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VI.
Die Alten.

»Das Erste und das Letzte
Vom Menschen ist das Beste.«

Vom ersten Kindesschrei und ersten Lächeln bis zur Altersruhe im Großvatersessel gaben die »Bilder aus dem Kinderleben« gleichsam in vorbildlichem Spiel das Thema dieser Blätter. Der Kreislauf des Lebens hat sich erfüllt, die Kinder des Hauses gründeten den eigenen Herd.

Das Ziel ist erreicht, der Blick wendet sich wieder rückwärts. Die Eltern erzählen den Kindern, was ihnen Eltern und Großeltern erzählt.

Noch einmal steigen Bilder der Kindheit heraus – einer weniger heitern Kindheit. Noch einmal, ehe mit den nun selbst Alten das Gedächtniß ihrer Alten für immer schwindet, steigen auf und ab in flüchtigen Wandelbildern die Lebensgänge der Vorangegangenen: aus dämmernder Ferne, von den entlegensten Grenzen des deutschen Landes zu glücklicher Vereinigung, zur Gründung des Hauses, zu treuer Gemeinschaft in guten und nicht guten Tagen, bei hellem, wechselndem und trübem Himmel bis zu jenem letzten Abendscheine – auf den kein irdisches Morgenroth folgt.

Und doch meinte unser allbekannter, nur viel zu wenig gekannter, wunderlicher theurer Landsmann sagen zu dürfen: »das Erste und das Letzte vom Menschen ist das Beste.«

 

1.
Schnorrer und Familie.

Die Sonne neigte sich, auf den bewaldeten Hügeln lag ein röthliches schwüles Licht, und doch mochte es noch eine Stunde und mehr sein bis zum Abend, den zwei Wanderer auf der schattenlosen Landstraße sehnlich herbeiwünschten. Der Eine, ein Knabe, trug seine Jacke über dem Arm. Die langen blauen Strümpfe waren vom Knie abgerutscht. Er wollte sie wieder heraufziehen, bückte sich und wäre fast gefallen. Da blieb er stehen, trocknete die Stirn und das schwarze krause Haar mit seinem alten Hütlein, einem »Dreispitz« – ein Tuch hatte er nicht – und fing an bitterlich zu weinen.

»Himmel Sakrement über den Lausbuben! Weglaufen kann er, dazu langt die Kourage – und nun wird er greinen und mir am Ende auf offener Straße liegen bleiben! Denkst du, mir thun meine alten Knochen nicht auch weh? Denkst du, ich schwitze nicht auch? Denkst du, ich möchte mir nicht auch lieber die Hälfte von der schönen Wärme zurücklegen auf die Ofenbank im Winter? Geht doch halt nicht! Schau, wie ich's mache.«

Noch rollten dem Knaben die Thränen über das glühende Gesicht, als der Ausdruck tiefster Niedergeschlagenheit und Ermüdung in plötzliche Heiterkeit übersprang. Er mußte laut lachen – zu drollig sah es aus, wie das roth und weiße Kalbfell, aus dem der Hals der Geige hervorguckte, auf dem krummen Rücken zu tanzen begann, wie die beiden stopfvollen Taschen von schmutzfarbigem Futterleinen zwischen den langen braunen Rockschößen so baumelten. Der Alte hatte einen Stein aufgehoben, geworfen und lief hinterher. Da nahm sich der Knabe zusammen, lief auch mit, ja er überholte ihn und hob den Stein auf. »Jetzt wirf du!« Der Knabe that, wie ihm geheißen, und kam wieder, wie beide dem Steine nachliefen, dem alten Spielmanne zuvor. »Verfluchter Kerle! ... Will ich seine wunden Füße betrügen – nun betrügt er meine. Aber es hilft weiter – was? Also immer munter nochmal ... und ... nochmal!« So warfen und warfen sie wechselnd, liefen und liefen, bis die Sonne untergegangen, und der rollende Stein liegen blieb, wenige Schritte von einer Bank. Die Bank stand an einem Hause. In dem Hause ging's lustig zu. Gläser klirrten, Würfel klapperten und auf den Tisch wurde geschlagen, man hörte es wer weiß wie weit: »Trumpf, Trumpf und wieder Trumpf!«

