einen großen eigenen Haushalt. Dir vor uns Allen wurde zu Theil, das Sinnbild zu tragen eines der wenigen nicht verblaßten Jugendideale. Was ich mich darüber gefreut, ich kann es dir nicht sagen. Zeige ihn mir doch auch, präsentire dich in deinem wohlverdienten Glänze. Ich habe den Luisenorden wol schon oft gesehen, ich will ihn nun aber auch an dir sehen.«

»Ich habe mich selbst sehr darüber gefreut, das leugne ich nicht. Friederike war gerade hier, als ihn mir der Präsident brachte – das letzte Mal, daß sie bei mir gewesen.«

»Geht sie denn jetzt gar nicht mehr aus?«

»O kein Gedanke! Ja – mache dich nur darauf gefaßt, du findest sie sehr, sehr schwach. Sie ist freilich auch etwas älter wie wir – viel nicht, und früher sah es ihr keiner an. Sie hatte immer so etwas Feines: »kleine Pferde bleiben lange Füllen,« pflegte sie zu sagen, wie sie jetzt sagt: »ich wachse mit der reifen Gerste um die Wette.« Mit einmal ging es dann um so schneller bergab. Der Tod ihres Mannes war der erste harte Stoß, bald folgte mehr, wie man das so oft sieht: Glück und Unglück kommen selten allein. Was ihr jetzt Sorge macht ist auch das Haus. Für die Kinder ist es nach gerade zu beschränkt. Die würden es im Hause der anderen Schwiegereltern viel bequemer und schöner haben. Sie reden ihr zu, mit ihnen hinüber zu gehen. Aber das will sie auch nicht – »das lohnt nicht mehr,« sagt sie.

»Manchmal hat sie doch noch gute Stunden, plaudert munter und weiß Manches, was mir schon längst entfiel. Neulich ging ich ein bischen scharf mit der heutigen Zeit in's Gericht, da schalt sie mich. »Lotte, Lotte, wer hätte das gedacht! Weißt du nicht mehr, wie wir über die alten Herren lachten – im Garten, hinter ihrem Rücken, versteht sich, sonst wäre es uns schlecht bekommen – wenn es wieder hieß: »Freunde, wir leben in einer Welt ... Freunde, es ist eine Zeit! ... Herr, sieh dein Volk an, es sind lauter Zigeuner ... bis der alte Engelrecht, das Original, sich den zweiten Rock zuknöpfte: »Freunde, es wird kühl« – und Alles aufgegessen und ausgetrunken war – trotz der bösen Zeit und der schlechten Welt. Dann wurde es nämlich immer kühl, wenn wir junges Volk auch noch so gerne länger draußen geblieben wären.«

»Ja so etwas weiß sie Alles noch bis in's Kleinste – besser, als was vor einem halben Jahre oder ein paar Wochen geschah. »Es scheint mit dem Geistesauge zu sein, sagte Riekchen selbst, wie mit dem leiblichen – und da hielt sie die Hand so näher und ferner, wie wir Alten thun beim Lesen, wenn man probirt, in welcher Entfernung es allenfalls noch am leidlichsten geht ohne Brille: – je weiter je besser, in der Nähe am schlechtesten. Schade, daß der Optikus für den alten schwachen Geist nicht auch Gläser hat. Ich kaufte mir gleich eins, wenn der Herr Sachs wieder kommt.«

»Ja, ja, mein Hannchen! mit unseren Jugendfreundinnen und Freunden sängt es an kümmerlich auszusehen. Riekchen erwähnte den alten Herrn Engelrecht. Wenn »der junge« jetzt im Schlafrock und Pantoffeln, aus denen er fast gar nicht mehr herauskommt, im Hause herumschlarrt, mit der Pfeifenspitze unter das schwarze Sammetkäppchen fährt, oder unter die Perrücke – das nimmt er sich gar nicht übel – und sich den kahlen, wie eine Billardkugel blanken Schädel kraut, würdest du den »leichtsinnigen Theophil«, den »angenehmen Schwernöther, unsern liebsten Tänzer im »Schottisch Trio« nicht wieder erkennen.« –

»Der kecke Reiter ist er dann auch wol nicht mehr?«

»Er wagt sich nicht einmal auf den Reitbock am Schreibpult, seitdem er die Schwindelanfälle hat.«

»So kann's ihm auch nicht mehr passiren, in kurzer Schnürenjacke und hohen Stiefeln mit Pfundsporen – abgesetzt, doch reitend sitzen zu bleiben – auf dem Zaune, während sein Fuchs reiterlos abgeht, daß die Steigbügel wie die Schleudern fliegen, und uns auf eigene Hand Fensterparade macht.«

