Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20.
Pro domo.

Wem es nur rechter Ernst ist, sein Kind zu taufen oder Hochzeit zu machen, der wird sich nicht leicht stören lassen, mögen die Wogen der Weltgeschichte noch so hoch gehen. Und sie gingen hoch genug.

Die Taufe war im Herbst des Jahres Eintausendachthundertundachtundvierzig. Wenige Tage darauf wurde eines Abends bei uns scharf politisirt. Es bestätigte sich, Jellacic rückte auf Wien. Schon war von einer zahlreichen Versammlung im Liebhabertheater unserer Ressource zur Einigkeit eine Adresse berathen, angenommen und franco Kroatien zur Post gegeben. In ruhigem, achtungsvollem, aber entschiedenem Tone brachten die Unterzeichneten in Erinnerung, daß Wien zum deutschen Bunde gehörte; was außerhalb des Bundesgebiets geschehen, ginge uns nichts an, so wie aber der dreiste General mit seinen Kroaten die Grenze überschritte, würde sich das ganze deutsche Volk wie ein Mann erheben.

»Ja ja, wenn unsere Bürgerwehr anmarschirt kommt, wird der Kaiserstadt gleich geholfen sein,« sagte Justus. »Schade, daß es etwas weiter ist, als bis auf den »Alten Weiberberg«, und daß die Herren noch nicht alle ihre hübschen Uniformen haben wie die erste Kompagnie!«

Unser junger Baumeister gehörte zu dieser erlesenen Schaar, ja er hatte die Ehre, zum Offizier gewählt zu sein. Ottilie, der ihr Mann im kurzen Waffenrocke, mit Schleppsäbel und Epauletten sehr gefiel, verletzte des Schwagers spitze Aeußerung mehr als Max selbst – und sogleich nahm sie ihre Stellung noch ein bischen mehr links. Ohnehin war die kleine Frau dafür, daß Preußen in Deutschland, nicht Deutschland in Preußen aufging – sie hatte enthusiastisch mit an der Fahne gestickt, an der nur die Schnüre und Quasten schwarz-weiß, während einige reaktionaire junge Frauen fanatisch auf der preußischen Führung und Fahne mit deutschen Schnüren und Troddeln bestanden.

»Schade auch, daß es Schwierigkeiten haben wird, unsere Artillerie wieder mobil zu machen. Das Geschütz kriegen wir schon, die Schützengilde giebt es uns – da zweifle ich keinen Augenblick, aber die niederunger Bauern werden sich besinnen wegen der Bespannung. Bis nach Oesterreich und Kroatien hinein – wer weiß, ob sie da ihre guten Ackergäule sobald wieder bekommen? Bei der Fahnenweihe das war was anderes: drei stattliche Gespanne, denen auch zu gönnen, daß sie mal was Besseres als immer nur Heu, Stroh oder Mist fuhren, und hinter jedem ... ein kleiner Böller, etwas größer – doch nicht viel – als Kinderkanonen aus der Spielzeugschachtel. Aber sie knallten donnermäßig – die kleinen Böller! ... Vor Allem Schade, daß blind geladene Böller, Adressen und Reden, selbst die tapfersten, allein es nicht thun. Sonst darin wird ja das Genügende geleistet. Gestern ging eine Anzahl Schulknaben vor mir her, die spielten im Spaziergehen Parlament. Der eine – ein netter aufgeweckter kleiner Junge, sagte gerade, wie ich vorüber kam: »Habe ich das Wort?« »Ja, der geehrte Redner hat das Wort?« »Nun vor allen Dingen trage ich darauf an, daß der geehrte Herr Vorredner das Maul hält.« Und ich muß sagen, mir schien darin mehr treffende Wahrheit zu stecken wie oft in ganzen Bänden stenographischer Berichte.«

»Gewiß, mit Reden allein ist's nicht gethan, aber mit kaltem Nebenbeistehen und die Arme vornehm übereinanderschlagen, mit Spott und Hohn – da wird das Vaterland gerettet.«

Ein Wort gab das andere, und wieder zeigte sich, wie bis in den Schooß der Familien die Parteien auf das schroffste gegen einander standen.