»Gelt, Kleiner, sitzen ist gescheidter als laufen? Holla, heda! Wirthschaft! Ist denn gar keine Wirthschaft hier für feine Gäste, die lieber draußen Platz nehmen als in der qualmigen Schenkstube? Hier holt sich wol Jedermann selbst den Schoppen aus dem Keller? Die Bank haben wir uns auch auf eigene Hand putzen müssen. Die Mistkratzerle hocken auf der Stange – geruhsame Nacht! Aber die Hühner und die Frauenzimmer lassen überall was liegen, ist's nicht der Strickstrumpf, ist es der Nähbeutel – nun da kommt ja die Jungfer! Und so sind sie alle – nur brav flattiren, da hören sie gleich. Grüß Gott! Was kann man für Wein haben?« – »Zu sechs – zu neun – zu zwölf und zu achtzehn.« »Bessern nimmer? ... Nun es thut nichts ... also zu achtzehn ... aber reichlich Maß und keines von den neuen Fläschle, da geht zuviel hinein – und 'n bisse! bald, wenn's sein kann, schönes Kind, wir verschmachten schier.«

»Was reißt du denn deine verflixten Herzkirschenaugen so auf, Büble? Sind ja so schon groß genug. Wenn es doch auf Kreide geht, werde ich ein Narr sein und Krätzer saufen? Sollst auch was haben, nur erst nimm 'n Happen Brod, wie's der Fuhrmann da auch macht, ehe er sich und sein Roß tränkt ... Gelt, Kleiner, ein Schluck vom Besten ist nicht schlimmer als die Zunge am Gaumen dürr wie 'n Reibeisen? Und nun rück' als mal heraus – weshalb bist du in die weite Welt gerannt? Aber keine faulen Fische, die munden nicht zu reinem Wein, und wer selbst sein Leben lang sich mühselig hat durchschlagen und durchlügen müssen, der läßt sich kein X für ein U machen. Also was denkst du dir, was willst du eigentlich?«

»Ich will was Rechtes lernen, das konnte ich bei Hause nicht.«

»Dann geh' nach Nürnberg, dort füllen sie's den Kindsköpfen mit dem Trichter ein: aller anderer Orten ist Bakel Schulmeister.«

»Am liebsten möchte ich studiren.«

»Dann gehe nach Prag, mein Sohn, die Prager Studenten sind die besten Musikanten. Aber träume dir keine zu großen Rosinen in den Sack. Ich bin doch auch mit dem rechten Ohr zuerst auf die Welt gekommen und habe gleich nach Vaters Geige gegriffen – nach dieser hier ... ist noch immer die alte, ich gebe sie nicht für zwei neue, und wären sie vom Michelsmarkt gekauft. Muß doch Jahr aus Jahr ein, nur um das leidige liebe Leben zu haben, mich durch aller Herren Länder durchfiedeln, daß ich selbst nicht mehr weiß, rede ich noch meiner Mutter Sprache oder was sonst.«

»Und wenn ich Brod habe, will ich eine Frau nehmen.«

»Warum nicht?

Jedes Töpfle find't sein Deckerle,
Jedes Schnäuzle sein Leckerle.

Aber das pressirt ja wol nicht? Laß dir erst als was Krauses um's Kinn und auf die Lippe wachsen. Alles wie sich's gehört und schickt: zur Rose der Dorn, auf's Ei das Salz, zum rechten Männerkuß 'n bissel Bartstechen. Und wenn du den Schatz am Halse hast, wirst du doch auch ein Stüble brauchen?«

»Dann wird es wol am besten sein, ich baue mir mein eigen Haus.«

»Richtig! und nicht zu klein, daß ihr mich propre logiren könnt, wenn ich dich besuche. Willst du dir nicht auch ein paar Batzen in die Sparbüchse thun oder einen Topf voll Gulden hinter dem Hause vergraben? Ist kommod' für Unvorhergesehenes, oder mal einen guten Freund herauszureißen, der in der Patsche steckt. Sitzest du dann ein andermal selbst zwischen Baum und Borke, hilft er dir auch wieder aus der Klemme. Ja, ja, der gute Wille vermag viel, er vermag Alles, in Sonderheit, wenn der Mensch 'n bissel Vernunft hat und nichts will, als was er auch kann. Mit des Teufels Gewalt lupfen starker Wille und feste Hand am Ende auch eine Geiß hinten herum. Nur Eins vermag der beste Wille nicht – und wäre es nur, das Bund Stroh zum Nachtlager zu bezahlen, wenn er keinen Kreuzer Münz' im Sack hat. Nun nun, lassen Euer Gnaden mit Haus und Hof, Weib und Kind in Hoffnung nur nicht gleich wieder Nase, Ohren und Maul hängen. Hast du nichts, habe ich erst recht nichts – wir schreiben in das Herbergsbuch: Schnorrer von Nirgendheim und Habenichts mit Familie. Kopf in die Höhe! Siehst du die sieben Sterne da?«