»Doch ist er noch immer ein Held gegen unsern guten Herrn: »Was geliebt?«

»Ach, sage doch, wie geht es dem denn? Biegt er sich noch immer, wie eine Binse vor dem Westwind, über den Ladentisch und kriecht den Kunden fast in's Gesicht mit freundlich gekniffenen Augen: »Was geliebt? Was geliebt?«

»Wo denkst du hin? Wie lange hat der Sohn das Geschäft!«

»Freilich, freilich – ich hab's auch gehört. Man vergißt so etwas nur immer wieder – und meint, die anderen Alle bleiben, wie sie sind, während wir allein einpacken.«

»Vor einigen Tagen traf ich Vater und Sohn vor dem Georgenhospital. Das ist ja ein Platz, wo man außer den spielenden Kindern auch manches Alterchen findet. Nein, aber das sieht man doch selten. So schüttelt er immer mit dem Kopf – ich sage dir: kläglich! Wir gingen ein wenig zusammen. Schrittchen für Schrittchen. Alle Augenblicke blieb er schon wieder stehen, stemmte den Arm in die Seite und keuchte. »Setz' dich doch, Vater,« sagte der Sohn, »du wirst müde sein.« »Ich müde?« Ganz stramm richtete er sich auf und wollte weiter, wäre aber beinahe gefallen – er hielt sich nur am nächsten Baume. Nun nahm ihn sein Sohn unter den Arm und führte ihn zu einer Bank. Ein Bettler sprach uns an, dem er auch etwas geben wollte. Der Sohn mußte ihm den Beutel aus der Tasche ziehen und wieder einstecken – er war es doch nicht im Stande mit den zitterigen Händen. Wie er sich setzte, hatte der Sohn ihm auch die Rockschöße ausgebreitet. Wie der Mensch so herunterkommen kann – ach, es ist schrecklich! Da lobe ich mir die alten Alborns. Sonst ist in jedem Spiele deutscher Karten nur ein Eckerndaus. Da sind zwei – er wie sie – es ist eine wahre Freude, die alten Leutchen zu sehen: – noch immer wie die besten Daueräpfel um Ostern.«

»Die bringen's am Ende bis zur diamantenen – die goldene Hochzeit haben sie ja wol schon gefeiert?«

»Ja vor fünf – nein, erlaube mal – es werden schon sechs Jahre. Ja, ja, nächsten September werden es sechs Jahre.«

»Ein seltenes Glück!«

»Nun die waren immer kernkräftig, das Bild der Gesundheit. Aber was sagst du zu der Kriegsräthin? Die hat doch gepiept und gestöhnt ihr Leben lang und an den »Nörfen« gelitten, als sonst noch kein Mensch wußte, ob es die dummen Dinger gab oder nicht, die jetzt eine so große Rolle spielen. Ihr Mann desgleichen zum Umblasen. Als sie getraut sind, fiel sie in Ohnmacht; wie er das sieht, wird er todtenbleich, schwankt – ein Glück, daß die Stühle hinter ihnen standen – wird auch schwiemelig. »Das lohnt ja das Traugeld nicht«, sagte mein Bruder. Der Vater sagte aber: »gebt Acht, die werfen noch die Aepfel und Birnen mit euren Knochen von den Bäumen.« – Nun er ist lange hinüber. Aber was fehlt ihr? Sie nahmen doch ein Kind aus dem Waisenhause, einen netten Jungen. Der schlug ein, hat ihnen viel Freude gemacht. Sie gaben ihm die beste Erziehung – das muß ihnen der Neid lassen. Jetzt ist er ihre Stütze im Alter. Und so wurde sie Mutter und Großmutter – hat ihr noch nicht der kleine Finger weh gethan! Jedes Kind kostet einen Zahn, heißt es. Von ihr läßt sich das nicht sagen. Indessen die kann man doch los werden. Nun hat sie sich aber ein ganzes Gebiß einsetzen lassen. Und mit 'n bischen Roth aufgelegt, 'n bischen Baumwolle unter den Backen, dazu der schöne falsche Scheitel – ich sage dir, Hanne: wie ein junges Mädchen! Wer nicht mehr beißen kann, kann auch nicht mehr küssen, soll Gute Nacht sagen und schlafen gehen, sagt ein grobes altes Wort. Aber sie kann's ja nun wieder. Sie hat auch noch ein galantes Abenteuer gehabt.