»Es war doch eine schöne Zeit, als wir noch keine Standpunkte, Richtungen und Errungenschaften hatten!« Die Mutter legte das Strickzeug zusammen und steckte die fünfte Nadel durch. Die Herren schienen es gar nicht zu bemerken. Der Vater sprach sich nochmals, nicht ohne eine ihm sonst fremde Erregtheit, gegen jede Ueberstürzung aus. »Ich bin der letzte, alles Alte zu erhalten, nur weil es alt ist, auch ich helfe gerne mit, Schutt und Moder wegräumen, um neu zu bauen, wo es nicht anders geht, und ein Neubau schlechterdings notwendig; so lange es Anbauen und Ausbauen aber auch thut, bin ich nicht für Einreißen der bewährten alten vier Wände. Vor allen Dingen verlassen wir den Rechtsboden nicht, nicht um Haaresbreite!« »Das heißt, wasch' mir den Pelz und mach' ihn mir nicht naß!« polterte der Major. »Nimm mir nicht übel, traut'ster Bruder: ich Herr, du Herr – Schweinehüten will keiner ...« Unser alter Hausfreund lachte: »das ist doch wenigstens keins von den beliebten Stichworten, die von Munde zu Munde gehen, wie der Peizker bei den Enten, meistens auch nicht viel besser verdaut.« Der Veteran schien nicht ganz im Klaren, ob das eine Zustimmung sein sollte. »Ja, habe ich nicht Recht? Oder sind Sie auch für den Fortschritt?«

»Mir scheint, wie schon neulich einer sagte, der doch früher nicht blöde war im Angriff des Alten – es kommt einigermaßen darauf an, von was man »fort« schreitet, und zu was man hin schreitet. Wer von Thron und Altar wegrennt, ohne zu wissen wohin, dürfte etwas voreilig fortschreiten und in Gefahr sein, stark zu verbiestern. Was anders ist es, wenn ein aufgeklärter Mann sich das Woher und Wohin im Voraus gehörig überlegt, wie unser großer Redner in der letzten Klubsitzung bei seiner sinnreichen Idee, Deutschland unter einen Hut zu bringen auf die allereinfachste Weise – ohne Gewalt, Umsturz und Blutvergießen. Waren Sie nicht da? O er wußte uns das sehr anschaulich und plausibel zu machen. Es soll, schlägt er vor, in einer der schönsten Gegenden, recht im Herzen des deutschen Vaterlandes, eine reich dotirte Stiftung gegründet werden: Schloß und Parkanlagen im fürstlichen Stil, ausgestattet mit jeder nur denkbaren Annehmlichkeit und Bequemlichkeit, die ein geschäftsfreies Dasein vor Langerweile zu schützen vermag – Theater, Musik, Bibliothek und Lesekabinet, die besten Zeitschriften des In- und Auslandes, Billard, Kegel- und Reitbahn, Spiel- und Turnplatz für die Jugend, Telegraphenbureau, tägliche Post- und Omnibusverbindung u. s. w. In diesen paradiesischen Aufenthalt hätten sich nun sämmtliche Souveraine, bis auf den einen, durch directe Urwahlen zum Reichsoberhaupte Erkornen zurückzuziehen, um daselbst ohne jede Last und Steuer, auch militärfrei, ganz friedlich und gemüthlich nur ihrem Vergnügen, ihrer Gesundheit und ihrer Fortbildung zu leben und nach und nach sanft auszusterben. Ich bin blos neugierig, was die hohen Herrschaften dazu sagen werden.« –

»Für den Fortschritt zum Bessern muß ja wol Jeder, zumal jeder rechte Altpreuße sein. Die Sonne geht im Osten auf. Wenn jetzt auch jedes Schulkind weiß und mich corrigiren kann, daß sie gar nicht aufgeht – der zuerst dahinter kam, brachte uns ein ganzes Stück weiter und war Domherr zu Frauenburg im Ermlande. Man sollte es nicht glauben. Der freie Horizont und der eigene große Blick über das frische Haff mochte ihm den Mangel einer officiellen Sternwarte ersetzen, die ihm Bischof und Kapitel zu bauen vergaßen. Jetzt reklamiren den großen Todten die Polen. Wir wollen nicht streiten – der beste Erbe ist, der die Erbschaft zu nutzen versteht. Geboren wurde er in Thorn, das immer seinen Stolz darin gesucht, eine deutsche Stadt zu sein. Ein anderer Forscher, der in der innern häuslichen Einrichtung der Weltweisheit ebenso gründlich aufräumte, als Kopernikus in Erkenntniß der äußeren Weltbewegung, lebte und lehrte in Königsberg, das er nie verließ. Nicht an den Ufern des vielbesungenen Vater Rhein's, nicht an der Donau oder Elbe – an unserm alten Pregel begann die Erhebung des deutschen Volks Anno Dreizehn. Die Söhne der Herren vom ostpreußischen Landtage, welcher die Ausrüstung der ersten Landwehrbataillone beschloß, hatten 27 Jahre später das Herz wieder auf dem rechten Fleck und sprachen in angestammter Treue ein freimüthiges Wort, dessen Wiederhall von einem Ende Deutschlands zum andern klang. Die Antwort war ...«