»Ob der Kapelle?«

»Mehr rechts, über dem Berge – nicht ganz gerade über, vom Spitz wieder 'n bissel links.«

»Ja ja ... drei davon stehen in die Höhe.«

»Wie die Deichsel am Wagen, und das Sternbild heißt auch: der Wagen. Das habe ich von Einem, der verstand sich auf so was. Der wußte und konnte Alles, war Schuster von Prosession, blos Schuhe machen konnte er nicht. Alle meine lieben Elsteraugen und zwei Ueberbeine trage ich dem Sterngucker zum ewigen Angedenken. Brauchst du also Schuhe, so geh' du lieber zu einem, der Schuhe gut macht, wenn er gleich nichts weiter kann und versteht, und zu keinem Tausendkünstler. Willst du jedoch durchaus zu was kommen, so lauf du nur immer, mit oder ohne Schuhe, dem blanken Wagen da droben nach. Einholen wirst du ihn nicht so leicht, behalte aber die Spur im Auge, die führt dich in ein Land – ja, da ist's schnurrig. Da hat es keine Berge und keine Hügel, als Maulwurfshaufen, da wohnen gar keine rechten Deutschländer mehr, nur so 'ne Art Halbschlag – halb Wasserpolaken, halb Deutsche – obwohl sie deutsch sprechen, ist aber auch danach. »Va-ther« und »Mutter« sagen sie, nicht »Muther« und »Vatter« – und so Alles verkehrt, nur auf den Kopf gefallen sind sie nicht und auch nicht so faul, wie ihre Flüsse, die fließen – man merkt nicht, will das Wasser vorwärts oder rückwärts. Ei – so stecken sie den Mühlen Flügel auf, die fangen den Wind, und der Wind treibt die Räder um und um wie bei uns die Bergbäche. Gelt, Kleiner, dumm ist das nicht? Wenn das Korn nur wohl gemahlen wird, ob dich der Windmüller oder der Wassermüller bestiehlt, davon wirst du nicht satter und nicht hungeriger, und wenn nur wohl schmeckt, was sie backen und kochen vom Mehl, ist's nicht gleich, ob es Semmel oder Wecken, Hörnel oder Zwieback, Knödel oder Klöße – Spätzele sind's freilich nimmer. Ja, schnurrige Leut', schnurrige Leut'! Da haben sie einen König, der geht mit dem Krückstock schlafen und steht mit dem Krückstock auf – und schlägt doch alle seine Schlachten selbst, hat sich mit unserer Kaiserin und der ganzen Welt herumgehauen sieben Jahre und länger. Das Ende vom Liede: sie mußten ihm doch lassen, was er ihnen abgejagt. Und so sind sie alle – arg hinterher, wie man sagt, eine zähe, stramme, knauserige Art, die von Kommißbrod und der Fuchtel als noch mal feister wird, wie Andere, denen Alles in den Mund wachst, die den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. So ziehe denn immerhin dem blinkenden Sternenwagen nach, mein Sohn! Nur vor einem warne ich dich väterlich: die eisernen Ladstöcke fliegen da in der Luft herum, wer einen hinterschluckt, wird ihn nicht leicht wieder los, wenn er gleich Baumöl maßweise nimmt. War auch als mal nahe daran: die Herren Werber schenkten mir fleißig ein, sollte anstoßen mit ihnen. Der Rothe war nicht übel, noch auf dieser Seite gewachsen. Da gewahrte ich – wir saßen auch so vor der Thür – ein paar Vögel, einen jungen und die Alte. Und die Alte flatterte und schrie gar ängstlich, als wäre der Habicht zu sehen, war aber kein Habicht. Und wie die Grünschnäbel sind, die hören ja nicht, der junge mußte doch versuchen, wie die Trauben im Rebenberg drüben sind auf jener Seite. Kaum hatte er aber eine Beere gekostet, so erhob er ein klägliches Geschrei, und beide, der junge wie die Alte, flogen so schnell sie nur konnten nach der nächsten Stadt. Da sprang ich auf: »Adies, ihr Herren, für dies mal – als lieber nit! Ich bleibe in unserem Ländle, wo doch ein Tropfen Wein wachst, den man saufen kann, ohne gleich zum Feldscheer zu müssen, daß er einem den verrenkten Schnabel und Magen wieder einrichtet.« – Essen ist gut, trinken ist besser – rheinische Trünke, schwäbische Schlünke! Das Beste: trinken und singen. Wenn der Zigeuner nicht singt und spielt, hängt er sich auf. Spielen und singen mit einander habe ich gelernt von einem Italiener. Ein Teufels-Geiger! dachte Jeder, der das eine große Stück von ihm hörte. Doch konnte er nur drei Stückle: hatte er das Meisterstück gespielt, dann ließ er den Teller herum gehen und nahm viel ein. Was der Mann aber nicht konnte, das war: schlicht und einfältiglich eine echte deutsche Weise herauszubringen ohne Schnörkel, Saitenkneipen und über den Steg hüpfen – was gut ist, den Narren ihre Münz' aus der Tasche zu schnellen, aber auch noch nicht eine Spinne von der Decke zu locken, geschweige denn ein menschliches Herz zu rühren.«