»Aber Lotte!«

»Ja ja, höre nur! Es war schlimm, hätte noch schlimmer werden können. Vor aller Welt – und er war nicht blöde, packte dreist zu – der Eisbär in der Menagerie. Der riß ihr ein ganzes Stück aus der Schulter, beroch es, schnupperte, schnupperte wieder, drehte es um, beroch es auch von der andern Seite, kostete und warf es weg. Der wird sich gewundert haben! Er hatte gewiß schon immer so sehr Verlangen auf Menschenfleisch. Das lachte ihn so an, sah so zart, so appetitlich aus. Er hatte gar nicht gedacht, daß das Zeug so verdammt trocken, zähe, saft- und kraftlos sein könnte, wie das Stück schwarzer Taffet und das Pack Watte, was er ihr ausgerissen. Nun ist es nicht besser, wir lachen, als daß ein wirklich Unglück geschehen wäre?«

»Lebt ihre Mutter denn noch?«

»Und wie!«

»Die muß aber schon sehr alt sein?«

»Kindchen, Kindchen – glauben Sie – sagt sie immer, bis zum siebzigsten Jahre bin ich auch schwach und kränklich gewesen. Die Natur muß sich nur erst durcharbeiten – bei Einem früher, beim Andern später ... Wie alt sie ist? Nach ihrer Rechnung: einundneunzig – so hat sie mir selbst gesagt, aber die Kriegsräthin winkte mir gleich verstohlen zu und theilte mir nachher mit, unter dem Siegel: »Mutterchen ist doch auch noch 'n bischen eitel, sie macht sich jünger. Sie ist zweiundneunzig geworden.« Am Sylvester hatte sie ein geschwollenes Gesicht: »Bis ich meinen Vierten nehme, ist's doch wieder besser, sagte sie – glaubt es mir, beim ersten Mal besinnt man sich am längsten, nachher macht sich's immer leichter und leichter.« Den Abend mußte sie doch bei Punsch und Pfannkuchen ihr Partiechen haben, und wie's Zwölf schlägt, stößt sie an mit Allen: »prosit Neujahr, Kinder – Hundsfott wer das nächste Jahr nicht wieder auf dem Platze ist.«

Hannchen konnte noch immer so herzlich lachen. Und es war noch immer ein so tiefes, nur nicht mehr ein so klangvolles Lachen. Von dem »ein bischen was Verwegenen« war auch wenig mehr zu merken, nur das letzte äußerliche Denkzeichen doch noch immer nicht ganz verwischt von »der traurigen Geschichte, bei der Alle lachen mußten.« Zuweilen hielt Hannchen die Hand an das Ohr. In größerer Gesellschaft würde sie es öfter gethan haben. War man allein mit ihr und sprach nur langsam – so sehr zu schreien brauchte man gar nicht, – da verstand sie Alles ganz gut.

Auch Lottchen's Heiterkeit war noch mit vieler Anmuth empfunden – nur kam die innere Anmuth doch nicht mehr ganz so reizend heraus. Ihr einst so schöner, obwol nicht ganz kleiner Mund hatte die Gewöhnung angenommen, bei lebhafter Rede sich so eigen zur Seite zu ziehen, was dem Gesicht etwas Gespanntes gab. Verschwunden war der sanfte Schwung im Umriß der hohen Gestalt. Nur wenn sie sich emporrichtete, wie erst, da Hannchen ihr die Ordensschleife auf die Schulter steckte, hatte sie doch noch immer etwas wirklich »Majestätisches«.

Als die beiden Freundinnen dann die dritte in ihrem Jugendbunde aufsuchten, fanden sie Friederike in der That schwach – sehr, sehr schwach. Der Druck ihrer Hand war aber noch kräftig. »Und das behalte ich auch,« sagte sie, »das habe ich vom Hantiren und Heben der Gewichte im Laden beim Onkelchen.« Jener Glanz, der einst goldig auf ihren kastanienbraunen vollen Flechten schimmerte, schimmerte nun silbern um die grauen, mit einer Haarnadel an den Schläfen zusammengesteckten beiden Löckchen. Furche an Furche hatten die Jahre über diese reine, nicht hohe Stirn gezogen. Eingefallen war der Mund. Das feine obere Profil, die regelmäßige echt weibliche Kopfbildung vermochte keine Zeit zu erschüttern. Die matten stumpfen Ringe des Greisenalters legten sich auch um das erblichene, einst so tiefe Blau ihrer Augen. Wenn aber in dem altersschwachen, gebrochenen Körper, was nicht in ihm sterblich, wieder hell aufleuchtete, wie nun. bei der Begrüßung mit den Freundinnen der Jugend, dann waren es noch immer sehr freundliche Augen. Und das blieben sie, bis sie sich für immer schlossen.

*

 


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