Nun wollte unser alter Freund die Nutzanwendung seines philosophisch und geschichtlich besonnenen Fortschritts auf die unmittelbare Gegenwart machen, und wir waren recht gespannt, da wurde er unterbrochen durch die neueste Depesche, die für den Augenblick alles Andere in den Hintergrund drängte, selbst die brennende Frage des Tages ... Jellacic konnte ruhig vorrücken – unser Ferdinand hatte sich verlobt. Dir Freude war groß, wenn sie uns auch nicht unvorbereitet traf. Seine Herzenswünsche kannten wir schon seit jenem Spaziergange über einen Wiesenpfad. »Hier, bitte hier, Fräulein Martha – dort machen Sie sich ja ... nasse Füße,« wollte er sagen, stockte aber und sagte – »feuchte Schuhe.« Ein so hoher Grad von Zartheit in der Wahl des Ausdrucks kam einer Liebeserklärung in aller Form ziemlich nahe.

Max war der Erste, der wieder auf die großen Zeitideen einlenkte, in einer Weise, die für seine gegenwärtige persönliche Lage im Privatleben fast noch bezeichnender, als für seine allgemeinen Ansichten und politischen Gesinnungen. Wie Manches sich hinterher doch ganz anders ansieht, hatten wir auch sonst schon Gelegenheit zu bemerken. So sprach Justus, so viel ich mich entsinne, das stolze Wort: »ohne Stammhalter ist es ja noch gar keine rechte Familie, und wenn man ein Dutzend Mädel hat«, wol nicht eher aus, als bis der kleine Faulpelz, der Junge, da war. Max würde sich doch gewundert und jeden scharf angesehen haben, der gemeint hätte, ihm fehle noch etwas zum fertigen Manne, so lange er noch keine Frau hatte. Und jetzt freute es ihn besonders, daß der gute Bruder ein treues Herz gefunden, gerade in diesen bewegten Zeiten. »Wir brauchen Männer, und ein verheiratheter Mann ist erst ein ganzer Mann.« »Bedanke mich schön«, unser alter Freund machte eine Verbeugung. »Je glänzender die Ausnahme, je mehr bestätigt sie die Regel.« Der Onkel Major aber strich sich den Schnurrbart, der doch auch ganz sachte und unmerklich mit der Zeit fortgeschritten, es war nicht mehr die alte kurz gestutzte »Elf«. »So sprechen wol die Demokraten, die liebenswürdige hübsche junge Frauen haben. Es giebt auch welche, wenn es nach denen geht, wird es nicht eher besser, als bis sämmtliche Kirchen, Schlösser, Gerichte, Schulen, Ehe, Familie und alle anderen alten Zöpfe abgeschafft und Champagner allgemeines Volksgetränk ist.«

Da rief der Vater: »Halt halt! Fangen wir nicht von vorne an. Wir alle nehmen von Herzen Theil am Glück, dessen heller Stern über dem einsamen Hause unseres lieben Ferdinand's aufgegangen. Wir alle sind einig in der Liebe zur Heimath am eigenen Herde, wir alle sind einig in der Liebe zum Vaterland, zum alten preußischen, wie zum ganzen, großen, herrlichen deutschen Vaterland. In diesen Heiligthümern, in denen wir uns immer wieder finden, laßt uns für heute ausruhen. Wenn sich ein Sohn des Hauses verlobt, ist Feierabend. Morgen ist auch ein Tag, da können wir weiter streiten über dies und das, worin unsere Ansichten aus einander gehen.« Und die Gläser klangen noch einmal. Mit trockenem Munde freuten wir uns nicht. –

Seitdem ging ein Menschenalter hin. Großes ist geschehen, Deutschland steht da stark und einig, mächtiger denn je: die tiefste Sehnsucht des stürmischen Jahres ging glänzend in Erfüllung – nicht ganz auf dem gemüthvollen Wege unserer Klubprojecte im Liebhabertheater. Aber wir alle, auch diejenigen, die selbst kein Haus besitzen und keine Familie haben, lassen noch immer gerne gelten, was an jenem Abend, als Ferdinand sich verlobte, – pro domo gesagt wurde.

*

 


 << zurück weiter >>