Schon hatte der Alte das Kalbfell aufgeschnallt, sein Instrument herausgenommen, geklimpert, die Stimmung zu probiren, und die Wirbel geschroben. Jetzt spielte er – zuerst ein geistliches Lied und ein anderes ernstes sanftes Stück. Sodann spielte und sang er: »Prinz Eugenius, der edle Ritter.« Dann:

»Ich hab meinen Weizen an den Berg gesät,
Hat mir 'n der böhm'sche Wind verweht!
Juchhei hopsasasa
Fifalleralera!
Hat mir 'n der böhm'sche Wind verweht.«

Und:

»Mit der Güte, mit der Güte
Kam ich um mein' Sach' –«

Und wieder:

»Lauter schöne Leut' sind wir,
Lauter schöne Leut'.
Wenn wir schöne Leut' nicht wären,
Wer sollt' das Geld verzehren?
Lauter schöne Leut sind wir,
Lauter, schöne Leut' ...«

Die »schöne Leut'« ließen ihn nun in die Schenke rufen und sich Schelmenliedchen singen wie:

»'s is nichts mit den alten Weibern,
Bin froh, daß ich keine hab'.
Lieber frei' ich mir 'n junges Madel,
Do ich Freud' darob hab'.«

Und:

»Ick und mein junges Weib
Können schön tanza,
Sie mit dem Bettelsack,
Ick mit dem Ranza.
Schenkt mir mal bairisch ein,
Wollen mal lustig sein,
Bairisch, bairisch, bairisch muß sein!«

Hierauf ging der Knabe mit seinem verschwitzten »Dreispitzle« herum, und der alte Spielmann zählte das Gesammelte in der Hand: »Gelt, Kleiner, das langt zur Zeche für uns beide, bleiben auch noch 'n paar Heckpfennige auf morgen, und wenn das nur alle Tage so geht, was braucht der Mensch mehr?« –

Am andern Morgen in aller Frühe steckten sie frische Reiser auf ihre alten Hüte und wanderten weiter, zusammen aber nur bis zur Waldkapelle, wo der Weg sich theilte. Auch die Lebenswege der beiden gingen auseinander für immer. Der Knabe kniete am Bache, wusch Hände und Gesicht. Als er aufstand, schüttelte er den Staub von seinen Schuhen und weinte: es war doch noch Staub vom Heimathland. In dem kleinen Thürmchen auf dem Dache der Kapelle läutete die Morgenglocke. Und der Alte spielte und sang noch einen Vers des Chorals, den er gestern gespielt:

»Wann ich einmal muß scheiden,
So scheide nicht von mir ...«

Das hat der Knabe sein Lebtage nicht vergessen.

*

 


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